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Off-Spaces in Wien – Eine pulsierende Szene
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2009, 2
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Off-Spaces in Wien – Eine pulsierende Szene

Zeitschrift Umělec 2009/2

01.02.2009

Ursula Maria Probst | scene | en cs de

Einen regelrechten Boom erlebt in Wien derzeit die Off-Space-Szene, deren künstlerische Interventionen sich äußerst stimulierend auf die kulturellen Dynamiken der Stadt auswirken. Permanent eröffnen temporäre Projekträume mit originellen Namen wie „Pro Choice“, „Clubblumen“, „Bell Street Project“, „Saprophyt“ oder „Ve:sch“, die auf gesellschaftspolitische Kunstpraktiken oder ein Entgrenzen konventioneller Kunstbegriffe durch ihr Mitgestalten urbaner Soziotope anspielen. Obwohl der Begriff „Off-Space“ seit den 1970er Jahren von der illegalen, subversiven Hausbesetzung bis zur kommunal subventionierten Zwischenraumlösung Umcodierungen durchlief, verfügen die offenen Non-Profit-Strukturen von Off-Spaces gegenüber institutionellen Verwertungslogiken nach wie vor über den Vorsprung, flexibel agieren zu können.
Wien gilt zwar nicht wie Berlin als Mekka für junge bildende KünstlerInnen, die Wohnungsmieten sind teuer und Wien verfügt bis dato nicht wie New York oder London über den Ruf eines „Place to be“ auf der internationalen Kunstlandkarte. Am Profil der Stadt als attraktiven Standort für Kunstmessen oder einer Vienna Art Week wurde in den letzten drei Jahren eifrig gefeilt. Unabhängig von derartigen kulturökonomischen Masterplänen signalisieren die regen Aktivitäten der Off-Space-Szene und deren Bespielung von leeren Geschäftslokalen, Kellergeschossen, Wohnungen, Fabriken, Verwaltungsgebäuden oder Marktgeländen quer durch die Stadt, welches Potential, aber auch welcher Bedarf an Ausstellungsmöglichkeiten existiert. Auch das Konzept des Künstlers Mario Grubisic, dem Organisator für die Viennabiennale (2006 und 2008) basierte auf den offenen Strukturen von Off-Spaces. Die Wahl für die Veranstaltungen fiel 2008 auf Orte, welche das Publikum in die „Offspace Galerie am Schauplatz“ in Wien Leopoldstadt oder in den „Off-Space am Hundsturm“ auf der anderen Seite der Stadt führte, Orte, die normalerweise weniger im Fokus der Öffentlichkeit oder der medialen Aufmerksamkeit von Kunst liegen.
Im Unterschied zum aufgeblasenen Betriebssystem von Kunstinstitutionen, deren Abhängigkeit von Subventionen, Sponsoren und Quoten sowie dem ökonomischen Vertriebssystem von Galerien und Kunstmarkt, basieren unkommerzielle Projekträume meist auf Eigeninitiativen von KünstlerInnen, ArchitektInnen oder freischaffenden KuratorInnen. Als Non-Profit-Organisationen verfügen sie über jenen Spielraum zur Spontaneität und Improvisationslust, an welchen es den behäbigen Apparaturen von Institutionen oft mangelt. Anders als Galerien treten Off-Spaces nicht geballt in zentralen Vierteln der Stadt auf, sondern, singulär verstreut, entstehen sie zum Teil aus Ateliergemeinschaften, docken an diese an, oder reagieren kurzfristig auf Leerstände.
Im Gegensatz zu Berlin oder New York, wo es eine lange Tradition gibt, leerstehende Immobilien oder urbanes Brachland unkompliziert und ohne bürokratische Auflagen temporär kostengünstig künstlerisch zu adaptieren, werden in Wien derartige Optionen der Raumbeschaffung erst in den letzten drei Jahren verstärkt genutzt. Vermieden wird dabei, wie internationale Vorläufermodelle in die Fallen einer Gentrifizierung zu tappen. Zwischenraumnutzungen bieten den Vorteil, dass die Mieten für diese Räume meist
wesentlich billiger ausfallen und damit kurzfristig leistbar sind. Auch wenn es für die Miete oder Projektabwicklung häufig geringe kommunale oder staatliche Subventionen gibt, agieren die OrganisatorInnen zumeist selbst unentgeltlich oder erhalten eine geringe Aufwandsentschädigung. Vom Risikounternehmen Galerie unterscheiden sich diese Projekträume dadurch, dass die KünstlerInnen selbst Organisation, Pressearbeit, Aufbau und Networking übernehmen – also enthierarchisiertes Multitasking im Team betreiben. Eine engagierte „Just do it“ -Mentalität, das Verlangen, selbst in künstlerische Wertbildungen involviert zu sein, der offensiven Entwertung von relevanten Kunstbegriffen durch den Kunstmarkt entgegen zu wirken, Interventionskunst, Institutionskritik oder Gender Art zu intensivieren, bilden eine Antriebsfeder. Die Kehrseite dieser prekären, unentgeltlichen Situation des Kulturarbeitens ist, dass durch ökonomische Erschöpfung ein Ablaufdatum nach 2 bis 3 Jahren meist bereits vorprogrammiert ist. Prekäre Lebenssituationen und die Gefahr der Selbstausbeutung begleiten das Betreiben von Off-Spaces, so dass ein Wegfallen der meist sowieso geringen Subventionen, welche die Raumkosten gerade abdecken, auch ein Aus bedeuten kann. Garantien auf Subventionsvergaben existieren keine und selbst nach mehrjähriger, erfolgreicher Tätigkeit können Subventionen mit der Argumentation einer zunehmenden Institutionalisierung des Off-Space-Betriebs eingestellt werden. Eine andere Variante ist, dass sich die gebotene Plattform ins Galeriensystem einklinkt, wie dies bei Dana Charkasi oder bei dem Mitbetreiber des Projektraumes „Offspace“ Andreas Huber der Fall war.
Obwohl Off-Spaces sich derzeit nicht unbedingt dezidiert mit politischen Fragestellungen befassen, leiten sie durch interventionistische Praktiken, ortsspezifische Installationen, die in den urbanen Außenraum vordringen, durch ihr soziales Fluidum, sowie Lancieren einer kritischen Bewertung von Produktionsbedingungen und urbanen Öffentlichkeiten einen Paradigmenwechsel gegenüber Vorläufermodellen von Ausstellungspraktiken ein. Die Orte der Projektrealisierung werden oft unprätentiös in ihrem Zustand belassen, die künstlerische Intervention bezieht häufig dessen ursprüngliche Nutzung oder Lage an Haupt- oder Durchzugsstraßen mit ein.
Sechzig Ausstellungen haben die BetreiberInnen des Off-Spaces „Swingr– Raum auf Zeit“ Christoph Holzeis, Luisa Kasalicky, Birgit Knoechl und Rainer Spangl, die selbst als KünstlerInnen aktiv sind, zwischen 2006 und 2008 realisiert. Den ausschlaggebenden Impuls für die Organisation eines „artist run spaces“ bildete im Fall von „Swingr“ der Eigenbedarf auszustellen und die günstigen Konditionen, gleich neben dem Atelier einen Raum anzumieten. Im „Swingr“ wurde der Aspekt des Produktionsraumes und experimentellen Kunstlabors forciert, indem an einem Abend gleichzeitig die Vernissage der einen und die Finissage der anderen Ausstellung stattfanden. Der Off-Space „Auto“ wurde von den KünstlerInnen Gerald Grestenberger, Jacob Lena Knebl und Bruce La Mongo über fünf Jahre in einem Kellergeschoss bis 2007 programmiert. Hier ging es vor allem um das Sichtbarmachen von gesellschaftlich nach wie vor marginalisierten Themen wie Transsexualität und Genderdiskurse.
Kunstprojekte wie „unORTnung“ oder „ZimmerKücheKabinett“, reagieren kurzfristig und adaptieren für 2 bis 7 Tage leerstehende Wohnungen oder Geschäftslokale. Ein Wohnzimmer in der Kaiserstraße, eine Fabrikshalle in Ottakring, ein seit 10 Jahren brachliegender Markt an der Wiener Peripherie und ein Terrassencafe auf der Donauinsel, dem Freizeitgebiet Wiens, zählten zu den bisherigen Austragungsorten, der von den KünstlerInnen Andrea Maria Krenn und Veronika Barnas organisierten Projektserie „unORTnung“. Bereits in der Wortkreation „unORTnung“ klingt die Anspielung durch, von der Stadtentwicklung vernachlässigte Territorien künstlerisch zu markieren. Bespielt werden Räume, die sich bewusst außerhalb des etablierten Kunstkontexts bewegen. Eine Strategie, welche auch die Ausstellungsreihe „Space Invasion“ in ihren Projekten zwischen 2006 und 2008 verfolgte.
Der „bell street project space“ im derzeit hippen 2. Wiener Bezirk basiert auf einer Eigeninitiative der KünstlerInnen Marita Fraser und Alex Lawler, sowie deren internationalem Networking. Der Rückgriff auf Schlüsselepisoden der Moderne und des Modernismus in den letzten Jahren als Arbeitsprinzip der involvierten KünstlerInnen schafft hier räumliche Übergangsmomente durch minimalistische Eingriffe. Über das Gassenlokal mit Schaufenster zur Straße existiert ein reger Austausch zur urbanen Situation, werden zufällig vorbeilaufende PassantInnen zu KunstkonsumentInnen.
Als ein utopisches Unternehmen, als soziale Plastik, in welcher Kunst- und Lebensraum ineinander fließen, definiert sich der Projektraum „clubblumen“ der Künstlerin Flora Neuwirth. „clubblumen“ ist nicht als Ausstellungsraum, sondern vor allem als Sozialplastik, als performative Installation konzipiert, in der gegen freiwillige Spenden während der Öffnungszeiten kulinarische Tagesteller gereicht werden, Getränke per Selbstbedienung zur Entnahme bereit gestellt sind und Kunstmagazine ausliegen. Der Raum – ein ehemaliges Blumengeschäft – wurde in seinem ursprünglichen Zustand belassen, bloß ein „Küchensubjekt“ als transportables Element möbliert dem Raum. Veranstaltungen wie Filmscreenings, Lectures, Performances, eine eigene „iTuned by...“-Schiene sorgen für abwechslungsreiches Programm. Vorläufer wie Warhols Factory, Kippenbergers Büro und das Projekt „Food“ von Gordon-Matta Clark bilden Bezugspunkte, um einem marktorientierten Kunstbetrieb durch einen „sozialen Aktivismus“ zu entgrenzen. Im Vergleich zum nahen 4. Bezirk, wo sich eines der Wiener Galerienviertel, die Schleifmühlgasse befindet, ist der 5. Bezirk relativ frei von Kunsträumen, allerdings leben hier viele KünstlerInnen. Womit ein weiterer Aspekt relevant wird, nämlich, dass KünstlerInnen Projekte in unmittelbarer Nähe ihrer Lebensräume realisieren und sich damit eine offene Infrastruktur des sozialen und künstlerischen Austausches – eine Community schaffen.
In speziellen Fällen wie in den Projekträumen „ve:sch“ oder „Saprophyt“ spielt auch die Figur des Prosumers eine Rolle, jenem Kunst-Konsumenten in Gestalt des Sammlers, der selbst aktiv wird und sich am Netzwerk der Produktion mitbeteiligt, indem er Räume seiner Immobilien kostengünstig oder gratis zur Verfügung stellt. Der von den KünstlerInnen Barbara Kapusta und Stephan Lugbauer organisierte Raum „Saprophyt“ bildet ein Experiment aus dem eine „Social Sculpture“ hervor gehen soll. Ein leerer, bis dato unbenutzter Raum, bildet den Ausgangspunkt der Lichtintervention des Architekten Thomas Osterwinter, weitere KünstlerInnen, die den Raum bespielen werden, sollen auf ihre Vorgänger reagieren. Ein Austauschprogramm mit Off-Spaces aus Mexiko ist Teil des Konzepts. Auch der von Lucie Stahl, Annette Südbeck und Will Benedict betriebene Kunstraum „Pro Choice“ setzt auf internationales Programm. Spontan und frei zu agieren, lautet eine Devise, wodurch sich dieser Kunstraum von Institutionen unterscheidet, durchaus kontraversielle Diskussionen zu führen, eine andere,
worauf der von militanten AbtreibungsbefürworterInnen abgeleitete Name „Pro Choice“ anspielt. Ansonsten wird durchaus die Nähe zu Institutionen und Galerien nicht zuletzt durch den Standort im 1. Bezirk gesucht. Denn der Trend zu Subspaces als pulsierende Plattform wurde auch bereits von Galerien aufgegriffen, wie die „Krinzinger Projekte“ oder die „Georg Kargl Box“ zeigen.
Der Projektraum „Open Space“ versteht sich programmatisch als Zentrum für grenzüberschreitende und Regionen verbindende Kunstprojekte und erteilt damit jeder Marginalstellung, die mit Off-Spaces in Verbindung gebracht wird, eine Absage. Zum Teil agiert die Betreiberin des Open Space Gülsen Bal selbst als Kuratorin oder lädt internationale Projekte mit Crazy Kuratur Juraj Carny oder Daphne Dragona ein. Die Praxis der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen internationalen KünstlerInnen, KuratorInnen, KritikerInnen und WissenschaftlerInnen wird forciert, die sich vor allem mit den Auswirkungen und Tendenzen der europäischen Erweiterung auseinandersetzen. Erneut gelangt hier die politische Fragestellung zur Diskussion, welche Auswirkungen geografische, soziale und kulturelle Situationen auf Identität und Identifikation haben.
Wie die regen Aktivitäten der Off-Space-Szene in Wien eine Strukturveränderung im Kunstfeld auslösen, äußert sich darin, dass etablierte Institutionen wie die BAWAG Foundation nach der Pleite und dem Wechsel des Vorstandes der BAWAG Bank und den daraus resultierenden budgetären Konsequenzen ihren Kunstbegriff durch einen Kunstraum erweitern, der sich Strategien der Off-Space-Szene bedient. Der Begriff „Off-Space“ wird nun zunehmend zu einem Imagefaktor für das Profil einer flexiblen, kostengünstigen Ausstellungstätigkeit. Gegenüber einer Logik von zwingender Aktualität oder einer Propagierung von Hpyes geht es in der Off-Space-Szene selbst allerdings zunehmend um ein Generieren von Soziotopen, deren Entstehung durch regionale, aber auch internationale Vernetzungen intensiviert wird. Es existiert Klärungsbedarf gegenüber Vorstellungen, wie durch künstlerische Produktion gesellschaftliche Veränderungen herbeigeführt werden können. Insofern haftet den Off-Space-Strategien trotz diverser Aneignungsversuche nach wie vor der Ruf von Autonomie und Gegenkultur an.




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