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Moderne  zwischen Heimat und Kosmopolitismus
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2009, 1
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Moderne zwischen Heimat und Kosmopolitismus

Zeitschrift Umělec 2009/1

01.01.2009

Milena Dimitrova | geschichte | en cs de es

Den Impuls zu diesem Artikel gab der Herausgeber dieser Zeitschrift, als wir über die Bücher sprachen, anhand derer ich versuchte, einen Überblick über die moderne Kunst und Avantgarde Mittel- und Osteuropas zu erlangen.
Mein Versuch war am Scheitern und die Bücher eher Verwirrung stiftend statt orientierend: zum einen werden manche Länder Südosteuropas in fast keinem Werk besprochen, auch nicht in den Publikationen, die sich nicht auf Ostmitteleuropa beschränken. Dabei wollte ich, wegen der Diplomarbeit über die bulgarische Moderne, mir vor allem ein Bild über Südosteuropa machen. Und zum anderen unterscheiden sich die abgebildeten Werke aus den Ländern, die Eingang in die Bücher fanden, kaum vom klassischen Kanon westeuropäischer moderner Kunst und Avantgarde. Man fragt sich, ob wegen der Auswahl oder aufgrund des vorhandenen Materials, da meist sehr deutlich als Ziel genannt wird, den universellen Charakter der europäischen Avantgarde aufzuzeigen.
Aber so scheint die Kunst jener Zeit aus Osteuropa hauptsächlich Nachahmung westlicher Tendenzen gewesen zu sein. Oder, was nicht wie Nachahmung aussieht, scheint volkstümelnd und rückständig. Die meisten Publikationen versuchen das zu revidieren, indem sie beispielsweise den Ursprung mancher Avantgardeströmungen in Osteuropa, so Dada in Rumänien, lokalisieren. Also auch diese revisionistische Kunstgeschichte wird im Hinblick auf ihre Bedeutung für den Westen geschrieben.

Geschichtlichkeit
Was dabei vergessen und ausgeblendet wird, sind spezifische soziokulturelle Themen und Situationen in den Regionen selbst.
Ein zentrales Thema der Kunstdiskussionen der frühen 1920er Jahre in Osteuropa war das Universelle und das Heimatliche in der Kunst. Diese Diskussionen gab es vermehrt in Estland und Litauen, in Bulgarien, in Rumänien, genauso beispielsweise in Polen und anderen mitteleuropäischen Nationalstaaten, als diese gerade im Entstehen begriffen waren.
Spezifisch für diese Länder ist, dass sie sich im 19. Jahrhundert am Prozess der Nationalstaatenbildung nicht beteiligen konnten, sondern in größere Imperien eingebunden waren (Russland, Osmanisches Reich, Österreich-Ungarn, Preußen).
Kultur und Kunst spielten vor diesem Hintergrund eine wichtige Rolle für die Entwicklung und Wahrung einer nationalen Identität sowie von Modernisierung.
So diskutierte man die Notwendigkeiten, eine kosmopolitisch - universelle oder eine nationale Kunst zu schaffen und an einer Internationalisierung oder am Aufbau der nationalen Identität zu arbeiten.
Den Vertretern der universalistischen Strömung galt eine Kunst nach dem Model und der Formensprache der damaligen Kunstzentren als erstrebenswert. Aber auch in die heimatliche Kunst bezog man (im Idealfall) progressive Darstellungsmittel aus der westlichen Avantgarde ein.
Universalismus stand einer Suche nach nationalem Stil und nationaler Kunst nicht zwingend gegenüber, die beiden Positionen schienen durchaus vereinbar, da für die neu entstehenden Nationalstaaten in dieser Region sowohl Kosmopolitismus als auch Nationalbewusstsein eine wichtige Rolle spielte.
Auch die heimatliche Kunst orientierte sich an der Formen-
sprache westlicher Moderne und Avantgarde – zumindest war das der Wunsch vieler der theoretischen Positionen jener Zeit – und stand mit der universalistischen Idee nicht im Widerspruch. Im einen Fall näherte man sich progressiven Darstellungsweisen aus dem Ausland an, im zweiten veränderte man sie in Annäherung an lokale Darstellungsweisen und Themen und in Kombination mit Traditionen aus der Ikonenmalerei und Volkskunst. Annäherung und Transformation sind mit den beiden klassischen Arten der Übersetzung vergleichbar - die eine gleicht den Text an die Strukturen der in die zu übersetzenden Sprache an, die andere lässt die Eigenheiten der fremden Sprache bestehen. Was heute hauptsächlich in den Büchern zur Moderne und Avantgarde zu finden ist, ist die universalistische Strömung, die Annäherung an westliche Formensprache, auf die sich eine universalistische Kunstgeschichte konzentriert.
Was diesen Artikel nun interessiert, sind Tendenzen in der kunstgeschichtlichen Interpretation der Moderne und Avantgarde Osteuropas, am Beispiel einiger der größeren Publikationen in chronologischer Reihenfolge und Fragen und Schwierigkeiten, die sich aus einem universalistischen Standpunkt der Kunstgeschichte ergeben. Das, weil wie gesagt, mein Ausgangspunkt das Fehlen einiger Regionen in den Kunstgeschichtsbüchern war und wie sich zeigt, diese Absenz eng mit einer universalistischen Interpretationsart zusammenhängt.

"Böse" Publikationen (oder einfach die den westlichen kunstgeschichtlichen Konventionen und dem Kanon treuen)
Zu den frühen westlichen Publikationen zur Moderne und Avantgarde Osteuropas nach dem Fall des Eisernen Vorhangs gehören der vierbändige Ausstellungskatalog zur Ausstellung Europa Europa von 1994 und Steven Mansbachs „Modern Art in Eastern Europe“ von 1999. Davor gab es einige wenige Bemühungen in diese Richtung in den 60er und 70er Jahren.
Sowohl in „Modern Art in Eastern Europe“ als auch in „Europa, Europa“ ist das ausgesprochene Ziel eine Revision der Kunstgeschichte. Indem der universelle Charakter – der sich in der Ähnlichkeit der Werke äussert - von Avantgarde und Moderne aufgezeigt wird, soll die oft als vermeintlich provinziell oder dilettantisch betrachtete Avantgarde Osteuropas aufgewertet werden. Universalismus, oder ein universalistischer Interpretationszugang, ist jedoch spätestens seit dem Aufkommen des postkolonialen Diskurses diskreditiert. Das Universelle wird im Zentrum definiert und artikuliert und funktioniert paradoxerweise nach einer Logik des Ein- und Ausschlusses. Als sein zentrales Merkmal gilt, nur als Antwort auf ein eigenes ausgeschlossenes Außen artikuliert werden zu können. Nur aus einer hegemonialen Position heraus kann bestimmt werden was universell ist, was inkludiert wird und was ausgeschlossen. In diesem Fall, was aufgewertet und in den Kanon aufgenommen wird.
So ist bei Mansbach ausschließlich jene Form der Übersetzung von Interesse, die dem im Westen verbreiteten Idiom der Avantgarde treu bleibt. Jene, die es auf ein lokales Idiom hin transformiert wird als weniger interessant bewertet. In diesem Zusammenhang ist über die rumänische Moderne zu lesen:
„Thus, the pleinairism of Grigorescu and the gentle realism of Luchian never crystallized into a Romanian school, movement, or national idiom. Even as these styles were adopted by the country‘s most accomplished painters, they were always recognized as essentially foreign (primarily French), and, indeed, that was a dimension of their great appeal: Romanian art became validated more through its assimilation than through its transformation of progressive modes from abroad. In this essential respect, as will become clear, the pattern of reliance on the „foreignness“ of the nation‘s artists was projected into the twentieth century.”
Es kommt jedoch einer überaus ahistorischen Haltung gleich, sich nur auf einen dieser beiden Aspekte der Kunst dieser Zeit zu beschränken. Ein Ergebnis dieses Zugangs ist, dass ganze Gebiete ausgeblendet werden.
So ist in „Modern Art in Eastern Europe“ das Fehlen Bulgariens aus Mangel an zu besprechendem Material und aus der Ähnlichkeit zur Situation Makedoniens und Albaniens erklärt. Der Autor beruft sich auf „Europa, Europa“, wo es auch fehlt und behandelt stellvertretend für die drei Länder die Kunst Mazedoniens. Mazedonien ist im größeren Kapitel über Jugoslawien platziert.
Die Ein- und Ausschlusslogik des universellen Zugangs und eine Tendenz zur Enthistorisierung bei alleiniger Betrachtung dessen, was als universell gilt, bedingen in diesem Fall einander. Das Fehlen der Gebiete erweist sich als direktproportional zum Interesse an der universalistischen Interpretationsart.

"Gute" Publikationen (Relativisten)
Eine ganzheitlichere Betrachtung, die die genannten Kunst-
diskussionen einschließt, würde ein Geschichtsbewusstsein fördern, dass es erlaubt „Europa“ besser zu verstehen. Das ist auch die Tendenz späterer Publikationen zu osteuropäischer Kunst, die sich jedoch allesamt auf Ostmitteleuropa konzentrieren.
2002 kam „Between worlds, a sourcebook of central-european avantgardes 1910-1930“ heraus und dem Bedarf an übersetztem Quellenmaterial, das eine in die Kulturgeschichte der Region verankerte Beschäftigung mit dem Thema erlaubt, entgegen.
Bulgarien, Mazedonien, Albanien, Ukraine, Weißrussland, Estland, Lettland fehlen auch hier, diesmal aufgrund der Beschränkung auf Zentraleuropa. Auch hier ist schon im Titel bestimmt, dass das Interesse den Avantgarden gilt.
Jedoch sind in dem eigenen Kapitel „national traditions“ genau diese frühen Diskussionen, die auf dem Weg zur Internationalisierung der Avantgarden stattfanden, hinein genommen und eine Auswahl von Primärquellen publiziert.
Die weiteren Kapitel wenden sich dann weiteren Aspekten der sozialen und politischen Ursprünge der Avantgarde-Kunst anhand von Quellenmaterial zu, die, wie Peter Weibel anderswo schreibt, das gesamte Klima des Kalten Krieges nahe legte zu verdrängen.
2004 brachte Robert Born „Die Kunsthistoriographien in Ostmittel-
europa und der nationale Diskurs“ heraus.
Diese Aufsatzsammlung konzentriert sich auf die Aufarbeitung des nationalen Diskurses in der Kunsthistoriografie Ostmitteleuropas.
Die Publikation macht bewusst, wie eng die Sicht der Kunst-
geschichte mit der jeweilig vorherrschenden politischen und ideologischen Situation verknüpft ist. Darin vertreten sind Ansätze, die das Lokale als Konstrukt und die kunstgeografische Methode als ‚historisch vorbelastet‘ und besonders anfällig für nationale oder nationalistische Denkweisen ansprechen. Aber auch Ansätze, die der heutigen, durchaus gut gemeinten Tendenz, alles zu europäisieren und die Kategorie des Nationalen aus der Betrachtung auszublenden, kritisch gegenüberstehen.
Ein solches nebeneinander von gegensätzlichen Standpunkten ist oft auch in Textsammlungen zur zeitgenössischen osteuropäischen Kunst beobachtbar. Auch wird manchmal in der zeitgenössischen Theorie und Kritik der osteuropäischen Kunst eine Diskussion ähnlich jener zwischen Universellem und Nationalem wieder aufgenommen, nun aber in den Begriffen, „lokal“ und „global“ gefasst.

Ähnlichkeit und Nachahmung
Noch weitere, schwieriger zu fassende Fragen kommen auf, wenn es um die Interpretation der im Westen als auch im Osten in gleicher Weise verbreiteten Strömungen der Avantgarde geht, über die Kategorie des Nationalen hinaus.
Ein universalistischer Zugang ist auch hier problematisch, da neben den Errungenschaften der Kunstzentren das, was in periphereren Regionen entstand, trotz Ähnlichkeiten als provinziell und dilettantisch erscheint. Unter Berufung auf den unterschiedlichen Kontext und Inhalt wird diese vermeintliche Provinzialität dann revidiert und die Werke wieder aufgewertet.
Gegen diese Vorgangsweise wendet Piotr Piotrowski ein, dass die Universalisierung der Sprache – also die Behauptung, die Formensprache der osteuropäischen Kunst sei eine westliche – eine Strategie der Vereinnahmung von geographisch „anderen“ Kulturen ist. Etwas wesentliches, das dabei vorausgesetzt wird, ist die Übersetzbarkeit oder Austauschbarkeit der Sprache. Eine echte Falle sozusagen.
So ist heute beispielsweise auch eine Instrumentualisierung im ehemaligen Ostblock entstandener, kommunismuskritischer Kunst beobachtbar.
Dagegen fordert die kunstgeographische Methode das Erkennen von Differenzen und nicht von Ähnlichkeiten.
„A revisionist geographer of East Central Europe should reveal what is different or „other“ from the „western idiom“, instead of coming up with the requirement of learning it as a necessary condition of being marked on the artistic map of the world.”

Postkolonialer Diskurs und kulturelle Hegemonie
Es werden in den heutigen Diskussionen rund um die Geschichts-
schreibung der Modernen und Avantgardekunst und vor allem der zeitgenössischen Kunst Osteuropas Begriffe des gesamten postkolonialen Diskurses und darüber hinaus bemüht. Dass vor allem, weil die „universalistische Sicht der Kunstgeschichte“ - und in diesem Fall ist das eine westliche Sicht - kulturelle Hegemonie (wenn man an den Begriff bei Gramsci denkt) etabliert. Das bedeutet, was ausgeschlossen wird, strebt danach, in den universellen Kanon inkludiert zu werden und verleibt sich in einer Art „selbstkolonialisierender“ Geste (Kiossev) oder auch - und in anderen Worten - weil die Alternativen unattraktiv sind, in die Sprache des Universellen ein. Und das ist für heute in einem weit größeren Ausmaß gültig als damals.
Es ist jedoch denkbar, den universalistischen Standpunkt nicht zu verwerfen und, sich die Problematik der Hegemonie und Tendenz zur Enthistorisierung bewusst haltend, durch die unterschiedlichen Interpretationszugänge zu interessanten Ergebnissen zu gelangen.
So wie auch das Englische, die Sprache die als die hegemoniale Sprache schlechthin gilt, heutzutage von so vielen Sprechern mit fremden Elementen durchdrungen wird und auf diese Weise transformiert und angeeignet, sich in einer Art Eigenleben von ihrem Original entfernt.
2008


Literatur:
S.A. Mansbach: The „foreignness“ of classical modern art in Romania, in: The Art Bulletin, Sept, 1998
http://findarticles.com/p/articles/mi_m0422/is_3_80/ai_54073947
Benson, Timothy O. [Hrsg.], Between worlds. A sourcebook of central-european avantgardes 1910-1930, Cambridge, 2002
Piotr Piotrowski: „Framing of the Central Europe”, in: 2000+ ArtEast Collection, The Art of Eastern Europe, A Selection of Works for the International and National Collection of Moderna Galerija, Ljubljana, Innsbruck : Orangerie Congress/ Wien-Bozen: Folio Verlag, 2001
Robert Born / Alena Janatková / Adam S. Labuda: Die Kunsthistoriographien in Ostmitteleuropa und der nationale Diskurs, Berlin, 2004
Rezension von Christopher Hermann von: Robert Born, Die Kunsthistoriographien in Ostmitteleuropa und der nationale Diskurs, Berlin, 2004,
http://www.arthistoricum.net/index.php?id=276&ausgabe=2005_12&review_id=7295
Mansbach, Steven A.: Modern art in Eastern Europe : from the Baltic to the Balkans, ca. 1890 – 1939, Cambridge, 1999
1 S.A. Mansbach: The „foreignness“ of classical modern art in Romania, in: The Art Bulletin, Sept, 1998
http://findarticles.com/p/articles/mi_m0422/is_3_80/ai_54073947
2 Peter Weibel, Der Kalte Krieg und die Kunst, in: Zurück aus der Zukunft. Osteuropäische Kulturen im Zeitalter des Postkommunismus, Frankfurt, 2005
3 Piotr Piotrowski: “Framing of the Central Europe”, in: 2000+ ArtEast Collection. The Art of Eastern Europe . A Selection of Works for the International and National Collection of Moderna Galerija, Ljubljana, Innsbruck, 2001, S. 21
4 Ebenda




Kommentar

Mark | 06.02.2016 23:16
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