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Ästhetische Qualitäten des Niedergangs
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2010, 2
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Ästhetische Qualitäten des Niedergangs

Zeitschrift Umělec 2010/2

01.02.2010

Donna Howard | The End of the Western Concept | en cs de ru

Die Bohemian National Hall in der New Yorker Upper East Side war kürzlich der Schauplatz einer Veranstaltung von Umělec, auf der die Frage diskutiert wurde, ob das „Western Concept“ am Ende sei. Es gab nicht nur einen regen Austausch über die Bedeutung, Teil des „Western Concept“ zu sein, sondern es wurde auch der Stellenwert derjenigen zeitgenössischen Künstler betont, die ihren eigenen Platz neu zu bewerten scheinen. Die Inhaber der Londoner Galerie Sumarria Lunn, Will Lunn und Vishal Sumarria, beschreiben das „Western Concept“ als reinen Konzeptualismus, der das Können und die Integrität des Künstlers überfordert und gleichzeitig untergräbt. Die Galeristen sind daher stolz darauf, Künstler zu vertreten, deren Werk eine gewisse „Aussagekraft“ haben, womit sie sich vom konzeptuellen Ansatz distanzieren und sich wieder einem traditionelleren Ansatz, sowohl im Ton als auch der Methode, annähern. Eugene Wood, Ross Jones und Yun-Kyung Jeong sind drei der von der Galerie vertretenen Künstler, die anscheinend genau diese künstlerische Mehrdeutigkeit kreieren, in der die Zukunft ihres Werkes so verführerisch unbestimmt und trotzdem untrennbar mit der Geschichte des Mediums verbunden zu sein scheint.

Eugene Wood ist Absolvent des renommierten Brüsseler Institut Supérieur de peinture Van der Kelen-Logelain, das auf klassische Malerei spezialisiert ist. Seine meisterhaften Ölgemälde täuschen die Sinne, denn ironischerweise wirken Woods Werke häufig weniger wie Gemälde, sondern eher wie Glyzerindrucke oder laminierte Leinwand. Aber genau deshalb funktionieren sie: Die Vermischung von zeitgenössischen und abstrakten Motiven mit traditioneller Maltechnik rüttelt den Betrachter auf. Man erwartet von einem Gemälde, dass die Pinselstriche sichtbar sind und damit die Farbe und die Arbeit als solche, aber genau diese Zeichen sind versteckt. Die Farbe ist so sehr Teil seiner Werke, dass sie sich selbst zu verleugnen scheint. Im Sinne des Greenberg’schen Modernismus sind wir daran gewöhnt, dass Farbe auf Leinwand auch wirklich wie Farbe auf Leinwand aussieht, dass also der Illusionismus in den Hintergrund tritt. Doch plötzlich werden wir mit Werken konfrontiert, die diesem Prinzip widersprechen. Indem er die Farbe quasi abflacht, entzieht Wood dem Betrachter einen der Grundpfeiler des Mediums: die Textur. Dadurch wird der Betrachter herausgefordert, nicht nur die Idee hinter dem Werk zu entschlüsseln, sondern auch den eigentlichen Entstehungsprozess. Obwohl Wood zugibt, dass seine Motive häufig banal sind (Isolated Resignation (2008) stellt eine abgenutzte, gelbe Fahrbahnmarkierung dar, der tiefe „Schnitt“ an ihrem Ende steht für seinen Ärger über die vielen Strafzettel, die er bekommen hat, während er Fahrbahnmarkierungen betrachtete), bekommt das Alltägliche durch die eingehende Betrachtung etwas Faszinierendes, wodurch das Motiv auf spielerische Art mit dem traditionellen Prestige des Mediums verwoben wird. So gesehen spielt Wood also mit der Kunstgeschichte und deren sich überlagernden und widerstreitenden Werteideologien.
Ein anderer Künstler, dessen Medium sich nicht auf den ersten Blick offenbart, ist Ross Jones. Seine Bleistiftwerke sind so akribisch und sorgfältig angefertigt, dass sie leicht mit digitalen Bauplänen verwechselt werden können. Jones schafft es, das Chaos zu ordnen, dem wir tagtäglich durch die Medien ausgesetzt sind, indem er aktuelle sozio-politische Probleme zu individuellen, monochromatischen Bildern destilliert. Die Ansammlungen verlassener Zelte, Unterstände aus Eisen oder, wie im Fall von Affordable Housing (2008), uniforme Appartementblocks haben etwas Ikonisches; im freien Raum gelegen und mit einem Hauch Struktur versehen, vermitteln sie eine geradezu meditative Ordnung. Jones verzichtet vollständig auf die Darstellung von Menschen. Trotz des dadurch verursachten Unbehagens sind seine Werke nicht sinnentleert, denn es scheint immer etwas oder jemanden zu geben, das bzw. der sich den Blicken des Betrachters entzieht. Genau das schützt Jones auch davor, in eine übertrieben kritische Haltung gegenüber der aktuellen Politik zu verfallen, und erlaubt ihm eine ruhige und zurückhaltende Betrachtung des zeitgenössischen Klimas. Der Bleistift scheint dabei das einzig angemessene Medium zu sein, durch das diese allgemeine Zurückhaltung und die subtile Ironie transportiert werden können. Der Bleistift erlaubt das Ausradieren und die Korrektur, er steht für Studien, aus der Hand gezeichnete Skizzen, das Erproben von Ideen und die Möglichkeit, diese wieder zu verwerfen und durch verfeinerte Konzepte zu ersetzen. Es scheint fast so, als würde Jones den Kampf der Modernisten wieder aufnehmen und neue, von den klassischen Werten stark abweichende Regeln erstellen, die aber, da sie noch nicht endgültig feststehen, nicht in einem dauerhaften Medium festgehalten werden sollen. Paradoxerweise erweckt die völlige Abwesenheit von sichtbaren Radierspuren den Anschein perfekter Bleistiftstrukturen, die aber dennoch durch die Situierung des Motivs im Fluchtpunkt und die Ablehnung der Verwendung eines dauerhafteren Mediums ein Gefühl der Ungewissheit auslösen. Dies kann als Bescheidenheit interpretiert werden, als das Eingeständnis, dass der Künstler nicht allwissend ist.
Die Arbeit von Yun-Kyung Jeong erscheint dagegen als willkommene Abwechslung von der Eintönigkeit der realen Welt, wie sie von Jones und Wood interpretiert wird. Als Absolventin der Londoner Slade School of Fine Art bietet Jeong einen utopischen Rückzugsraum vom Banalen und Alltäglichen durch das östliche Konzept des Gyeong (景). Wie zu erwarten, ergeben sich Schwierigkeiten bei dem Versuch, dies in sein westliches Äquivalent zu übersetzen, aber Jeongs Emphase auf die symbiotische Koexistenz von Gegensätzen setzt anscheinend die der westlichen Kunst eigenen Kontrollmechanismen außer Kraft. Die vorhandenen Widersprüche werden durch das von Jeong gemalte Blattmotiv miteinander verschmolzen, dessen ständige Wiederholung sich durch das Negativ der Leinwand zieht und diesem Leben und Energie einhaucht. Für die Künstlerin selbst ist dies von wachsender Bedeutung, es spiegelt ihr „brennendes Verlangen, etwas Neues zu erschaffen“ wider. Anstatt aber diese abstrakten Ideen auf ähnlich abstrakte Weise umzusetzen, erzwingt Jeong eine Ordnung, indem sie verführerisch utopische Landschaften erschafft, die in der Wiederholung des Grundmotivs an Jones‘ einsame Appartementblocks erinnern. Die ständige, detailgetreue Nachbildung desselben Blattes, woraus das Gesamtmotiv des Werkes entsteht, dient als weiteres Beispiel für die Umkehrung der Werte des Modernismus im Greenberg’schen Sinne. Hier wird absichtlich die Natur der Farbe herausgefordert, deren Flüssigkeit per se Mischung, Bewegung und Übergang ermöglicht. Obwohl Jeongs Landschaften eine Idealisierung der Natur darstellen, wird durch die Negierung der Natur des Mediums, aus dem sie erschaffen wurden, also durch die Reduzierung der Farbe auf das bloße „Stempeln“ desselben wiederkehrenden Motivs, deren Bedrohung verkörpert: An Hourglass (2009) (IX) konstruiert eine Landschaft, die an Wasserfälle, Wälder und emporsteigende Berge erinnert. Trotzdem wirken die undefinierten Formen zur Linken auf beunruhigende Weise wie Wirbelstürme – der Untergang der Natur durch Selbstzerstörung. So zeigt Jeong die Möglichkeit einer erstrebenswerten Zukunft und macht gleichzeitig die Angst vor dem Unbekannten gnadenlos deutlich.
Ist also die Arbeit von Wood, Jones und Jeong exemplarisch für den momentanen Stand der Gegenwartskunst? Das sogenannte „Ende des ‚Western Concept‘“ kann tatsächlich aus den Werken der drei Künstler herausgelesen werden, die alle auf einen reinen Konzeptualismus zugunsten der Gegenständlichkeit und Leistung verzichten. Dies steht in starkem Kontrast zu den westlichen Trends der banalen Schocktaktiken oder oberflächlichen Konzepte, die Julian Stallabras bekanntlich als „high art lite“ bezeichnet hat.
Was bedeutet das jetzt? Es scheint, dass wir gerade weniger Zeugen des expliziten „Endes des ‚Western Concept‘“ werden, sondern eher eines Destillierungs- und Hybridisierungsvorgangs, nämlich der Kombination von geschickten künstlerischen Prozessen, die der Konzeptkunst vorausgingen, und den nachdenklichen Elementen dieser Bewegung. Ross Jones bietet dies, ungeachtet der Geschichte der vom Künstler gewählten Technik, denn „solange die Ideen und das Motiv frisch und interessant sind, ist die Arbeit zeitgenössisch“. Damit suggeriert er, dass die Weiterentwicklung westlicher Kunst ein nach wie vor lohnenswertes Unterfangen ist. Jones‘ Beobachtung scheint demnach eine Herausforderung an den Westen, den Weitsichtigen den nächsten Kniff, das nächste Geschenk an den Kanon der Moderne zu enthüllen. Wenn sich dies bewahrheitet, könnten wir am Rande einer neuen, großen Kunstbewegung stehen, möglicherweise weniger damit beschäftigt, neue Ideale zu prägen, sondern auf erfrischende Weise die Geschichte reflektierend um die Zukunft zu inspirieren.


Aus dem Englischen von Anna-Sophie Sieben.




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