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Uroš Djurićs Sprache: der figürlichen Repräsentation
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2006, 3
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Uroš Djurićs Sprache: der figürlichen Repräsentation

Zeitschrift Umělec 2006/3

01.03.2006

Stevan Vuković | profil | en cs de

“Der Autor und das Werk sind nur die Ausgangspunkte einer Analyse, deren Horizont die Sprache ist: Es kann keine Wissenschaft von Dante, Shakespeare oder Racine geben, sondern nur eine Wissenschaft der Diskurse.” Roland Barthes 1


Wollen wir den spezifischen Diskurs begreifen, mit dem der Belgrader Künstler Uroš Djurić in die zeitgenössische Kunstszene eingreift, steht uns als ein Haupthindernis seine starke Präsenz in den Medien als öffentliche Person entgegen – und seine charismatische Erscheinung. Wenn seine Arbeiten, besonders die, in denen Bilder von ihm selbst vorkommen, ohne Berücksichtigung seiner visuellen Sprache und konzeptuellen Strategien interpretiert werden, kann man sie leicht als “naturalistische Fehler” abstempeln. Das Missverständnis dabei besteht darin, Mikrogeschichten seiner persönlichen Biografie, also der Biografie einer empirischen Person, die Urheber bestimmter Kunstwerke ist, gleichzusetzen mit den narrativen Strängen, die den visuellen Inhalt dieser Werke ausmachen, und mit den Merkmalen der dargestellten Figuren.
Die reine Tatsache, dass er sich mit Pop­kultur beschäftigt, sowohl auf dem Gebiet der Subkultur und Kulturindustrien (als Schauspieler, Radiomoderator, Unter­grund-Punkmusiker) als auch auf dem Gebiet der kritischen und experimentellen visuellen Künste (als Autor, der Versatzstücke und Schemen der Popkultur in seiner meist figürlichen Arbeit recycelt) kann man leicht so deuten, dass seine Arbeiten als die “organische Repräsentation” dieser Mechanismen von Kulturproduktion und Subkultur fungieren.
Der “naturalistische Fehler” ist einfach ein Resultat vom “verallgemeinerten Prozess, der das gesamte soziale Gefüge betrifft und all seine Aktivitäten beeinflusst, inklusive unter anderem der Produktion von Bildern“2. Nach Norman Bryson produziert Kultur um sich herum eine Art “Habitus”, der ständig naturalisiert wird, und, sobald das Kunstwerk zu einem Teil der Kultur wird, indem es ausgestellt und als Bild verbreitet wird, muss es sich dem gleichen Prozess unterziehen. Das gesamte Repertoire der visuellen Hypothesen, die aus der Geschichte der Kunst und Kultur hervorgehen und die in der Schaffung eines Kunstwerkes eine experimentelle Untersuchung erfahren, wird in diesem Prozess als angeblicher Ausdruck von jemandes Identität eingeordnet. Es wird deshalb verkürzt auf das nicht-soziale, privatisierte Feld der spezifischen Eigenheiten und Zugehörigkeiten. Im Gegensatz zu diesem Prozess interagiert die auf etwas verweisende Praxis des Kunstwerkes stets mit dem Sozialen und dem Politischen, und sie eröffnet Fragen konzeptueller und systematischer Natur.
“Es geht um die Projektion von Persön­lichkeit als Vermittlerin von Ideen,” schrieb Uroš Djurić 1996 in einem Interview, in dem er die Rolle seines eigenen Bildes in den Gemälden, die er in dieser Zeit schuf, erklärte. Er fügte hinzu, dass das “Selbstporträt sein historisch determiniertes Modell ausmacht, mit der Eigenheit, dass in diesem Fall das Bild des Autors als ein Teil des Inhaltes aktiviert wird, indem es in die Darstellung mit aufgenommen wird“3. Aus diesem Zitat geht recht klar hervor, dass zumindest hinsichtlich der Intention das Bild des Autors nicht als ein einfaches Spiegelbild seiner selbst oder seiner Bezüge benutzt wird, sondern als ein Werkzeug für konzeptuelle Manöver.4 Er handelt als Künstler, der dem System voll und ganz angehört und von ihm geformt wird, und deshalb handelt er auf eine synthetische Weise, als Verbindung zwischen den Lebenswelten von Minoritätenkulturen und der in ihrer hegemonialen Rolle definierten Kunstwelt. Uroš Djurić hat dies sogar selbst in einer Diskussion mit der lokalen Kunstkritikerin und Kunstjournalistin Danijela Purešević herausgestellt, zu der er sagte: “Ich gebrauche das Figürliche so wie Duchamp Ready-mades gebrauchte. Ich gebrauche es dual. Und ich bin kein figürlicher Maler. Ich bin ein reiner Konzeptkünstler.“5
Würde man versuchen, das spezifische Territorium zu beschreiben, auf dem Uroš Djurićs konzeptuelle Manöver stattfinden, wäre das die Spannung zwischen dem “Malstil” (oder dem “Darstellungsstil” in seinen späteren Arbeiten, die keine Gemälde sind) und dem Diskurs des Werkes. In diesem Sinne wird der “Malstil” wie ein Ready-made behandelt, und das ermöglicht ihm, verschiedene historische Stile zu verwenden, ohne damit den Künstlern, die diese Stile entwickelt haben, oder den Zeiten, in denen sie entstanden sind, Tribut zu zollen. Er benutzt die Oberfläche des Gemäldes, der Zeichnung, der Fotografie, der digitalen Collage als einen Bildschirm, auf den er nicht seine eigenen empirisch und psychologisch begründeten Visionen und Begehren projiziert, sondern die spezifisch sozialen Themen, die weit über das hinausgehen, was in den Medien oder auf großen Kunstausstellungen gemeinhin gezeigt wird. Indem er sein eigenes Bild auf Gemälden, Fotografien und digitalen Collagen einsetzt, erzeugt er eine Kunst des Zeichens, des Diskurses, die die Auswirkungen visueller Images auf die normale Wahrnehmung von Identität, Geschichte und Kultur in Frage stellt und die die Implikationen des Gebrauches dieser Images für das Kunstsystem und die Wahrnehmungsmodelle, denen Kunstwerke insgesamt unterliegen, prüft. Er spielt mit verschiedenen Kompetenzrastern für den Betrachter – von der Kunstgeschichte über die Geschichte der medialen Images, des Popdesign, der subkulturellen Repräsentation usw., um die Lust am Entdecken anzuregen und die Betrachter dazu zu bringen, über Themen wie Autonomie und Souveränität, Freiheit und Unabhängigkeit und über die Produktion neuer Werte nachzudenken.
Die Subjektivität, die aus seinem Werk spricht, ist schon “dekonstruiert, auseinandergenommen und verschoben, ohne Anker“6. Sie ist nicht einfach gegeben, selbstverständlich, obwohl es so scheinen mag. Sie ist sprachlich und symbolisch verwurzelt. Und einiges trennt sie vom Ego und dem psycho-biographischen Bereich, der nicht viel mit dem Werk zu tun hat, denn, laut Roland Barthes kann das Leben eines Autors nicht betrachtet werden als “der Ursprung seiner Erzählungen, aber als Erzählung, die parallel zu seinem Werk abläuft“7.

Autonomie
1994 schrieb Uroš Djurić mit Stevan Markuš ein Manifest mit dem Titel Autonomism Manifesto. Es wurde im Februar und März 1994 verfasst und als Broschüre veröffentlicht, um später auch in den Katalog ihrer gemeinsamen Ausstellung aufgenommen zu werden, die im Juni 1995 in Pančevo (bei Belgrad) stattfand. “Wir haben es geschrieben, um eventuelle falsche Geschichten über unsere Malerei auf ein Minimum zu reduzieren”, hieß es in Bezug auf die eigene Entstehungsgeschichte im Text des Manifestes, womit gleichzeitig auf eine neue Theorie der Subversion verwiesen wurde als “die Fähigkeit, sich nicht in einen großen Entwicklungsprozess zu begeben und dem allgemeinen Fortschritt zuzuarbeiten, der auf der Marginalisierung menschlicher Werte und offensichtlich klarer Ziele beruht.” Im Rückgriff auf die Erfahrungen örtlicher historischer Avantgarden, namentlich dem Zenitismus, dessen Manifest sie in ihrem eigenen nicht nur zitieren, sondern sogar behaupten zu wiederholen, suchten sie nach einem Ausweg, um nicht unter der Rubrik “urbane Sektion” der “figürlichen Maler” als Nachfolge der “anderen Linie” der Kunst des früheren Jugoslawien abgeheftet zu werden. Unter diesen Begriffen wurden Praktiken innerhalb der Geschichte der Neo-Avantgarde, des Neo-Konstruktivismus, der Konzept- und Prozesskunst institutionalisiert, behandelt als Tendenzen des “Radikalen” im Gegensatz zur “sanften” Moderne, die offizielle Ideologie war8. Sie wollten ihre eigenen Geschichten, solche, die den Beschränkungen theoriegeleiteter Produktion, von Kunsthistorikern dominierter Interpretation und den von Kuratoren auferlegten Rahmenbedingungen entgehen. Sie wollten den Kontext selbst schaffen, in dem das Werk produziert, gesehen und ausgestellt wird.
Historisch gesehen (und sowohl Uroš Djurić als auch Stevan Markuš waren sich stets der Geschichte der von ihnen benutzten Begriffe bewusst) bezieht sich der Begriff “Autonomismus” hauptsächlich auf die linken sozialen und politischen Bewegungen, die seit den 1960ern aus den Wurzeln des Operaismus entstanden sind, der für von Staat, Gewerkschaften und politischen Parteien unabhängigen Änderungen im Aufbau des Systems kämpfte. Tatsächlich kam ihr Manifest zu einem Zeitpunkt heraus, als der operaistische Diskurs eine Renaissance erfuhr, zunächst in den Politikwissenschaften und dann in den Kulturwissenschaften, wobei der Höhepunkt Hardt und Negris Empire9 war, das sich in der Bibliothek eines jeden linksorientierten Intellektuellen fand. Der Begriff “Autonomie” verband sich in diesem neuen Kontext nicht mit der “individuellen Autonomie”, sondern der “Autonomie der Netzwerke” und der Macht produktiver Synergien. Uroš Djurić begann bald, sich verschiedenen Netzwerken anzuschließen und unabhängige Gruppen von Künstlern und anderen im Kunstsektor Tätigen zu initiieren, die schließlich in der Gründung der Künstlervereinigung “Remont” (Reparatur) mündeten, die immer noch die einzige unabhängige Organisation von Künstlern im Lande ist.
Wie Paolo Virno sagt, der vielleicht führende orthodoxe Theoretiker der Operaismus, hat in der Zeit der 1990er “die Poiesis zahlreiche Aspekte der Praxis angenommen“10, was bedeuten kann, dass sowohl die Grenzen zwischen Schöpfung und Arbeit als auch zwischen Arbeit und Politik begonnen haben, zusammenzubrechen. In dieser Hinsicht kann die gesamte Bildung der unabhängigen Kunstszene im Serbien der 90er Jahre als ein politischer Akt gesehen werden, dessen Ziel es war, sowohl neue Horizonte für das Denken sozialer Bindungen zu öffnen, als auch künstlerische und kulturelle Inhalte und Ausdrucksweisen in einer isolierten monokulturellen Gesellschaft zu finden. Als Erinnerung: Die offizielle serbische Kulturpolitik der 90er kreiste um Themen, die schon Herder im späten 18. Jahrhundert umrissen hatte, als 1) soziale Homogenisierung, 2) ethnische Konsolidierung und 3) interkulturelle Absonderung.11 Die offizielle Kultur, die so konstruiert wurde, hatte Probleme, mit der inneren Komplexität zeitgenössischer Kulturen, die nicht einfach weggewischt werden konnte, zurecht zu kommen, genauso wie mit der Justierung historischer Schichten, die angeblich neu entdeckt wurden als das Sediment der blühenden neuen serbischen Kultur. Dadurch wurden einige Fronten eröffnet für einen allgemeinen Streit über die Definition der lokalen, regionalen und nationalen Kultur als Fundament für Identitäten.
Die unabhängige Kunstszene im Belgrad der 90er Jahre wurde als informelles und nicht-institutionelles Netzwerk für heterogene künstlerische Arbeiten initiiert, zusammengehalten durch nur zwei Hauptmerkmale: eine Distanz zur herrschenden ideologischen Maschinerie und den Kampf um die Erhaltung und Entwicklung des freien künstlerischen Ausdrucks.12 Sie bildete sich auf eine Weise, die es den Akteuren und ihren Werken ermöglichten, jeden direkten Kontakt mit der offiziellen Kunstszene und dem von ihr geförderten Wertekanon zu vermeiden. Der Terminus Technicus der Kunstgeschichts-schreibung über diese Zeit wurde deshalb der “Aktive Eskapismus” als “Schaffung einer parallelen fiktionalen Realität mit sehr persönlichen Geschichten, die nicht aufgetaucht wären, wenn sie nicht von der existentiellen Realität selbst motiviert gewesen wären, die manchmal die Fiktion noch übertrumpfte.“13 Der “Aktive Eskapismus” suchte sich Fluchtwege heraus aus dem Einflussbereich gleichschaltender Praktiken der neuen ethnisch-nationalen Kultur, und er bot der großen Künstlergemeinde einen Raum, der sicher vor politischem Missbrauch war. Zu dieser Szene zu gehören war eine ethische Frage, ein politischer Akt und eine berufliche Stellungnahme. So paradox es scheinen mag, zu dieser Szene zu gehören gab ein gewisses Gefühl der Sicherheit, die mit dem Prozess der Normalisierung sofort weg war. Einfach dazuzugehören war ein radikales Statement des Nichteinverstandenseins.
Denkt man noch einmal über die Art und Weise nach, wie sich diese unabhängige Szene formiert und gestaltet hat, kann man leicht zu dem Schluss gelangen, dass dieser Prozess zumindest inspiriert wenn nicht sogar bestimmt war von autonomistischen Prinzipien. Als ein autonomer Körper innerhalb dieses autonomen Körpers haben Uroš Djurić und Stevan Markuš dessen Logik der “Symbolischen Differenzierung“14 bis an ihre Grenzen getrieben. Sie brachten mit ein, was sie damals “das persönliche Prinzip” nannten, als “die Summe aller Faktoren, die vom Autor benutzt werden, um ein Kunstwerk zu schaffen,” was eine vollständige visuelle Materialisierung war von der “Erfahrung des Autors, wie Bekenntnissen, Fantasien, Frustrationen, Träumen, Bekanntschaften, Intellekt und des Autors selbst als zentrale Figur dieser Inhalte.“15 Das Territorium künstlerischer Arbeit wurde in dieser Hinsicht von ihnen als ein völlig souveränes behandelt, ein Ort der Macht, der in realen Lebenswelten niemals aufrechterhalten werden könnte.
Auf der Ebene der Produktion und Ausstellung von Kunstwerken waren ihre Aktivitäten immer Widerstandshandlungen. Sie widerstanden sowohl dem vorherrschenden Trend einer naiven “Wiedereinsetzung des Bildes”, wie sie von den Vertretern der offiziellen, vom Staat unterstützten Kunstszene gefördert wurde, als auch einer formalistischen und neo-modernen Malweise, in der Abstraktion Pflicht, das Figürliche fast verbannt und in seinen Referenzen und Gebrauchsarten limitiert war, um die Reinheit des Produktes zu garantieren. Im Bezug auf ersteres waren sie in völligem Übereinklang mit dem Rest der unabhängigen Kunstszene, aber in Bezug zu letzterem prüften sie dessen theoretische Grenzen und Begrenztheiten und seine Möglichkeiten, Unterschiede zu berücksichtigen. In einer Umgebung, die fast komplett durch den Slogan “Moderne nach der Postmoderne“16 definiert war, behaupteten sie, als würden sie Bruno Latour zitieren, dass wir “da wir nie modern waren” nie wieder modern sein können17. Ihnen ging es um den Kampf für Autonomie in Bezug auf die Nutzung der Sprache der Kunst und nicht um die Autonomie des Kunstwerkes als solches, was dann zum Streitpunkt gegenüber den Vertretern des regional neuen Paradigmas der Neo-Moderne wurde.
Von den damaligen Kunstkritikern und Kunsthistorikern wurden Uroš Djurić und Stevan Markuš als Teil der Praxis des “monumentalen Intimismus“18 bezeichnet und mit den Künstlern gleichgesetzt, die in dem “Zwischenraum zwischen hoher Kunst und Untergrund“19 aktiv waren, mit Djile Marković und Zoran Marinković, in großer Nähe zu Autoren wie Daniel Glid and Jasmina Kalic, aber selbst hier war ihre Position recht eigentümlich. Ihr Gebrauch des Bildes war weitaus konzeptueller und deshalb denaturalisierter als bei den Künstlern, die als ihnen stilistisch nahe stehend erwähnt wurden, während ihr Bezug zum “Untergrund” sich auf dem Level der Wiederholung visueller Bruchstücke abspielte, die Teil der Bilderwelt des Machterlangens waren, aber in einem Kontext, der nicht derjenige der Subkulturen war. Worum sie sich kümmerten waren hauptsächlich rhetorische Operationen mit der Sprache der Kunst, aus denen als Endresultate vor allem Malerei in herkömmlichem Format und in konventio­nellen Techniken (vor allem Öl auf Leinwand) hervorgingen und die auch so behandelt wurden. “Wir sind Klassiker,” pflegten sie ironisch zu sagen, selbst als sie noch Studenten waren.

Populismus
In den späten 90ern begann Uroš Djurić, hauptsächlich ohne Stevan Markuš auszustellen. Von seinen bisher bevorzugten künstlerischen Techniken Ölmalerei und Kohlezeichnung wechselte er zu elektronischen Collagen, Fotos, Performances und was auch immer sonst gerade als passendes Medium für die Realisierung eines konkreten Projektes schien. Er behielt eine innige Bindung zu Selbstportraits, und sein eigenes Bild spielte immer noch die Rolle des “theoretischen Objekts” in den meisten seiner Arbeiten, aber sowohl der Prozess als auch das Endresultat waren viel offener als vorher. Andererseits wurde die Untersuchung der Ursprünge sozialer und kultureller Gebräuche des Populismus in seinem Werk vorrangiger als die der Autonomie.
Man kann sogar sagen, dass sein Haupt­projekt zum Ende der 90er Jahre und das in den letzten Jahren am häufigsten ausgestellte Projekt das Populist Project war. Wie der Autor selbst äußerte, sind das Hauptthema des Projektes die Interaktionen zwischen dem Star-System und der Identität. Seine Segmente tragen die Titel God Loves the Dreams of Serbian Artists, Celebrities, Hometown Boys und Pioneers. Im ersten Segment des Projektes ist das Bild des Autors auf den Fotografien der prominentesten europäischen Fußballmannschaften präsent, aber nicht als eine digitale Manipulation oder klassische Fotomontage. Es ist die Material gewordene Spur von Performances, bei denen er für begrenzte Zeit in jedes Team integriert wurde, und gleichzeitig die Realisierung eines Phantasmas, das in der empirischen Realität inszeniert und zu einem Werk wurde. Das zweite Segment zeigt auch das Bild des Autors in verschiedenen Umgebungen und aus unterschiedlichen Perioden, zusammen mit Personen des öffentlichen Lebens, die normalerweise auf den Titelblättern von Lifestylemagazinen zu sehen sind (Sportler, Popstars, Politiker und andere Promis), manchmal im Stil von Fanfotos, manchmal als Paparazzifotos. Im dritten Segment kann man die Titelseiten eines imaginären Magazins mit dem Titel Hometown Boys anschauen, einer Zeitschrift mit einem Mix aus Soziologie und Mode, Kunst und Pornografie, Theorie und Tratsch. Das vierte Segment schließlich beschäftigt sich mit den prominentesten Autoren über Kunstproduktion und –interpretation aus den Ländern, die man einmal geopolitisch als Osteuropa bezeichnet hat. Sie sind fotografiert, wie sie stolz ein rotes Pioniertuch tragen, in einer der Ikonographie des Sozialistischen Realismus und den Medien des ehemaligen Ostens entlehnten glorifizierenden Pose.
In der jetzigen Periode sammelt und kombiniert Uroš Djurić nicht mehr nur die visuelle Bilderwelt von nicht-dominanten oder nicht-elitären kulturellen Strömungen, sondern er mischt sich aktiv in diese Gruppen ein und begibt sich damit auf ein Feld, das die meisten Künstler ungewohnt, unheimlich und vielleicht sogar feindselig finden. Er mischt sich unter Leute, echte Leute, nicht nur die Kunstszene, und er tritt der heutigen Gesellschaft gegenüber als einer Gesellschaft des Spektakels, in der Kunst die ganze Zeit in Konkurrenz treten muss zu der visuellen Kraft eines Sportereignisses, der Omnipräsenz von Pornografie im Internet, der Obszönität der per Fernsehen übertragenen Militainment-Industrie. Wenn “das Spektakel nicht eine Sammlung von Bildern ist, sondern eine soziale Beziehung zwischen den Individuen, durch Bilder übermittelt,” wie Debord in den 60er Jahren formuliert hat, können diese Beziehungen heutzutage fast nur durch die Vermittlung der Kunst auf ihre menschlichen Dimensionen zurückgeführt werden. Die Kunst von Uroš Djurić versucht genau dies.
Von der Studie von Nebojša Popov mit dem Titel Serbischer Populismus: Vom marginalen zum dominanten Phänomen, veröffentlicht 199320, bis hin zu dem zehn Jahre später entstandenen Text von Vladimir Marković über die Ideologie der Otpor Bewegung21, die behauptete den Populismus ohne Populismus zu repräsentieren, haben linke Intellektuelle in Serbien das Thema des Populismus als etwas, was auf die rechte Ideologie festgelegt ist, behandelt. Als Erben des elitären Hintergrundes der sozialkritischen Autoren aus Dissidentenzeiten haben sie komplett übersehen, dass der Populismus keine vorgefasste soziale Implikation beinhaltet.
Ihr Standpunkt hat sie daran gehindert zu sehen, wie Laclau schrieb, “warum es möglich ist, Hitler, Mao und Peron gleichzeitig populistisch zu nennen.” 22 Nach Laclau ist es “nicht weil die soziale Grundlage ihrer Bewegungen ähnlich gewesen wäre, nicht weil ihre Ideologien die gleichen Klasseninteressen ausgedrückt hätten, sondern weil populäre Einwürfe ihrer aller Diskurse kennzeichnen, in Form von Antagonismus und nicht einfach als Unterschied.” Dieses antagonistische Potential ist eine der Hauptquellen, aus denen Uroš Djurić schöpft. Es verbindet sein populistisches Projekt mit den Wurzeln des populistischen Anarchismus, der immer wieder örtlich aus der Basis auftauchte , und zwar jedes Mal, wenn die in einer lokalen und regionalen Kultur verwurzelte Bevölkerung zu Mitgliedern einer Nation, Partei usw. gemacht werden sollte.
Seine Theorie des Populismus, wie sie in seinem Populismus-Projekt auftaucht, begegnet den vorherrschenden linksliberalen, aus Dissidentenkreisen stammenden humanistischen Elitedenken und fasst die Bedeutung des Begriffs Kultur als Haltungen, Werte und Mentalitäten, wie sie ausgedrückt, verkörpert und symbolisiert werden durch Kunstwerke, Performances und die Praxis des täglichen Lebens, nicht als nur klassische Kultur, wie sie im pädagogischen Sinne benutzt wird.
Andererseits versucht er, die Schichten der populären Kultur davor zu retten, eingeebnet zu werden, was seit der späten Romantik, als sie immer mehr in eine naive volkstümliche Kunst verwandelt wurde, ständig passiert, und dieser Prozess beschleunigt sich im Zeitalter der elektronischen Medien noch. Im Grunde weitet Uroš Djurić die Weise noch aus, wie er in seiner vorhergegangenen Phase mit dem autonomen Status künstlerischer Praxis, künstlerischer Produktion und der Position des Künstlers im kulturellen, sozialen und allgemein im öffentlichen Umfeld umgegangen ist, um auch die Produktion von Popkultur mit einzubeziehen. Das heißt, er versucht vermittels der Kunstwerke, die öffentliche Sphäre davor zu retten, von der Kulturindustrie zugedeckt zu werden und andererseits von den Begleitphänomenen der Kulturpolitik, institutionsgebundenen Programmen, Publikumsgeschmack, normativen Erwartungen der Kritiker und Theoretiker usw. bestimmt zu sein.
“Es ist nötig, dass der Künstler sein romantisches Image hinter sich lässt und eine aktive Person unter anderen Menschen wird, vertraut mit den heutigen Technologien, Materialien und Arbeitsmethoden, ohne sein ihm eigenes ästhetisches Gespür hinter sich zu lassen, um bescheiden und kompetent die Fragen zu beantworten, die ihm seine Mitmenschen stellen mögen,” schrieb Bruno Munari 1960. Genau dieser Satz wurde später, anlässlich seiner Einzelausstellung in der Galerie des studentischen Kulturzentrums in Belgrad, als seine Hauptaussage benutzt. Munari, der damals zu den wichtigsten Befürwortern des sogenannten Zweiten Futurismus zählte, hat seine Arbeiten in Belgrad im goldenen Zeitalter der SKC Galerie gezeigt, als deren Programm auf Projekten und Interventionen von eingeladenen und vor Ort arbeitenden Künstlern wie Marina Abramović, Raša Todosijević and Braco Dimitrijević basierte sowie einer Reihe ausländischer Gäste wie Joseph Beuys, John Baldessari, Vito Acconci und Michelangelo Pistoletto. Damals, Mitte bis Ende der 70er Jahre, produzierten diese Künstler um die SKC Galerie ein Klima des Radikalen und der Herausforderung, aber auch hochgradig konzeptualisierte Experimente, die sich in den 80ern weiter ausweiteten auf Felder wie Fotografie, Video, Theater- und Musikperformances, selbst Popmusik, New Wave, Punk und Industrial Music. Wenn ich Arbeiten aus dem Populist Project von Uroš Djurić sehe, insbesondere seine Hometown Boys Serie, kann ich nicht widerstehen, mich an das Diktum des erwähnten italienischen experimentellen Künstlers zu erinnern, dessen Präsenz in diesem Kontext, obwohl von den Augen solcher Kritiker wie Jerko Denegri sehr wohl wahrgenommen, keinen direkten Einfluss hatte, aber der dennoch einen Beitrag leistete in Bezug auf die Möglichkeiten von Interventionen im Bereich Kunst und Kultur mit starkem konzeptuellem Hintergrund, und der Künstlern wie Uroš Djurić den Weg ebnete.





1 R. Barthes: Criticism and Truth (dt: Kritik und Wahrheit), London: Athlone press, 1987, S. 77.
2 N. Bryson: Vision and Painting; The Logic of the Gaze, (dt: Das Sehen und die Malerei; Die Logik des Blicks), New Haven and London: Yale University Press, 1985, S. 14.
3 U. Djuric, Interview ohne Titel, in: Interviewband von Z. Bozovic, Belgrad, 1996, S. 46.
4 S. Golding: Gramsci’s Democratic Theory; Contributions to a Post-Liberal Democracy, Toronto: University of Toronto Press, 1992, S. 111; der Autor bezieht sich auf Themen aus Antonio Gramscis Gefängnisheften im Kontext der 1920er sowie auf Ernesto Lacalau und seine Anhänger im Kontext der 1990er.
5 Zitiert nach D. Puresevic in einem Katalogtext zur Ausstellung “A look at the wall 1994-1996, Artists and Critics” veröffentlicht vom Fund for an Open Society, Zentrum für zeitgenössische Kunst und Radio B92, Belgrad 1996.
6 R. Barthes: Roland Barthes by Roland Barthes, (dt: Über mich selbst), London: Macmillan, 1975, S. 168.
7 R. Barthes: “From Work to Text”, in: J. V. Harari (Hrsg.): Textual Strategies: Perspectives in Post-Structuralist Criticism, Ithaca N.Y.: Cornell University Press, 1979.
8 J. Denegri: “Razlozi za drugu liniju” [Gründe für die Andere Linie], in: Katalog zur Jugoslawien-Documenta ’89, in Sarajevo 1989, war das Gründungsdokument für dieses Paradigma, das später in den 90ern in den Titel “Moderne nach der Postmoderne” mündete, siehe: Nova umetnost u Srbiji 1970-1980 [Neue Kunst in Serbien], Belgrad: für zeitgenössische Kunst, 1983; Ješa Denegri, “Razlog za drugu liniju” [Der Grund für die Andere Linie], in Jugoslovenska dokumenta II, Sarajevo: Collegium Artisticum, 1989; und J. Denegri, “Teze za drugu liniju,” [Thesen zur Anderen Linie], Quorum no.1, Vol VII, Zagreb, 1991; Bojana Pejić, “L‘ art parallele yougoslave,“(Dossier yougoslave), Artistes no. 12, Paris, August/September 1982, S. 7-10.
9 M. Hardt and A. Negri: Empire, (dt: Empire – die neue Weltordnung), Cambridge, Mass.: Harward University Press, 2000.
10 P. Virno: A Grammar of the Multitude, (dt: Grammatik der Multitude. Untersuchungen zu gegenwärtigen Lebensformen), Los Angeles and New York: Semiotext(e), 2004, S. 50.
11 J. G. Herder: Outlines of a Philosophy of the History of Man, (dt: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit), New York: Bergman Publishers, 1966, und Kurt Mueller-Vollmer (Hrsg.) Herder Today, Berlin, Walter de Gruyter, 1990.
12 S. Vukovic: Personal Experiment in Art, Essay, in: Werkkatalog für die Jahre 1989 bis 1997 von Uros Djuric, Belgrad: Samizdat 1998, S. 10.
13 L. Merenik: “No Wave: 1992-1995”, in: Art in Yugoslavia 1992-1995, Belgrad: Fund for an Open Society, 1996, S. 29.
14 D. Sretenovic: “A journey through the Images and Phantasms of the Nineties”, Katalogvorwort für die Ausstellung On Normality. Art in Serbia 1989-2001, im Museum für zeitgenössische Kunst in Belgrad, 11. September 11 bis 20. November 2005, S. 140.
15 U. Djurić and S. Markuš: Autonomism Manifesto
16 Das Paradigma der ‘Moderne nach der Postmoderne’ wurde von Jerko Denegri entworfen, einem lokalen Kunsthistoriker, Dozenten für moderne Kunst an der Philosophischen Fakultät in Belgrad, und von Misko Suvakovic, damals freier Kurator und Theoretiker. Seine Grundlagen waren, zumindest für Denegri, die Texte des italienischen Kritikers Filiberto Menna, der in dieser Zeit viel ins Serbische übersetzt wurde, darunter: Filiberto Menna, Moderni projekat umetnosti (Das Projekt der Moderne in der Kunst), Press Express, Belgrad, 1992 (übersetzt von Dejan Ilic, Nachwort von J. Denegri). Ders.: “Odbrana modernog projekta” (Eine Verteidigung des Projektes der Moderne), Moment 23-24, Belgrad 1992 (1995); “Obnova modernog projekta” (Eine Neuauflage des Projektes der Moderne), Dizajn 20-24, Belgrad, 1992; “Nezavrseni projekt” (Ein unvollendetes Projekt), Pobjeda 9791, Podgorica, März 1993; “Aktualizacija modernog projekta” (Das Projekt der Moderne relevant machen), Kosava 17, Vrsac, Mai 1994.
17 B. Latour: We Have Never Been Modern, (dt: Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen Anthropologie), Herfordshire: Harvester Wheatsheaf, 1991.
18 Ein von Nikola Suica eingeführter Begriff für die Werke von Uros Djuric, Jasmina Kalic, Stevan Markus, Dimitrije Pecic, Milica Tomic, Selena Vickovic und Ljiljana Vranic – der Text “Examples of Monumental Intimism” wurde veröffentlicht im Katalog zur Ausstellung One Image of Serbian Painting, in Brüssel und Antwerpen, 1993.
19 B. Andjekovic und B. Dimitrijevic: “The Last Decade: Art, Society, Trauma and Normality”, Katalogvorwort für die Ausstellung On Normality. Art in Serbia 1989-2001, Museum für zeitgenössische Kunst, Belgrad, 11. September bis 20. November 2005, S. 63.
20 N. Popov: Srpski populizam: Od margine do dominantne pojave, veröffentlicht als Spezialbeilage der in Belgrad wöchentlich erscheinenden Vreme, 24. Mai1993.
21 V. Markovic: “Od Ljotica dva putica, Novi drustveni pokret u Srbiji koncem devedesetih i slika njegove ideologije”, in: Prelom magazine, Belgrad, 2. Ausgabe, 2002.
22 E. Laclau: Politics and Ideology in Marxist Theory; Capitalism, Fascism, Populism, (dt: Politik und Ideologie im Marxismus. Kapitalismus – Faschismus – Populismus), London:Verso, 1982,
S. 174 (Towards a Theory of Populism)





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