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Von weißem Fleck zur folkloristischen MarginalieZeitschrift Umělec 2005/301.03.2005 Natalia Filonenko | Ukraine | en cs de es |
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Kulturpolitik in der postrevolutionären Ukraine
Wie Boris Groys behauptet, operiert die Kunst heutzutage in demselben Raum wie auch die Politik. Wir leben in einer Gesellschaft, wo jeder prominente Politiker wesentlich mehr Gemälde und Bilder generiert als jeder beliebige Künstler. Sogar zweitklassige Terroristen und Politiker sind um einiges effektiver als die prominentesten Künstler. Terroristen sprengen zusammen mit einer Bombe auch das ganze Mediensystem. Politiker verfügen über alle Ressourcen zur Erzeugung medialer Images. Glücklicherweise ist Terrorismus keines der Probleme der Ukraine. Was Politiker angeht, so haben die Worte von Groys in der Ukraine eine größere Relevanz als er sich vorstellen kann. Um die Macht der ukrainischen Massenmedien in der postrevolutionären Situation einzuschätzen, braucht man nur zu verfolgen, wie sich die neue Kulturpolitik in schönster Übereinstimmung mit dem persönlichen Geschmack des Präsidenten herausbildet. Jede seiner medialen Botschaften wird vorbehaltlos von den offiziellen Kulturfunktionären aufgenommen. So werden die ästhetischen Auffassungen einer Person zum staatlichen Kulturprogramm, ohne ein besonderes Bemühen dieser Person und oft auch ohne ihre Kenntnis. Diese Wirksamkeit der ukrainischen Massenmedien kann man erstens dadurch erklären, dass an der Nahtstelle zwischen zwei politischen Epochen jedes Ereignis und jede Erklärung symbolische Bedeutung gewinnen. Zweitens gibt es sehr offensichtliche Wechselbeziehungen zwischen Kultur und Politik im diesem Land, das sich nur ungeschickt mit dem Nimbus der Demokratie umgibt. Die Kunst war traditionell Bühnenbild, Ornament der politischen Macht, und ihr Entwicklungsweg war immer von den führenden Schichten bestimmt. Das betrifft auch die zeitgenössische ukrainische Kunst. Erst nach der Perestrojka durfte sie den Untergrund verlassen, und in den letzten 20 Jahren konnte sie parallel zum offziellen Künstlerverband existieren. Das Entwicklungsprogramm der neuen Ukraine wurde schon während der Vereidigung des Präsidenten festgesetzt: Extra für die Zeremonie wurden die Fahne und das Zepter des Hetmans Bogdan Chmielnicki geliefert, des ukrainischen Kosakenführers aus dem 17. Jahrhundert, die Kinder des Präsidenten hatten die ukrainische Tracht an. Diese „Kosaken“-Inszenierung machte aus der Zeremonie eine öffentliche Verkündigung der Nationalkultur. Die Gesellschaft bekam damit schon auf der Ebene medialer Botschaften den Weg in eine konservative Geisteshaltung und kulturelle Regression vorgesetzt. Das wirkt sehr merkwürdig in Anbetracht der Tatsache, dass doch immerhin eine Revolution stattgefunden hatte. Logischer wäre es, eine kulturelle Erneuerung zu erwarten. Unter Viktor Juschtschenko hat sich die kulturelle Atmosphäre mit neuen Aspekten aufgeladen. Dazu gehören traditionelle Familienwerte, Religiosität, patriarchale Strukturen. Die neue Macht hat die Tendenz, sich auf die Geschichte zu berufen. Noch während der Revolution sprach Juschtschenko von den „tausendjährigen Hügeln der Ukraine” und der frühen Tripol’e-Kultur. Der Bürgermeister von Kiew bekam die Aufgabe, die Zehntkirche (Desjatinnaja), die einst von Tataren zerstört worden war, wiederaufzubauen, obwohl nicht einmal Historiker eine Vorstellung davon haben, wie sie einmal ausgesehen haben könnte. Die Stadtverwaltung, die schon dafür bekannt ist, dass sie ihren Bürgern das Recht auf eigene Ruinen nimmt, beschäftigt sich weiterhin mit dem verfälschenden Ersetzen zerstörter Denkmale durch kitschige Attrappen. Werke einer neuen “historischen” Kunst tauchen auf, der Geschichte der ukrainischen Kosaken gewidmet, und monumentale Gemälde zeigen Sujets rund um den „orangen” Maidan, Kiews Unabhängigkeitsplatz. Der Präsident selbst besucht von Zeit zu Zeit solche Ausstellungen. Möglicherweise ist ihm dies tatsächlich ein inneres Bedürfnis, es wirkt aber eher wie ein politischer Akt im Geiste der sowjetischen Zeiten. Es wird auch geplant, ein Denkmal für die ukrainischen Opfer der Hungersnot von 1933 zu errichten. Außerdem soll je ein Schneeballbusch aus jedem der Dörfer, die unter der Hungersnot gelitten haben, an einen Hang gepflanzt werden, um ein Meer roter Beeren entstehen zu lassen, das Blut der Menschen symbolisierend. Im Ausland präsentiert man die Ukraine nach wie vor, indem man ausschließlich dekorative Kunst und Volkstanzgruppen exportiert. Die Lieder und Tänze der Popsängerin Ruslana knüpfen ebenfalls an das Volkstümliche an. Beim Eurovision Song Contest 2005 vertrat die Gruppe „Greenjolly” die Ukraine. Ihr Lied „Rasom nas bahato, nas ne podolaty" („Wir sind einig, wir sind unbesiegbar”) erschallte während der Revolution in den Straßen. Aber selbst nach zahlreichen Verbesserungen sieht ihr Musikclip aus, wie eine mittelmäßige orange Propaganda, ein gereimter Slogan für Versammlungen. Die Ukraine zeichnete sich nie durch eine besonders vorbildlich entwickelte Kulturpolitik aus; die Dinge wurden auf der Grundlage persönlicher Präferenzen von Ministern und Beamten geregelt. Kultur ist ein Indikator für den Pluralismus innerhalb einer Gesellschaft, und unsere gesamte Kulturlandschaft färbt sich heute in immer intensiveren Orangetönen, zudem strotzt sie vor den grellen Farben der nationalen Stickereikunst. Die Zeit der “rechten Werte” und “Volksheiligtümer”, die Zeit der Rückkehr zu “Nationalen Wurzeln und eigenen Quellen” ist angebrochen. Aus einem weißen Fleck auf der Kulturlandkarte verwandelt sich die Ukraine in eine folkloristische Marginalie. Die zeitgenössische ukrainische Kultur versucht man in die Grenzen eines Bauernhofes des 19. Jahrhunderts zu sperren. Die für zeitgenössische Kultur typische kritische und analytische Herangehensweise wird nicht nur nicht begrüßt, was aus dem Blickwinkel der Machthabenden normal wäre, sondern sie wird unter der Flagge des richtigen ukrainischen Geistes als aufrührerisch und „Werte” und „Wurzeln” zersetzend diffamiert. „Museum für ukrainischen Nationalgeist“ statt „Museum für zeitgenössische Kunst“ Man sollte denken, dass die Entscheidung des Landes für einen europäischen und demokratischen Entwicklungsweg der Kunst reiche Perspektiven bietet, um ihre Entwicklung unter Berücksichtigung der westlichen Erfahrungen zu berichtigen. Allerdings fand ein revolutionärer Wandel nur in Wirtschaft und Politik statt ohne dabei die Kultur zu berühren. Ungeachtet des oft verkündeten „Drängens nach Europa” werden Versuche unternommen, die zeitgenössische, aktuelle Kunst zu vernichten. Diese Tätigkeit wird schon selbst zu einer Tradition. Offiziell gibt es bisher keine zeitgenössische Kunst. Dafür aber existiert die Stelle eines parlamentarischen Beraters für Fragen der Kultur und Geisteswelt. Gleich nach seiner Amtseinführung erklärte der Präsident die Gründung der “Ukrainischen Eremitage” als eines Museums für den ukrainischen Geist, ausgerechnet in dem Gebäude des ehemaligen Arsenals, in dem zu Kutschmas Zeiten die Einrichtung eines Museums für zeitgenössische Kunst geplant war. Inzwischen wurde angekündigt, dass mit dem „Kunstarsenal” ein Museenkomplex für das kulturell-historische Erbe entstehen soll. Das Programm wird unmittelbar vom Präsidenten kontrolliert. Der Fonds des Multimilliardärs Viktor Pintschuk hatte eine Verabredung über einen langfristigen Mietvertrag für einen Teil des Arsenals, in dem er sein eigenes Museum einrichten wollte. Er beabsichtigte diesen seit langem heruntergekommenen Raum im Laufe von zwei Wochen in eine aktive Institution zu verwandeln. Im Rahmen des Fondsprogramms „Das ukrainische Museum für zeitgenössischen Kunst” wurden im Jahre 2004 die beiden großen Ausstellungen „Die erste Kollektion” und „A farewell to arms” veranstaltet. Die Bedeutung dieser Initiative kann man nicht hoch genug einschätzen: In der Ukraine gibt es kein einziges Museum für zeitgenössische Kunst. Die zeitgenössische Kunst, die Mitte der 80er Jahre entstand, wurde bisher niemals einer Systematisierung durch Museen unterworfen. Es gibt nur einige private Sammlungen, darunter aber keine, in der alle führenden Künstler und ihre Werke vertreten wären. Man hätte sich freuen sollen, dass endlich einmal jemand auftauchte, der bereit war, in solch ein Projekt erhebliche Mittel zu investieren. Aber die neue Regierung zeigte keine große Begeisterung für diese Angelegenheit. Zuerst wurde die Vereinbarung bezüglich des Raums außer Kraft gesetzt. Die Mitarbeiter des Fonds richteten sich mit der Bitte an das Ministerium, wenigstens eine große multimediale Ausstellung im Arsenal unter dem Titel „Die Prüfung der Wirklichkeit”, an deren Konzeption man schon ein Jahr gearbeitet hatte, zu genehmigen. Es waren schon beträchtliche Mittel in die Planung geflossen, sowohl die Konzeption als auch die Auswahl der Kunstwerke waren mit diesem Raum verbunden. Aber die Bitte wurde im Kulturministerium abgelehnt. Die Antwort wurde damit begründet, dass im Arsenal “archäologische und speläologische Forschungen stattfinden und bald die Reparaturarbeiten beginnen”. Danach sprachen die Vertreter des Ministeriums darüber, dass die Wände gerade gegen Pilzbefall behandelt würden und dass sich deshalb keine Menschen in den Räumlichkeiten aufhalten dürften. Um diese Zeit wurden dort tatsächlich Arbeiten durchgeführt. Das waren jedoch die Arbeiten für die Vorbereitung der Räume zu der von Pintschuks Fonds organisierten Ausstellung. Im Staatshaushalt gibt es keine Mittel für die angekündigten Arbeiten (selbst die bestehenden Museen befinden sich in einem katastrophalen Zustand). Aber um allen Zweifeln ein Ende zu setzen, ließ der Bürgermeister Omeltschenko das Arsenal einen Monat vor der Eröffnung eilig einzäunen, und er ließ sogar einen Kran aufstellen. Es passiert jenseits des Zauns bisher nichts, aber die Dekoration sieht sehr überzeugend aus. Die Ausstellung wurde in letzter Minute in das Ukrainische Haus verlegt, aber mit unvermeidlichen Abstrichen wegen des Raum- und Zeitmangels für die Installation aller geplanten Ausstellungsexponate. Ob ein Land Museen für zeitgenössischen Kunst hat, zeugt eindrucksvoll von seinem demokratischen Entwicklungsstand. Die Lahmlegung des Kunstzentrums im “Arsenal” trifft die Kunst, und zwar sowohl Künstler als auch Zuschauer. Weiterhin wird es auf unbestimmte Zeit keine Möglichkeit geben, wenigstens hin und wieder große ukrainische Kunstprojekte zu sehen, geschweige denn daran teilzunehemen. Ihre Zahl ist ohnehin seit der Abschaffung des Kulturprogramms der Soros-Stiftung nahe Null. Aber heute gilt in der Ukraine ein bekanntes Prinzip: Es verbrenne das Nachbarhaus, auch wenn ich dadurch selber Schaden nehme. In Bezug auf Pintschuk, den verhassten Schwiegersohn Kutschmas bedeutet das, dass man beschloss, nicht nur den Deal um das Kombinat Kriworozhstalj , sondern auch das Arsenal zu kippen. Ungeachtet der widrigen Umstände wurde die Ausstellung “Die Prüfung der Wirklichkeit”, mit Videoarbeiten und Installationen, Fotografie und Malerei am 21. Mai in Kiew eröffnet. Der Fonds von Viktor Pintschuk setzt die Arbeit an der Entstehung eines ukrainischen Teils der Sammlung fort. In diesem Jahr wurde während der Biennale in Venedig im “Palazzo Papadopoli” die internationale Ausstellung „First Acquisitions” präsentiert, der Kurator des Projekts war Nicolas Bourriaud. Dieses Projekt dokumentiert das Entstehen des internationalen Teils der Museumssammlung. Die Bewerbung um die Präsentation der Ukraine bei der 51. Biennale von Venedig. Der nächste Rückschlag Die Biennale ist leider nicht durch besondere Erfolge sondern durch die Skandale im Zusammenhang mit den zwei letzten Beiträgen der Ukraine in Venedig in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Das Schicksal der ukrainischen Präsentation wurde nicht von Kunstsachverständigen, sondern von Beamten mit pseudokulturellen Kenntnissen besiegelt. Das neue Kulturministerium, geleitet von der neuen Ministerin - der Schlagersängerin Oksana Bilosir - traf die Entscheidung über die Teilnahme der Ukraine an der 51. Biennale von Venedig und begründete dies dadurch, dass wir nach der orangen Revolution einfach kein Recht hätten, solch ein internationales Ereignis außer acht zu lassen. Das zeugt bereits von einem totalen Unverständnis bezüglich internationaler Ausstellungen solchen Ranges. Ohne sich darüber im Klaren zu sein, worum es überhaupt geht (die Beamten sahen sich weder Kataloge an, noch besuchten sie irgendeine Ausstellung zeitgenössischer Kunst), beauftragen die Beamten den Künstlerverband mit der Organisation des Wettbewerbes. Als Juryvorsitzender wird der Präsident der Akademie der Künste Andrej Tschebykin, ebenfalls Mitglied des Künstlerverbandes, eingesetzt. Und Kurator bleibt derjenige, der diese Aufgabe schon bei der vorigen Biennale inne hatte –Viktor Sidorenko, Mitglied der Akademie der Künste. Er ist auch der Direktor des Instituts für zeitgenössische Kunst, das ebenfalls vom Künstlerverband gegründet wurde. Während der 50. Biennale präsentierte dieses Institut selbstverständlich Viktor Sidorenko. Eine Liste der Jurymitglieder wird in Umlauf gebracht, ohne dass bekannt ist, wer diese Namen zusammengestellt hat. Kenner zeitgenössischer Kunst tauchen auf der Liste nur wenige auf. Diese wenigen wirklich Sachverständigen verfassen zusammen eine Erklärung, in der sie den Wettbewerb als eine Farce bezeichnen, die anderen Jurymitglieder sowie den Vorsitzenden inkompetent nennen und die Mitgliedschaft von Künstlern in der Jury als unzulässig brandmarken – als Konsequenz verlassen sie geschlossen die Jury. Die Organisatoren kümmern sich darum nicht weiter, sondern schreiben einen Wettbewerb aus, ohne dass irgendwelche Bedingungen und Auswahlkriterien bekannt gemacht würden. So trägt jeder, dem es gerade einfällt, Projekte zum Wettbewerb bei. Die Jury arbeitet ohne jedwede Verfahrensrichtlinien und wählt am elften März aus irgendeinem Grund zwei absolut unterschiedliche Projekte: Die Glasbläserkunst von Andrej Bokotej, dem Rektor der Lwower Kunstakademie, und die Performance der jungen Künstlergruppe „Revolutionär-experimenteller Raum” („REP”). Das Sitzungsprotokoll zollt aller Vernunft Hohn und lässt an der fachlichen Eignung der meisten Jurymitglieder zweifeln. Auszüge aus dem Protokoll klingen wie Anekdoten – und das trotz der Ernsthaftigkeit dieses „wichtigen Dokumentes“. Unzufrieden mit der Entscheidung der Jury hebt das Kunst- und Kulturministerium sie auf und rechtfertigt dies mit der angeblichen öffentlichen Meinung. Als Antwort organisiert die Gruppe “REP” am 17. März zusammen mit der politischen Organisation „Pora” („Es ist Zeit”) bei der Unabhängigen Ukrainischen Nachrichtenagentur UNIAN eine Pressekonferenz, bei der die Angestellten des Ministeriums eingestehen, dass sie eigentlich „nicht in der Materie” sind. Aber einen Tag später findet die zweite Konferenz statt. Der Jury, die am Vortag als absolut inkompetent entlarvt wurde, gehören Angestellte des Ministeriums selbst an. Sie erlauben sich, öffentlich den künstlerischen Wert einzelner Projekte und die Minderwertigkeit der zeitgenössischen Kunst im allgemeinen zu bemängeln. Außerdem nimmt man in die Jury sieben weitere Mitglieder auf, die ebenfalls mit der zeitgenössischen visuellen Kunst nichts zu tun haben. Einen “Kantersieg” erzielt das Projekt von Mykola Babak „Deine Kinder, Ukraine”. Durch höhere Gewalt lässt sich alles entschuldigen, und ein vornehmer Zweck heiligt undemokratische Mittel. Die Rolle des Ministeriums besteht wiederum nicht darin, die Dinge zu regeln, sondern sie nachträglich aufzubereiten. Im Nachhinein entsteht die Wettbewerbsbestimmung, die die Anwesenheit der Vertreter des Ministerium in der Jury legalisiert. Demnach darf jetzt der stellvertretende Minister das Amt des Jurypräsidenten ausüben. Dieses Dokument gibt ihnen das Recht “Empfehlungen zur künstlerischen Verbesserung des Projekts” zu äußern und legt die Beschlüsse der Jury als unabänderlich und endgültig fest. Die Vorgänge zur Venediger Biennale sind bloß ein Einzelfall, aber sie veranschaulichen, wie man heute kulturelle Fragen löst. Das Problem besteht nicht einmal darin, dass die zeitgenössische Kunst an sich vernachlässigt wird, sondern in der grundsätzlichen Abwesenheit jedweden professionellen Umgangs und in der bewussten Weigerung, effektive Arbeitsstrukturen im Kulturbereich aufzubauen. Die Revolution erweckte Hoffnungen darauf, dass eine neue demokratische und nicht korrupte Macht Gesetze beachten, Barrieren gegen Missbräuche festsetzen und Chancengleichheit ermöglichen würde. Dass die Beamten eine regulative anstelle einer Expertenrolle einnehmen würden und Sachverständige die Entscheidungen träfen. Aber es kam wiederum zur totalen Verhöhnung der Idee des offenen Wettbewerbs: Die Lobby des vereinbarten Gewinners war so übermächtig, dass man am Ende dieser Farce sogar aufhörte, sich die Maske der Demokratie aufzusetzen. All dies wirft einen Schatten nicht nur auf das neue Kulturministerium, sondern auch auf die neue Regierung im allgemeinen. Das gilt auch für den Präsidenten Juschtschenko, dessen nationale Gesinnung und Aversion gegen die zeitgenössische Kunst von vielen als ideologische Rechtfertigung einer solchen Vorgehensweise des Kulturministeriums wahrgenommen werden. “Deine Kinder, Ukraine” Unter diesem beseelten Titel präsentierte Mykola Babak seine melancholische Assemblage mit vergrößerten Aufnahmen aus Familienarchiven und Strickpuppen in Trachten. Die Aufnahmen wurden im Heimatdorf des Autors gesammelt. Sie zeigen die Lebensweise seiner Vorfahren und Nachbarn, ukrainische Bauern zu Zeiten der Sowjetherrschaft. Das Konzept dieser Ausstellung besteht “in der ewigen Höhe menschlicher Existenz im Schoße des Gedächtnisses“, in der Frage “Wer sind wir?” War nicht jeder von uns mindestens schon einmal von fremden Familienalben gelangweilt? Das vom Autor ausgewählte Epigraph – die Worte von Milos Forman „Schreie nicht von der ganzen Welt, sprich bloß von deinem Dorf, aber so, dass es die ganze Welt hört” klingt überzeugend, gilt aber möglicherweise nur für den Fall, dass es um einen Spielfilm geht. Aber selbst das Vorhandensein eines „medialen Elementes” – der Autor liest die Geschichte seines Dorfes von einem Bildschirm her vor – konnte das Projekt kaum „modernisieren“. Anscheinend empfanden doch einige Jurymitglieder aus diesem Grund eine gewisse Unruhe: Es mangelte offenbar an Drive. Im Protokoll der ersten Sitzung wurde der Wunsch geäußert, das Projekt durch „moderne Elemente” zu ergänzen. Und in letzter Minute wurde es tatsächlich „modernisiert” – die Geschichte des Dorfes auf dem Bildschirm wurde durch dokumentarisches Material über die orange Revolution ersetzt. Im einen Saal die Vergangenheit, im anderen die Gegenwart. Die Kulturministerin eröffnete die Ausstellung, selbstverständlich in Tracht, wobei sie allen über die „gequälte” Ukraine erzählte, die trotz alle dem und so weiter und so fort. Besucher, die gekommen waren, um eine künstlerische Äußerung auf sich wirken zu lassen, verließen wahrscheinlich die Ausstellung mit Befremden, bestenfalls mit einer Schlussfolgerung wie etwa: „Schade, dass die Ukraine, wie viele andere unterentwickelte Länder der Welt, noch kein wirklich zeitgenössisches Kulturprodukt anzubieten hat.” Die gut besuchte Eröffnung der Ausstellung von Pintschuks Museum mit dem Titel „First Acquisitions” war der Kulturministerin keinen Besuch wert. Es ist sehr bedauerlich, dass offizielle Kulturvertreter der Ukraine ernsthaft daran glauben, dass die Venediger Biennale eine günstige Gelegenheit für die Vorführung der staatlichen Ideologie und Geschichte sei. Und sie lassen sich nicht davon überzeugen, dass es gar nicht nötig ist, in Venedig buchstäblich von der Vergangenheit oder Gegenwart des Landes zu erzählen. Und dass es ebenso wenig nötig ist, sein Herz öffentlich auszuschütten und das Allerheiligste zu zeigen. Die Biennale von Venedig ist kein Ereignis, das man nutzen sollte um der Welt zu beweisen, dass wir die unabhängige Ukraine lieben, dass wir unsere Vorfahren und Traditionen achten. Das ist selbstverständlich und bedarf keiner Beweise. Die stellvertretende Kulturministerin Olga Bentsch erklärte mit Pathos, dass die Ukraine ihre eigenen Vorstellungen von der zeitgenössischen Kunst habe, und dass die Kunst Harmonie und Geist tragen solle. Danach empfahl sie zeitgenössischen Künstlern, ganz im Geiste von Chruschtschow, ihre Werke in Schwulenbars auszustellen. Es erinnert eigentlich vieles im Land an Chruschtschows Tauwetter der 60er Jahre: Wendungen zum Besseren, aber auch viel Unsinn und unprofessionelle Auswüchse. Zweifellos ist auch ein Hauch 20er Jahre vorhanden, als alle wichtigen Fragen von Kommissaren in Lederjacken gelöst wurden – auch heute soll unsere Regierung ja eine Regierung des Volkes sein. Heutige Kulturkommissare (inzwischen in Pelzmäntel gekleidet) sind nach wie vor zur ideologischen Kontrolle berufen, und es kümmert niemanden, dass sie “nicht in der Materie” sind. Das spielt keine Rolle, die Hauptsache ist, dass sie wissen, was ukrainischer Geist ist. „Revolutionär-experimenteller Raum” Die von der Jury ursprünglich getroffene Wahl der vor kurzem entstandenen Gruppe junger Künstler „REP” kam für viele unerwartet. Für die Ausstellung in Venedig gab es Vorschläge von Künstlern, die bereits Rang und Namen haben. Aber im Lichte der endgültigen Entscheidung schien die erste Variante allemal vernünftiger zu sein. Wenigstens hatten viele junge Teilnehmer dieser Gruppe im Laufe der letzten Jahre ihre Zugehörigkeit zur zeitgenössischen Kunstszene bewiesen. Und ihre Delegierung zu einem internationalen Forum hätte man als Investition in die nächste Generation betrachten können. Vielleicht auch als eine Kompensation für die totale Abwesenheit eines Ausbildungssystems für zeitgenössische Kunst. Es ist ein schöner Gedanke, dass 20 Jahre nach der ersten, von der Perestrojka hervorgerufenen Welle die zweite, von der orangen Revolution hervorgerufene kam. Aus eigener Erfahrung wissen wir, wie Revolution die Kommunikation qualitativ umwandeln und Menschen näher zueinander bringen kann. Der Maidan und der Boulevard Kreschtschatik wurden dank der orangen Revolution zu besonderen Orten, an denen das Wort „Freiheit”, das Künstler für ihr exklusives Eigentum hielten, auf einmal zum Volkseigentum wurde. Junge Künstler verließen ihre Ateliers und gingen auf die Straßen und Plätze. Sie froren zusammen mit anderen Menschen, aber sie malten auf die Planen des Zeltlagers, sie schufen ihre Werke und stellten sie auf dem Kreschtschatik aus. Dort entstand spontan die junge Gruppe „REP”, größtenteils aus Studenten und Absolventen der Akademie für Kunst und Architektur. Sie malten expressive Gemälde und stellten sie auf dem Kreschtschatik und vor dem Regierungsgebäude aus. Die REP-Mitglieder begannen gerade auf dem Maidan zu arbeiten, aber noch während der Revolutionsereignisse stellte ihnen der Direktor des Zentrums für zeitgenössische Kunst der Soros Foundation, Jurij Onuh, seine Ausstellungssäle zum Experimentieren zur Verfügung. Vom vierten Dezember an hatten sie drei Wochen in Ateliers unter freiem Himmel gearbeitet, und danach realisierten sie eine Ausstellung als spontane Reflexion der Revolutionsereignisse. Von Zeit zu Zeit wurden die Arbeiten auf die Straßen Kiews hinausgetragen, und Besucher des Zentrums für zeitgenössische Kunst konnten am Arbeitsprozess teilnehmen und damit ihre Positionen als Bürger durch die Mittel moderner Kunst ausdrücken. Keiner konnte damals annehmen, dass schon drei Monate später dieselbe Gruppe mit einer Protestaktion gegen die Politik des neuen Ministeriums auftreten würde. Am 28. März versammelten sie sich zusammen mit der Organisation „Pora” auf der Straße Bankovaja. Die Aktion war gegen die Korruption im neuen Ministerium gerichtet, welches das Mantra von der Offenheit, der Transparenz und der öffentlichen Teilnahme an Beschlussfassungen ständig wiederholte, ohne jedoch zu beabsichtigen, es auch anzuwenden. Mit Plakaten und Lautsprechern gerüstet machten die Gruppenmitglieder einige Performances vor dem Büro der Präsidentin. Einer der Gruppenangehörigen stellte kleine Intrigen dar, die anderen, in einen transparenten Film eingewickelt, riefen durch den Lautsprecher „Undurchsichtig!”. Im Unterschied zu anderen Protestgruppen erzeugte diese Gruppe viel Lärm, und schon nach einer Stunde erschien ein Vertreter der Verwaltung und gab ihnen eine Kontaktnummer. Jedoch war niemand unter dieser Telefonnummer zu erreichen, und bis heute bekamen sie keine offizielle Antwort. Was sind die Aussichten für diese neue Generation? Und wie viele Lebensjahre geben sie hin, um das Existenzrecht der zeitgenössischen Kunst zu beweisen und sich von dem schädlichen dirigistischen Patronat des Ministeriums und des Künstlerverbandes zu befreien? Orange Revolution – nicht in der Kultur In Ländern, denen die Ukraine ähneln möchte, widerspricht die Liebe zu den nationalen Traditionen keineswegs der Entwicklung der zeitgenössischen Kunst. In unserem Land aber tritt eine paradoxe Konfrontation nationaler Werte und zeitgenössischer Kunst auf, als ob man zwischen beiden wählen müsste. Die neue Macht nimmt gerade die nationale Folklore als Instrument der PR nach außen wahr. Deshalb verabschiedete der Präsident Ende April einen neuen Erlass – aus dem Kulturministerium wird das Ministerium für Kultur und Tourismus (im Volksmund Ministerium für Kulturismus). Als seine Hauptaufgabe erklärte das Ministerium den effektiven Einsatz des kulturellen und historischen Erbes als einen wichtigen Faktor zur Entwicklung aller Regionen durch die Tourismusindustrie. Solange das Amt des Präsidenten existiert, werden wahrscheinlich persönliche Eigenschaften desjenigen, der es bekleidet, Kulturkreise in einem gewissen Umfang beeinflussen. Die Kutschma-Epoche zeichnete sich in Bezug auf die zeitgenössische Kunst durch Gleichgültigkeit und Nichteinmischung seitens der Macht aus, da sich Kutschmas Umfeld ausschließlich um die Macht des Geldes kümmerte. Leider scheint es heute so, als sei diese Situation für die Kultur gesünder. Heute zwingt man uns geistigen Fundamentalismus auf, eine Art nationale Gesinnung, aber wie jeder Fundamentalismus, der es anstrebt, „ewige” Identitäten und Werte ins Leben zurückzurufen, ist er in der Gegenwart verwurzelt. Das Gespenst des Archaischen wird von den jetzigen Verhältnissen hervorgerufen. Die fundamentalistische „Rückkehr zu den Traditionen” ist in Wirklichkeit eine Erfindung unserer Tage. Die neue Regierung strebt danach, der Gesellschaft „geistige Werte” beizubringen. Dabei vergisst sie offensichtlich, dass sie gerade deshalb an die Macht kam, weil diese Werte schon vorhanden sind. Eine Gesellschaft, die derart tief verwurzelte Probleme mit reaktionären und regressiven Tendenzen hat, braucht die Revolution. Nach dem Philosophen Jacques Lacan ist die Revolution immer eine Tat. Und die Tat ist eine Geste des Abbruches von symbolischen Beziehungen, die Umstrukturierung des vorher gültigen symbolischen Kodes. Die ukrainische Gesellschaft vollzog eine Tat, aber nicht bis zum Ende: Eine Neustrukturierung des symbolischen Systems blieb aus. Die Befreiung betraf nicht die Kultur, der Maidan kann keinesfalls eine kulturelle Entwicklung ersetzen. Deshalb sollte die Revolution der Kultur eine unentbehrliche Fortsetzung der orangen Revolution werden. Dabei ist es nötig, nicht nur auf öffentlicher, sondern auch auf persönlicher Ebene zu kämpfen. Die Kunstszene ist in derselben oder sogar einer schlechteren Lage als zuvor. In der gewohnten Oppositionsrolle steht sie jetzt der pseudoarchaischen Kultur und dem “orangen” Pop unserer Tage entgegen. Als intellektuelle Aufgabe bleibt ihr für die Zukunft, die eigene, grundlegend andere kulturelle Identität zu entdecken und auszudrücken.
01.03.2005
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04.02.2020 10:17
Letošní 50. ročník Art Basel přilákal celkem 93 000 návštěvníků a sběratelů z 80 zemí světa. 290 prémiových galerií představilo umělecká díla od počátku 20. století až po současnost. Hlavní sektor přehlídky, tradičně v prvním patře výstavního prostoru, představil 232 předních galerií z celého světa nabízející umění nejvyšší kvality. Veletrh ukázal vzestupný trend prodeje prostřednictvím galerií jak soukromým sbírkám, tak i institucím. Kromě hlavního veletrhu stály za návštěvu i ty přidružené: Volta, Liste a Photo Basel, k tomu doprovodné programy a výstavy v místních institucích, které kvalitou daleko přesahují hranice města tj. Kunsthalle Basel, Kunstmuseum, Tinguely muzeum nebo Fondation Beyeler.
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