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Gegen das Gefängnis der eigenen WeltenZeitschrift Umělec 2010/101.01.2010 Ludvík Hlaváček | ewige wiederkehr | en cs de |
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Ende Februar dieses Jahres fand an der Akademie der Bildenden Künste (AVU) in Prag ein von der Intitiative Pro-AVU organisiertes Symposium statt, dessen Ziel nicht nur eine Diskussion über den vernachlässigten Zustand und die Rigidität der bedeutendsten tschechischen Kunsthochschule war, sondern vielmehr die Forderung nach konkreten Reformschritten. Etwa zur gleichen Zeit lief in der benachbarten Slowakei eine von einer Künstlerinitiative einberufenene Konferenz ab. Die Initiative war zu Beginn des Jahres mit dem Ziel ins Leben gerufen worden, auf die Provinzialität und Zurückgebliebenheit der Slowakischen Nationalgalerie hinzuweisen und der Frustration über das ständige Aufschieben des Projektes einer bedauerlicherweise fehlenden slowakischen Institution vom Typ „Kunsthalle“ Ausdruck zu verleihen. Der Titel der slowakischen Initiative – „Zwanzig Jahre sind seit der Samtrevolution nicht vergangen“ – könnte auf seine Art auch für die Initiative Pro-AVU stehen. Zwei Jahrzehnte Transformation in beiden Regionen bieten nicht nur Gelegenheit für eine Neubewertung, inwieweit sich die historischen Erwartungen erfüllt haben und die heutigen Kunst-Institutionen der Zeit entsprechen, sondern auch für eine Rückkehr zur Frage nach dem Sinn der Kunst in der heutigen Gesellschaft. Wir haben uns deshalb entschlossen, einen der Beiträge des Prager Symposiums abzudrucken, der uns neben persönlichen und Fachtexten universell zu sein schien. Palo Fabuš
Unlängst kündigte die Gastgeberin eines privaten Salons meinen Auftritt mit den Worten an: „Ludvík Hlaváček hält einen Vortrag mit dem provokativen Titel: Gegenwärtige Kunst – warum und wozu?“ Mich überraschte das und ich fragte: „Warum glauben Sie, dass das ein provokativer Titel ist?“ Die Gastgeberin antwortete ohne zu zögern: „ Aber wir wissen doch, wozu die Kunst da ist. Zur Freude.“ Nach dieser entwaffnenden Antwort war ich versucht, meinen Vortrag für überflüssig zu erklären. Glücklicherweise wurde mir schnell bewusst, dass Freude zwar ein guter Grund ist, aber auch ein zu allgemeiner. Und dann gibt es noch weitere Komplikationen. Zum Beispiel die Frage der Finanzierung von Kunst. Haben denn die zur Finanzierung einer Schule wie dieser aufgewendeten Millionen den Zweck, jemandem Freude zu bereiten? Und die Frage danach, was man Public Art nennt, sowie die nach all den anderen spezifischen Richtungen, die in den siebziger Jahren entstanden, wie politische, feministische oder ökologische Kunst. Richtungen, in denen sich der künstlerische Standpunkt mit konkreten sozialen und bürgerlichen Aktivitäten vermischte? Mit diesen künstlerischen Haltungen sind ernste Fragen verbunden, die klar über das Privatleben, wo sich die Freude abspielt, hinausragen. Kunst ist keine so private Angelegenheit, dass sie nichts mit Organisationen, Gesellschaften und ihren Institutionen, mit Politik, Wissenschaft, Kultur, Sorgen um die Umwelt und dergleichen gemeinsam haben sollte. Meine Erfahrungen mit der gegenwärtigen Public Art weisen darauf hin, dass die Tschechen ein niedriges soziales Bewusstsein haben. Schon die Bezeichnung „öffentliche Kunst“ hat, im Gegensatz zum ursprünglichen Begriff „public art“, eine negative Konnotation. Ist das vielleicht das Erbe der Vergangenheit, als für uns erst der Kaiser, dann die Parteisekretäre die öffentlichen Sachen erledigten? Oder ist es die Nähe zu Russland, wo demokratische Institutionen und bürgerliche Verantwortung etwas völlig Fremdes sind? Genau wie Freude ist Schönheit ein ebenso zutreffender wie allgemeiner Begriff. Doch kann dieses Wort Grund für Investitionen in Millionenhöhe sein? Und hat dieses Wort überhaupt noch irgendeinen Inhalt? Ich glaube, ja. Und ich glaube auch, dass es wesentlich wichtiger ist, diesen Inhalt zu suchen als Fachdispute über geeignete Ausdrucksmittel (Gemälde – Konzept) zu führen oder als den Arbeits- und Zeitaufwand bei der Herstellung eines Kunstwerkes zu begründen. Schönheit ist ein Erlebnis, und sollten wir uns noch an dieses erinnern, wissen wir, dass es sich in physischen Äußerungen zeigt, wie Schauer oder einem körperlichen Beben. Dass beim Erleben von Schönheit unser Körper bebt und nicht das Ding vor uns (Bild oder Statue), weist auf die Richtung hin, in der man Schönheit suchen muss. Wir lesen in kritischen Artikeln, dass mit Duchamp beginnend das Kunstwerk in seiner Wesenheit ein Gedanke ist. Dem ist nicht so! Die gesamte Kunstgeschichte hindurch war und ist ein Kunstwerk in seiner Wesenheit immer eine Idee. Die vestonische Venus, Michelangelos David, ebenso Duchamps Flaschentrockner oder Kovandas Streichholzschachteln sind als Kunstwerke nicht anders denkbar als ein Komplex von Ideen, Idealen, Verlangen, Ansichten, Versuchen, die Welt zu verstehen, ein Festhalten ihrer Ordnung und der Drang, Einsicht in den Sinn des Lebens zu gewinnen, einfach, den Inhalt des idealen Charakters zu finden. Auch wenn es sich meist um spontane Inhalte handelt, um Gefühle und nicht um rationale Erörterungen, zeigen sie uns, dass das, was wir Kunstwerk nennen, sich in unserem Denken abspielt. Nur in der lebendigen, produktiven Interaktion mit einem materiellen Gegenstand, z.B. einer bemalten Leinwand, kann ein Kunstwerk, und mit ihm das Gefühl von Schönheit, erweckt werden. Bis zur demokratischen Revolution im 18. Jahrhundert war man sich in Europa darüber einig, was als schön anzusehen ist. Der gesellschaftsformende Begriff Gottes, der in seiner transzendentalen Position alles, besonders Vernunft und Gefühl oder die Gesellschaft und den Einzelnen, in einem einzigen kohärenten System vereinte, garantierte sowohl die harmonische Hierarchie der Gesellschaft als auch den geltenden Wert der Schönheit. Dann aber, als alles um uns herum zu einem Werk uns endlicher Menschen wuchs, wurde auch die Autorität eines jeden neuen sozialen und ästhetischen Systems problematisch. Der Kunst wurde eine völlig neue soziale Rolle zuteil. War sie zuvor Bestätigung eines gegebenen, von Gott garantierten Systems, erhielt sie nun eine kritische Rolle. Von Baudelaire bis zu Ihnen, den Studenten, und wir wollen hoffen, auch bis zu Ihren Nachfolgern, ist und wird es Aufgabe der Kunst sein, an der bestehenden Ordnung und ihren Normen zu zweifeln, ihre Grenzen aufzuzeigen und neue Denkmodelle zu bringen – und damit die produktive Rolle des Menschen zu zeigen. Zu zeigen, dass wir Menschen unsere Wirklichkeit selbst erschaffen haben und nicht in irgendetwas hinein gestellt worden sind, was irgendwer anders für uns vorbereitet hat. Ich selbst erlebe ziemlich oft das Gefühl der Schönheit, auch mit seinen physischen Begleiterscheinungen. Ich erlebe es vor Bildern zeitgenössischer Maler und auch vor den unterschiedlichsten konzeptuellen Werken. Stets ist die Hauptachse dieses Erlebens das Gefühl der Neuheit. Das Gefühl, dass ich Zeuge bei der Geburt von etwas Neuem bin. Das, was da gerade geboren wird, reißt zwar meine bisherigen Sicherheiten ein, gleichzeitig jedoch erfüllt es mich auch mit Freude bei der Feststellung, dass ich Teil des Geschehens bin, dass ich lebe. Ich bin davon überzeugt, dass dies ein evidenter Hinweis darauf ist, dass die Welt nicht ein für alle Mal fertiggestellt ist, sondern dass ständig etwas geschieht, dass sich jenseits der Grenzen ihrer Sicherheit ein Geheimnis, eine Erwartung, eine Überraschung auftut. Das ist, wie ich meine, eine Art Freude, in die es sich lohnt, Millionen zu investieren. Denn es ist ein Unterschied, ob die Regierungen eine Welt verwalten, in der Menschen leben, oder ein System von Programmen steuern, deren zuvor kalkulierte Schritte passive „Roboter“ ausführen werden. Ich glaube, dass die Aufgabe eines erfahrenen Pädagogen darin besteht, den Studenten mit handwerklichen Fähigkeiten und zugleich mit der Erfahrung der Freiheit auszustatten. Dies aber ist eine schwierige Aufgabe, weil die menschliche Freiheit eine horizontale Angelegenheit ist. Wir haben das Gefühl, dass wir in unserer Welt frei sind. Doch dann gelangen wir auf einen neuen Hügel und entdecken neue Abhängigkeiten, neue Unsicherheiten, neue Aufgaben. Darin liegt vielleicht der Grund des gegenwärtigen Streits dieser Schule. Einigen scheint es, als hätte die Schule nach der Samtrevolution ihren Horizont der Freiheit beschnitten und darin Befriedigung gefunden. Damit hielt sie aber die Bewegung an, schaffte die Möglichkeit ab, auf neue Horizonte zu reagieren, die, ob wir nun wollen oder nicht, sowohl im lebenden künstlerischen Verkehr, als auch jenseits der scheinbaren Grenzen der Kunst auftreten. Jeder ältere Mensch, und ich habe das Recht, dies zu behaupten, hat nur eine begrenzte Möglichkeit, auf neue Horizonte zu reagieren. Aber eine Schule sollte nicht altern. Zwischen einem einzelnen Künstler und einem kollektiven Subjekt, wie es zum Beispiel eine Schule ist, existiert ein Unterschied. Die Grenzen des persönlichen Horizonts des einzelnen Künstlers sind offensichtlich nicht schädlich. Ein anderer Mensch betritt gern seine Welt und schöpft aus dem, was er dort findet. Im Fall der Schule ist das aber anders. Dort, glaube ich, ist das Einschließen in die eigene Welt verderblich. Ob das auf Sie zutrifft, müssen Sie selbst beurteilen. Aus dem Tschechischen von Michael Kniehl.
01.01.2010
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