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Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2010, 2
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Zeitschrift Umělec 2010/2

01.02.2010

Tony Ozuna | erotik | en cs de ru

Apropros Narzissmus – ich hatte einmal einen Auftritt in einem Pseudo-Softporno, aber nur als kleines Extra. Er hieß Blue Movie, und es handelte sich natürlich nicht um Warhols gleichnamigen Film. Es war ein nie erschienenes B-Movie, das nicht einmal direkt in die Videotheken kam, sondern direkt in Vergessenheit geriet. Es war der wenig fruchtbare Versuch, einen Film wie Zack and Miri Make a Porno zu drehen, doch waren es in diesem Fall anstatt einem (das heißt Zack), zwei männliche Deppen um die zwanzig, die in finanziellen Schwierigkeiten stecken und versuchen, mit einem Sexfilm den großen Reibach zu machen. In meinem Gastauftritt stand ich in einer „schmutzigen“ Gasse zusammen mit anderen Typen (unter anderem mit meinen Freunden Chris von der Punkrockband Claw Hammer und Mike von Action Now), die zwar alle voll bekleidet waren, aber begierig darauf warteten, einen Auftritt in einem Porno zu haben. Wir sahen alle schäbig und etwas böse aus, aber mehr als das wirkten wir total lächerlich oder einfach nur langweilig. Was wohlmöglich der Grund dafür war, dass der Film nie veröffentlicht wurde. Das war in den 80er Jahren … in Hollywood.
Wobei die richtige Action im Jahr 1969 in Europa lief, als die in Linz geborene VALIE EXPORT, die damals in Wiens Aktionskünstlerkreisen verkehrte, mit einer über der Scham offenen Hose und einer Maschinenpistole in ein Münchner Pornokino stürmte. Sie lief vor dem größtenteils männlichen Publikum auf und ab und forderte es auf, mit ihr, einer „echten Frau“, Kontakt zu haben, und nicht mit einer, die für sie nur ein Bild sei (diese Voyeure!), das sie sich anschauen und worauf sie dann im Dunkeln masturbieren. Der Titel dieser wienerischen Guerilla-Performance von EXPORT war Aktionshose: Genitalpanik.
Seit jeher ist der Grat zwischen Kunst
und Pornografie schmal, was die Aus-
stellung The Porn Identity zeigte, die 2009 in der Wiener Kunsthalle lief. Sie war nur „leicht“ subversiv, da ihr Rahmen im MuseumsQuartier sowohl einen provokativen Reiz als auch den bereits von EXPORT in Szene gesetzten schmutzigen Vorwurf zu bieten hatte.
Die Haupträume der Wiener Kunsthalle wirkten wie eine Peep-Show. Auf Augenhöhe waren Fernseher angebracht, auf denen jede Menge Sex und Louisa Achilles The Naked Feminist mit ausgewählten Interviews der Darstellerinnen zu sehen waren, sowie die Performancekünstlerin / Ex-Pornodarstellerin Annie Sprinkle und Marilyn Chambers, die sich mit ihren Rollen in Insatiable und Behind the Green Door den Titel des Porno-Superstars redlich verdient hat. Außerdem wurden noch pseudokünstlerisch-experimentelle Filme (besonders Gay Porno) gezeigt, mit Szenen von Kenneth Anger und Jean Genet und wegweisende, zeitgenössische Sex-Szenen von dreckigen Schuften wie Ron Jeremy, Sachiko Hanai, Snoop Dogg, Bruce LaBruce und Jack the Zipper. Im Großen und im Ganzen bekam man in der bunten Menge von Videos die größten und die kleinsten Schweinereien zu sehen, aus den 40er Jahren bis heute.
Als Höhepunkt (was sich nicht auf die unzählbaren erigierten Penisse bezieht) geriet der Zuschauer in Fallen aus Gewohnheit oder Erwartung – er ließ sich vom Künstler an der Nase herumführen. Wie beispielsweise in Johannes Wohnseifers verfänglicher Installation, die gleich beim Eingang zu finden war: Seine In Front of the Green Door (1996) war eine angelehnte grüne Tür, hinter der in einem Raum ein Porno lief. Die Besucher, oder zumindest die männlichen von ihnen, versuchten selbstverständlich, durch die Tür in den dunklen Raum zu gelangen (als sei es eine Videokabine). Aber die Tür war befestigt, sodass man nur durch den Spalt lugen konnte und nicht eintreten durfte. In dem Raum lief das Video Possessions vom „Erotik-Künstler“ und Filmemacher Andrew Blake, mit Marilyn Chambers in einer nächtlichen Lesben-Szene neben einem Pool – in den Hügeln von Hollywood, wo sonst?
Die Szenen ungezügelter Kopulation in Nahaufnahme, insbesondere die Auf-
nahmen von Penetrationen in allen nur
denkbaren, prächtigen, bunten Varia-
tionen, einige davon mit ungeheurer Hemmungslosigkeit, wurden schlussendlich doch monoton und sogar langweilig, ganz so wie Porno allgemein. Der Porno muss die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf sich lenken, und hierfür sind seiner Kreativität von Haus aus Grenzen gesetzt. Das ist auch der Grund dafür, dass es nur einige der Arbeiten schafften, sich aus diesem „Ghetto“ hervorzutun. Schließlich sind sie entweder ein Produkt ihrer Zugehörigkeit dieser Zurschaustellung, von dieser inspiriert oder werden durch sie bestimmt. Das rekonstruierte Fahrrad-Rad (1951) von Marcel Duchamp ist scheinbar Teil dieser Zurschaustellung, als etwas, das dem Auge etwas anderes bietet, als all die schmutzigen Bilder. Auch gab es eine der nackten Frauen-Eisskulpturen aus Stanley Kubricks Uhrwerk Orange, die in den Szenen der Korova Milchbar auftauchten, obwohl auch Szenen seines letzten Films Eyes Wide Shut durchaus nach Wien gepasst hätten. Die Erkundung des gesamten Spektrums des Einflusses, den Porno auf Kunst, Medien und Popkultur ausübt, war das ursprüngliche Ziel der Kuratoren Thomas Edlinger, Angela Stief und Florian Waldvogel. Man denke nur einmal an Madonna, die zu nichts weiter als zu einer aufgeblasenen Burlesque-Sexshow für den Mainstream gemacht wurde – Madonnas Fleisch wäre für diese Ausstellung einfach zu fade.
Nur einige Arbeiten konnten sich aus dem Porno-Dschungel hervortun, wie Ellen Cantors Film The Dictator and his Maid (2005), der zunächst wie eine stereotypische Herr-und-Diener-Geschichte aussieht, dann aber zu einem hypnotisierenden Ritual gegenseitiger Verführung wird. The Rainbow Wall hingegen war das Ergebnis einer gemeinschaftlichen Arbeit der Kuratoren. Sie bestand im Wesentlichen aus einer Wand mit fünfundzwanzig Bildschirmen – fünf nebeneinander und fünf übereinander angeordnet – auf denen die gleichen Szenen in einer bunten Choreografie gezeigt wurden, das heißt immer fünf Szenen gleichzeitig in einer senkrechten Reihe. Nebeneinander gestellt bildeten diese Ausschnitte eine Art Porno-Brei, in dem Aufnahmen von Betty Page neben homo- und hetero-hardcore-banging-Szenen in gleichzeitig kitschigen und bizarren Räumen zu sehen waren.
In seiner Filmkritik über Zack and Miri Make a Porno bezeichnet Steffen Silvis, der frühere (und legendäre) Kritiker der Prague Post, Porno als einen „lediglich fleischlichen Hintergrund für schlecht beleuchtete Räume und schmutzige Schwänze“. Und das beschrieb The Rainbow Wall im Besonderen und die Ausstellung The Porn Identity im Allgemeinen kurz und knapp: Alles war im Wesentlichen fleischlicher Hintergrund für ein angesehenes Wiener Kunstmuseum, das versuchte, als schmutziger Schwanz zu posieren.
In der Zwischenzeit ist in der Prager Szene Annie Sprinkles Herstory of Porn (1973-1998) in der Prager Galerie (5. Etage) neu aufgelegt worden (auf Videoleinwand), wo sie neben anderen genitalfokussierten Videos von Sprinkle und ihren exotisch-erotischen Fotos, die sie gemeinsam mit Charles Greenwood aufgenommen hat, zu sehen ist. Laut Definition der Sexologin Sprinkle „ist Erotik Sex, bei dem nur eine Feder benutzt wird, während es beim Porno das ganze Huhn ist“. Das war Teil der Show Virtual Libido, Real Ecstasy, an der auch Nadine Blandiche, Josef Bolf, Veronika Bromová, Martin Gerboc, H. R. Giger, Vlastimil Kula, Jiří Petrbok und Irina Polin mitwirkten. Teile der Show wurden 2008 in Banská Bystrica (Slowakei) gezeigt.
Sprinkles Herstory bringt die größten Szenen ihrer Porno-Vergangenheit zurück auf die Leinwand, wobei sie ein Vierteljahrhundert künstlerisch-pornografischer Performance und ständiger sexueller Experimente umfasst. Die extremen Nahaufnahmen von fickenden Genitalien sind für Sprinkle wie in voller Blüte stehende Blumen, so stellt sie es zumindest dar, sogar dann, wenn sie einen Froschkönig oder Zwerge fickt. Selbstverständlich begeistert sie sich für Fetisch, für abnormale Sexfilme mit Lederpeitschen, Ketten und Bondage, und sogar einige zensierte Szenen aus ihren dekadentesten Eskapaden der 70er Jahre sind zu bestaunen.
Leider gibt es auch einige Sexszenen mit Körperteilen von Behinderten – beispielsweise ein halber amputierter Arm und etwas, das sie „Regenbogenszenen“ nennt, in denen man sich beim Sex übergibt. Sprinkle praktiziert Spanking und Penisfolter, spielt in einer grauseligen Teufels-Kult-Orgien-Vergewaltigungsszene mit und verliert sich dann in Tantrasex und sexueller Spiritualität. Die Botschaft des Ganzen ist narzisstisch, wenn Sprinkle ihr positives Sex-ist-Liebe-New-Age-Mantra rezitiert. Und um noch mal auf VALIE EXPORTs feministischen Guerilla-Angriff auf das Pornokino zurückzukommen – Annie Sprinkle tut das gleiche, doch sie nimmt sich die etwas schäbige männliche Besucherschar in einer anderen Weise vor. Sie macht ein paar Blowjobs und lässt sich in den Sitzen mit einem Mikrophon in der Vagina ficken – im Wesentlichen kann in Herstory jeder in Annie rein.
Solche Ausstellungen mit unverhüllten und sogar empörenden Sexszenen sind in Prag unüblich, und sogar Pornografie ist ein eher neues Phänomen. Prag mag eine Hauptstadt für Sextouristen und Porno geworden sein, mehr noch als sein Rivale Budapest, doch in der Kunstszene wird dies noch nicht allzu häufig reflektiert.
Die tschechische Künstlerin Lenka Klodová (geboren 1969 in Opava) unterrichtet in Brünn den Kurs Pornostudien am FAVU Department of Theater & Design, im von Jana Preková geleiteten Atelier für Body Design.
Klodová betrachtet die Ursprünge der Pornografie, die in Pompeji liegen. Dort waren „obszöne“ oder sexuell explizite Skulpturen und Wandzeichnungen mehrere Jahrhunderte lang von Vulkanstaub bedeckt und sind erst im 18. Jahrhundert wieder gefunden wurden. Solche Arbeiten wurden jedoch immer sofort entfernt und versteckt oder im geheimen Museum für Pornografie in Neapel untergebracht. Sie wurden nicht öffentlich ausgestellt, sondern lagerten in „obszönen Räumen“, die strengen Zugangsregeln unterlagen, so dass diese Kunstform nur hinter den Kulissen zu finden war.
Klodovás Kurs geht über zwei Semester. In der zweiten Hälfte behandelt sie den Pornoklassiker Deep Throat von 1972, wobei ihr besonderes Interesse Linda Lovelaces Orgasmen gilt, oder eher der Art, in der Regisseur Gerard Rocco Damiano ihre Orgasmen in Feuerwerken und Explosionen darstellt. Bereits vor dieser Zeit gab es tschechische Erotik in den Kollagen und Fotos von Jindřich Štýrský und den Gemälden und Zeichnungen von Toyen aus der Zwischenkriegszeit. Als Vertreter unserer heutigen Zeit werden am Ende des Kurses Pornomagazine und Videos, ganz besonders „Amateurfilme“, die eher spezialisiert sind, untersucht.
Am letzten Tag ihres Unterrichts entkleidet sich Klodová nach der Vorlesung und verlässt den Raum. Die Show ist vorbei. Sie betont jedoch, dass sie keinen Striptease für ihre Studenten macht, sondern dass sie inspiriert ist von Roland Barthes Worten aus seinem berühmten Essay Striptease. Eine Frau ist desexualisiert, sobald sie nackt ist, so Barthes, oder, wie er es selbst beschreiben würde, Klodová entkleidet sich ohne irgendein mystifizierendes Spektakel oder Exotik – und ganz ohne Frenchness!
Klodovás Vorlesungen sind jedoch weniger beliebt, als man annehmen könnte – durchschnittlich nur 8-12 Studenten, was beinahe skandalös ist. Pornostudien sind mit Kunstgeschichte eng verbunden. Für die Künstler, die beides suchen, sind die dekadentesten und ästhetisch fesselnden Szenen aus Pornoklassikern wie Behind the Green Door, Deep Throat usw. seit jeher eine heilige Quelle der Inspiration gewesen. In den 90er Jahren und der Gegenwart scheint dies noch mehr der Fall zu sein, besonders für Starkünstler wie Jeff Koons und Mathew Barney bis hin zu Vanessa Beecroft (die ihre Inspiration vor allem vom italienischen Softpornomeister Tinto Brass zu beziehen scheint). Schließlich ist Porno (egal, ob Hardcore oder Softporno) ein Geschäft mit überwältigendem Erfolg, und für die heutigen Kunst-Superstars ist dies ihre Kunst.



Aus dem Englischen von Julia Kliem-Gesteira.




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