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Meesethustra
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2007, 1
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Meesethustra

Zeitschrift Umělec 2007/1

01.01.2007

Spunk Seipel | geschichte | en cs de

Der meistdiskutierte Künstler Deutschlands ist zurzeit Jonathan Meese. Seine Einzelausstellung „Mama Johnny“ in den Deichtorhallen in Hamburg war das Ausstellungsereignis des Jahres. Ein Künstler von gerade einmal 36 Jahren konnte sich über hunderte Quadratmeter ausbreiten und verkaufte der interessierten Öffentlichkeit einen Haufen Plunder – wie ausgediente und demolierte Schaufensterpuppen, oder aus Zeitungen herausgerissene Bilder, oder mit grammatikalisch und orthografisch fehlerhaften Texten vollgeschmierte Leinwände – als ein neues intellektuelles Weltsystem. Er hat über all diese zusammengerotzten Bilder und Collagen fett und breit die Namen von einigen Heroen der (konservativeren) deutschen Intellektuellen, wie Richard Wagner und Friedrich Nietzsche geschrieben, aber auch unzählige Fantasieworte. Klingt bedeutend, heißt aber oft nichts oder alles – es bleibt jedem offen sich seinen eigenen Mist dazu zu denken. In Interviews behauptet Meese, der mit seinen fettigen Haaren, dem zauseligen Bart, den abgetragenen Adidasklamotten und vor allem seinem stechenden Blick seine eigene Markenfigur kreiert hat, dass diese gigantomanische Installation wie auch all seine andere Kunst auf einem sorgfältigst ausgedachten System von mindestens zehn Punkten (oha, bedeutungsschwangere Zahl, aber auch beliebig erweiterbar) beruht. Das System kann er allerdings nicht erklären, denn es sei noch niemand reif genug dafür.
Eigentlich müsste nun der Punkt kommen, da man sich fragt, wieso sollen Staat oder Sammler Geld ausgeben, um einem verwirrten und drogensüchtigen jungen Mann ein Forum zu geben, um lieblos zusammengebastelte Installationen und hingerotzte Gemälde zu zeigen. Wieso sollte man sich überhaupt fünf Minuten seines Lebens Zeit nehmen, um sich mit einem „System“ auseinanderzusetzen, das der Erfinder nicht erklären kann oder will, also völlig nebulös bleibt und daher obsolet ist.
Aber in der Kunstszene hat Jonathan Meese eine Lücke gefüllt, die es seit längerem zu füllen galt. Seitdem Anselm Kiefer weitestgehend sich aus dem Kunstbetrieb zurückgezogen hat, fehlte dem Kunstbetrieb der wilde Deutsche, der mit markigen Sprüchen und gezielten Tabubrüchen schockiert. Denn das Spiel mit nationalsozialistischen Elementen gehört sowohl zu Meeses als auch zu Kiefers Strategie, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Aber wichtiger scheint die Sehnsucht vieler nach einem Zampano, der ihnen sowohl intellektuell aufgeladene Kunst als auch eine Welterklärung gibt. Dass man sich damit oft auf das Niveau von pubertären Spielen begibt, scheint keinen zu stören, solange es im Rahmen von Museen stattfindet.
Zwei weitere Beispiele für die „Verarsche“ der Kuratoren und Sammler durch Künstler sind Carl Andre und Hanne Darboven. Beide haben jeweils ein mathematisches System für ihre Kunst entwickelt, über das sie entweder nicht reden oder es in so abstrusen Abhandlungen erklären, dass jeder Mathematikprofessor nur den Kopf schüttelt. Ihr System nennt sich mathematisch, ist allerdings jeweils völlig frei erfunden worden und damit so willkürlich und veränderbar, dass es jeder mathematischen Regel Hohn spricht. Bei Darboven und Andre scheint alle das Wort Mathematik so sehr zu beeindrucken, dass niemand mehr hinterfragt. Monotone, recht langweilige Kunstkonzepte, werden so intellektuell aufgewertet.
Sie – wie Meese, Kiefer, Thomas Hirschhorn und viele andere – verlassen sich nicht auf die ästhetische Wirkung ihrer Kunst; sie müssen diese mit willkürlich erfundenen Konzepten überhöhen. Nicht das ist der eigentliche Skandal, sondern vielmehr die Gläubigkeit, mit der Kunstmedien und Kuratoren diese Konzepte kritiklos übernehmen. Denn allein die kritische Frage entblößt in der Szene den Banausen. Also rennen wir weiterhin Künstlern wie Meese hinterher, versuchen in ihm unseren neuen Messias zu erkennen und glauben alles, was er auf die Leinwand schreibt. Auch wenn wir es nicht verstehen können. Denn Glauben bedeutet nicht wissen, sondern auf einen erlösenden Moment zu hoffen. Und den verspricht uns zurzeit niemand so erfolgreich wie Meese.







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