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Time Out Cities
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2009, 2
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Time Out Cities

Zeitschrift Umělec 2009/2

01.02.2009

Andreas Spiegl | zeitökonomie | en cs de

Das erste Time Out – eine Programmzeitschrift, die über die aktuellen Kulturevents in London informierte, wurde 1968 publiziert. Heute erscheint das Time Out in über 30 Städten auf der ganzen Welt – von Abu Dhabi bis Zagreb, und definiert sich selbst als »company…providing the latest, most reliable and informed information on what´s happening anywhere in the world«.1 Dieser Expansionskurs verdankt sich nicht nur der Erkenntnis, dass es neben London auch noch andere Städte gibt, in denen etwas los ist, sondern auch der Erfahrung, dass die Struktur der Ereignisse und Interessen in diesen Städten anywhere in the world vergleichbar und analog beschreibbar ist. Time Out informiert über Kunst, Theater, Musik und Kino, übers Einkaufen und Essen bis zum Sex. Allgemein: »Time Out is an international multimedia publisher of cultural experiences for urban adventures«.2 Interessant an dieser Selbstbeschreibung erscheint nicht nur die Verknüpfung kultureller Erfahrungen mit urbanen Abenteuern, sondern auch die im Titel manifeste Figur der Zeit: Das Time Out steht für eine Auszeit, für eine Unterbrechung des vorgesehenen Zeitverlaufs. Wie beim Sport, wird mit der Forderung nach einer Auszeit der normative Lauf der Dinge unterbrochen. Die möglichen Formen der Auszeit reichen vom Urlaub bis zum Feierabend und zum Wochenende. Normativ verankert steht die Auszeit für eine legitimierte Unterbrechung, für eine institutionelle Figur im Kontext der Institution und zugleich außerhalb derselben. Bezogen auf die urbanen Abenteuer steht das Time Out für eine Erfahrung innerhalb der Stadt, um der gleichen Stadt für eine bestimmte Zeit den Rücken zuzukehren. In der mit Time Out assoziierten Freizeit verlässt man die Stadt, um sich dieser und ihren Abenteuern erst richtig zuzuwenden. Die unterschiedliche Figur der Zeit eröffnet unterschiedliche Räume im gleichen Raum. Die Auszeit lässt andere Handlungsspielräume im Raum erkennen – eine Stadt in der Stadt, die es innerhalb und außerhalb derselben zugleich zu entdecken gibt.
1967, ein Jahr vor der ersten Ausgabe von Time Out, hat Michel Foucault seinen Text »Von anderen Räumen« geschrieben. In diesem Text skizziert Foucault die so genannten Heterotopien: »Es sind gleichsam Orte, die außerhalb aller Orte liegen, obwohl sie sich durchaus lokalisieren lassen. Da diese Orte völlig anders sind als all die Orte, die sie spiegeln und von denen sie sprechen, werde ich sie im Gegensatz zu den Utopien als Heterotopien bezeichnen«.3 Die Beispiele, die Foucault für die Heterotopien ins Feld führt, reichen vom Friedhof am Stadtrand bis zum Kino und Theater, vom Museum und der Bibliothek bis zum Schiff. Denn Heterotopien sind »reale, wirkliche, zum institutionellen Bereich der Gesellschaft gehörige Orte, die gleichsam Gegenorte darstellen, tatsächlich verwirklichte Utopien, in denen die realen Orte, all die anderen realen Orte, die man in der Kultur finden kann, zugleich repräsentiert, in Frage gestellt und ins Gegenteil verkehrt werden«.4 In diesem Sinne eröffnen Heterotopien Handlungsspielräume, die den Spielraum des Alltäglichen in Frage stellen oder ins Gegenteil verkehren. Wesentlich erscheint dafür die Tatsache, dass sich diese Räume von anderen Orten unterscheiden und selbst einen Ort darstellen.
Foucault verknüpft die Frage nach dem Ort der Heterotopien auch mit der Frage nach der Zeit: »Heterotopien stehen meist in Verbindung mit zeitlichen Brüchen, das heißt, sie haben Bezug zu Heterochronien, wie man aus rein symmetrischen Gründen sagen könnte. Eine Heterotopie beginnt erst dann voll zu funktionieren, wenn die Menschen einen absoluten Bruch mit der traditionellen Zeit vollzogen haben«.5
Der Gedanke, die mit Time Out signifizierte Auszeit mit der von Foucault beschriebenen Heterochronie zu identifizieren, liegt nahe: Das Time Out plädiert schon im Titel und seit über 40 Jahren für einen »Bruch mit der traditionellen Zeit«, mit dem Ziel, seine Leser dafür zu inspirieren, »to lead a richer life«6 – außerhalb der traditionellen Zeit und in der Zeit, die sie haben. Die Städte, die auf der ganzen Welt verstreut von Time Out je aufs Neue und aktuell beschrieben werden, werden als Heterotopien adressiert. Die Orte und Events, die das Time Out dafür herausfindet, sind reale, wirkliche Orte und durchaus lokalisierbar. Aber im Unterschied zu Foucault, der sich noch an die Erforschung und Analyse dieser andersartigen Orte heranmacht, scheint sich das Heterotopische von einer je spezifischen Lokalisierung emanzipiert zu haben, um heute in verschiedenen Städten und weltweit mit dem Urbanen schlechthin identifiziert zu werden. Die Fülle der beschriebenen Events und Orte dienen nur als Koordinaten für eine Heterotopologie des Urbanen – unabhängig davon, wo es erscheint: von Abu Dhabi über London und Paris bis Zagreb und Zürich – urban adventures anywhere in the world. Und angesichts der von Time Out lokalisierten Events und Ereignisse steht die adressierte Auszeit für ein 24-Stunden-Programm, also für eine Synchronizität der traditionellen Zeit und des absoluten Bruchs mit dieser. Die Alltäglichkeit der urbanen Abenteuer, die Alltäglichkeit der Auszeit, definiert nicht nur das Urbane als umfassende Heterotopie, sondern lässt sogar die Frage aufkommen, ob nicht das Heterotopische die Seiten gewechselt hat und nun da erscheint, wo Foucault noch die traditionelle Zeit und die mit ihr verbundenen Orte vermutete – am Arbeitsort und in der Arbeitszeit, im öffentlichen Raum, in der Familie, in der Politik etc.
Was von der Heterotopie geblieben zu sein scheint, ist die Heterochronie, eine Figur von Zeit, die sich als Dauerunterbrechung beschreiben ließe: die Auszeit als Alltag. Unterbrochen wird diese Dauerunterbrechung nur von Zeitfiguren, die man mit Arbeit oder Politik und den je implizit gedachten gesellschaftlichen Verantwortungen verbinden könnte. Die Versprechungen, die man mit der Arbeit, der Politik oder Ökonomie verbinden konnte, »to lead a richer life«, haben sich entsprechend der von Time Out beschriebenen Zielsetzungen in die Auszeit verlagert. Entkoppelt von gesellschaftlichen oder politischen Anforderungen erscheint die Entkoppelung von Anforderungen selbst als Ziel urbaner Erfahrung – anywhere in the world. Der Kulturbegriff, der mit »cultural experiences« identifiziert wird, spricht von urbanen Abenteuern.
Das deutsche Abenteuer wie das englische adventure stehen etymologisch für ein Ereignis, das auf ein Subjekt zukommt, ihm zufällt und den Alltag durch das Erlebnis unterbricht. In der von Time Out adressierten Urbanität repräsentiert die Stadt einen Erlebnisraum, der voll ist mit möglichen Abenteuern.
Es gibt sie in Fülle und überall, und man kann beliebig zwischen den Abenteuern und Städten wählen. Die Wahl ist variabel, konstant ist die Wählbarkeit. Die Verwandlung der urbanen Abenteuer und Ereignisse in eine konstante Variable erklärt die Auszeit, das Time Out, zum Alltag. Wofür die Städte damit einstehen, ist weniger eine Frage der Geografie oder Topologie, sondern eine Frage der Zeit – für einen Raum, die Zeit unter den Bedingungen außer Kraft gesetzter Regeln zu erleben: weniger heterotopisch als heterochronisch.
Die Bedingungen dafür, den urbanen Alltag als heterochronische Figur wahrnehmen zu können, liegen in der Gleichheit der Ereignisse, die sowohl als Alltag wie als Unterbrechung des Alltags aufgefasst werden können. In diesem Sinne liegt die Entscheidung zwischen Alltag und Abenteuer nicht in der Natur des Ereignisses, sondern beim Subjekt, das sich im entsprechenden Augenblick mit der Chronologie des Alltäglichen oder mit der anderen Zeit der Heterochronie identifiziert. Das Ereignis ist nicht nur von beliebiger Natur, sondern verhält sich auch beliebig gegenüber dem Alltag und seiner Ausnahme, der Auszeit. Das urbane Abenteuer und der städtische Normalfall gehen genauso ineinander über wie ein Ort und dessen Heterotopie.
Bei dem Versuch, eine Figur kritischer Kunst zu entwickeln, identifiziert Jacques Rancière damit
»gegenseitige Bezugnahmen von heterogenen Ordnungen des Sinnlichen«7. »Aufteilung des Sinnlichen nenne ich jenes System sinnlicher Evidenzen, das zugleich die Existenz eines Gemeinsamen aufzeigt wie auch die Unterteilungen, durch die innerhalb dieses Gemeinsamen die jeweiligen Orte und Anteile bestimmt werden. Eine Aufteilung des Sinnlichen legt sowohl Gemeinsames, das geteilt wird, fest als auch Teile,
die exklusiv bleiben. Diese Verteilung der Orte beruht auf einer Aufteilung der Räume, Zeiten und Tätigkeiten, die die Art und Weise bestimmt, wie ein Gemeinsames sich der Teilhabe öffnet, und wie die einen und die anderen daran teilhaben. (…) Sie definiert die Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit in einem gemeinsamen Raum und bestimmt, wer Zugang zu einer gemeinsamen Sprache hat und wer nicht«8. Übertragen auf unseren Kontext wäre das Urbane das Gemeinsame und allein die Aufteilung des Sinnlichen definiert,
ob dieses Urbane als Ort oder als dessen Heterotopie, als Alltag oder Heterochronie wahrgenommen wird. Um diese Aufteilung des Sinnlichen als politischen Akt zu kritisieren, fordert Rancière: »Eine kritische Kunst muss also auf ihre Weise eine Kunst der Gleichgültigkeit sein, eine Kunst, die den Punkt bestimmt, an dem Wissen und Nichtwissen, Aktivität und Passivität äquivalent sind«.9 »Die Politik der Kunst beruht innerhalb des ästhetischen Regimes der Künste auf dem grundlegenden Paradox dieser ‚Freiheit der Gleichgültigkeit’, die die Identität von Arbeit und Untätigkeit, von Bewegung und Unbeweglichkeit, Aktivität und Passivität, Einsamkeit und Gemeinsamkeit bedeutet«10.
Wenn sich im Urbanen eine Freiheit der Gleichgültigkeit zu Wort meldet, der das Alltägliche genauso viel bedeutet wie das Abenteuer und für die zwischen dem Ort und dessen Heterotopie nur eine Aufteilung des Sinnlichen liegt, dann erfüllt das Urbane gerade ob dieser Beliebigkeit eine politische Rolle. In ihrer Beliebigkeit weist sie umso deutlicher auf die verschiedenen Aufteilungen des Sinnlichen hin – sei es, ob das Urbane für einige zur Auszeit oder für die anderen zum Regime des Alltäglichen erklärt wird. Die Differenz zwischen beiden basiert aber auf Zeitvorstellungen, die jeweils ins Feld geführt werden. In der Zeit und in der Auszeit – wenn man so will: In Time und Time Out sind synchrone Figuren. Die Konsequenz ihrer Gleichgültigkeit und Beliebigkeit deutet aber auf eine politisch relevante Gleichgültigkeit der Zeit gegenüber, die sich von den klassisch hierarchischen Figuren der Geschichte und Zukunft genauso verabschiedet wie von der Bedeutung von Freizeit und Arbeitszeit. Symptomatisch war dafür der im 20. Jahrhundert in die Krise geratene Arbeitsbegriff, der durch den Begriff der Beschäftigung und konsequent durch Beschäftigungspolitik anstelle von Arbeitspolitik ersetzt wurde. Arbeit wurde zu einer Form von Beschäftigung, die sich von der Beschäftigung mit was auch immer in der Freizeit allein durch die Tatsache unterschied, dass man für die eine Geld verdiente und dieses für die andere wieder ausgab. Mit der Krise der Beschäftigungspolitik, die das 21. Jahrhundert bis heute prägt, kehren die Arbeitsbegriffe wieder.
So tauchen am Horizont der hoch im Kurs stehenden Creative Industries wieder Vorstellungen einer Identität von Job und Individuum, oder Arbeit und Individualität auf. Die je persönliche Kreativität, das Begehren nach etwas und die Subjektivität werden als ökonomische Potentiale verstanden. Die zeitlichen Parameter dafür laufen auf eine Fusionierung von Arbeitszeit und Freizeit hinaus. Die prekären Bedingungen, unter denen diese Fusionierungen allein selbst gewählt vollzogen werden, sind bekannt und werden als Investition legitimiert. Die spätbürgerlichen und unternehmerischen Aspekte dieser Investitionsfiguren sollen hier mal ausgeklammert bleiben. Was bleibt, ist ein Amalgam aus Arbeitszeit und Freizeit, das weniger von der damit einhergehenden Praxis abhängt, sondern vom Subjekt, das diese Praxis hier als Arbeit und dort als Freizeitbeschäftigung verstanden wissen will. Time Out und In Time verschmelzen. Die Beliebigkeit von beiden ist ihr politisches Kapital.
Die Bühne für dieses Amalgam aus Alltag und Heterochronie liefert eine Vorstellung von Urbanität, die sich von der Stadt, in der sie je erscheint, emanzipiert. Das Urbane aus einer Perspektive von Time Out und Cultural Industries steht für eine Art Meta-Urbanität, die in all den Städten irgendwo auf der Welt adressiert wird. Mit der Zuordnung des Urbanen zum Meta-Urbanen geht – so paradox das klingen mag – der Stadt das Urbane verloren. Was von der Stadt bleibt, ist ihre Verwaltung oder besser: ihre Verwaltungsprobleme – in Bezug auf Fragen der Migration, der Gesundheit, der Bildung, der Müllentsorgung etc. Zeitgenössische Stadtpolitik, die im Sinne der Imagepolitik an einer Förderung der Meta-Urbanität arbeitet, arbeitet damit auch an einer klaren Trennung von Stadt und Urbanität. Man will die Stadt und ihre Probleme in den Hintergrund gerückt wissen, um ihre Urbanität als solche in den Vordergrund zu stellen. Die Stadt selbst verschwindet damit – um mit Foucault zu reden – ins Heterotopische. In den Time Out Cities, um sie mal so zu nennen, bedeuten Politik, Migration, Gesundheit und Müll eine Unterbrechung des Urbanen, eine Heterochronie, die man gerne in die Stadt auslagert, um das Urbane als dauerhaft unterbrochenen Alltag zu normalisieren. Die Aufteilung des Sinnlichen, die Rancière skizziert, ist auch hier am Werke. Und wenn auch nicht künstlerisch, so arbeitet diese Aufteilung von Stadt und Urbanität an einer Beliebigkeit, die ans Subjekt delegiert, ob es etwa die gleiche Szene als Integrationsproblem einer migrantischen Bevölkerung in die Stadt oder als Beitrag zur kulturellen Vielfalt des Urbanen betrachten möchte. Time Out.




1 http://www.timeout.com/about/brochure/3.html (© 2009 Time Out Group Ltd)
2 http://www.timeout.com/about/brochure/5.html (© 2009 Time Out Group Ltd)
3 Michel Foucault: Von anderen Räumen (1967), in: Raumtheorie, hg. von Jörg Dünne und Stephan Günzel, Frankfurt am Main, 2006, S.320
4 ebenda.
5 Foucault in: Raumtheorie, a.a.O., S.324
6 http://www.timeout.com/about/brochure/4.html (© 2009 Time Out Group Ltd)
7 Jacques Rancière: Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien, in: ders.: Die Aufteilung des Sinnlichen, Berlin, 2006, S.89
8 Jacques Rancière: Die Aufteilung des Sinnlichen, a.a.O., S.25f
9 Jacques Rancière: Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien, a.a.O., S.87
10 ebenda, S.83




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