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Autopsia oder Über Tod und Erlösung
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2010, 2
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Autopsia oder Über Tod und Erlösung

Zeitschrift Umělec 2010/2

01.02.2010

Dejan Sretenović | The End of the Western Concept | en cs de ru

Autopsia kommt aus dem Nirgendwo. Es gibt weder einen Entstehungsort noch eine Adresse. Zum ersten Mal in den Fanzines Bank Rot und Prose Selavy erwähnt, gibt es bis heute keine Biografie. Erhältliche Daten sind knapp und auf wenige veröffentlichte Texte und Reproduktionen begrenzt. Autopsia ist unkommunikativ, hermetisch, im Prinzip elitär und an den Auswirkungen seiner Kunst nicht interessiert. Es hat Kultstatus in engen Kreisen von Fans der Industrial Music, trotz einer respektablen Diskografie gab es bloße zwei Konzerte zu Beginn seiner Nicht-Karriere. Visuelle Produkte wurden nur einige Male ausgestellt (innerhalb des Jahres 1987) und dann eigenhändig ins Vergessen entlassen. Sein Thema ist der Tod, seine Methode die Wiederholung und sein Diskurs unpersönlich. Autopsia ist ein Autochthon und eine Bastardnachkommenschaft der unabhängigen und intermedialen Subkulturszene um „Punk“ und „New Wave“. Doch ist sein Programm weitaus breiter gefasst ist und geht über die bloße Freude an der hausgemachten „Do-it-yourself“-Produktion und Klubfeierlichkeiten von wütender Kreativität hinaus. Zufällig, oder auch nicht, geht das Auftauchen von Autopsia mit dem epochalen Todesereignis des Schöpfers des sozialistischen Jugoslawien einher. Es steht am Ausgangspunkt einer ideologisch-institutionellen Krise des jugoslawischen Kultur- und Kunstsystems und dem allgemeinen Gefühl vom „Ende“ und Abstieg in die Ungewissheit des „Nullpunktes des Seins“ in der frühen postsozialistischen Ära. Ähnlich wie Laibach (mit welchen es gewisse ästhetische Prinzipien und musikalisch-visuelle Synergien teilt) bewies Autopsia ein gutes Ohr für die historische Tragweite des Momentes und erkannte das freie Feld für die Schaffung einer Kunst im Grundgewebe des politischen Kunstgeschäfts. Über seine konzeptuellen, theoretisch fundierten, thematisch exklusiven und ausschweifenden, hochinteressanten Projekte situiert sich Autopsia eines der authentischsten und kompromisslosesten Kunstprojekte, welches dem Raum des ehemaligen Jugoslawiens während der letzten drei Dekaden entsprang. Es positioniert sich jenseits der Trennung von „High“ und „Low“, „Mainstream“ und „Alternativ“ in der Kultur, sich selbst aufdrängend und retroaktiv.
Auch wenn Autopsia zu Beginn der 80er Jahre auftaucht, sollte es nicht mit der Ansammlung ähnlicher Projekte, wie Goran Djordjević, Mladen Stilinović oder Irwin, in Zusammenhang gebracht werden, nur weil es mit ähnlichen Methoden der Rekonstruktion von Kunst und Kulturprodukten der Vergangenheit arbeitet. Während diese Künstler an den Grenzen des Systems der (visuellen) Kunst arbeiten, bewegt sich Autopsia außerhalb jedes Systems (inklusive der Musikszene) und deklariert sich selbst als eigenes System, als „isolierter Diskurs“, der außerhalb jeder Öffentlichkeit und üblicher Kanäle der Kunstkommunikation und ‑verbreitung funktioniert. Außerdem arbeitet Autopsia nicht mit einer kritischen Neubewertung der ideologischen Normen, die das Konzept und die Konstruktion eines Kunstwerkes programmieren, wie es die dazu geeignete Kunst macht. Autopsia diskutiert Kunst nicht im Sinne der Kunst („Autopsia beginnt da, wo die Avantgarde aufhört“, wurde geschrieben), sondern als Rückkehr zu seiner uralten Kult(ur)funktion als Mittel für die rituelle Heraufbeschwörung des Todes. Durch seine Unpersönlichkeit steht Autopsia nicht im Dienste der Dekonstruktion der Ideologie des Autors oder der Selbst-
mystifizierung (wie die Residents), sondern im Dienste seiner Leitwahrheit, um als Informationszentrum oder Werbeagentur des Rezipienten ein Bewusstsein durch die pure und depersonalisierte Aussage zu erreichen. Wie von Vladimir Mattioni in einer seiner seltenen Interpretationen beschrieben, simuliert Autopsia „mittels Pseudoproduktionen die üblichen Produkte der Medien, mit denen es in Berührung kommt“, während es sich „in der Beziehung zur Produktion selbst, nicht als Produktion von etwas Bestimmtem, sondern als Gesamtproduktion“1 bewährt. Genauer gesagt verarbeitet Autopsia fortwährend die Unaufhaltsamkeit des Tauchgangs der Kunst in die hyperästhetisierte und technologisierte Kulturlandschaft, in der die Produktion von Informationen die Produktion von Objekten ersetzt und die Kontemplation seine Position an den unmittelbaren Nachrichtenkonsum abgibt. „Autopsia bewahrt auf, was es zerstört“, heißt es in einer Aussage.
Die Diagnose vom „Vergessen des Todes“ in der postindustriellen Gesellschaft als Syptom der epochalen Krise im anthropologischen Sinne im Blick, kehrt Autopsia zum großen historischen Thema Tod nicht mittels typischer Muster der Manipulation mit den Zeichenagenten des Todes zurück, sondern konstruiert eher ein Bild des hyperbolischen Emblems des Todes, gewidmet dem Bewusstsein und der Ehrfurcht vor der Realität des Todes. In Bezug dazu verkündet Autopsia: „Ersatzkonzepte gibt es nur, wenn man den Tod als Objekt denkt. Tod ist nicht etwas, was repräsentiert werden kann. Wir sind sterbliche Geschöpfe. Die Sterblichkeit kann uns nicht zur Betrachtung vorgesetzt werden. Die eigene Sterblichkeit kann mit niemand anderem geteilt werden. Dieses Gefühl kann nicht „kommuniziert“ werden“.2 Egal, ob ungeschminkt oder ästhetisiert, schockierend oder unterhaltsam, die Bilder des Todes, die uns umgeben, sind grundsätzlich „zutiefst menschlich“, weil sie den Tod und seine gesellschaftlichen Auswirkungen indirekt beschreiben. Sie erregen uns und beinhalten das Fantasma des Todes als Bilderopposition zu dem, was in der Realität des Lebens erfahren wird. Wenn der Tod im politischen Tagesgeschäft der postindustriellen Gesellschaft monopolistisch verarbeitet, behandelt, kontrolliert und vom Leben getrennt entfremdet wird, bietet folgende Perspektive den einzigen Ausweg: Die grafischen Symbole von Autopsia repräsentieren nicht den Tod, sondern sprechen uns eher „direkt“ in Form von aggressiv-bizarren Memento-mori-Nachrichten an. Die Bilder von Autopsia arbeiten rhetorisch. Sie verbinden Slogans, wie „Unser Ziel ist der Tod“, „Der Tod ist die Mutter der Schönheit“, oder „Ich bin die Auferstehung“ mit visuellen Fragmenten der Alltagsliteratur (technische Handbücher, religiöse Presse und alle möglichen anderen Dinge), und lassen so banale Motive zu Monsterzeichen des Todes und der Entmenschlichung aufsteigen. Baudrillard paraphrasierend können wir mit Gewissheit sagen, dass Autopsia durch „kaum merkliche Injektionen von Tod“ dazu tendiert, um den Tod zu überwinden oder zumindest seine Zweideutigkeit begreifbar zu machen. So würde das gesamte Spiel der (Pseudo-)Wertung vernichtet, welches in den Ketten der unnatürlichen Verdinglichung gehalten wird.
Die Methode der Wiederholung – des Recyclings beziehungsweise der Montage von Bild- und Textmaterial – steht im Zentrum des operativen Systems von Autopsia, bis zu dem Grad, dass es kontinuierliche Selbstbefragung geltend macht. Dadurch manfestiert sich jede Arbeit selbst als „originelles Palimpsest“, als ein Image, das gleichzeitig einzigartig und vielfältig ist. Wiederholt lässt Autopsia verlauten, dass „es nur eine einzige wichtige formale Charakteristik gibt in der postindustriellen Kunst: Repetition! Es gibt keinen Fortschritt! Es gibt keine Entwicklung! Alles ist gleich. Jeder Unterschied ist derselbe. Neue Unterschiede sind die Wiederholung der alten Unterschiede. Und so weiter und so fort.“3 Die Repetition kommt bei Autopsia als obsessive Reflexion der Arbeit der repetitiven Kulturökonomie vor, in welcher das Nicht-Vorhandensein der Produktion, verborgen in der Simulation der Produktion, im Umkehrverständnis zum Überfluss der Wiederholung und dessen kommerziell manipulativen Auswirkungen innerhalb der Bewusstseinskontrolle steht. Für Autopsia liegt die Bedeutung der Wiederholung, durch die es gleichzeitig die unterdrückte Präsenz des Todes aufdecken will (Ursprung, Bedeutung, Zeit), innerhalb der Struktur seiner Sparsamkeit. Der Betrachter wird somit aus dem Zustand repetitiver Passivität in den Zustand der aufklärenden Entschulung – den „Alphazustand“ – oder in Trance geführt. Autopsia impliziert seine Mission unterschwellig als pseudoreligiöse Ankündigung von Archetypen des Todes, die unkodiert – wie es selbst – und unerwartet aus dem Nichts auftauchen, sich selbst deklarieren und vervielfältigen. Die Flüchtigkeit und Vergänglichkeit von allem, was die (scheinbare) Grundlage der materiellen Existenz der Konsumgesellschaft festlegt, wird erprobt. Inspiriert durch die britische „Industrial noise“-Musikszene Ende der 70er Jahre (Throbbing Gristle, Psychic TV, Coil, NON), welche, mit der Ästhetik der britischen Avantgarde aufräumend, „den menschlichen Geist durch Lärm, Inspiration und Repetition befreien will“ (Coil), kreiert Autopsia Kunst, die Rastlosigkeit und Aufruhr verursacht, die keinen Kunstliebhaber, sondern den potenziellen Adepten seiner „Entschuldigung des Todes“ anspricht.
Autopsia teilt die Meinung, dass Technologie und Gesellschaft in Beziehung zur dialektischen Interaktion stehen, dass Technologie einen Fakt der gegenwärtigen Gesellschaft darstellt, dessen Wert nicht mit der Funktionstüchtigkeit und der Erfindung der Maschine gemessen wird, sondern mit der Verwaltungspolitik seiner Kraft, Sozialbeziehungen und deren Einbildung zu (re)produzieren. „Ziel unserer Aktivität ist nicht, für die industrielle Gesellschaft Ersatz für Erfahrungen der anderen Art zu bieten, sondern diese mittels der Ausübung in der alltäglichen Arbeit zu instruieren“, sagt Autopsia.4 Die Ikonografie überholter mechanischer Technologien (Maschinenfragmente, technische Diagramme, Ansichten von Fabrikeinrichtungen usw.) verweist auf die Tatsache, dass die Maschine, in ihrer bloßen Präsenz und von der Umgebung der Produktionsbeziehung isoliert, nichts anderes als das Spektrum der Produktion darstellt, welches die Wirkungskraft des Wiederholungszwangs (des Todes oder der Wiederholungsfreiheit) der ästhetischen Herausforderung in sich trägt. In seiner Arbeit gebraucht Autopsia verschiedene Technologien der Reproduktion, die zwischen kostengünstigen grafischen Techniken (Fotokopien, Fotodruck), reproduzierbaren Studiomusiktechnologien (Kassettenloop, Plattenspieler, Rhythmus-
computer, Sampler, nichtmusikalische Geräte usw.) bis hin zum Gebrauch von Spektrencomputern, wie z.B. bei der Realisation der verbo‑vokal-visuellen Arbeit Ikkona (ein frühes Beispiel für Computerkunst in Serbien), variieren. Diese Art von Ansatz reflektiert verschiedene historische und gegenwärtige Positionen künstlerischen Techno-Bewusstseins: der avantgardistische Autor-Produzent, der den Gebrauch im Sinne der Produktion politisiert, die Studiobenutzung als Meta-Instrument in der Experimentalmusik (Kon-
krete oder Elektronische Musik), mimeografische „Do-it-yourself“-Punkgrafik und, selbstverständlich, der Hausproduzent am Desktop des Digitalzeitalters.
In Bezug zu seinem eigenen Glaubens-
bekenntnis will Autopsia „pure Kunst“ in der konstanten und nomadischen Bewegung durch die „unerforschten Gegenden“ der unterschiedlichen Kulturräume und Epochen (Klassizismus, Modernismus, Avantgarde, Popkultur, Industrialismus, Christentum, Gnostizismus, Okkultismus) sein, was in einer ikonografisch synkretischen, jedoch semantisch polytonalen Kunstarbeit resultiert. Autopsia ist autistisch-forschend in seine eigene Produktion vertieft, haust in selbstbegeisterter Isolation und steht als Modell des unverständlichen künstlerischen Benehmens der hochprofessionalisierten Gegenwartskunstwelt. Mit anderen Worten ist Autopsia der Verstoß gegen alle Kunstparadigmen, Hierarchien und Normen, die Kunst jenseits aller Kunstgattungen, die unpositionierte und unkontrollierte Ästhetik der Bedrohung und der Erhabenheit, „das Unbehagen“, „das Angebot und die Ehrfurcht, die übertriebene Leidenschaft – der Bogen, der in die Unmöglichkeit führt“. Autopsia ist die Leibhaftigkeit der Kultur und die Erlösung der Gesellschaft. Autopsia kommt aus dem Nirgendwo ...


Aus dem Englischen von Patricia Talacko.

Die Redaktion bedankt sich herzlich bei dem Autor des Textes und bei dem Museum für zeitgenössische Kunst in Belgrad.


1 Mattioni, Vladimir: Partiturae Autopsiae. In: Theoria Nr. 3-4, Belgrad, 1986, S. 133–136.
2 www.autopsia.net/Autopsia_pdf/Autopsia_Inter_08YU.pdf
3 Autopsia. DEATH (is Mother of Beauty). Interview. In: Delo Nr. 12, Belgrad, 1988, S. 163–179.
4 Ibid.




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