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Umbewertung der UmbewertungZeitschrift Umělec 2010/101.01.2010 Palo Fabuš | editorial | en cs de |
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Die erste Jahrzehntwende des neuen Jahrhunderts liegt hinter uns und damit auch die entsprechenden Medienreaktionen und Reflexionen. Obwohl Reflexivität allgemein der modernen Zeit zugeschrieben wird, scheint sich vor allem die Intensität der Blicke in die Vergangenheit zu erhöhen. Man sagt, dass das 20. Jahrhundert mit den Geschehnissen des 11. Septembers endet, doch es ist, als würden wir uns heute noch mit seinem Ende beschäftigen. Ich spreche von der Stimmung in der globalisierten Welt, deren Erschütterungen zwar mit zunehmender Entfernung vom Epizentrum schwächer werden, in Osteuropa jedoch mit der Erinnerung an die politischen Änderungen vor zwanzig Jahren resonieren.
Eines der Symptome der Globalisierung ist deren Allgegenwärtigkeit. Diese kann auf unterschiedliche Weise erklärt werden. Vermutlich haben sich am lautesten die Adepten der Technik die Globalisierung auf die Fahnen geschrieben. In ihrer Ambivalenz ähnelt die Globalisierung jedoch einer Inschrift an der Wand, von der wir nicht wissen, ob sie uns aufrichtig warnen oder nur unnötig schrecken will. Wenn wir aber schon über Rekapitulationen reden, fassen wir doch zusammen: Apolitizität und Politisierung des Alltäglichen stellen zwei Seiten derselben Sache dar. Die Kunst produziert keine „ismen“ mehr, dank unersättlicher Ästhetisierung ist sie mit dem Leben zusammengeflossen. Die Unmenge der produzierten und gehörten Musik hängt direkt mit dem Fehlen von tonangebenden, prägenden Musikern zusammen. Die völlig diskreditierte Institution Werbung findet Zuflucht in den scheinbar unschuldigen Diskussionen unter Freunden. Das Öffentliche deckt sich mit dem Privaten, die Medien haben sich in den letzten freien Momenten unserer Tage angesiedelt und die Trennung von Arbeit und Freizeit ist praktisch unmöglich. Genauso, wie ein Sammler nur seiner Sammlerleidenschaft wegen sammelt, hat auch die Geschichte als eine Sammlung von Bildern und Ideen keinen Sinn außerhalb von sich selbst. Indem die Menschen ihr früher Sinn und Ziel zugeschrieben haben, versuchten sie, das Chaos einzudämmen, welches die Geschichte ohne diesen Sinn unvermeidlich darstellt. Die Angst vor dem Chaos ist die Angst vor einem zu schnell ablaufenden Zyklus von Entstehung und Vernichtung, die wir heute gelegentlich empfinden. Doch ebenso wie die Ignoranz muss auch die Akkumulation des historischen Gedächtnisses ihre Grenzen haben. Umbewertung jeglicher Art verleitet zu einer radikalen Verwerfung vorheriger Interpretationen, zu modernistischem Zwang, Universalität und der Suche nach einer neuen Richtung, verleitet zu der Frage: Was tun? und dazu, neurotisch nach unpersönlichen Idealen und vorgekauten Kategorien zu greifen. Ich schlage nicht vor, den Dingen freien Lauf zu lassen. Im Gegenteil. Denn dazu verleitet nur der Autopilot, dank den Leitplanken und Richtungspfeilen, die jemand anderes installiert hat. Ich spreche vielmehr von der Rückkehr zur persönlichen Verantwortung, zum Ich als Mittelpunkt des gemeinsamen Universums. Zur Verantwortung, welche von den allgegenwärtigen Bildern verdeckt wird und daher immer wieder an die Oberfläche gebracht werden muss. Wenn wir unser Leben aufschieben und hoffen, dass es eines Tages selbst zu uns kommt, übergeben wir auch die Welt, in der wir leben, in die Hände anderer ... und vergessen, dass wir selbst auch die anderen sind.
01.01.2010
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