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Befleckte Kleider, schuld- bewusste Herzen
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2011, 1
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Befleckte Kleider, schuld- bewusste Herzen

Zeitschrift Umělec 2011/1

01.01.2011

Kitty Hauser | film | en cs de

In einem Kapitel von Dick Hebdiges Buch Subkulturen: Die Bedeutung des Stils hat mich eine bestimmte Passage stets mit ihrer visionären Intensität und ihrer dekadenten Stimmung beeindruckt. Es ist ein Zitat aus William S. Burroughs’ Roman Die wilden Boys von 1969, der eine apokalyptische Zukunft beschreibt, in der Banden promiskuitiver, gewalttätiger und amoralischer junger Männer über die Ruinen der Zivilisation trampeln. In Marrakesch, schreibt Burroughs, „gelten teure maßgeschneiderte Kleider, die künstlich auf alt gemacht sind, als der letzte Schrei. Sämtliche Tunten stelzen in „Wild-Boy-Kluft“ herum. Man sieht Klamotten aus der Bowery mit Urinflecken und angetrockneten Kotzschlieren, die sich jedoch bei näherem Hinsehen als meisterhafte Stickereien aus feinsten Goldfäden erweisen …“ Es gibt hier auch andere modische Kniffe: „Kuli-Kleider aus gelber Pongee-Seide“, „Filzhüte, die von alten Junkies getragen wurden“ und so weiter. Es sind aber die gestickten Flecken, die sich ins Gedächtnis einbrennen.1 Was für eine entsetzliche und doch herrliche Rückgewinnung der Erbärmlichkeit, welch’ abgehobenes Dandytum! Und welch’ handwerkliche Hingabe der Schneider und Sticker – es scheint nicht einfach, getrockneten Urin oder Kotze als Stickerei zu reproduzieren.


Der Fleck, der sich bei näherer Betrachtung als aufgestickt herausstellt, ist eine Verdopplung, die die gewohnte Doppeldeutigkeit des Flecks nachbildet, ihre Logik aber umkehrt. Der Fleck stößt zunächst ab, bevor er überhaupt eine Gelegenheit zur Erklärung erhält, so wie die Flecken auf den Wild-Boy-Bowery-Anzügen. Eine eingehendere Untersuchung deutet jedoch meist auf zufällige oder zumindest ungewisse Ursachen hin. Allerdings sollen Flecken nicht gesehen, geschweige denn gerühmt werden. Wir erahnen, dass Jackie Kennedy dies wusste, als sie sich weigerte, ihr rosa Kostüm abzulegen, nachdem es an diesem schicksalhaften Tag des Jahres 1963 in Dallas so öffentlich mit dem Blut ihres Ehemanns bespritzt worden war. Sie behielt das blutbefleckte Kostüm für den Rest des Tages an, was mit den Fotos ihrer Ankunft in Maryland dokumentiert wurde, auf denen sie zusieht, wie der Sarg ihres Mannes in einen Krankenwagen geladen wird. Als eines dieser Fotos im Boston Herald American abgedruckt wurde, hatte man die Blutflecken auf Rock und Beinen wegretuschiert, als ob die Würde der First Lady und ihre viel diskutierte Makellosigkeit (von maculare – beflecken)2 wiederhergestellt werden müsste. Dass Jackie ihr Kostüm nicht wechselte, lässt sich nicht nur durch traumatisierte Teilnahmslosigkeit erklären. Sie wusste, dass sie fotografiert werden würde und wollte, dass die Flecken sichtbar blieben. Durch die Theatralität ihrer Kleidung verwandelte sie ihre öffentliche Demütigung (wie der Schriftsteller Wayne Koestenbaum es nannte) in etwas anderes. Sie war sichtbar vom Blut ihres Ehemanns geweiht worden, als Zeugin seiner Opferung wurde sie dadurch selbst zu einer Heiligen.3
Jackie Kennedy erkannte bereits 1963, was jede andere umsichtige Prominente heutzutage weiß: dass Flecken und Fotografie, Flecken und Film einander lieben. Paparazzi-Fotografen und Promi-Magazine sind entzückt beim Anblick eines Sternchens, dessen Äußeres von Schweiß, Wein oder Blut gekennzeichnet ist. Solche (Schand‑)Flecken ziehen das Auge des Betrachters automatisch auf den berühmten Körper und versehen die Aufnahme mit einem gebrauchsfertigen punctum4. Fotos eines befleckten Körpers sind ein garantierter Hingucker. Flecken implizieren einen Skandal, und sei es nur der Skandal der Sterblichkeit, von Philip Roth „der menschliche Makel“ genannt, der sich an den Stellen offenbart – dem prominenten Körper – von denen wir uns eingeredet hatten, dass er dort nicht existiere.5 Aufnahmen wie jene von Britney Spears mit feuchter Achselhöhle oder Mischa Barton, deren Jogginghose offensichtlich von einem tropfenden Tampon befleckt wurde, machen uns nicht gerade zu Detektiven, wie die arglistigen Bildunterschriften oder Chatroom-Diskussionen suggerieren.6 Es ergeht uns hingegen eher wie Strephon aus Jonathan Swifts satirischem Gedicht The Lady’s Dressing Room von 1732, der entdeckt, dass seine geliebte Celia trotz allem doch Körperfunktionen besitzt, deren Nachweise in den Achselhöhlen ihres Kittels, den Zehen ihrer Strümpfe und – bekanntermaßen – in ihrem stinkenden Nachttopf verkrustet sind.7
Derart kindische Paparazzi-Fotos stellen die Funktion einer historisch spezifischen Form von Prominenten-Kultur dar, die auf einer (von Swifts Gedicht illustrierten) jahrhundertealten Gleichsetzung von erfolgreicher Weiblichkeit mit Reinlichkeit und dem Verbergen von Körperflüssigkeiten basiert. Doch die Beziehung zwischen Flecken und Bildmedien geht weit über ihre marktgesteuerte Ausbeutung hinaus. Der Fleck spielt eine unschätzbar wertvolle strukturelle Rolle in der fotografischen Aufnahme. Auf eine sehr besondere Weise eröffnet er das Bild – ob bewegt oder unbewegt – einer Narrative. Der Fleck ist das sichtbare Merkmal einer Geschichte, die (für diesen Moment) vor fremden Blicken geschützt bleibt. In gewissem Sinne markiert er den Punkt, an dem diese versteckte Geschichte auf die Bühne tritt. Er zeigt, hier ist etwas passiert, auch wenn wir nicht immer wissen, was dieses Etwas sein soll. Eigentlich ist es ein Wurmloch aus Raum und Zeit in sichtbarer Form. Und es ist die unbeabsichtigte Tatsache seiner Sichtbarkeit, die es in narrativen Begriffen so effektiv macht. Selbstverständlich sind Paparazzi-Fotografen stark an diesem Aspekt der Flecken interessiert, da diese für sie Gucklöcher in die intimste aller Sphären darstellen, in die sie, ihrer selbsterklärten Arbeitsaufgabe folgend, eindringen müssen. Die blutbefleckten Ballerinas von Amy Winehouse wurden beispielsweise als Beweis für den intravenösen Drogengenuss zwischen ihren Zehen präsentiert – in einem Hotelzimmer, dessen dunkles Treiben sich tief in die Körper von Winehouse und ihrem Mann eingraviert hatte, als sie gemeinsam durch die Nacht dröhnten. Flecken sprechen für sich, wie Narben und Wunden, auch wenn die betreffenden Personen schweigen.
Aus diesem strukturellen Grund – sowie aus mehreren anderen – spielen Flecken eine wichtige Rolle in Film und Fernsehen, insbesondere bei Erzählungen, in denen eine Art von Vertuschung vorgenommen wird. Sie können auf verborgene Falltüren ihrer Bedeutung hinweisen; sie können eine Szene mit anderen, unsichtbaren Szenen verbinden, die sich abseits der Kamera, außerhalb des Blickfelds des Publikums oder des Protagonisten abgespielt haben. Eine urtypische Szene im Krimi-Narrativ ist zum Beispiel eine Frau, die an die Unschuld ihres Geliebten glaubt, dann jedoch Zweifel hegt, als sie sein blutverschmiertes Hemd entdeckt. Oder dem Publikum wird durch einen sich ausbreitenden Fleck auf der Brust des Helden – der vorgibt, alles sei in Ordnung – suggeriert, dass er in Wirklichkeit schwer verwundet wurde. In solchen Szenen weisen die Flecken darauf hin, dass nicht alles dem augenblicklichen Anschein entspricht. Der Fleck ist sowohl sichtbare Realität einer Szene – ein Spritzer am Kragen, auf dem Unterrock, auf dem Bettlaken – als auch Beweis für etwas anderes: ein Teil einer Folge von Ereignissen, die bis auf Weiteres im Verborgenen bleibt. So präzise in seiner Komplexität, dass der französische Regisseur und Drehbuchautor Pascal Bonitzer in seiner Analyse von Hitchcock-Filmen das Bild des Flecks oder Makels verwendete, um ein bestimmtes Element einer Kinoszene zu charakterisieren, das den Blick auf sich zieht und eine scheinbar natürliche Ordnung durcheinander bringt. „Alles verläuft normal“, schreibt Bonitzer, „entlang der alltäglichen Routinen, eintönig und gedankenlos sogar, bis jemand bemerkt, dass ein Element des Ganzen aufgrund seines unerklärlichen Verhaltens einen Makel darstellt. Die gesamte Folge der Ereignisse entfaltet sich von hier aus.“8 Slavoj Žižek bezeichnet den Fleck als Auslöser einer Anamorphose und verweist die Leser auf das Gemälde Die Gesandten von Hans Holbein d. J. (einem der Lieblingsmaler Jacques Lacans) aus dem Jahre 1533.9 Der anamorphe „Punkt“ in dem Gemälde scheint nur ein Klecks zu sein. Betrachtet man ihn jedoch von der Seite, erweist er sich als menschlicher Schädel. Das Strahlen des Schädels verändert die Bedeutung des scheinbar geradlinigen Porträts der beiden Männer. Ähnlich wie dieser Schädel „sticht“ auch der Fleck bei Hitchcock hervor. Folgt man ihm mit den Augen, wird die Perspektive der jeweiligen Szene gestört und man entdeckt, dass ihre Wirklichkeit aus mehr als dem zunächst Sichtbaren besteht.
Dieser Fleck, schreibt Slavoj Žižek, kann in Hitchcock-Filmen so gut wie alles sein; es muss sich nicht um einen tatsächlichen Fleck handeln. In Der Auslandskorrespondent (1940) ist es eine Windmühle inmitten eines Tulpenfelds, die unheimlicherweise gegen den Wind rotiert. In Der unsichtbare Dritte (1959) ist es ein Punkt am Himmel, der sich als Flugzeug herausstellt. Manchmal ist es jedoch auch ein echter Fleck. In Die rote Lola (1950) ist es laut Žižek der Fleck auf der Vorderseite von Charlottes Kleid, der eine ansonsten unauffällige Szene stört. In Marnie (1964) nehmen wir diesen „Fleck“ durch die Augen der titelgebenden Heldin wahr. Für sie ist die Farbe Rot eine stetige Erinnerung an ein Kindheitstrauma, das sich durch das Bild eines blutbefleckten T-Shirts in ihr Gedächtnis einprägte. In einer Szene beschmutzt die am Schreibtisch sitzende Marnie ihre weiße Bluse mit grellroter Tinte. Wir sehen, wie die Tinte heruntertropft und einen Fleck auf ihrem Ärmel bildet. Die gesamte Leinwand färbt sich rot, als wir Zeugen ihres Entsetzens werden. In einer Kameraeinstellung von oben sehen wir den Fleck aus Marnies Perspektive, bevor sie auf die Toilette läuft, um ihn auszuwaschen. Als eine besorgte Kollegin fragt, ob alles in Ordnung sei, spielt sie den Vorfall herunter und beharrt darauf, nur ihre Bluse zu säubern. Das Kinopublikum weiß jedoch, dass mehr dahinterstecken muss. Marnies Reaktion auf den Tintenfleck legt eine ernsthafte Störung hinter der so krampfhaft von ihr errichteten, selbstsicheren Fassade nahe. Am Ende des Films erfahren wir die Ursache dieser Störung und weshalb sie von einer mit roter Tinte befleckten weißen Bluse ausgelöst werden kann. In einer Rückblende sehen wir, wie Marnie als junges Mädchen ihre Mutter gegen einen gewalttätigen Matrosen verteidigt und ihm mit einem eisernen Schürhaken auf den Kopf schlägt. Es ist das Bild des mit grellrotem Blut durchtränkten weißen Unterhemds des sterbenden Matrosen, das noch lange Zeit, nachdem Marnie die traumatische Erinnerung des Angriffs auf ihre Mutter und die Ermordung des Matrosen längst ausgelöscht hatte, in ihrem Gedächtnis haftet. Was zurückbleibt, ist eine scheinbar unerklärliche Angst vor allem Roten.
Es sollte wohl nicht allzu sehr überraschen, dass es sich bei Hitchcock um einen Meister der Flecken handelte, der nicht nur ihr Verwendungsspektrum als cineastisches Element, sondern auch ihre reiche metaphorische Bandbreite sowohl in psychologischer als auch theologischer Hinsicht äußerst aufmerksam erfasste. Der Fleck fungiert letztlich als Symbol für den Ausbruch einer Sache, die verschlossen bleiben sollte und nun bereinigt werden muss. Deshalb schrubbt Marnie ihren Ärmel und Norman Bates nach dem Mord in Psycho (1960) sein Badezimmer. Und die Assoziation des Flecks mit Sünde – vor allem in Bezug auf Frauen – reicht tief in die jüdisch-christliche Kultur zurück. Hitchcock wusste, dass der Fleck sowohl Metapher als auch Wirklichkeit ist. Blutflecken tauchen auf in Die rote Lola, Psycho, Marnie und Die Vögel (1963) – um nur einige zu nennen – und deuten nicht nur auf Wunden oder Unfälle hin. Dank Hitchcocks Regie und seiner umsichtigen Inszenierung stellen sie für Protagonisten und Zuschauer zugleich eine psychische Realität dar. Besondere Sorgfalt widmet er in Marnie beispielsweise dem richtigen Kontrast zwischen der makellosen Weißheit des Unterhemds des Matrosen und dem Blut, mit dem es befleckt wurde. So umsichtig war Hitchcock auch bei der Tintenfleck-Szene, als er Marnies Ärmel ein weiteres Mal von oben aufnahm, um den Zuschauer in ihre Perspektive zu versetzen, damit er ihre Furcht nachempfinden kann.10
Es gibt einige Regisseure, die ein Gespür für Flecken besitzen. In einer trägeren Ausführung hallt der Fleck jedoch nicht auf so vielen Ebenen nach. Befleckte Kleidung – insbesondere blutbefleckte Kleidung – ist in den Millionen von Thrillern, Krimis, Polizei- und Krankenhausserien, wo sie ihre Routinearbeit bei der Identifizierung von Opfern und Mördern, der Suggestion von Schuld sowie der Irreführung der Protagonisten abliefert, sowohl omnipräsent als auch generell nicht erinnerungswürdig. Tritt die forensische Wissenschaft auf den Plan, wie in der TV-Serie CSI, rücken Flecken (sowie andere Indizien, Schrammen und Spuren) in den Mittelpunkt des Interesses. Hier werden sie vielleicht (mehr oder weniger) ihrer metaphorischen Resonanz beraubt, leisten aber dennoch ganze Arbeit für ihr Geld.11 CSI dramatisiert die Arbeit von Kriminaltechnikern bei der Lösung von Verbrechen – zumeist Morden. Die Serie basiert auf der Fantasie einer absoluten Lesbarkeit von Beweismitteln – unter der Voraussetzung des richtigen Sachverstands und der modernsten Technik. Die CSI-Mitarbeiter sind so fachkundig, dass ihnen jeder Fleck eine Geschichte erzählt. Mit Hilfe von Techniken wie der Blutspurenmuster-Verteilungsanalyse können sie mit einem einfachen Blick auf ein fleckiges Unterhemd erkennen, wie, woher oder mit welcher Geschwindigkeit das Blut dorthin gelangt ist. Eine DNA-Analyse des Flecks kann den (oder die) Besitzer des Blutes identifizieren. Die Spurensicherung zielt darauf ab, ein Verbrechen auf Grundlage der zurückgelassenen Spuren präzise zu rekonstruieren – und ist dabei (fast wie durch ein Wunder) ausnahmslos von Erfolg gekrönt. Auf diese Weise klagt der Fleck an, er droht die Tarnung des Mörders auffliegen zu lassen und verrät den übernatürlich qualifizierten Analysten seinen (oder ihren) Namen.
Ein Großteil der affektiven Stärke von CSI basiert auf der Gegenüberstellung der Nachwirkungen ausführlich dargestellter, schrecklicher Verbrechen und den klinischen Handlungsweisen von Kriminaltechnik und Computer-Technologie. Die Serie versichert den Zuschauern, dass „die Wissenschaft“ alles lösen kann, wie aussichtslos das Beweismaterial auch sein mag (in einer Episode klebt ein halber Leichnam – kaum noch als solcher zu erkennen – an der Unterseite eines Transportcontainers).12 Die agierenden Ermittler und Gerichtsmediziner haben stets „alles schon mal gesehen“ und reagieren selbst auf die herabwürdigendsten menschlichen Anblicke dementsprechend. Aber wir, die Zuschauer, sind dazu verpflichtet, anders zu reagieren. Wir erfreuen uns sowohl am Schauer des Schreckens als auch an der Genugtuung, der Aufklärung eines schier unlösbaren Falles beizuwohnen. Und hier kommen wir zu einer weiteren Eigenart des filmischen Flecks. Ein beschmutztes Kleidungsstück mag als erzählerisches Mittel dienen, ein unterdrücktes Trauma oder eine Sünde symbolisieren oder als Beweismittel in einem Ermittlungsverfahren fungieren. Dennoch reagieren wir im ersten Moment auf Flecke in Film oder Fernsehen mit Sicherheit auf dieselbe Weise wie im wahren Leben. Flecken rufen erst einmal Schrecken, Furcht, Abscheu oder Entsetzen – Urängste – hervor, bevor sie zu einem Beweis oder Symbol innerhalb einer Erzählung werden können. Wir reagieren auf sie mehr oder minder instinktiv, bevor wir ihre Ursache wirklich begreifen.
Diese Tatsache kann wiederum von einem Regisseur oder Kameramann manipuliert werden. Wenn es sich um befleckte Frauen handelt, vervielfachen sich die Möglichkeiten. In Die rote Lola öffnet Johnny die Tür für Charlotte (Marlene Dietrich), die daraufhin ihren Mantel öffnet (all diese Öffnungen sind entscheidend für die Aussagekraft dieser Szene) und einen großen dunklen Fleck auf der Vorderseite ihres Kleids enthüllt. Wir kennen noch nicht die Ursache für diesen Fleck oder den Grund für Charlottes Eile. Was wir hören, ist ein dramatischer Akkord und Dietrichs tiefe Stimme: „Johnny, you love me, say that you love me. You do love me, don’t you?“ Was wir sehen, ist der von Tür und Mantel umrahmte Fleck. Er füllt das gesamte Sichtfeld aus, so dass es unmöglich ist, auf etwas anderes zu schauen, und es ist ein erschreckender Anblick. Einige Augenblicke später stellt sich heraus, dass es einen Mord gegeben hat und es sich bei dem Fleck auf Charlottes Kleid um das Blut ihres Ehemanns handelt. Später – viel später – kommen wir allerdings dahinter, dass die gesamte Szene (eine Rückblende) gestellt und das von Johnny als Beweisstück aufbewahrte befleckte Kleid in Wahrheit von ihm inszeniert wurde, um seine eigene Schuld zu verbergen. Nichts davon ist aus dem eigentlichen Fleck in der Eröffnungsszene ersichtlich. Eine ähnliche Szene ereignet sich in Wiegenlied für eine Leiche (1964), dem gotischen Melodram von Robert Aldrich. Es ist Ballnacht im Haus des Vaters der Protagonistin Charlotte. Im Gartenhaus teilt Charlottes Liebhaber ihr mit, dass ihre Affäre beendet sei. In der nächsten Szene werden wir Zeuge seiner blutrünstigen Ermordung (Kopf und Hände werden mit einem Hackbeil abgetrennt), können aber den Mörder nicht erkennen. Die Handlung verlagert sich in den Ballsaal, wo eine Jazzband spielt, Menschen plaudern und tanzen. Charlotte betritt langsam den Raum. Zunächst steht sie im Schatten, doch als sie sich zum Licht wendet, verstummt die Menge und die Band hört zu spielen auf. Auf der Vorderseite ihres Partykleids – an einer ähnlichen Stelle wie bei der Charlotte in Die rote Lola – befindet sich ein Fleck, der die Ballgäste vor Schrecken oder Fassungslosigkeit sprachlos macht.
In beiden Filmen geht von dem befleckten Kleid eine große cineastische Kraft aus. Die Kleider der Frau sind weiß und glamourös (Dietrichs Robe ist von Dior – sie scheint darauf bestanden zu haben), weshalb der Blutfleck umso auffälliger ist und wie eine Entweihung wirkt (im Wiegenlied für eine Leiche trägt Charlotte das traditionelle Kleid der jungen Debütantin). Es wird jeweils angedeutet, dass die befleckten Frauen einen Mord verübt haben, obwohl sich später ihre Unschuld herausstellt. Doch in beiden Fällen wird das befleckte Kleidungsstück, als wir es zum ersten Mal erblicken und seinen Ursprung noch nicht kennen, auf eine solche Weise umrahmt, als ob beim Betrachter andere Reaktionen und Assoziationen provoziert werden sollen. Wir sehen in beiden Szenen eine offenbar verstörte Frau, die öffentlich ihre blutigen Röcke zeigt. Und die Verwirrung, die das blutige Kleid bei uns (wie auch bei den Partygästen im Wiegenlied) hervorruft, ist sicherlich darauf zurückzuführen, dass wir es nicht nur mit einem Unfall, sondern auch mit Menstruation assoziieren. Die Menstruation ist schließlich ein offenes Geheimnis, das verborgen bleiben soll – denn ebenso wie der erfolgreiche Verbrecher hinterlässt die erfolgreiche Frau keine Spuren. Freud, natürlich, assoziierte Menstruation mit Kastration. Und in der Tat befindet sich der Blutfleck (ob versehentlich oder absichtlich) beide Male etwa an der passenden Stelle für eine solche Vermutung. Aus welchem Grund auch immer, Tatsache ist, dass in beiden Filmen das Bild der befleckten Frau sowohl kraftvoll als auch zweideutig wirkt. Wir kennen den Ursprung des Blutes nicht, mit dem die Frauen gekennzeichnet wurden. Und für einen Moment ergeht es uns wie den Nachtschwärmern im Wiegenlied, wenn uns der Anblick der Frauen erstarren lässt.
In Brian De Palmas Film Carrie aus dem Jahr 1976 wird das Bild der blutigen Frau verwendet, um einen etwas anderen Effekt zu bewirken. In der berühmten Schlussszene wird Carrie nach ihrer Krönung zur Ballkönigin in Schweineblut getränkt. In diesem Fall stellt der Ursprung des Flecks kein Geheimnis dar. Carrie wurde zum Opfer eines grausamen Streichs, der an ihre erste, durchaus öffentliche, Menstruation in der Mädchendusche anknüpft. Wie im Wiegenlied auch verstummen die Partygäste angesichts der Entweihung der neuen Ballkönigin, die sich zuvor noch strahlend in ihrem weißen Kleid präsentiert hatte. Das Blut ist dickflüssig und dunkel, Carrie hingegen ungewöhnlich blass. Einige der Feiernden beginnen sie auszulachen. Carrie besitzt jedoch telekinetische Kräfte, die in Zusammenhang mit ihren Monatsblutungen stehen. Nachdem sie mit Blut begossen wurde, gebraucht sie ihre Kräfte mit verheerenden Auswirkungen gegen die Ballgäste.
Zu guter Letzt sollten wir vielleicht einen Gedanken für die Fleckenmacher in Film und Fernsehen aufbringen. Horrorfilme bieten einen Spielraum, in dem sie ihre expressionistische Kunstfertigkeit mit Blut ausleben können, insbesondere in den Giallo-Filmen von Dario Argento sowie weiterer italienischer Regisseure, in denen die Spezialeffektkünstler mit den Freiheiten eines Jackson Pollock rote Flüssigkeiten um sich tropfen und sprühen durften. In Filmen oder TV-Serien, in denen Flecke eine gewisse Beweiskraft besitzen, muss ihre Anfertigung allerdings sehr mühsam sein – insbesondere in einem Post-CSI-Kontext, der uns alle in laienhafte Blutspur-Experten verwandelt hat. Die Fleckenmacher müssen Spuren erzeugen, die authentisch und dabei glaubhaft zufällig aussehen. Georges Didi-Huberman schreibt in Bezug auf das Turiner Grabtuch, das berühmteste befleckte Kleidungsstück von allen, dass der Fleck nicht ikonisch oder mimetisch sein darf, soll er seinen Wert als Index bewahren.13 Die Flecken müssen dabei nicht nur innerhalb des filmischen Krimi-Narrativs überzeugend beiläufig erscheinen, sondern diese Wirkung in allen Szenen ihres Auftretens beibehalten. Der präzise Charakter ihrer Beiläufigkeit muss konstant bleiben.
Flecken werden übrigens oft als sogenannte „Blooper“ zitiert – logische Fehler, bei denen der Fleck in einer Szene ein bestimmtes Aussehen und eine konkrete Position besitzt, in der nächsten aber seine Form, Größe, Farbe oder Position auf unerklärlicherweise Weise verändert. DVD-Besitzer mit viel Freizeit haben solche Fleckenpannen u.a. in Star Trek II: Der Zorn des Khan (1982), CSI oder der Serie Lost (ab 2004) entdeckt.14 Fehler wurden selbst in Carrie gefunden, wo sich Flecken von einer Szene zur anderen verformen oder gänzlich verschwinden. In einer gewissen Weise verlieren Flecken sicherlich ihren Effekt, wenn wir sie als Produkte der Filmstudios enttarnen, die mit Schokolodensoße (wie in Psycho), Farbe oder Sirup imitiert wurden. Der wahre Test ist aber der erste Eindruck. Tippi Hedren musste sich angeblich übergeben, als sie sah, was Howard Smit für ihre Rolle in Die Vögel mit ihr angestellt hatte. Falls dies wahr sein sollte, wäre es ein Beweis für die intuitive Kraft, die gut positionierte Flecken ausüben können, auch wenn wir uns über ihre Fälschung im Klaren sind.15



Im Original in: Marketa Uhlirova, ed. If Looks Could Kill: Cinema’s Images of Fashion, Crime and Violence, Koenig Books and Fashion in Film Festival, London, 2008.

Aus dem Englischen von Filip Jirouš.


Vielen Dank an Alan Cholodenko, Ian Christie, Susie Cole, Eve Dawoud, Ursula Frederick, Robert Herbert, Martyn Jolly, Joanne Kernan, Louise Marshall, Rita Revez und Markéta Uhlířová.

1 Burroughs, William S.: Die wilden Boys. Frankfurt am Main: Zweitausendeins, 1980, S. 55 f. Zitiert in: Hebdige, Dick: Subculture: The Meaning of Style. London: Methuen, 1979, S. 23.
2 „Es war einer der ergreifendsten Anblicke“, schreibt Lady Bird Johnson, die Ehefrau von Präsident Lyndon Johnson, „diese makellose, exquisit gekleidete Frau blutverkrustet zu sehen.“ [Hervorh. d. Verf.] Aus: Johnson, Bird: A White House Diary. New York: Holt, Rinehart and Winston, 1970, S. 6.
3 Koestenbaum, Wayne: Jackie’s Humiliation in Jackie Under My Skin: Interpreting an Icon. New York: Plume, 1996.
4 Der Begriff stammt von Roland Barthes, der ihn zur Beschreibung einer „empfindlichen Stelle“ einer Fotografie verwendet. Das „Zufällige an ihr, das mich besticht (mich aber auch verwundet, trifft)“. Aus: Barthes, Roland: Die helle Kammer. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1989, S. 35 f.
5 In Roths Roman beschreibt Faunia Farley den Charakter des „menschlichen Makels“: „Die Berührung durch uns Menschen hinterläßt einen Makel, ein Zeichen, einen Abdruck. Unreinheit, Grausamkeit, Mißbrauch, Irrtum, Ausscheidung, Samen – der Makel ist untrennbar mit dem Dasein verbunden.“ Aus: Roth, Philip: Der menschliche Makel. München: Hanser, 2002, S. 271.
6 Ein Foto mit dem Titel Britneys mysteriöser Achselfleck erschien am 30. September 2007 in The Sun; das „Mysteriöse“ war die Tatsache, dass nur eine Achselhöhle befleckt war. War es Schweiß, fragte man die Leser, oder wurde der Fleck durch ihre Getränkedose verursacht?
7 Das Gedicht wurde berühmt durch die Zeile: “Oh! Celia, Celia, Celia shits!”
8 Bonitzer, Pascal: Hitchcockian Suspense, in: Žižek, Slavoj (Hg.): Everything You Always Wanted to Know about Lacan (But Were Afraid to Ask Hitchcock). London: Verso, 1992, S. 20.
9 Žižek, Slavoj: Looking Awry: An Introduction to Jacques Lacan through Popular Culture. Cambridge: MIT Press, 1991, S. 90.
10 Siehe Moral, Tony Lee: Hitchcock and the Making of Marnie. Lanham: Scarecrow Press, 2002, S. 47, 126.
11 CSI steht für Crime Scene Investigation. Die Fernsehserie wurde von Anthony E. Zuiker produziert und läuft seit 2000 im amerikanischen Fernsehen.
12 Dies führte zum sogenannten „CSI-Effekt“, der die öffentliche Erwartungshaltung gegenüber Kriminaltechnikern völlig unrealistisch machte.
13 Didi-Huberman, Georges: The Index of the Absent Wound (Monograph on a Stain). In: Michelson, A. et al. (Hg.): October: The First Decade, 1976-1986. Cambridge: MIT Press, 1987, S. 43 f.
14 Siehe http://www.moviemistakes.com und andere Webseiten.
15 Der Dokumentarfilm All About the Birds ist auf der DVD The Birds enthalten (Universal, 2005).





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