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«Warszawa-Moskwa/Moskwa-Warszawa. 1900-2000»: parallelen Flächen des vergangenen Jahrhunderts entlang
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2005, 3
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«Warszawa-Moskwa/Moskwa-Warszawa. 1900-2000»: parallelen Flächen des vergangenen Jahrhunderts entlang

Zeitschrift Umělec 2005/3

01.03.2005

Olga Vašinkevič | info | en cs de es

Komplizierte Peripetien der polnisch-russischen Beziehungen ist keine hellste Seite im historischen Aspekt: Kriege, Zeit der Wirren, die mehrfachen Polens Aufteilungen, brennende “jüdische Frage”. In den letzten Jahren führen die alltäglichen gegenseitigen Beschuldigungen auf die Zahl der Kriegsgefangenen zurück, die in den Lagern und während der Massenerschießen umgekommen waren, dabei werden enge kulturelle, gesellschaftliche und ökonomische Beziehungen, die die beiden Nationen im Laufe der jahrhundertelangen Geschichte vereinigten, absolut nicht berücksichtigt. Man solle auch die Tatsache eingestehen, daß nachdem Polen 1989 unabhängig geworden war, verloren die beiden Länder merklich das Interesse für einander. In der Presse und im Fernsehen befestigte gründlich die Gestalt Rußlands als eines mageren zottigen Bären in einer Pudelmütze, der mit seinen langen Krallen mal nach Gashahn, mal nach den Gränzen der neuen unabhängigen Staaten langte. Das Malträtieren fast aller Absichten und Aktionen Rußlands als Erscheinungen des ”Reichssyndroms” wurde zu einer eigenartigen intellektuellen Mode, einer beinahe ritualen Demonstration der neuerworbenen “Nähe zu Europa”. Aber wie auch die beiden Nationen die bestehenden Verbindungen nivellieren möchten, sich von einander durch politische Anforderungen distanzierend, es ist schwer die Vollkommenheit und ausdrucksvolle Wechselbeeinflußung der beiden Kulturen zu unterschätzen.
Die Idee die Ausstellung «Warszawa-Moskwa/Москва-Варшава. 1900-2000» zu organisieren, entstand noch vor einigen Jahren, praktisch gleichzeitig mit der Idee der Ausstellung “Moskau-Berlin” (die übrigens fast unbemerkbar blieb), aber unabhängih davon. Zweifellos bekam die Idee ihre Materialisierung unter dem Eindruck der Weltresonanz von dem großen Projekt “Paris-Moskau/Moskau-Paris”, das in den Hauptstädten Frankreichs (1979) und damals noch der UdSSR (1981) präsentiert worden war. Es standen damals lange Schlangen zur Exposition und ihre Besucher fühlten sich in etwas Erhabenes einbezogen zu sein.
Das Ausstellungsprojekt «Warszawa-Moskwa/Москва-Варшава. 1900-2000» startete im November 2004 in der Warschauer Nationalgalerie “Zahenta”, wonach die Exposition in etwas abgeänderten Variante ins Gebäude der Tretjakower Staatsgalerie auf dem Krimer Wal umzog. Nach den Gerüchten zu urteilen, besuchten die Ausstellung in Warschau im Laufe dieser Zeitperiode eine Rekordenzahl der Zuschauer, die die 60-Tausend-Marke überstieg. In Moskau war die Ausstelung um Aufmerksamkeit auch nicht gebracht, was in der ersten Linie vom bestehenden Interesse für die polnische Kultur zeugte. Dies erwies sich für eine vor allem als eine gute Möglichkeit, ihre Erinnerungen in Ordnung zu bringen, für andere- anschaulich die Entwicklung der beiden, so ähnlicher und gleichzeitig so entgegengesetzter, Kulturen zu verfolgen.
Zu Zeiten der Sowjetischen Union war Polen ein einziges “Fenster nach Europa”, wodurch die Intellektuellen, mehr oder weniger offiziell, die Informationen von den Ereignissen des westlichen Lebens aus Filmen und Zeitschriften schöpfen konnten, indem sie das ausdachten, was von der sowjetischen Zensur der 60er gesperrt wurde. Nicht von ungefähr, kann man zu Hause, in einer vergessenen Schachtel mit Schallplatten herumgewühlt, unbedingt Deep Purple-Schallplatte auffinden, auf derem Umschlag ein Text in der polnischen Sprache steht. Deshalb locken so stark nostalgische Installationen “Das Zimmer des russischen Intelligenten Anfang 60er”, wo auf dem Gramophon die Schallplatte mit Anna Hermans Lieder spielt, und auf den Regalen zahlreiche Bücher in der polnischen Sprache liegen; und “Das Zimmer des polnischen Intelligenten”, wo die gedehnte Stimme von Bulat Okudzawa flüchtige Erinnerungen wachruft, und sich wahrscheinlich gut in dem minimalistischen Sessel der in die polnische Sprache übersetzte Pasternak läse… Damals war die polnische Kultur wirklich etwas Europäisches, etwas, was die Vorstellungen vom Leben im Ausland vermittelte.
Die Exposition «Warszawa-Moskwa/Москва-Варшава. 1900-2000» hatte Aufgabe hundertjährigen Dialog von den zwei Nationalkulturen zu veranschaulichen. Der Dialog verhieß dramatisch zu sein: es hatten sich historisch sehr gespannte, einigermaßen sogar wetteifernde Beziehungen gestaltet. Polnische Russofobie ist eine real existierende Tatsache verständlicher Herkunft. Die Russen, ihrereseits, haben es nicht gern, wenn man sie nicht gerne hat. Das slawische Blut und die geografische Nähe sind starke annährende Faktoren, die in der Kunst ihren Niederschlag gefunden haben. Das wird schon gleich am Anfang der Exposition klar, wo Werke der russischen Moderne und des polnischen Sezessionstils, der Richtung, die die Künstler der beiden Länder vereinigt hat, ausgestellt sind. Die Werke der russischen Klassiker Wrubel, Serov, Borisov-Musatov, Rerich, Kustodiev sind in einer Reihe mit den polnischen Stabrovski, Mechoffer, Braz, Kschizhanovski, die leider kaum etwas einem in der Kunst unkundigen Menschen sagen, präsentiert.
Eigentlich, die Exposition ist auf solche Weise aufgebaut, daß nicht immer ausschließlich russisch-polnische Parallele zu verfolgen sind. Z.B. in der Avantgarde-Abteilung ist das Entlehnen zahlreicher Handgriffe aus der französischen und deutschen Kunst zu fühlen. Aber wer auch der “Hauptpole” der russischen Avantgarde wäre, wenn nicht Kasimir Malewitsch! Diesem Thema ist in der Exposition die ganze Abteilung “Reflexion nach Malewitsch” gewidmet, wo auch Werke der zeitgenössischen polnischen Autoren ihren Platz fanden. Hier ist sowohl das konzeptuelle “Fahrrad von Malewitsch” mit dem schwarzen Betonquadrat von Kschischtof Bednarski an Stelle des Vorderrades, als auch die Arbeit von Marek Sobtschik “Was? Ironie.Womit? Mit der Distanz” oder “Schlüssel von Malewitsch” ausgestellt. Diese Autoren groteskieren und manchmal ironisieren über die grundlegenden Prinzipien vom “Vater der gegenstandslosen Kompositionen”.
Die weiteren Ausstellungsabteilungen wechselten sich in der historischen Reihenfolge ab. Miteinander durch gemeinsames “Sozlager-Schicksal” verbunden, sahen die Polen und Russen gleich optimistisch und utopisch auf den Bau eines neuen Lebens, dafür gaben sie dem Großen Vaterländischen Krieg (bei Polen der zweite Weltkrieg) ganz unterschiedlichen Sinn. Wenn die sowjetische Kunst dieser Zeit von der Siegesfreude und dem Heroismus durchdrungen wurde, so war in den Arbeiten der polnischen Meister hingegen zunehmende Spannung zu fühlen. Und sie waren eher mit Tragik und Leid, als mit der Vorahnung des positiven Kriegsausgangs gefüllt.
In der Kunst der Nachkriegszeit hatten die Polen offensichtlich mehr Erfolg. Und ab diesem Punkt trennten sich die Wege von Rußland und Polen vollkommen auseinander. Es war kein Wunder. Die polnischen Künstler orientierten sich auf den Westen und die USA, die damals weltweit zum neuen Kunst-Leader geworden waren, und wo sich aktiv Pop-Art, kinetische und konzeptuale Kunst entwickelten. Wahrscheinlich warfen die russischen Künstler im Unterbewußtsein ihre Blicke in dieselbe Richtung, aber sie stoßen immer auf den eisernen Vorhang. Solcherweise erfolgte die Auffassung, wohl oder übel, unter dem Gesichtswinkel der polnischen und überhaupt der osteuropäischen Kunst, wo politisches Klima einigermaßen milder war. Deshalb wurde die polnische Kunst für die sowjetische unoffizielle Kultur zu einem der nicht zahlreichen Orientierungspunkte, denen folgend, könnte man feststellen, worin der Wind der Freiheit wehte.
Das letzte Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts veranschaulichte einen starken Unterschied zwischen den Wegen, die die “Nachbarn” eingeschlagen hatten. Die Russen bekamen eben erst die Möglichkeit ihre jüngste Vergangenheit zu reflexieren, indem sie die Werteskala im Aspekt der eigenen Geschichte aufstellten. Die Arbeiten der Soz-Artisten Boris Orlov “Die Büste der Kaiserin” und Leonid Sokov “Stalin und ein Bär” stehen gerade auf diesem Blatt. Aber die russische postsowjetische Kunst brauchte solche Erfahrung, weil ohne eigene Selbstbesinnung die Entwicklung nicht linear wäre. Die Polen, ihrerseits, machten einen Rösselsprung: ohne die Nationalkultur außer acht zu lassen, versuchten sie die dem europäischen und Weltkontext anzuschließen. Vielleicht wurde das dazu gemacht, um dem Schmoren im eigenen Fett der ohnehin viel im 20. Jahrhundert überlebten Nation zu entgehen.
Man kann sagen, daß der Wunsch solche wetteifernde Expositionen zu veranstalten, ist ziemlich berechtigt und verständlich: alle wir sind Bewohner des allgemeinen europäischen Hauses und wir möchten von Zeit zu Zeit, und besonders am Ende einer bedeutenden historischer Epoche, auf sich selbst und auf einander sehen, vergleichen und feststellen, was gerade die Völker näherbringt und trennt, sei es auch in nicht besonders ferner historischer Perspektive.
Polen und Rußland bilden nicht und sollen keine Ausnahme in dieser Hinsicht bilden. Außerdem sind wir “slawische Brüder”, unsere Länder sind Nachbarn, und obwohl unsere Geschichte reich an dramatische Ereignisse ist, können wir nicht einander ignorieren. Und das 20. Jahrhundert war eine der kompliziertesten, aber auch interessantesten historischen Periode in den politischen, kulturologischen und menschlichen Beziehungen zwischen Polen und Rußland, die im 20.Jahrhundert wie nie zuvor verbreitet waren und die wahrscheinlich das Beste und das Hellste, was wir in unserer gemeinsamen Geschichte gehabt haben, sind. Im Großen und Ganzen, solchen Expositionen zusehend, fällt ein ganz trivialer Gedanke darüber ein, daß die Nationalität bloß ein Umstand sei.




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