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Björn Melhus
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2005, 2
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Björn Melhus

Zeitschrift Umělec 2005/2

01.02.2005

Spunk Seipel | revolutionäre DIY | en cs de

Der Krieg hat viele Bilder. Sie werden von Medien gemacht. In den letzten 15 Jahren aber prägte vor allem eine Institution unser Bild vom Krieg: Das Pentagon. So sorgte das US-amerikanische Verteidigungsministerium im Zweiten Golfkrieg dafür, dass der Krieg für alle nicht bombardierten Menschen aus einigen recht harmlos anzusehenden, schemenhaften Nachtaufnahmen des beschossenen Bagdad bestand. Im letzten Golfkrieg dann organisierte das Pentagon andere Bilder: Die Journalisten durften mit den Truppen voranmarschieren und wurden auf diese Weise ihrer Objektivität beraubt. Der Krieg verkommt auf dem Bildschirm zu einem inszenierten Ereignis, in dem die Rollen gut aufgeteilt sind und das Drehbuch aus Hollywood zu stammen scheint. Immer wieder hat das Pentagon in den letzten Jahren versucht, die größte Medienmaschine der Welt stark zu beeinflussen und mit wichtigen Leuten in Hollywood zusammen zu arbeiten. Die Einflüsse blieben dabei nicht einseitig, wenn man bedenkt, wie sich George W. Bush bei Truppenbesuchen inszeniert.
Wie soll man als Künstler damit umgehen?
Björn Melhus gibt mit seiner Videoinstallation Still men out there, zu sehen im Kunstmuseum Stuttgart , eine beeindruckende Antwort : In einem abgedunkelten Raum sind auf dem Boden in drei Kreisen je fünf Monitore angeordnet, in deren Mitte jeweils ein sechster liegt. Der Videokünstler, der damit berühmt geworden ist, dass er in seinen Filmen und Videos alle Rollen selber spielt, verzichtet hier vollkommen auf "Bilder". Allein die monochromen Farben der Monitore begleiten Melhus’ beeindruckende Klangcollage, die er aus Originalzitaten von Regierungsmitgliedern und Hollywoodfilmen zusammensetzt und mit der heroisierenden Musik aus Kriegsstreifen unterlegt. Kann man keinem Kriegsbild mehr trauen, so scheint der Verzicht auf Bilder die einzige Konsequenz.
Es funktioniert: Melhus gelingt ein eindringliches Kunstwerk, das zutiefst berührt. Er spielt nur bedingt auf das Leiden an, viel wichtiger ist ihm die Kritik an der grotesken Inszenierung des Krieges, an der Medienmaschine, die das Pentagon in Zusammenarbeit mit Teilen von Hollywood perfekt beherrscht. So lassen sich auch bei Melhus Originaldokumente und Filmmaterial nicht immer klar voneinander unterscheiden.
Melhus, 1966 in Kirchheim/Teck geboren, verbrachte nach seinem Studium in Braunschweig längere Stipendienaufenthalte in den Vereinigten Staaten. In seinen Arbeiten widmet sich der heute in Berlin lebende Videokünstler der zunehmend amerikanisierten Medienkultur.
Dabei sieht sich Melhus nicht als distanzierter Betrachter, sondern als Teil einer Generation, die untrennbar mit dem Fernsehen aufgewachsen ist. Flipper, Lassie und Black Beauty, die Schlümpfe und Wild-West-Cowboys waren die Helden seiner Kindheit. Die “Daily Talkshows“ und religiösen Beicht- und Erweckungssendungen in den USA kamen später hinzu. Sie alle tauchen in den Videos auf: Manchmal als Videocollage, meistens in einer von Melhus selbst nachgespielten Szenerie.
Melhus beobachtet und reflektiert die Sehgewohnheiten des Einzelnen in unserer Kultur, die stark vom Fernsehkonsum geprägt wird, kritisch und mit Schrecken. So wird dem Publikum deutscher Soap-Operas derzeit ein konservatives Bild der Rolle der Frau vorgezeichnet, wie es vor zehn Jahren undenkbar gewesen wäre. Und, wie bereits bei dem Thema Meinungsmanipulation bei der Kriegsberichterstattung , der Widerstand und der Protest in der Gesellschaft bleiben gering.
Für die Bearbeitung seiner Themen hat Melhus seinen sehr eigenen Stil entwickelt. Seit dem Video Das Zauberglas (1991), in dem ein TV-Junkie eine Liebesbeziehung zu einem Mädchen im Fernsehen entwickelt, hat Melhus ausschließlich sich selbst als Schauspieler eingesetzt. Dies ist inzwischen zu seinem Markenzeichen geworden.
Melhus setzt viel Ehrgeiz in die Verkörperung der verschiedenen Charaktere. Zwar erleichtert die digitale Technik den Einsatz von nur einer Person in unterschiedlichen Rollen – die Nennung eines virtuellen Zwillingsbruders im Abspann wird da überflüssig – dennoch bereitet die eigene Mehrfachbesetzung logistische und planerische Probleme. Bei aufwendigen Filmen wie Auto Center Drive (2003), in dem Melhus fast ein Dutzend verschiedene Rollen übernimmt, muss der Drehplan genauestens festgelegt werden. Vor allem in Bezug auf die Frisuren: Für jede Rolle werden seine Haare anders geschnitten und gefärbt.
Damit, dass Melhus ausschließlich sich selbst als Schauspieler einsetzt, erzielt der Künstler einen gewissen komischen Effekt, der nicht zuletzt den Zugang zu den Arbeiten erleichtert. Dies geschieht weder aus Geldmangel noch etwa aus der Überzeugung, der einzig geeignete Akteur für seine Figuren zu sein. Vielmehr ist es das künstlerische Mittel der Verdoppelung, der Vervielfachung und der Identifikation mit Klischees, die es zu hinterfragen gilt.
In Arbeiten wie Again & Again aus dem Jahr 1998, die eine Kritik an der Genmanipulation darstellt, ist das nahe liegend, ebenso wie in dem Film Weit Weit Weg von 1995, einer Neuinterpretation der Geschichte vom Zauberer von Oz, in dem eine zweite Dorothy in einer tristen 70er-Jahre-Wohnhaussiedlung in Deutschland mittels Telefon und Satellitenschüsseln Kontakt zu ihrem Ebenbild in Amerika findet.
Melhus spielt bei diesem Video, ebenso wie bei allen anderen, mit Klischees, die wir kennen, arbeitet vor allem aber auch mit dem Ton. In der Regel ist auch immer erst die Tonspur seiner Videos fertig, anschließend folgt die Bebilderung.
Früher experimentierte er gerne mit den deutschen Synchronstimmen amerikanischer Filme, gerade wegen ihrer Künstlichkeit. Inzwischen benutzt er für seine Tonspuren, die auch mit musikalischen Elementen angereichert sind, die Originalstimmen. Das ist nicht nur ein Tribut an die internationale Rezeption seines Werkes, sondern auch das Resultat zweier längerer Amerikaaufenthalte und einer Veränderung in der Themenwahl. Religiöse Erweckungssendungen gibt es eben in Deutschland noch nicht.
Ein weiteres Merkmal seiner Filme sind die Wiederholungen, Verdoppelungen des Gesagten und Gezeigten. Auch sie sind Anspielungen auf unsere Fernsehgewohnheiten, auf die mediale Rezeption jedes Ereignisses, das durch die ständige Wiederholung zum einem in unser Bewusstsein erst wirklich einzudringen vermag, zum anderen aber die mangelnde Kommunikationsfähigkeit aufgrund der medialen Konsumgewohnheiten spiegelt.
Melhus schafft immer wieder starke, eindrucksvolle Bilder in seinen Installationen und Filmen. Dabei wechselt er ab zwischen Filmen, die man auf dem Bildschirm oder Kino sehen kann, und aufwendigen Inszenierungen, die sich nur in musealen Räumen mit Showtreppe und mehreren dutzend Videomonitoren erleben lassen, wie zum Beispiel Primetime (2001).
Er ist einer der einfallsreichsten Kritiker an den fernsehmedialen Auswüchsen unserer Tage, ohne sich vollkommen zu distanzieren. Wir alle sind Kinder des TV-Zeitalters, eine simple, einseitige Kritik, wie sie in den 70ern und 80ern üblich war, kann bei uns nichts mehr bewirken. Nein, wir wollen alle auch mit den Images des Fernsehens spielen und selber für ein paar Stunden Schlumpf sein – und trotzdem die Disneyfizierung der Welt als übel empfinden. Ohne dass er, wie so viele europäische Intellektuelle, zu einem dumpfen Amerikahass neigt, zeigt seine Kritik an der amerikanischen Politik und Konsumkultur die Ambivalenz, die darin besteht, Teil des zu kritisierenden Systems zu sein. Er ist einer der wenigen, denen es auf ganz eigene Weise gelingt, Distanz und Nähe zu diesen Vorbildern in der Waage zu halten. Er ironisiert Dorothy, indem er sich mit ihr personifiziert. Und er schafft es, wie in der oben angeführten Installation Still men out there, auf abstrakte Art die intellektuelle Kritik an einer Propagandamaschine mit dem emotionalen Mitleiden mit den Kriegsopfern zu verbinden.




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