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KASSABOYS: Die kosmopoliten Lokalpatrioten
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2010, 1
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KASSABOYS: Die kosmopoliten Lokalpatrioten

Zeitschrift Umělec 2010/1

01.01.2010

Lenka Kukurová | profil | en cs de

Hinter dem Namen Kassaboys (lies „Kaschaboys“, von Kassa, der ungarischen Bezeichnung für Kaschau), der eine Popgruppierung mit lokalpatriotischer Färbung parodiert, verbergen sich drei Künstler. Die „Kaschauer Jungs“ sind Radovan Čerevka (*1980), Tomáš Makara (*1982) und Peter Vrábeľ (*1982). Diese Künstlergruppe ist eines der Produkte der großen Welle junger Absolventen der Kunstfakultät der Kaschauer Technischen Universität (FUTU).
Die Jungabsolventen der FUTU haben bereits während ihrer Studienzeit die Aufmerksamkeit der slowakischen Kunstszene geweckt. Man spricht von „starken Jahrgängen“ oder „ungewöhnlich etablierten jungen Künstlern“. Ihre Werke hat die Sammelausstellung East of Eden dokumentiert, die ihre Premiere in der Galerie Space in Bratislava hatte und später auch im Kaschauer Kulturpark sowie in den Prager Karlín Studios zu sehen war1. Die Kunstfakultät der Kaschauer TU wurde im Jahr 1998 gegründet. Zu dem hohen Niveau der Absolventen hat das herausragende Lehrerkollegium beigetragen. Vor allem die langjährig an der FUTU tätigen Künstler Juraj Bartusz und Rudolf Sikora, die Kuratoren Petr Tajkov und Mira Putišová sowie in jüngster Vergangenheit der Kurator Vladimír Beskyd und Künstler Dušan Záhorský.
Die Existenz dieser Kaschauer Welle, die sich auch durch häufige Präsenz der Kaschauer Autoren, z.B. beim Finale des Oskar Cepan Preises oder auf der East of Eden-Ausstellung zeigt, wirft Fragen nach einem gemeinsamen Weg auf. Denn obwohl sich diese Künstlerinnen und Künstler sicherlich gegenseitig beeinflussen und sogar in ihren Kunstwerken anwesend sind, kann man nicht von einem gemeinsamen Thema oder Stil sprechen. Das Einzige, was sie miteinander verbindet, ist das Interesse an der Gegenwart und dem aktuellen Geschehen. Doch dies ist eine sehr vage Kategorie. Vielleicht auch vor dem Hintergrund langer Diskussionen haben sich im Jahr 2006 aus der Kaschauer Szene die Kassaboys als eine Untergruppe abgezweigt, die ihr Interesse an politischen Themen und an Selbstreflexion des eigenen künstlerischen Bestrebens verbindet.
Kassaboys charakterisieren sich durch eine markante Besonderheit, die sie von ihren Generationskollegen unterscheidet. Es ist die lokale Verankerung, die eine wichtige Rolle im Schaffen der Gruppe spielt und die sich auch in ihrem Namen widerspiegelt. Hinweise auf eine Stadt sind in der politischen Kunst ein häufiges Phänomen. Politische Kunst ist site-specific im Sinne von lokalen und historischen Kontexten. In den Werken und Meinungen der Gruppe sind Lokalpatriotismus und Anspielungen auf Kaschauer Situationen oft bewusst, manchmal aber auch unbewusst präsent. In jedem Fall stellen sie eine wesentliche Nachricht dar, der man Beachtung schenken sollte.
Um zu verstehen, was es bedeutet, ein Kassaboy zu sein, ist es nötig, die Atmosphäre der Stadt kennenzulernen. Dem Gefühl von einer historischen Vergangenheit kann man während eines Besuchs der Stadt nicht entgehen – die auffällige Dominante ist der Kaschauer Dom. Auch die Disposition der Hauptstraße weist auf die Zeit der Gründung der Stadt hin. Die wichtige ungarische Kulturstadt wurde jedoch vom Sozialismus in eine Bastion der Schwerindustrie verwandelt. Es entstand ein Ort der Gegensätze, der nicht nur durch ein malerisches Stadtzentrum und eine industrielle Peripherie charakterisiert wird, sondern auch durch eine Polarisation des Gesellschaftslebens. Das Gesellschafts- und Kulturleben spielt sich größtenteils vor den historischen Kulissen des Zentrums ab. Doch hat die Kultur ihre privilegierte Stellung verloren.
Kaschau hat etliche Zeiten des Ruhmes erlebt: Es war die erste Stadt, der ein Wappendekret erteilt wurde. Sie war das Zentrum des Katholizismus genauso wie des Protestantismus, ist der Geburtsort des ungarischen Schriftstellers Sándor Márai und die Ruhestätte des ungarischen Nationalheldens František Rákoczi II. und hat sich mit der „Kaschauer Moderne“ in die Kunstgeschichte eingeschrieben. Es folgte aber eine Periode des Kulturvakuums. Heute erweckt die Stadt trotz des Scheins ihrer rekonstruierten Gebäude einen starken Eindruck von Peripherie.
In die „Kulturrealität“ der Stadt gehören derzeit der Volksunterhalter Ader aus Košice, die Mojsejovci – ein „nouveaux riches“-Ehepaar, das im Fernsehen eine eigene Reality Show hat, oder der ehemalige slowakische Präsident und Kaschauer Bürgermeister Rudolf Schuster, der durch das Jagen von Anakondas und das Singen von Volksliedern bekannt wurde. Unter dieser Auffassung von Kultur entstand ein logisches Bedürfnis nach einer starken, kritischen Abgrenzung gegenüber der Mehrheit. Diese Abgrenzung wird nicht nur in den künstlerischen Auftritten der Kassaboys offenbar, sondern auch in den Bestrebungen, das alternative Kulturleben zu organisieren. Eben diese Gefühle werden von Kassaboys thematisiert, wenn sie in ihrem „Manifesto“ sagen: „Wir geben zu, dass wir mit Begriffen wie Lokalpatriotismus und Zentralismus arbeiten ... und auch mit dem legendären Archetypus des tragischen Künstlers aus der Peripherie.“
Der Begriff der Peripherie in den Werken von Kassaboys kann unterschiedlich aufgefasst werden. Einerseits beschreibt er die Zugehörigkeit zu einer Stadt, die seit der Entstehung des slowakischen Staates immer „am anderen Ende der Republik“ lag. Andererseits geht es auch um die Peripherie des Interesses der Gesellschaft, die sich um gegenwärtige Kunst nicht kümmert.
Die ersten gemeinsamen Arbeiten von Kassaboys waren Videos für die Sendung Kunst des slowakischen Fernsehens. Sie wurden als fiktive Nachrichtenreportagen ausgestrahlt, können aber auch als einzelne Video-Kunst-Stücke aufgefasst werden. So entstanden drei Filme, deren Ziel die Dokumentation des Geschehens in der Kaschauer Kunstszene im Rahmen der eigenen Kommunität war.2 Im ersten, 2006 entstandenen Video Aus Kassa, wird in dramatischen Aufnahmen Kaschau als eine verzauberte Geisterstadt gezeigt, wo Ratten in den Kunstgalerien herumlaufen und es leicht zu Unfällen kommen kann. Diese Aufnahmen sind äußerst atmosphärisch und wurden mit Stücken aus Fernsehnachrichten vermischt. Die Kaschauer Künstler werden auf den begleitenden Fotos mit blauen Augen vorgestellt. Es stellt sich die Frage, ob diese Zeichen des Leidens eines Künstlers oder des zu intensiven Trinkens vor dem Heimweg sind. Letztere Möglichkeit wird durch die Aufnahme einer Gestalt unterstützt, die in der Nähe einer unter Kaschauer Künstlern beliebten Kneipe liegt. Telefongespräche mit markantem „ostslowakischem“ Akzent, die man in dem Video hören kann, drehen sich um Lebenspläne der jungen Künstler.3 Das Video arbeitet mit lokalen Realitäten sowie den Klischees über die Erfolglosigkeit des künstlerischen Bestrebens und fügt so beides zusammen. Der Osten wird als das „Ende der Welt“ aufgefasst.
In dem Video werden andeutungsweise auch Aufnahmen von zwei „Guerilla“-Happenings gezeigt, die Kassaboys organisiert haben – das Freilassen eines als Friedenstaube verkleideten Läufers bei einem Marathon und das Umgestalten einer kletternden Werbepuppe in den Premierminister Fico. Für Kassaboys waren dies die bisher einzigen Realisationen im öffentlichen Raum.
Die logische Form, die Kassaboys für ihre Arbeiten gewählt haben, ist Selbstironie. Denn jede Selbstpreisung würde nicht ihrer realen Situation entsprechen, sondern größenwahnsinnig wirken. Das Video hat absichtlich Amateurcharakter. Es ähnelt einem Studentenwitz. Durch die Aufführung im Fernsehen erhielt es zudem eine weitere Dimension. Die Subjektivität und Manipulation, die, im Gegensatz zu den echten Nachrichten, offen zugegeben wird, erzeugt einen Bruch mit dem traditionellen Charakter des Nachrichtenwesens. So wirkte das Video wie sein Widerspruch und Kritik zugleich.
Das zweite Video Bitte entstand in Zusammenarbeit mit dem „nichtlokalen“ Künstler Viktor Frešo im Jahr 2006. Es ist eine Aufnahme der Messe, die die Künstler in der Kaschauer Franziskanerkirche halten ließen und die sie selbst ministrierten. Diese Messe bat für Künstler und ihr Bestreben. „Herr, wir bitten Dich für alle Künstler, die Du inspiriert hast, damit sie trotz allen Hindernissen ihre Ideale nicht aufgeben ...“ lautete das Gebet in der vollbesetzten Kirche. Hoffnungslose Situationen benötigen verzweifelte Lösungen und das slowakische Volk hat sich in Zeiten der größten Not immer an Gott gewandt. Interessanterweise haben Kassaboys hier auf die Polemik gegen die Kirche verzichtet, wie sie in manchen Werken von Tomáš Makara und Matúš Lány präsent ist. Ironisiert werden hier nationale Passivität und das Erwarten einer Lösung, die „von oben“ kommen soll.
Mit dem Video Harmonie der Seele endete das Auftreten von Kassaboys als Nachrichtenreporter – die Reportage wurde aus ethischen Gründen nicht ausgestrahlt. Auf der Ausstellung der Werke der jungen Kaschauer Künstler war im Video ein Kommentar zu hören, der ursprünglich eine Ausstellung von Werken geisteskranker Patienten begleitete. Wir erfahren, dass die Autoren „zu Hause zeichnen“ und „es schade wäre, diese kleinen Werke nicht zu zeigen“. Es ist nicht schwer, die Parallele zu finden – die ostslowakische Gesellschaft sieht zwischen diesen beiden Ausstellungen kaum einen Unterschied. Kunstproduktion ohne jegliche materielle Motivation wird als irrational und wahnsinnig empfunden. Ausstellungen der gegenwärtigen Kunst stoßen normalerweise auf Unverständnis, wobei eine Ausstellung der Werke von Psychiatriepatienten zumindest Sympathien wecken kann. Beide Ausstellungen werden jedoch gleichermaßen marginalisiert.
Wenn Kassaboys und ihre Kolleginnen und Kollegen nicht auf kirchliche Gebete angewiesen sein wollen, müssen sie aktiv an der Organisation der kulturellen Aktivitäten ihrer Stadt teilnehmen. Die Künstler werden somit gleichzeitig zu Managern des öffentlichen Kulturlebens. Für die Kassaboys-Videos ist es deswegen typisch, dass sie nicht nur die Aktivitäten der Gruppe selbst, sondern auch Projekte, an deren Entstehung sie teilgenommen haben, vorstellen. Gleichen Charakter hat auch das Projekt Symposium aus dem Jahr 2007, das in der Galerie Stanice in Zilina stattfand. Die bei dieser Gelegenheit angefertigte Aufnahme wurde als Videoinstallation auf der Prague Biennale 4 präsentiert.
Kassaboys haben zu diesem Symposium einen Maler, einen Bildhauer und einen Grafiker eingeladen. Das Thema war Frauenakt mit einer lebendigen Vorlage. Die Arbeit der Künstler wurde von kunsthistorischen Vorträgen begleitet.4 Das Projekt endete mit einer Vernissage, als Ergebnis entstand ein Video. Die Vorgehensweise der teilnehmenden Künstler – Bildhauer Vlado, Maler Lubo und Grafiker Mato (in Zusammenarbeit mit der Muse Erika) – zeichnete sich durch einen, euphemistisch formuliert, traditionellen Zugang zum Schaffensprozess aus – auch das Thema hatte traditionellen Charakter. Der Raum, in dem das Projekt Symposium stattfand, wurde auf antike Weise mit weißem Interieur gestaltet. Es gab eine Obstschale, Draperien und ein Rednerpult. Auf der Abschlussvernissage präsentierte Márian Chromý5 selbstkomponierte Lieder über den Bildhauer, den Maler und den Grafiker, die er mit amüsant-peinlichen Geschichten vermischte. Das Ergebnis ist nicht etwa eine Parodie auf das Schaffen der teilnehmenden Künstler, die zu Beginn nur eine vage Vorstellung von dem Projekt hatten, sondern eine Parodie der Stellung des Künstlers in der heutigen Gesellschaft. Zugleich ist es auch eine Parodie der eigenen Werke, die für die Gesellschaft in die nicht differenzierbare und unverständliche Kategorie „Kunst“ fallen. Der slowakische Diskurs ist so angelegt, dass künstlerische Werke mit dem Thema Frauenakt relevanter und gesellschaftlich höher angesehen sind als gegenwärtige Kunst. Bedauerlicherweise findet man diese Einstellung auch in der Fachwelt. Das erklärt die Stilisierung und die Rolle des „unverstandenen, tragischen Helden“, die Kassaboys gerne einnehmen, um den eigenen Status ins Ironische zu ziehen.
Das Projekt hat viele Ebenen und kann verschiedenartig aufgefasst werden, z.B. als Exkurs in die Kunstgeschichte, als Frage nach dem Bestehen der Traditionen oder als Polemik über die Qualitäten des Schaffensprozesses und der damit verbundenen Kriterien wie handwerkliche Geschicklichkeit. Das Projekt von der formellen Seite her zu analysieren, ist nicht einfach. Das Resultat wirkt parodistisch: Das Kunstwerk wird als Video präsentiert, ist aber in Wirklichkeit die Aufnahme eines Happenings. Es entsteht eine hybride Form der Kunst (Kassaboys), die dem Verständnis von Kunst als ein handwerklich außerordentliches Produkt (partizipierender Künstler) gegenübergestellt wird. Genauso problematisch ist die Urheberschaft: Kassaboys funktionieren hier „nur“ als Organisatoren. Es stellt sich die Frage nach dem eigentlichen Kunststar.6
Es liegt auf der Hand, dass es bei einer Künstlergruppe nicht möglich ist, den Aspekt des Geschlechts zu ignorieren. Dass die Gruppe nur aus männlichen Künstlern besteht, war keine Absicht, sondern hat sich aus der damaligen Situation ergeben.7 Die Problematik des Geschlechts ist, abgesehen vom zuletzt angesprochenen Projekt, in den Werken der Gruppe nicht präsent. Die Frau als Modell und Frauenakt als Thema der gegenwärtigen Kunst stellen automatisch die Frage nach der kunstgeschichtlichen Wahrnehmung der Frau als Subjekt oder Objekt. Kassaboys haben dieses Problem eher unterbewusst als absichtlich ausbalanciert – an dem Symposium haben zwar männliche Autoren und Organisatoren sowie ein weibliches Modell teilgenommen, den theoretischen Hintergrund aber haben drei Kunsthistorikerinnen geschaffen. In diesem Fall hatten auch sie das letzte Wort beim Beurteilen der Kunst.
Die erste selbstständige Ausstellung war das Projekt Kassaboys Museum, das für den Ausstellungsraum Box in der Prager Galerie NoD Ende des Jahres 2008 entwickelt wurde. Das Thema war diesmal nicht die Stellung des Künstlers in der Gesellschaft, sondern eine unmittelbare Reaktion auf die politische Situation und das Problem der slowakisch-ungarischen Beziehungen. Kassaboys haben wortwörtlich die Äußerungen des nationalistischen Politikers Jan Slota über die ungarischen Minderheit illustriert: So sind die Ungarn „mongoloide Typen mit krummen Beinen“ (was Kassaboys als Lehrbuchillustration darstellen), der mythische ungarische Vogel Turul ein „ekliger, widerlicher Papagei“, der heilige Stephanus ein „Hampelmann auf einem Pferd“ und die ungarische Außenministerin eine „struppige Arme“. Dies sind keine Äußerungen eines Kneipenglossators, sondern eines Politikers der Regierungspartei. Kassaboys spürten das Bedürfnis nach einer Reaktion. Die Form der Ausstellung – ein imitiertes Museum mit rotem Teppich und Exponaten auf Sockeln – wird von den Künstlern folgendermaßen kommentiert: „Es ist eher ein Kuriositätenkabinett. Die Besucher werden am stärksten von der visuellen Seite angesprochen, von den Beschriftungen mit Slotas Äußerungen. Die Form weist auf das bewährte Prinzip der Dämonisierung des politischen Gegners hin, das in der Geschichte mehrmals verwendet wurde. Es ist etwas, was in ein Museum gehört, genauso wie Slotas „revolutionäre“ Rhetorik, die ein Anachronismus ist“.8 Die Ausstellung spielt nicht mit Andeutungen. Durch ihren ironischen Unterton ist ziemlich eindeutig, was Kassaboys kommentieren: „Die Ausstellung hat einen aktivistischen Charakter, weil diese Art von Ausdrücken kein mehrschichtiges Vernebeln erträgt. Mit der einfachen Materialisierung von Slotas Zitaten zeigen wir ihre Absurdität. Slota kommuniziert meistens wie ein Volkserzähler. Er erschafft Vorstellungen und produziert Bilder. Seine Meinungen sind vereinfacht. Er gibt sie an die Zuhörer als Märchen weiter, was auch der Grund ihrer Popularität ist. Wir haben diese Vorstellungen, die stellensweise auch unterbewusste, rassistische Phobien sind, materialisiert.“
In diesem Projekt wird der Hinweis auf den Heimatort der Gruppe im Unterton erkennbar. In Kaschau, das historisch eine multikulturelle Stadt mit einer großen ungarischen Minderheit und einer Romaminderheit9 ist, klingt Nationalismus lächerlich. Der proklamierte Lokalpatriotismus von Kassaboys hat deswegen einen ganz anderen als nationalistischen Charakter. Er ist eher kosmopolitisch.
Mit Slota haben sich Kassaboys bereits auf der Ausstellung Erbsen an die Wand werfen auseinandergesetzt (Galerie Station Zilina-Zariecie, 2006, organisiert von Radovan Čerevka). Sie haben hier nicht als Künstlergruppe ausgestellt, sondern als eigenständige Autoren. Die Ausstellung spielte sich sowohl in der Galerie als auch im öffentlichen Raum ab, wo sie in Form von Billboards präsentiert wurde. Es war ein künstlerischer Beitrag zur lokalen Wahldebatte, die der Niederlage des langjährigen Kaschauer Bürgermeisters Slota voranging. Während der Vernissage fand eine Performance des Künstlers Peter Vrábel statt. In Unterhemd und Trainingsanzug, mit einer Flasche Bier in der Hand sitzend, schimpfte er beim Nachrichtenschauen. Dabei maß er seinen Blutdruck, der sich abhängig von den Nachrichten veränderte. Es ist schade, dass von dieser zutreffenden Performance keine Aufnahme existiert.
Ein Hinweis auf den Lokalpatriotismus von Kassaboys ist auch das Logo der Gruppe: Der Kaschauer Adler in Stiefeln erhebt einen Warnfinger, während hinter seinem Rücken die Burg Bratislava brennt. Wieder tritt hier die Parodie auf die Stellung des Künstlers der Peripherie hervor, die Kassaboys folgendermaßen kommentieren: „Es ist notwendig, um die vor allem auf Bratislava gezielte Aufmerksamkeit zu kämpfen. Man kann das mit den Verhältnissen in der NHL vergleichen, wo sich ein Ausländer nur dann durchsetzen kann, wenn er qualitativ die einheimischen Spieler übersteigt.“




1 East of Eden/die gegenwärtige Kunst aus Kaschau. Kuratoren: Diana Majdáková, Juraj Čarný (SPACE 2007, Kasárne Kultur Park 2007, Karlín Studios 2007)
2 Die Videos kann man unter http://www.kassaboys.euweb.cz/kassa_boys.html finden.
3 Es wird das Thema der Arbeitsmigration behandelt. Aber auch die Migration aus der Peripherie ins Zentrum spielt eine Rolle, denn manche Autoren arbeiten nicht mehr in Kaschau.
4 Über die gegenwärtige Bildhauerei hat Mira Putišová vorgetragen, über Malerei Ľudmila Poláčková und über Grafik Diana Majdáková. Die Vorträge wurden während der Arbeit der Künstler gehalten. Die Kunsttheoretikerinnen haben Schutzmäntel angezogen. „Der klassisch gestaltete Raum des Symposiums wurde während des Happenings zum Ort der Kollision der gegenwärtigen Theorie und des klassischen Schaffens“ – so der begleitende Text von Kassaboys.
5 Mário Chromý arbeitet als Musiker. In der Vergangenheit hat er in der slowakischen Punkband Iné Kafe gespielt. Zu dem Projekt wurde er eingeladen und obwohl er kein Mitglied der Kassaboys ist, fällt er in dem Video sehr auf.
6 Normalerweise unterschreiben Kassaboys ihre Werke als Künstlergruppe und mit den einzelnen Namen. Autorenanonymität spielt hier keine Rolle. Manchmal sind sie auch in ihren Videos präsent. Im Fall des Symposiums ist es nicht so.
7 Einen weiblichen Gegenpol bildete die Ausstellung der drei Kaschauer Künstlerinnen „Drei Grazien“ (Lucia Dovičáková, Jarmila Džuppová, Vlasta Žáková, Stanica, Žilina-Záriečie, 2009)
8 Die Zitate stammen aus einem Interview mit Kassaboys über die Ausstellung, das für die Tageszeitung Sme vorbereitet und nie publiziert wurde.
9 Bis 1918 war Kaschau eine überwiegend ungarische Stadt, wo außer Slowaken auch Russen, Polen, Deutschen und Juden lebten.




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