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Eine Welt der überflüssigen Kultur

Eine Welt der überflüssigen Kultur

18.02.2013 13:51

Palo Fabuš | critique | en cs de

Die Kultur muss ihre Verteidigung nicht mehr entlang der Leitlinien politischer und staatlicher Ideologie und Maßgaben formulieren, sondern zu ihren eigenen Bedingungen, die dem Staat fremd sind.

Einen jeden entrüstet die Vorstellung einer Zukunft, in der das herrschende politische Regime eindeutig Position bezöge und offiziell verkündete, dass „Kultur überflüssig sei“. Gleichwohl hört man heute diese Aussage als ein dumpfes Echo durch die tschechischen Lande hallen, und es ist wahr und allseits gewusst, dass uns von dieser Zukunft nur noch jene offizielle Verkündigung trennt, in der sich zu dieser Haltung, die hier eigentlich schon längst vorherrscht, ehrlich bekannt wird. Dieses Wissen reicht aus, dass sich Widerstand regt und unzufriedene Stimmen laut werden, aber es reicht nicht, aus um nicht nach dem zu handeln, was öffentlich verkündet wird, sondern nach dem, was man weiß.

Man weiß, dem Regime liegt mittlerweile nur noch im Rahmen vager Erklärungen etwas an der Kultur. Man weiß, dass ihm das Vertrauen in die Notwendigkeit von Sparmaßnahmen als Werkzeug dient, um die gesamte kulturelle Landschaft in freiwilliger Verkümmerung zu halten. Genau so weiß man auch – ohne dem jedoch allzu viel Gewicht beizumessen -, dass der wiederholte Protest gegen diese Tatsache beinahe zur Normalität geworden ist, dass dabei aber die Benennung des eigentlichen Konflikts aus dem Blick gerät.

Sicher ist, dass dieser Konflikt nicht mehr gemäß der Regeln der herrschenden symbolischen Welt formuliert werden kann. Eine Welt, in der sich Begriffe wie „Reichtum“, „Bedürfnis“, „Sinn“ oder „Notwendigkeit“ durch das Vokabular der politischen Ökonomie definieren. Eine Welt, in der wir zwar ein gegenläufiges Verständnis vom Sinn von Kultur und deren Förderung haben können, doch solange wir dies in der Form und Begrifflichkeit ausdrücken, die dieser dominierenden symbolischen Welt zu eigen ist, bestimmen nicht wir die Bedeutung des Gesagten, sondern jene Welt.

Und wenn für diese heutige Welt der festgezurrten Gurte und Gehirne, Ineffektivität und Verschwendung ein unbedingtes Tabu darstellen, obwohl sie deren heuchlerische Schürze sind, müssen wir gerade dieser Ineffektivität und Verschwendung ein Loblied singen und nicht allein ein Überleben der Kultur auf Minimalniveau fordern, sondern uns unbedingt mit  nichts weniger als einem Aufblühen der Kultur zufrieden geben. Die Kultur muss ihre Verteidigung nicht mehr entlang der Leitlinien politischer und staatlicher Ideologie und Maßgaben formulieren, sondern zu ihren eigenen Bedingungen, die dem Staat fremd sind.

Deswegen ist es notwendig Einschränkungen wie „vernünftiges Maß“ und „im Rahmen der Möglichkeiten“ kompromisslos abzulehnen. Kultur nicht zu servieren als Investition, Exportgut, Beschäftigungsfaktor oder Quelle von Innovation und Kreativität. Sie nicht behandeln wie das letzte Stück eines Puzzles, das sich bruchlos in die staatliche ökonomische Politik einfügt und letztlich in ihr untergeht. Wenn wir nicht wollen, dass sie als ein Rädchen im Getriebe dient, sondern dass jede ihrer Bewegungen von dem ihr eigenen Geist her bestimmt ist, müssen wir sie als etwas a priori Langwährendes sehen.

Wir müssen uns klar machen, dass der Ursprung des Problems und der schlechten Lösungen gerade die kurzfristige Perspektive ist, es macht nicht den geringsten Sinn zu versuchen, einen langwährenden Rückgang um Meter und Kilometer durch einen kurzfristigen Gewinn von Zentimetern umzukehren.

 

Wir müssen uns eingestehen, dass der Staat schon lange nicht mehr ein Monopol auf die Leitung der gesellschaftlichen Geschicke hat, ungeachtet der Tatsache, dass er immer noch die Maske des allmächtigen Lenkers trägt. Über die öffentlichen Angelegenheiten entscheidet heute ein Netz von Einflüssen, das weit über die Grenzen des Staatsapparates hinausreicht, und das langsam und unsichtbar Regeln und Werte für die Welt aufstellt. Es geht um eine Vielfalt von politischen, kulturellen und vor allem ökonomischen Einflüssen. Der Staat ist nur mehr ein gebeugter Regent, dabei viel zu scheinheilig, um fähig zu sein, sich aus der Depression, die er um sich verbreitet, zu befreien. Auch lauten Protest verbucht er als Audienz und Beweis dafür, dass wir ihm immer noch glauben. Ohne das geringste Zögern pustet er die Flamme des Protests aus indem er dessen Berechtigung bejaht. Er redet sich auf seine gebundenen Hände und eine Realität heraus, die qua der normativen Kraft des Faktischen als einzig mögliche behauptet wird. Gerne spielt er seine Rolle im alljährlichen Ritual der öffentlichen Unruhen – gleichsam als Frühlingserwachen - und feiert mit ihm den Beginn eines neuen Zyklus´ der alten Ordnung. Der Widerspruch bleibt oberflächlich und die Barrikade bloße Requisite.

 

Wenn wir uns untereinander darauf verständigen, dass die Gesellschaft die Kultur braucht, dass sie für uns unentbehrlich ist, werden wir einander verstehen- wir werden wissen, dass dem Menschen die Möglichkeit ungemein gut tut , wenigstens für eine Weile aus dem täglichen Koordinatensystem des zielgerichteten Denkens auszubrechen, aus dem Umfeld der Sachlichkeit, der Effektivität, der Pläne, in dem Ruhet allein dem Schöpfen von neuer Energie für weitere Arbeit dient. Schwerlich wird man uns abstreiten, dass es im Falle der Kultur nicht um Bedürfnis und Notwendigkeit im eigentlichen Sinne des Wortes geht und dass man ohne sie nicht nur leben kann, sondern dass viele Menschen auch tatsächlich ohne sie leben und dabei nicht an Mangelerscheinungen zu leiden. In der Geschichte finden wir viele Beispiele dafür, wie die Zivilisation ohne Kultur zurechtkam, ohne dass deren Abwesenheit jene irgendwie bedroht hätte. Und offen gesagt, haben wir auch keinen Grund die Möglichkeit auszuschließen, dass es manchen Zivilisationen gerade wegen der Abwesenheit von Kultur gelang zu gedeihen.

Zwischen dem Überleben und der Kultur gibt es keinen notwendigen Zusammenhang. Der lebendigste Teil der Kultur - die Kunst - gehört in die gleiche Kategorie wie das Experiment. Wir kommen ohne sie aus, aber die Vertiefung unseres Verhältnisses zur Welt und ihr Erkennen werden ohne sie undenkbar. Ein Mensch, der über sich selbst hinaus wachsen will, muss die Grenze des Nützlichen und Vorteilhaften überschreiten - er muss etwas riskieren. Die Gelegenheit für wertvolle Kultur entsteht daher erst dort, wo die Befriedigung unserer Bedürfnisse schon nicht das gesamte wache Leben ausfüllt. Auch heute noch belohnt uns die Welt, in der wir leben, und rüttelt uns wach, wenn wir die Begriffe von Bedürfnis und Zweck begreifen, obwohl wir dies weitaus öfter tun, als es unbedingt notwendig wäre. Und dabei haben wir schon seit langer Zeit keinen Grund mehr, unsere Aufmerksamkeit stärker der Frage der Effizienz als z.B. der nach dem Wetter der nächsten Woche zu widmen. In allen Richtungen schreiten wir über das zum Leben unbedingt notwendige Maß hinaus, damit etwas so Unnützes, aber Sinnvolles und Sinnstiftendes wie Kultur entstehen kann. Übrigens, warum sollten wir überhaupt von so etwas wie kulturellem Reichtum sprechen, wenn die Kultur nicht etwas Besonderes wäre, nicht den Anspruch hätte, ein Luxus zu sein?

 

Die einzig würdige Möglichkeit ist, sehr viel mehr zu fordern. Nicht eine nur überlebende Kultur, sondern eine starke Kultur kann allein der erforderliche Einfluss auf eine Welt sein, die die Fähigkeit verliert, den Dingen Sinn ohne augenscheinlichen Zweck beizumessen. Bestehen wir also darauf, dass wir, obwohl wir sie nicht brauchen, die Kultur wollen!






18.02.2013 13:51

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