Zeitschrift Umělec 2005/2 >> Garantiert propagandafrei und quotenlos? Ein kritischer Kommentar aus der aktuellen Malerei-Hochburg Leipzig Übersicht aller Ausgaben
Garantiert propagandafrei und quotenlos?  Ein kritischer Kommentar aus der aktuellen Malerei-Hochburg Leipzig
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2005, 2
6,50 EUR
7 USD
Die Printausgabe schicken an:
Abo bestellen

Garantiert propagandafrei und quotenlos? Ein kritischer Kommentar aus der aktuellen Malerei-Hochburg Leipzig

Zeitschrift Umělec 2005/2

01.02.2005

Susanne Altmann | Hype und Malerei | en cs de

Als im Februar der jährliche Rundgang an der Leipziger Kunsthochschule (HGB) stattfand, war allen Beteiligten klar, dass es diesmal um mehr gehen würde als in den Jahren zuvor. 2004 hatte mit einem nicht nur für Leipzig beispiellosen Hype um die Kunstproduktion der sächsischen Stadt überrascht. Besonders Malerei aus dem Umfeld der HGB war zu einem begehrten Markenartikel geworden, dem Galeristen und Sammler häufig unreflektiert nachjagten. Preise dafür orientierten sich zunehmend an den astronomischen Summen, die für Werke von Neo Rauch schon seit einiger Zeit gezahlt werden, und so ist es kaum ein Wunder, dass Protagonisten der Szene wie Tim Eitel, Christoph Ruckhäberle oder Matthias Weischer die Schallmauer von 20.000 Dollar pro Großformat längst hinter sich gelassen haben.
Zum bewussten Akademierundgang kürzlich also drängten sich wirkliche und selbsternannte Kunstscouts aus ganz Europa, auf der Suche nach Schnäppchen und neuen Helden. Doch was bis auf wenige Ausnahmen in den Ateliers und auf den Gängen der Malereiklassen zu sehen war, führte zu erheblichen Irritationen und veranlasste die Autorin vielfach zu der Annahme, hier sei blanke Ironie im Spiel: Stilistisch und motivisch rauchte, ruckhäberlte und weischerte es in einer Art und Weise, die wohl nicht ganz ernst gemeint sein konnte. Oder doch?

Ob der von Medien wie Art und Spiegel tatkräftig befeuerte Rummel um die sogenannte Leipziger Schule in jedem Fall förderlich für die malerische Ausbildung an der neuerdings umlagerten Schule sein kann, bleibt höchst zweifelhaft. Es ist eine Binsenweisheit, dass zu frühe Marktpräsenz und der damit verbundene Druck so manchen jungen Künstler in kreative Sackgassen und in eine veritable Hybris geführt haben. Die, in den letzten Jahren, auf der Woge der Berliner Produzentengalerie LIGA und der beiden maßgeblichen Galerien Eigen+Art sowie Kleindienst nach oben getragenen Maler haben bereits eigene Strategien gegen den Hype entwickelt – inwieweit diese funktionieren, wird die Zukunft ihrer Produktion zeigen. Jüngere Kollegen hingegen scheinen dem Stress des Labels Leipzig einigermaßen schutzlos ausgesetzt zu sein und genießen die Aufmerksamkeit der durch die Hochschulräume flutenden Kuratoren, Presseleute und Sammler, häufig gepaart mit deutlichem Drang, vermeintlich Marktkompatibles anzubieten.

Interessanterweise gehört Inhaltlichkeit, die sich erkennbar oder gar kritisch auf soziale Realitäten bezieht, in keinem Falle dazu. Das mag immer noch mit der Angst vor einem Propagandavorwurf zusammenhängen, wie er dem sozialistischen Realismus neben dem Parteiabzeichen ans Revers geheftet war. Dass die ostdeutsche Figuration viel mehr zu bieten hatte als linientreue Programmatik und dass der Leipziger Neoverismus der 60er und 70er Jahre exzellente Künstler einschloss, deren Namen nicht so prominent gehandelt wurden wie jene von Bernhard Heisig, Sighard Gille oder Werner Tübke, spielt zwar in der wissenschaftlichen Rezeption eine Rolle – konnte aber bislang die Themen der neueren Leipziger Produktion nicht wesentlich beeinflussen. Allzu häufig grundiert eine seltsame Wirklichkeitsferne, eine Flucht ins surreal Befindliche, diese peinture pour la peinture trotz ihres gegenständlichen Personals. Verspielte oder agoraphobe Scheinwelten täuschen nicht darüber hinweg, dass hier eine gewisse inhaltliche Ratlosigkeit herrscht und dass die handwerkliche Analyse des Mediums Malerei im Vordergrund steht. Nein, hier lehnt sich kaum einer mit Anklängen an gesellschaftliche Problematiken oder an sonstiges Engagement aus dem Atelierfenster. Viel lieber partizipiert man an der persönlichen Mythologie inklusive wiederkehrender Versatzstücke, wie sie Neo Rauch eingeführt hat – allein, dass es sich bei Rauch nur um einen von mehreren Strängen seiner bildnerischen Phantasie handelt und dass eine solche Interpretation zwar wohlfeil scheint, aber dennoch oberflächlich bleiben muss.

Dass kritische Figuration durchaus reflektiert an aktuellen Entwicklungen der Malerei Anteil nehmen kann, hat unter anderem das Beispiel des jüngst verstorbenen amerikanischen Malers Leon Golub gezeigt: hochgeehrt als künstlerisches Gewissen der Nation, doch zeitlebens ohne den durchschlagenden kommerziellen Erfolg seiner abstrakten und pop-artistischen Zeitgenossen. Um als „Gegenständlicher“ einen solchen Entwicklungsweg einzuschlagen, bedarf es einer bestimmten Gewissenshaltung und eines Bedürfnisses – Zustände, die in Leipzig momentan kaum Konjunktur haben. Doch ließe es nicht gerade die hochqualitative fachliche Ausbildung zu, sich einmal von der „sicheren Seite“ zu entfernen, bzw. Studierende dazu zu ermutigen? Mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:2 könnte Neo Rauch ab Herbst 2005 die Nachfolge des mächtigen Malerschmieds Arno Rink antreten, seine Probevorlesung hat er letzten Dezember bereits abgeliefert. Es dürfte spannend anzusehen sein, wie Rauch als Lehrer Tradition und Wirklichkeit auf eine neue Ebene führt.

Immerhin existieren Stimmen wie die von Julia Schmidt oder Verena Landau, die zwar nicht allzu lautstark, jedoch bestimmt mit ihren Werken das Recht von gegenständlicher Malerei einfordern, sich selbst in Frage zu stellen und Echtzeit-Probleme zu konfigurieren: “[...] ein Bild muss Fragen stellen, sonst könnte ich auch etwas anderes machen,“ (art, 10/2004) stellt Julia Schmidt fest und bewegt sich mit ihren fragmentarischen, skizzenhaften Arbeiten ganz bewusst an der Grenze des Mediums, während ihre erfolgreichen Ex-Kommilitonen nur selten die Daseinsberechtigung des großformatigen Opus in Öl auf Leinwand in Frage stellen. Verena Landau positioniert sich von vornherein in kapitalismuskritischer Haltung – als Teil des kommerziellen Systems, meint sie, kann man sich eine Verweigerungshaltung leisten. Als die Malerin sich bzw. ihr Werk nach einem Verkauf vom betreffenden Banker vereinnahmt und öffentlich vorgeführt fühlte, beschloss sie, fortan nicht mehr an Unternehmen zu verkaufen und thematisierte das Geschehen in einem Bildzyklus. Engagierte Botschaft und Delikatesse der Malweise schlossen sich hier keineswegs aus. Momentan experimentiert Landau passenderweise mit gesellschaftlichen Feindbildern - und nicht nur ihren eigenen.

Auffällig ist im Leipziger Umkreis, dass sich die Malerinnen eine kritischere Position leisten als ihre männlichen Kollegen - auch sind sie weit weniger von dem genannten Hype erfasst. Arno Rink, der Lehrer vieler von ihnen, versäumt es in Gesprächen selten, auf dieses Paradoxon und auf das absolut gleichrangige Können seiner Absolventinnen hinzuweisen. Dazu gehört auch Ulrike Dornis, die mittlerweile in Berlin lebt, aber auf profunde Leipziger Wurzeln verweisen kann: Ihr Vater Kurt Dornis gehört zu jenen Malern, die eher im Stillen prägend gewirkt haben, nicht zuletzt, weil sich ihre Auffassung vom Gegenstand sowohl pathetischen als auch propagandistischen Gesten verweigerte. Kurt Dornis’ unverwechselbare Eindrücke von der Leipziger Industrielandschaft gehören neben dem Oeuvre von Dietrich Burger zu den unterbewerteten Zeugnissen einer Leipziger Schule, die ohnehin nicht auf simple Formeln zu bringen ist. Im Werk seiner Tochter schwingt diese Konditionierung bis heute mit, besonders in wandfüllenden Konstruktionen aus Stahlbrücken und normiertem Trägerwerk. Weit weniger monumental, sondern poetisch, geht es in den Kompositionen von Henriette Grahnert zu, auch hier entwickelt sich ein fast subversiv und ironisch scheinender Gegenwurf zur gewohnten emblematischen Leipziger-Ikonik. Zurückhaltende Farbigkeit und absichtsvolle Imperfektion charakterisieren auch die Leinwände von Miriam Vlaming – die gebürtige Holländerin hat es in Sachsen zu Meisterschaft in toniger, sehr grafisch aufgefasster Linie gebracht. Ihr thematisches Domizil fand auch sie in eher entrückten, märchenhaften Szenen, und sie befindet sich damit, und nur damit, in Verwandtschaft zu Isabelle Dutoit, deren scheu-narzisstischen Idyllen sowohl von der akribischen Suche nach gestalterischer wie auch persönlicher Sicherheit künden: exerziert auf der Schwelle zwischen Hyperrealismus und Abstraktion.

Zahlreiche Färbungen existieren außerhalb des Leipzig-Mainstreams und verdienen, wenn es denn schon Leipzig sein muss, aktuell zweifellos genauso viel Aufmerksamkeit wie die üblichen Verdächtigen und allemal mehr Aufmerksamkeit als die angestrengten Epigonen in den unteren Semestern der Malereiklassen. Die sollten sich zunächst einmal in Ruhe ausprobieren und von der Öffentlichkeit weithin unbemerkt ihre Kopie-Experimente durchführen können. Vielleicht wird ihren heutigen Werken auch das wunderbare Schicksal jener Gemälde teilhaftig, die heute im Keller der HGB archiviert werden. Vor 1989 nämlich waren die Absolventen verpflichtet, eines ihrer Diplomwerke ihrer Akademie zu übereignen. Statt diese Zeugnisse des Leipziger Realismus mit überdeutlichen Anklängen an den expressiven Duktus von Bernhard Heisig, Arno Rink und Sighard Gille nun dort unten verschimmeln zu lassen, kuratiert der Hausmeister Manfred „Louis“ Tränkner hin und wieder Ausstellungen damit auf den unterirdischen Fluren. Zum Rundgang neulich holten die Studenten der Medienklasse von Alba d’Urbano die Werke in den Oberstock zurück, zum Entzücken und Erschauern mancher Besucher. “Pass mal auf,“ raunt mir ein Kollege zu, “In zehn Jahren malen alle wieder so.“




Kommentar

Der Artikel ist bisher nicht kommentiert worden

Neuen Kommentar einfügen

Empfohlene Artikel

Magda Tóthová Magda Tóthová
Mit Anleihen aus Märchen, Fabeln und Science-Fiction drehen sich die Arbeiten von Magda Tóthová um moderne Utopien, Gesellschaftsentwürfe und deren Scheitern. Persönliche und gesellschaftliche Fragen, Privates und Politisches werden behandelt. Die Personifizierung ist das zentrale Stilmittel für die in den Arbeiten stets mitschwingende Gesellschaftskritik und das Verhandeln von Begriffen, auf…
No Future For Censorship No Future For Censorship
Author dreaming of a future without censorship we have never got rid of. It seems, that people don‘t care while it grows stronger again.
Nick Land, Ein Experiment im Inhumanismus Nick Land, Ein Experiment im Inhumanismus
Nick Land war ein britischer Philosoph, den es nicht mehr gibt, ohne dass er gestorben ist. Sein beinahe neurotischer Eifer für das Herummäkeln an Narben der Realität, hat manch einen hoffnungsvollen Akademiker zu einer obskuren Weise des Schaffens verleitet, die den Leser mit Originalität belästigt. Texte, die er zurückgelassen hat, empören, langweilen und treiben noch immer zuverlässig die Wissenschaftler dazu, sie als „bloße“ Literatur einzustufen und damit zu kastrieren.
Le Dernier Cri und das Schwarze Glied von Marseille Le Dernier Cri und das Schwarze Glied von Marseille
Alle Tage hört man, dass jemand mit einem etwas zusammen machen möchte, etwas organisieren und auf die Beine stellen will, aber dass … tja, was denn eigentlich ...? Uns gefällt wirklich gut, was ihr macht, aber hier könnte es einige Leute aufregen. Zwar stimmt es, dass ab und zu jemand aus einer Institution oder einem Institut entlassen wurde, weil er mit uns von Divus etwas veranstaltet hat –…
04.02.2020 10:17
Wohin weiter?
offside - vielseitig
S.d.Ch, Einzelgängertum und Randkultur  (Die Generation der 1970 Geborenen)
S.d.Ch, Einzelgängertum und Randkultur (Die Generation der 1970 Geborenen)
Josef Jindrák
Wer ist S.d.Ch? Eine Person mit vielen Interessen, aktiv in diversen Gebieten: In der Literatur, auf der Bühne, in der Musik und mit seinen Comics und Kollagen auch in der bildenden Kunst. In erster Linie aber Dichter und Dramatiker. Sein Charakter und seine Entschlossenheit machen ihn zum Einzelgänger. Sein Werk überschneidet sich nicht mit aktuellen Trends. Immer stellt er seine persönliche…
Weiterlesen …
offside - hanfverse
Die THC-Revue – Verschmähte Vergangenheit
Die THC-Revue – Verschmähte Vergangenheit
Ivan Mečl
Wir sind der fünfte Erdteil! Pítr Dragota und Viki Shock, Genialitätsfragmente (Fragmenty geniality), Mai/Juni 1997 Viki kam eigentlich vorbei, um mir Zeichnungen und Collagen zu zeigen. Nur so zur Ergänzung ließ er mich die im Samizdat (Selbstverlag) entstandene THC-Revue von Ende der Neunzigerjahre durchblättern. Als die mich begeisterte, erschrak er und sagte, dieses Schaffen sei ein…
Weiterlesen …
prize
To hen kai pán (Jindřich Chalupecký Prize Laureate 1998 Jiří Černický)
To hen kai pán (Jindřich Chalupecký Prize Laureate 1998 Jiří Černický)
Weiterlesen …
mütter
Wer hat Angst vorm Muttersein?
Wer hat Angst vorm Muttersein?
Zuzana Štefková
Die Vermehrung von Definitionen des Begriffes „Mutter“ stellt zugleich einen Ort wachsender Unterdrückung wie auch der potenziellen Befreiung dar.1 Carol Stabile Man schrieb das Jahr 2003, im dichten Gesträuch des Waldes bei Kladno (Mittelböhmen) stand am Wegesrand eine Frau im fortgeschrittenen Stadium der Schwangerschaft. Passanten konnten ein Aufblitzen ihres sich wölbenden Bauchs erblicken,…
Weiterlesen …
Bücher und Medien, die Sie interessieren könnten Zum e-shop
1999, 21 x 35.5 cm, Pen & Ink Drawing
Mehr Informationen ...
540 EUR
569 USD
Toxic Pfarding, 1995, acrylic painting on canvas, 24 x 20 cm, on frame
Mehr Informationen ...
900 EUR
948 USD
21 x 29,7 x 1 cm / 49 pages offset + couv sérigraphie 6 pass. couleur / 1000ex
Mehr Informationen ...
15 EUR
16 USD

Studio

Divus and its services

Studio Divus designs and develops your ideas for projects, presentations or entire PR packages using all sorts of visual means and media. We offer our clients complete solutions as well as all the individual steps along the way. In our work we bring together the most up-to-date and classic technologies, enabling us to produce a wide range of products. But we do more than just prints and digital projects, ad materials, posters, catalogues, books, the production of screen and space presentations in interiors or exteriors, digital work and image publication on the internet; we also produce digital films—including the editing, sound and 3-D effects—and we use this technology for web pages and for company presentations. We specialize in ...
 

Zitat des Tages Der Herausgeber haftet nicht für psychische und physische Zustände, die nach Lesen des Zitats auftreten können.

Die Begierde hält niemals ihre Versprechen.
KONTAKTE UND INFORMATIONEN FÜR DIE BESUCHER Kontakte Redaktion

DIVUS
NOVÁ PERLA
Kyjov 36-37, 407 47 Krásná Lípa
Čzech Republic


 

GALLERY
perla@divus.cz, +420 222 264 830, +420 606 606 425
open from Wednesday to Sunday between 10am to 6pm
and on appointment.

 

CAFÉ & BOOKSHOP
shop@divus.cz, +420 222 264 830, +420 606 606 425
open from Wednesday to Sunday between 10am to 10pm
and on appointment.

 

STUDO & PRINTING
studio@divus.cz, +420 222 264 830, +420 602 269 888
open from Monday to Friday between 10am to 6pm

 

DIVUS PUBLISHING
Ivan Mečl, ivan@divus.cz, +420 602 269 888

 

UMĚLEC MAGAZINE
Palo Fabuš, umelec@divus.cz

DIVUS LONDON
Arch 8, Resolution Way, Deptford
London SE8 4NT, United Kingdom

news@divus.org.uk, +44 (0) 7526 902 082

 

Open Wednesday to Saturday 12 – 6 pm.

 

DIVUS BERLIN
Potsdamer Str. 161, 10783 Berlin, Deutschland
berlin@divus.cz, +49 (0)151 2908 8150

 

Open Wednesday to Sunday between 1 pm and 7 pm

 

DIVUS WIEN
wien@divus.cz

DIVUS MEXICO CITY
mexico@divus.cz

DIVUS BARCELONA
barcelona@divus.cz
DIVUS MOSCOW & MINSK
alena@divus.cz

 

DIVUS NEWSPAPER IN DIE E-MAIL
Divus We Are Rising National Gallery For You! Go to Kyjov by Krásná Lípa no.37.