Zeitschrift Umělec 2007/3 >> Die Geschichte des kroatischen Künstlers Slaven Tolj | Übersicht aller Ausgaben | ||||||||||||
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Die Geschichte des kroatischen Künstlers Slaven ToljZeitschrift Umělec 2007/301.03.2007 Katarína Rusnáková | profil | en cs de es |
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Einer der bedeutendsten Vertreter der zeitgenössischen kroatischen Kunstszene ist Slaven Tolj (*1964), Multimediakünstler, Organisator künstlerischer Aktionen und Kurator, der innerhalb kürzester Zeit auch im Ausland Anerkennung gefunden hat. Aufmerksamkeit zog er mit seinen auf den ersten Blick unauffälligen Readymades, Installationen, Fotografien und Performances auf sich, die zugleich eine immanente Politik und eine soziokulturelle Kritik formulieren. Da er sich in den Frühjahrsmonaten mit seiner Einzelausstellung Untitled Retrospective... in der Galerie Emila Filly in Ústí nad Labem (Aussig), kuratiert von Michal Koleček, präsentierte, nehme ich dies zum Anlass, Slaven Toljs Werk aus der Perspektive der dort ausgestellten Arbeiten zu besprechen, denn sie sind Meilensteine seines bisherigen Werkes.
Gleich zu Anfang ist festzuhalten, dass Tolj im tschechischen Kontext kein unbekannter Künstler ist. Dank eines international kuratierten Projekts und einer kleineren Präsentation – nach dem Konzept von Michal Koleček – stellte der Künstler neben Ústí nad Labem (Aussig), auch in anderen Städten, wie Prag und Brünn, aus. Gerade die letzte monografische Ausstellung Untitled Retrospective… bot den Besuchern die Chance, sein interessant strukturiertes künstlerisches Werk genauer kennen zu lernen. Die Kriegsereignisse und der Zerfall Jugosla- wiens beeinflussten Slaven Tolj, den Newcomer in der Kunstszene, entscheidend. Tolj ist Absolvent der Akademie der bildenden Künste in Sarajewo, wo er das Fach Graphik studierte (1987). In der hektischen Zeit nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Zusammenbruch der Sowjetunion, die in den posttotalitären Staaten Transformationsprozesse in der Politik, der Wirtschaft und im gesellschaftlich-kulturellen Leben auslösten, begannen sich auf dem Balkan unbegreifliche und in vielerlei Hinsicht reaktionäre Prozesse abzuspielen. Von Beginn der 90er Jahre an wurde der Balkan innerhalb eines Jahrzehnts zu einem instabilen Gebiet – er wurde zum Symbol lang schwelender Konflikte und zum „Minenfeld“ ethnischer und religiöser Intoleranz. Sie führten zu grausamen und leidvollen kriegerischen Auseinandersetzungen, entfacht durch den Virus eines nationalistischen Populismus. Tolj selbst nahm sogar während der militärischen Blockade Dubrovniks durch die jugoslawische Armee, also durch Serben und Montenegriner, in den Jahren 1992 – 1993 am Krieg teil. Die schmerzlichen Erfahrungen und der sich wiederholende posttraumatische Schock wirkten auf die Unversehrtheit des sensiblen Künstlers so stark, dass sie die Ausbildung seiner spezifischen Bilderwelt entscheidend beeinflussten. Zentrales Thema der meisten Werke Toljs wurde das obsessive Leitmotiv Dubrovnik – ein Symbol der Zivilisation, urbaner und naturbelassener Schönheit. Darüber hinaus drückte der Künstler seine Beziehung zu dieser Stadt aus, indem er sich ihr ikonographisches Zeichen auf den linken Oberarm tätowieren ließ. Eines der wichtigsten Prinzipien Toljs ist, dass er als Archäologe die Fragmente des individuellen, kollektiven und kulturellen Gedächtnisses untersucht, die sich auf den Genius loci Dubrovnik beziehen. Mit präziser Analytik spürt er an verschiedensten Orten Readymades, raumspezifische Installationen oder „gefundene Bilder“ auf, die er in Fotografien festhält. Mithilfe dieser Objekte kartographiert er seine Erinnerungen – einerseits die Rückkehr in seine Kindheit, die er in einer liberalen Zeit, d.h. in einer abgeschwächten Form des Totalitarismus, im ehemaligen Jugoslawien erlebte. Der wesentliche Teil der Arbeiten reflektiert jedoch die physischen und mentalen Stigmata, die die ethnischen Konflikte verursachten, sowie sozialkritische Kommentare der Gegenwart. Deren Charakteristikum sind der allgegenwärtige „unersättliche Appetit“ des Business im Geiste des globalen Konsums und die Tourismusindustrie, deren Hauptmotivation Profit ist, ohne Rücksicht auf kulturelle Werte oder auf den lokalen Kontext. Und weil Tolj die Probleme seines Geburtsortes zugleich als die eigenen sieht, durchlebt er höchst feinfühlig alle positiven und negativen Veränderungen des Ortes, in die sich auch alle Turbulenzen auf politischer Ebene einschreiben. Die dominierende Strategie Slaven Toljs lässt sich als „Neokonzeptua- lismus“ beschreiben, als aktuelle Variante konzeptueller Kunst, deren Wurzeln auf Marcel Duchamp zurückgehen und deren Praktiken mit der Aktionskunst zusammenhängen, wie dem Einbeziehen von Alltagsgegenständen und der Weiterbearbeitung oder Wiederverwendung schon vorhandener Kunstwerke. Hinsichtlich der Rezeption von Toljs Werk ist festzuhalten, dass es das zentrale Anliegen des Künstlers ist, mit seinen Werken beim Betrachter auf verschiedenen Ebenen eine gesteigerte Wahrnehmung hervorzurufen. Die Wahrnehmung von Kunst betrachtet er als einen vielfältigen Kommunikationsprozess, der auf dem wechselseitigen Austausch von Information und auf einem intertextuellen Diskurs beruht. Bei diesem geht es ihm um das Erlangen eines Gleichgewichtes zwischen Reflexion und der spirituellen Seite. Zugleich verwehrt er sich jedoch dem idealistischen Glauben, Kunst besitze das Potenzial, eine Veränderung zum Besseren anzustoßen. Vor und nach der Paradoxie des Balkans Dass der inhaltliche Aspekt das Hauptkriterium von Kunst im osteuropäischen Kontext sei, wo sich der Künstler an den Adressaten wende, um ihm eine Botschaft zu vermitteln, darüber schreibt beispielsweise Barbara Barschová in ihrem Text, der die Rezeption visueller Kunst aus Ost-Mitteleuropa im westeuropäischen Kontext behandelt.1 Sie kommentiert, östliche Kunst sei nach innen gerichtet, und das Kriterium für Qualität sieht sie im Inhalt. Ihrer Meinung nach werden hier nur selten Arbeiten „just for fun“ erstellt, und selbst Nonsens hat für gewöhnlich einen tieferen inhaltlichen Sinn, der auf die Absurdität des Alltags reagiert.2 Konzentrieren wir uns in diesem Zusammenhang zunächst auf das Phänomen der so genannten östlichen Kunst/ Kunst aus Osteuropa und der mitteleuropäischen Kunst/ Kunst aus Mitteleuropa. Diese Termini werden noch immer sehr häufig ungenau und zumeist mit einer bestimmten Absicht verwendet, wobei sich häufig deren politische bzw. geopolitische Bedeutungen mit kulturellen mischen. Entgegen der Vorstellung, der Begriff Osteuropa habe heute vollkommen seine geopolitische Bedeutung verloren, ist diese noch immer vorhanden. Dadurch werden die kulturellen Besonderheiten der Mitteleuropäer, die unter einer gemeinsamen Terminologie zusammengefasst werden, übersehen, obwohl sie sich von den ‚östlichen‘ Russen, Bulgaren oder Rumänen unterscheiden. Das differenzierende Moment ist das ideologisch-politische System, das fünfzig Jahre lang auf Gebiete wie Polen, Bulgarien, Rumänien, die Tschechoslowakei, Ungarn, Jugoslawien, und das ehemalige Imperium, die Sowjetunion, eingewirkt hat.3 Zugleich lässt sich nicht ganz leugnen, dass Mitteleuropa ein künstliches Konstrukt ist. Es ist einerseits als Ergebnis der Suche nach einer eigenen kulturellen Identität entstanden und andererseits auch teilweise aus der Notwendigkeit heraus, aus dem engen Rahmen kleiner, xenophober nationaler Kulturen auszubrechen und vereinende kulturelle Elemente der kleinen Sprachen und Literaturen auf dem Gebiet Mitteleuropas zu finden; also vereinende Momente all derer aufzuspüren, die sich, wie Milan Kundera sagt, an „gleichen Erinnerungen, gleichen Problemen und Konflikten, einer gleichen, gemeinsamen Tradition beteiligen“.4 Die Gebiete, die vor 1989 zum Ostblock gehörten, bezeichnete man aus geographischer Perspektive als östliches Europa, auch wenn einige dieser – die Tschechoslowakei, Ungarn, Polen, Jugoslawien – aus dem Blickwinkel deren kulturhistorischer Entwicklung – immer in den Kontext Mitteleuropas gehörten und gehören. Was die spezifische Unterscheidung politischer und kultureller Besonderheiten der totalitären mitteleuropäischen Staaten und Jugoslawiens betrifft, darf man nicht vergessen, dass nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen Jugoslawiens mit der Sowjetunion im Jahr 1948 dieses Gebiet nicht die Doktrin des sozialistischen Realismus übernahm. Mit anderen Worten, hier existierte nie eine offizielle Kultur, was zugleich bedeutete, dass sich auch kein Untergrund herausbildete, keine alternative oder Parallelkultur, auch keine Dissidentenkultur.5 Aus diesem Grund trat Emigration auf dem Balkan auch erst im Laufe der ethnischen Konflikte der Neunziger Jahre auf. Zu weiteren Besonderheiten dieser Region, in der sich das Nachdenken ständig auf der „before and after“ Achse bewegt, gehört, dass die Kulturpolitik Jugoslawiens verglichen mit den übrigen Gebieten des ehemaligen Ostblocks sehr liberal war. Künstler aus Jugoslawien konnten ohne Probleme Kontakte mit Kunstschaffenden aus dem Westen knüpfen, mit ihnen zusammenarbeiten, sie zu Ausstellungen einladen (zum Beispiel Joseph Beuys in Belgrad, 1974) oder Aktionen verwirklichen (Marina Abramović mit Raša Todosijević), und zugleich konnten Künstler aus Jugoslawien frei in westliche Staaten reisen.6 Umso tragischer wirkt der Zerfall des multinationalen Staates7 auf dem Gebiet der Kunst und Kultur, wo die militärische Vernichtung in Kroatien und Bosnien mit einem Zerfall des kulturellen Kontexts Jugoslawiens und der Kultur einhergeht, die unbestritten über fünfzig Jahre existierte.8 Die kroatische Schriftstellerin Dubravka Ugrešićová, die seit 1993 im Exil lebt, schrieb als Anmerkung zum Balkankrieg: „Hier gibt es die Erfahrung einer gemischten Kultur, einer ländlichen und städtischen, die Erfahrung eines kulturellen Kosmopolitismus und einer Liebe für alles Fremde, aber auch die Erfahrung eines kulturellen Autismus und einer scharfen Xenophobie. Hier gibt es die Erfahrung eines neuen Krieges, die Erfahrung der Teilung und Schaffung neuer Staaten, die Erfahrung von Chaos, Blut, Tod und Zerfall, die Erfahrung von Lüge, kurzum die Erfahrung eines mehrfachen Exils.“9 Der Balkankrieg spricht grauenvolle Dinge aus über mangelnde menschliche Solidarität und riesige Verluste, die noch immer im täglichen Leben zu erkennen sind: „Tausende Menschen mussten mit ihrem Leben zahlen für die „neuen Symbole der Identität“, Tausende wurden aus ihrer Heimat vertrieben, wurden ausgesiedelt, erniedrigt, ausgeraubt und in Elend getrieben.“10 Ziel dieses Exkurses war es, den politischen und gesellschaftlich-kulturellen Kontext plastischer zu beschreiben, in dem das Schaffen, die Auffassungen und die zivilgesellschaftliche Haltung Slaven Toljs geformt wurden. Und auch in seinem Fall gilt, dass der Konflikt mit der Umwelt zum treibenden Moment künstlerischer Kreativität werden kann. Hier spielt sich ein Aufarbeiten dieses Konfliktes ab, bei dem Verzweiflung entsteht, was wiederum eine wohltuende (kunst-)therapeutische Wirkung haben kann. Archäologie der Erinnerungen: Durchdringung von Vergangenheit und Gegenwart Werfen wir nun einen genaueren Blick auf die einzelnen Arbeiten Slaven Toljs, die den „Grundstein“ seines Werkes bilden. Zu den relevanten Frühwerken gehört das photographische Projekt Interrupted Game (1993), das ein Paradebeispiel für kontextuelle Kunst ist. Gegenständliche Schwarzweißfotos halten „gefundene Bilder“ fest: weiße Bälle inmitten der verzierten Pilaster der Kathedrale von Dubrovnik – ein beliebter Ort bei Kindern, die hier das Tennisspielen übten. Die Aufnahmen rufen nostalgische Erinnerungen an friedliche Zeiten vor dem Krieg hervor und stehen im Gegensatz zur Leere dieses Raumes während der Blockade und Bombardierung Dubrovniks, als die Kinder ihr Spiel für lange Zeit unterbrechen mussten. Mit einer anderen Kirche, der Jesuitenkirche des Heiligen Ignác, ist eine weitere raumspezifische Installation Toljs, Bez názvu/ Ohne Titel (1997), verbunden. Diese wurde zwar nicht in Ústí nad Labem gezeigt, dennoch ist es nötig, sie in diesem Rahmen zu erwähnen. Sie bestand aus zwei einfachen runden Lampen, die von der Decke des Kulturbahnhofs auf der prestigeträchtigen Weltausstellung Documenta X. in Kassel hingen. Natürlich würde die Botschaft dieses besonderen Beitrags Slaven Toljs zur public art ohne eine Dechiffrierung seiner Geschichte unerklärt bleiben, und dessen Aussagekraft würde abgeschwächt werden. Die Pointe der Installation bestand darin, dass Tolj sich die Lampen aneignete, die während des Angriffs auf Dubrovnik die ursprünglichen Barockleuchten in der Kirche des Heiligen Ignác ersetzten – letztere waren unterdessen sicher im Depot verstaut, und dass er diese Lampen, die nun einen alternativen Zweck als Readymades mit unsichtbaren kriegerischen Stigmata erfüllten, nach Deutschland in ein liberales, demokratisches Umfeld überführte. Michal Koleček äußerte sich zu diesem Werk prägnant: „Inmitten der „westlichen Welt“ präsentierte Tolj Spuren, die mit kriegerischen Auseinandersetzungen verbunden sind, um darauf aufmerksam zu machen, dass die großen Konflikte oft in kaum wahrnehmbaren Prozessen und Symbolen vorgezeichnet und repräsentiert sind.“12 Ein weiterer, wenn auch eher unauffälliger, lakonischer Verweis auf die ungesunde, bedrückende Atmosphäre Dubrovniks während des Krieges war ein Ventilator mit dem Titel Bubo Bubo Maximus (1994), der ohne Schutzabdeckung funktionierte und den Tolj in eine gläserne Museumsvitrine eingeschlossen hatte. Eine groß angelegte, raumspezifische Installation hingegen, die auf der Partizipation der Rezipienten basierte, präsentierte das Kino Jadran (1993 – 2007). Die angedeutete Rekonstruktion eines Kinos mit einem alten Projektor ohne Film, der nur eine immaterielle Lichtfläche in Form eines Rechteckes bildet, evoziert ein Warten auf den Film im Sinne eines Beckettschen absurden Dramas. Das beliebte Kino Jadran, das der Künstler oft besucht hatte, stellte seinen Betrieb im Geiste des berühmten Ausspruches inter arma silent musae [wenn die Waffen sprechen, schweigen die Musen] ein. Der Betrachter konnte sich in den archaischen Holzsessel des improvisierten Kinos setzen und im Halbdunkel das „szenisch leere“ Simulakrum der Leinwand ansehen und sich so im Kopf mentale Bilder eines individuellen Filmes vorstellen. Nicht nur die Lampen, sondern auch das Licht und dessen Reflexion sind Phänomene, denen Slaven Tolj in seinem Werk eine wichtige Bedeutung beimisst. Dies hängt mit dem Erzeugen einer spezifischen Atmosphäre der architektonischen Räume zusammen, deren Interieurs durch besondere Lichtnuancen bestimmt werden, die diese mit unverwechselbarer Spiritualität ausfüllen (zum Beispiel die Farbphotographie Bez názvu/ Ohne Titel, 1997). Zu den witzigen Beiträgen im Sinne einer enthaltsamen Ästhetik wie in der arte povera gehört auch ein großes Stück blaue Leinwand, wahrscheinlich aus irgendeiner Markise geschnitten, das von der Sonne verblasst und mit „Aktionsspuren“ von Taubenkot versehen ist. Es trägt den Titel Una bella favola [Eine schöne Geschichte] (1993). Fast perfekt auf einer weißen Wand platziert, ruft es eine Analogie zur abstrakten Malerei mit dem Thema Meer hervor. Die Rückkehr sich wiederholender Gedanken, die mit skeptischen Gefühlen verbunden sind, und die Rückkehr von Depressionen, die aus persönlich durchlebten Begebenheiten resultieren, drückt Tolj in der Diskokugel Untitled (2005) aus, einem ambivalenten Objekt. Indem er die Kugel ihrer äußeren Hülle, bestehend aus einem Raster reflektierender Spiegelflächen, entkleidete, drückt er in diesem sozialen Haiku – Michal Koleček zufolge – eine „Desillusion der Generation der Achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts in einer Situation post-totalitärer Transformation aus. Die Illusion von Freude und unendlichem Spaß war unwiederbringlich verloren, und es blieb nur eine bittere und tödliche Realität des Lebens unter veränderten politischen und sozialen Bedingungen der neuen Gesellschaft.“13 Betrachten wir beispielsweise die radikalen Zugriffe Toljs näher, die sich in seinen nicht weniger interessanten Performances bemerkbar machen. Aus deren Videoaufzeichnungen wird deutlich, dass der Künstler in ihnen sehr eindringlich wird, wobei er kein einziges Mal die Grenze seiner physischen Möglichkeiten überschreitet. Auf diese Weise nähert er sich body art Performances vom Typ eines ordeal, in denen er sich harten Gewaltproben unterzieht und seine Gesundheit und sein Leben riskiert. Zum Beispiel beruhte die Performance Príroda a spoločnosť / Natur und Gesellschaft (2002), die Tolj zur Vernissage der Ausstellung Here Tomorrow in der Zagreber Glyptothek realisierte, darauf, dass der nackte Künstler mit einem Hirschgeweih auf dem Kopf beständig gegen eine Wand anlief, bis er das Geweih zerstört und sich dabei das Rückgrat verletzt hatte. Die Pointe dieser Performance war eine Auseinandersetzung mit seiner individuellen Mythologie – der Familiengeschichte Toljs, wie auch mit seiner eigenen Identität. Eine noch gefährlichere, selbstzerstörerische Geste zeichnete die Performance mit dem Titel Globalisation aus, die der Künstler in der Galerie Exit Art in New York im Jahr 2001 im Rahmen des Festivals für Aktionskunst Body and the East präsentierte. Bei der mehrere Stunden andauernden, minimalistischen Performance saß der Künstler stoisch an einem Tisch und trank Schluck für Schluck – dabei hatte er den Inhalt zweier Flaschen, eine mit russischem Vodka, eine mit amerikanischem Whisky, gemischt. Dies hatte ein unvorhergesehenes Ergebnis: der Organisator der Aktion ließ den Künstler ins Krankenhaus einliefern. Eine Alkoholvergiftung und ein zweitägiges Koma zeigten, dass Tolj es ernst meint mit seiner Kunst, und dass er bereit ist, Opfer zu bringen. Dieses minimalistische Experiment machte zudem deutlich, dass eine individualistische, aber keineswegs folgenlose Auffassung von Globalisierung oft ein unangenehmes Nachspiel haben kann. Eines der letzten Werke, das nicht nur ein symbolisches, sondern auch das buchstäbliche Ende von Toljs Ausstellung in Ústí nad Labem (Aussig) bildete – zuvor bereits bei der monographischen Premiere im Museum für Moderne Kunst in Dubrovnik gezeigt – ist die Videoinstallation Označovanie/ Bezeichnung (2006). Da sie für die Besucher der Galerie nicht sichtbar war, ruft sie eine Assoziation mit Duchamps Werk Étant donnés:1°La chute d´eau, 2°Le gaz d´éclairage (1946 – 1966) im Museum der Künste in Philadelphia hervor, insofern es um Parallelen in der formal-architektonischen Gestaltung geht. In Toljs Konzept von blickdichten Türen, die mit einem kleinen kreisförmigen „Guckloch“ mit Fernrohr versehen sind, eröffnet sich dem Betrachter der Blick auf den Monitor eines Schwarz-Weiß-Fernsehers. Der Betrachter kann so das typische Ende einer Fernsehsendung verfolgen, wobei eine Staatsflagge zu sehen ist und die Nationalhymne ertönt – was gängige Praxis bei öffentlichen Sendungen ist. Indem er die Farbskala der kroatischen Staatsflagge auf schwarz-weiß reduziert, rückt Tolj einerseits die Konnotation des Werkes in den Geist kritischer Modelle, die die Beziehungen zwischen Kunst, Politik, Institutionen und gesellschaftlicher Verhandlung thematisieren, wie sie etwa bei Hans Haacke besonders deutlich sind. Andererseits spielt er mit den horizontalen Streifen der schwarz-weißen kroatischen Flagge auf Trauerbänder an, die Assoziationen von Leid und eine Elegie mit semantischen Verweisen hervorrufen und so den lokalen Kontext übersteigen. Antun Maračić schreibt im Katalogtext zu Toljs Ausstellung in Dubrovnik zu diesem Werk, die Minimalisierung des Bildes durch die Optik eines Fernrohres unterstreiche den Ausdruck der Distanz zwischen Subjekt, seinem individuellen Raum und der Metropole, repräsentiert durch das Staatssymbol. Tolj wühle so alle Enttäuschungen und sozialen Deformationen auf, die als Folge des Krieges entstanden.14 Man könnte auch anmerken, dass sich in diesem Fall Toljs obsessives Thema Dubrovnik als spezifische Trope um eine weitere semantische Schicht erweitert. Slaven Tolj widmet sich neben seinem künstlerischen Schaffen, das sich durch einen persönlichen, engagierten Zugang auszeichnet, mit ähnlicher Ausdauer, angereichert durch eine große Portion Philantropie, auch organisatorischen und kuratorischen Aktivitäten. Seit 1988 leitet er in Dubrovnik den Kunstworkshop Lazareti, das wichtigste, lukrative kroatische Zentrum für zeitgenössische Kunst, das neben dem Galeriebetrieb, der sich auf die Präsentation kroatischer und ausländischer Künstler konzentriert, auch ein offenes Forum für Residenzprogramme, Film-, Musik- und Theateraufführungen ist (z.B. das Festival Karanténa). Tolj macht so die kroatische Kunstszene auf dem Balkan und zugleich auch im Ausland publik. Zu weiteren bedeutenden Aktionen gehörte sein kuratorisches Projekt für zeitgenössische, kroatische Kunst, das er auf der Biennale in Venedig im Jahr 2005 präsentierte. Slaven Toljs Werke wurden zum Bestandteil vieler renommierter internationaler Ausstellungen – man erinnere sich beispielsweise an die Documenta X. in Kassel (1997), an Body and the East im Museum für Moderne Kunst in Ljubljana (1998), After the Wall im Museum für Moderne Kunst in Stockholm (1999) oder an seine Präsentation in der Sammlung osteuropäischer Kunst Arteast Collection 2000 + 23 im Museum für Moderne Kunst in Ljubljana (2006). Die Geschichte Slaven Toljs, die nicht nur eine Aussage über das individuelle schöpferische Bestreben auf dem Gebiet der visuellen Kunst ist, sondern zugleich auch eine intensive Botschaft über die „menschlichen Bedingungen“, kann als ein eindrückliches Beispiel für zeitgenössische Kunst gelten, bei dem der Künstler vor der Verbindung von Ethik und Ästhetik nicht resigniert.
01.03.2007
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