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Rover
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2010, 2
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Rover

Zeitschrift Umělec 2010/2

01.02.2010

Lenka Kukurová | autoerotik | en cs de ru

Radim Labuda hat den Jindřich-Chalupecký-Preis gewonnen und sich von dem Preisgeld ein Auto gekauft. Die Fahrt von Großbritannien nach Prag, die Demontage des Wagens und der Verkauf der Einzelteile in einer Galerie wurden zu Motiven der Ausstellung Case Study. Wichtig ist, dass es sich bei dem erworbenen Wagen um einen Rover 751 handelte, ein Symbol für den Aufstieg und Untergang einer der stärksten Automarken der Geschichte. Zwei wichtige Aspekte in Labudas Schaffungsprozess möchte ich verdeutlichen: die persönliche Geschichte des Autors im Zusammenhang mit seiner eigenen Beziehung zu dem Auto und den Hinweis auf den gesellschaftlichen Status von Autos.
Der Rover 75 hat eine „trademark personality“ mit dem Image hoher britischer Qualität. Es ist zugleich aber wahr, dass man ihn in Großbritannien für einen sehr niedrigen Preis kaufen und z.B. nach Tschechien transportieren kann. Dort kann er unregistriert bis zum Ablauf der technischen Kontrolle benutzt werden – eine Verlängerung in der Tschechischen Republik ist nicht möglich. Alles ist rechtlich in Ordnung und auch ein Mitglied der osteuropäischen Mittelschicht kann so zum Besitzer dieses eindrucksvollen Retrowagens werden. Diese Tatsache wirkt in Radim Labudas Werk wie ein ironischer Hinweis auf die umgekehrte wirtschaftliche Kolonisation in der Ost-West-Beziehung.

Erste Geschichte: Radim und der Rover
Der frische Gewinner des Künstlerpreises hat die damit verbundene finanzielle Belohnung „veruntreut“ und für seine persönliche Bereicherung benutzt – für einen Autokauf. Ein eigener Wagen wird in unserer Gesellschaft als Statussymbol wahrgenommen, als ein Symbol des Erwachsenseins, oder, im besseren Fall, als eine Notwendigkeit. Ein Wagen ist ein so naher Begleiter des Alltagslebens, dass er eigene, personifizierende Eigenschaften und Charakteristiken bekommt. Der Rover 75 ist ein Wagen mit einer eigenen Mythologie. Sein Retro-Design erinnert an die goldene Ära, zugleich ist er aber auch das letzte Modell der Autowerke vor der Pleite. Sein Aussehen und seine Geschichte wecken eine Vielfalt an Emotionen.
Radim Labuda entwickelte die Personifikation des Wagens so weit, dass er versuchte, sich mit ihm zu identifizieren. Auf seinen Arm ließ er sich ein abstrahiertes Rover-Logo tätowieren. Das ursprüngliche Rover-Logo ist ein Motiv der Vorderansicht eines Wikingerschiffes, das tätowierte Logo hingegen nur ein abstraktes, geometrisches Ornament.2 Es ist kein Fetischismus, eher ein Hinweis auf die allgemeine Ebene der Verbindung mit einem Auto – das Auto wird zu einer technischen Extension des menschlichen Körpers. Der Terminus „Brand“, der in den kommerziellen Mechanismen eine so große Rolle spielt, wird vom Autor entleert.
Der Rover hat sich dank des Aufkaufs durch einen nicht-britischen Besitzer vom gesetzlichen und wirtschaftlichen Rahmen befreit und somit seine Identität verloren. Er hat begonnen, in einem Vakuum zu funktionieren; seine Stellung wurde unbestimmt und vage.
Den Weg des Autos aus Großbritannien nach Prag hat Labuda mit einer Videokamera aufgenommen. Der Ausblick von der auf dem Armaturenbrett platzierten Kamera ist ein Blick des Autos und des Künstlers auf die Landschaft. Das entstandene Video Krisentourismus ist ein auf der Poetik des Zufalls basierendes Rohmaterial, das zeitlos wirkt. Labuda benutzt das Prinzip des Von-Außen-Betrachtens und setzt die Wirkung einer zeitlosen Existenz bewusst ein. Er drückt sich oft mit Hilfe der Videokunst aus. Der Weg nach Mitteleuropa ist auch das letzte, was der Rover erlebt, denn anschließend folgt der geplante Untergang.
Die Aktion der Dekonstruktion mit dem Titel Last Rover fand in dem Kunstzentrum Meet Factory3 statt. Ziel war die Zerlegung des Wagens in einzelne Komponenten, die anschließend als Ersatzteile an Interessierte verkauft wurden. Den Tod des Rovers hat Labuda als eine große Theatervorstellung mit Videokameras, Scheinwerfern, Bühnenrampen und Fotografen inszeniert. In der Eingangshalle fand eine Projektion der offiziellen und Fan-Videos über Rover statt, begleitet von einer für die Ausstellung angefertigten Broschüre Wie man (billig) einen gebrauchten Wagen in Großbritannien kauft.
Automechaniker haben den ganzen Tag über in der Anwesenheit des Künstlers ein funktionierendes Auto in einzelne Teilstücke zerlegt, die anschließend gereinigt, dokumentiert und zu einem freiwilligen Preis zum Kauf angeboten wurden. Die Besucher konnten sich somit ein Objekt mit einem ambivalenten Charakter kaufen: ein künstlerisches „ready made“ und zugleich ein funktionierendes Ersatzteil. Die Käufer hatten freie Wahl über die Bestimmung des Wesens des Objekts. Wenn wir die Tatsache in Betracht ziehen, dass sich Labuda mit seinem Wagen teilweise identifiziert hat, war diese Geste eine deutliche Aufforderung zur Psychoanalyse und auch zur Wiederverwertung der eigenen Persönlichkeit. Es war ein Experiment mit offenem Ende. Mit diesem Werk hat Labuda einen Schritt von der Videokunst zur Aktionskunst gemacht – er hat eine auf der Interaktion von Mitarbeitern und Besuchern basierte soziale Studie geschaffen. Das gleiche Prinzip hatte er bereits während der Vernissage der Ausstellung der Werke von Finalisten des Chalupecký-Preises angewendet.4 Das Ergebnis dieser Situation war ebenfalls wieder ein Video.
Die Ausstellung Case Study in der Špála-Galerie schloss die Geschichte von „Radim und dem Rover“ symbolisch ab. Den Vorderraum der Galerie gestaltete Labuda in einen Verkaufsort für die restlichen Ersatzteile um. Er hat damit eine Parallele zu kommerziellen Galerien gezogen, in denen Statuen verkauft werden. In seinem Fall waren das die „ready mades“. Zugleich wiesen die Metallregale auf eine Lagerhalle hin. Die Mehrdeutigkeit dieser Situation wurde durch ein Video von zwei Rovers unterstrichen, die unendlich auf einem Kreisverkehr kreisten. Den Eingang der eigentlichen Ausstellungsräume markierte ein aus der Karrosserie des Rovers ausgeschnittenes Objekt in der Form des Rover-Logos, das an die Wand gehängt war. In der Ausstellung wurden Videos von der Fahrt, der Demontage des Wagens und dem Tätowieren präsentiert, daneben auch Videointerviews mit Autoverkäufern, Soziologen und einem Fan von der Automarke Rover gezeigt.
Das für mich ausdrucksstärkste Video war Zwei Objekte der Begierde – eine Anspielung an die Rover-Werbung.5 Das Video wurde aus Aufnahmen der Karrosserie des Wagens, an die eine männliche Figur gelehnt ist, zusammengestellt. Im Hintergrund fahren schnelle Autos auf einer Autobahn, die durch eine unifizierte Landschaft mit einer Windmühle führt. Als begleitende Musik hört man ein Lied mit dem Refrain „You don’t have to be a millionaire, but you might feel like one“. Labuda kehrt die Werbeklischees um, denn normalerweise wird mit Autowerbung ein Frauenkörper assoziiert. Der Künstler setzte aber ein Objekt der eigenen Begierde ein. So wirkte die Situation wie eine Parodie der klassischen Autowerbung.
Obwohl die Ausstellung Case Study beeindruckende Ideen und interessante Auffassungen bot, konnte man ihr eine zu große Zersplitterung der Themen vorwerfen. Die Kombination aus komplexen Fragen nach dem Verhältnis zwischen Wagen und technischer Extension des menschlichen Körpers, Identität, wirtschaftlichen und soziologischen Aspekten und der Thematik von Fetischismus und langen, experimentellen und zugleich dokumentarischen Videos war nur schwer zu verarbeiten. In der Menge der offenen, nicht-pointierten und nur angedeuteten Ebenen war es leicht, die Konzentration zu verlieren. Deswegen werde ich eine für mich wesentliche Geschichte betonen, die im Prozess des Werkes nur angedeutet wird. Es ist eine Geschichte, die den gesellschaftlichen Status der Autos reflektiert. Labudas Schaffen kann man so als eine zutreffende Reflexion der heutigen Gesellschaft lesen.

Zweite Geschichte: Das Auto und die Gesellschaft
Autos sind eines der größten Symbole des 20. Jahrhunderts, wichtig in jeder politischen Ordnung. Die Marke Rover hat diese Ära treu repräsentiert; ihre Krise und der Untergang können auch als Metapher für die Zweifel an einer Gesellschaft, die auf Autos basiert ist, verstanden werden. Die Autobegeisterung, verbunden mit der Vorstellung von Freiheit, Luxus und unbeschränkter Mobilität, hat sich während der vergangenen 100 Jahre in eine Frustration über die Unvermeidlichkeit und Unmöglichkeit einer Alternative umgewandelt.6
Seit den Zeiten der ersten Autos hat sich das Begehren nach ihrem Besitz mit der Verbesserung des eigenen sozialen Status verbunden. Das Auto war Symbol für Luxus. Autohändler versuchen bis heute, dieses Bild aufrecht zu erhalten. Doch nicht mehr der eigentliche Besitz eines Wagens wird als Luxus empfunden, denn Autos werden heutzutage massenweise produziert, vielmehr entscheiden die Charakteristiken des Wagens, ob er als luxuriös bewertet wird. Das Werk von Labuda thematisiert die Situation, wenn ein luxuriöser Wagen sehr billig zu erwerben ist, womit seine Bedeutung als Statussymbol verschwindet. Die Demokratisierung des Autos zerstört seine Vorteile. Auch die Wagen, die nicht leicht finanziell zugänglich sind, müssen mit trivialen Problemen, wie Staus oder mangelnde Parkplätze, kämpfen. Der Traum vom Auto als einer Materialisierung des Luxus ist vergangen.
Der Besitz eines Autos bietet mehr Illusion als Realität: die Illusion von Freiheit, Schnelligkeit und problemloser Mobilität. Vor allem diese Eigenschaften werden von der Autowerbung suggeriert, die Radim Labuda in der Meet Factory gezeigt und mit Internetvideos vervollständigt hat. In einer klassischen Werbung für Autos beliebiger Marken ist ein Wagen abgebildet, wie er auf einer leeren Straße und mit hoher Geschwindigkeit durch die Landschaft fährt. Wald, Wüste, bekannte Städte. Die Werbung wird oft mit einem weiblichen Körper verbunden, der die Kurven des Wagens unterstreichen soll. Ein Auto ist sicher, uneingeschränkt und wird von seinem Umfeld bewundert. Es ist eine der vollkommensten Werbeillusionen. Die Realität wird offensichtlich, wenn sich im Rahmen eigener Freiheit und Schnelligkeit Zehntausende Menschen in einer Stadt entscheiden, mit dem Auto zur Arbeit zu fahren.
Labudas Videos von der Reise mit dem Rover nach Prag thematisieren auch einen anderen Mythos – eine abenteuerliche Autoreise in weitentfernte Länder. Die Realität des Wegs ist aber monoton, die Reise ist auf keinen Fall entdeckend und die in eine Autobahn umgewandelte Landschaft unifiziert. Der Ausblick aus dem Autofenster erweckt das Gefühl einer einseitigen, urbanen Szenerie. Die Landschaft hinter dem Fenster wird vom Zuschauer nur passiv konsumiert. Beim Anhalten und Aussteigen auf der Autobahn findet eine mit Labudas Video Zwei Objekte der Begierde vergleichbare Situation statt. Ein Mensch, der mit dem schnell ablaufenden Verkehrsstrom konfrontiert wird, ist der Landschaft entfremdet. Die Landschaft selbst ist so umgewandelt, dass es fast unmöglich ist, ihre geographische Zugehörigkeit zu bestimmen. Im Video ist sie nur durch die Windmühle erkennbar.
Ein Auto kann man als ein „Objekt der Begierde“ und auch als ein kulturelles Symbol verstehen, was Roland Barthes in seinem Essay über Citroën beschrieb: „Ich denke, dass Autos heutzutage ein Äquivalent der prächtigen gotischen Kathedralen sind: das beste Erzeugnis der Ära, mit Leidenschaft von unbekannten Künstlern geschaffen und von der gesamten Population konsumiert, die es sich als magisches Objekt aneignet.“7 Es sollte hinzugefügt werden, dass Roland Barthes bei einem Unfall in einem dieser „magischen Objekte“ gestorben ist. Das Ende eines weiteren Autotraums.
Die Freiheit des Autobenutzers ist neben der Ölabhängigkeit auch von einem weiteren Faktor limitiert – der Verfügbarkeit der Ersatzteile. Gerade bei der Marke Rover, die es nicht mehr gibt, ist die Abhängigkeit vom Hersteller offensichtlich. Zusammen mit dem Untergang der Marke verschwand auch das Netz der Herstellung von Ersatzteilen und der Service. Radim Labuda ließ deswegen seinen Wagen auseinandernehmen und hat ihn den Interessenten angeboten. Mit dieser Geste hat er auf die Prozesse aufmerksam gemacht, die nach dem Untergang der Marke eingesetzt haben – die Menschen begannen, selbstständig mit den notwendigen Ersatzteilen zu handeln. Nach dem Untergang des Firmenmonopols wurde eine wirtschaftliche Alternative geboren. Anstelle des Hersteller-Verbraucher-Verhältnisses entstanden parallele informelle soziale Netzwerke. Diese Tatsache wird im Video auch von einem Soziologen kommentiert, den Labuda zur Mitarbeit an der Ausstellung eingeladen hat: Nach dem Ende der „McDonaldisierten“ Gesellschaft entsteht eine auf Recycling, Selbsthilfe oder Austausch basierende Wirtschaft. Auch die Postautomobilgesellschaft hat eine Perspektive.




Aus dem Slowakischen von Zuzana Magurová.


1 Die britische Gesellschaft Rover wurde Ende des 19. Jahrhundert gegründet. Ihr langsamer Aufstieg kam in den dreißiger Jahren, als ihre Autos zum Statussymbol der Mittelklasse wurden. Nach dem Krieg setzte sich der Aufstieg fort, das meistverkaufte Auto wurde der Geländewagen Land Rover. Der Erfolg dauerte bis in die Mitte der siebziger Jahre, wo die von einer Krise schwer betroffene Firma finanzielle Hilfe von der britischen Regierung erhielt. In den achtziger Jahren wurden Teile des Betriebes an verschiedene Besitzer verkauft und über die Rechte für die Marke Rover gestritten. Der Erfolg des Autos setzte sich aber mehr oder weniger fort. Ende der neunziger Jahre entwickelte die Firma das Modell Rover 75 in einem Retro-Design, das für das letzte Rovermodell gehalten wird. Die Gesellschaft MG Rover ist trotz aller Bemühungen der britischen Regierung im Jahr 2005 Pleite gegangen. Seitdem hat auch der Service und der Verkauf der Ersatzteile aufgehört. Heute ist die Marke in den Händen der indischen Autogesellschaft Tata Mobil.
2 Der Autor platziert das Rover-Logo neben eine andere Tätowierung – einem schwarzen „Malewitsch“-Quadrat. Somit notiert er die Geschichte seines künstlerischen Schaffens auf den eigenen Körper.
3 http://lastrover.cz/
4 Während der Vernissage waren die Ausstellungsobjekte vier gefesselte Männer, die vom Autor mit einer Videokamera aufgenommen wurden. Anschließend wurden die Videos anstelle der „wirklichen“ Männer gezeigt. Ausstellungsraum Dům pánů z Kunštátu, Brünn vom 22.10.-23.11.2008.
5 Damit das Video auch auf eine künstlerische Ebene hinweist, lautet der parallele Name Holländische Landschaft mit Rover.
6 Mit der Begeisterung für Autos setzt sich am Beispiel von Deutschland der Autor Wolfgang Sachs in seinem Buch For Love of the Automobile (University California Press, 1992) auseinander.
7 Der Essay stammt aus Barthes' Buch Mythologies aus dem Jahr 1957.




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