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Von der Rückkehr des Geistes in der KunstZeitschrift Umělec 2010/101.01.2010 Line Ulekleiv | The End of the Western Concept | en cs de |
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Metaphysische Denkansätze machen sich in den letzten Jahren im Kunst- und Kulturbereich bemerkbar, unter anderem auch im Schaffen junger norwegischer Künstler. Die Beschäftigung mit irrationalen Phänomenen übt auf Teile der Kunstszene einen spürbaren Reiz aus und langsam erwacht das Interesse an Spiritualität und Metaphysik, dessen Ergebnis häufig dystopische Arbeiten sind. Eine ähnliche Tendenz spiegelt sich auch in kommerziell orientierter Kultur wider. In deutlichem Gegensatz dazu steht die jahrelang übliche Herangehensweise in der Kunstproduktion, Erfahrungen aus Alltag und Realität unter Anwendung von dokumentarischen und gesellschaftsbezogenen Strategien zu fokussieren. In den neuen kreativen Prozessen jedoch treten institutionskritische und theoretische Ansätze in den Schatten; ins Licht gerückt werden vielmehr subjektive, realitätsferne Visionen sowie die persönliche und kulturelle Beschäftigung mit Mythen. In vielerlei Hinsicht verkörpert das kulturelle Element des Mystischen die Antithese zu einem modernen, westlichen Bewusstsein, das sich an greifbaren Dingen, finanziellen und materiellen Gewinnen, an konkreten utilitaristischen Werten orientiert. Vergleichbar ist diese neue metaphysische Strömung mit den Ausschweifungen des Surrealismus und seiner Erforschung des Unbewussten. Hinzu kommt die Aufrichtigkeit romantischer Gefühle, die es ermöglicht, magische und übersinnliche Ereignisse in eine betont bewegte Welt einfließen zu lassen. Die Kunstschau als Schauplatz für Spiritualität Die Tendenz, der wir hier unsere Aufmerksamkeit schenken wollen, stellt nicht zwangsläufig eine begriffsfähige Vision oder eine innere Verbindung zwischen offenbar zusammenhängenden Phänomenen dar. Vielmehr tritt sie als eigenständige, unabhängige Ausprägung einer durch vielfältige Interessen charakterisierten Kunstszene auf. In etlichen der internationalen Ausstellungen, die in den letzten fünf Jahren zu sehen waren, ließ sich in irgendeiner Form die Beschäftigung mit mystischen Aspekten erkennen. Auch in einigen künstlerischen Arbeiten der documenta 12 finden sich Hinweise auf spirituelle und mystische Themen, so z. B. in Werken, die in ihrer Gestaltung auf charakteristisch romantische Codes Bezug nehmen. Obgleich es vor allem die Art der Inszenierung der Werke war, in der die hier behandelte Strömung am fühlbarsten zum Ausdruck kam. Die Ausstellungsflächen stellten eine Abwendung vom „White Cube“ dar, die Räume waren vielmehr von einer gefühlsbetonten und erzählerisch angehauchten Stimmung geprägt sowie von einem stimmungsvollen Einsatz von dunklen Farben, Licht und Schatten – ein klarer Kontrast zur documenta 11 mit ihrem eher nackten, technologischen Stil. Ein weiteres, wiederholt auftauchendes Motiv in mehreren jüngst kuratierten Ausstellungen ist die Verwendung von Symbolen. So schuf Douglas Gordon bei der Zusammenstellung der Schau Vanity of Allegory im Deutsche Guggenheim Berlin im Sommer 2005 mit Vanitas-Motiven Zugänge zu einer allegorischen und die Künstler mythologisierenden Perspektive. Hier eroberten Symbole, Spiegel und die barocke Bildwelt eine Reihe neuer Kunstwerke und durchtränkten sie mit dichtem Sinngehalt. Mehrere Ausstellungen haben in den letzten Jahren das Thema auf noch direktere Art und Weise erforscht: Nicht zuletzt auch Spiritus, eine von der Stiftung Riksutställningar in Zusammenarbeit mit der Kunsthalle Magasin 3 in Stockholm produzierte Schau, die im Sommer 2003 auch in der Bomuldsfabriken Kunsthall in Arendal (Südnorwegen) gezeigt wurde. Spiritus beschäftigte sich mit Bewusstseinszuständen, ekstatischen Empfindungen, Parallelwelten und Ritualen. In Arbeiten von Doug Aitken, Carsten Höller, Ann Veronica Janssens und anderen Künstlern wurden diese marginalisierten Arten des Erlebens sowohl auf taktiler als auch mentaler Ebene erkundet, wobei die Stimmungspalette von meditativem bis hin zu aggressivem Stil reichte. Weiterhin zeigte die Ausstellung eine Sammlung von Fotografien aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert, auf denen spiritistische Sitzungen und das dabei auftretende Ektoplasma zu sehen waren. Ektoplasma ist ein materialisierter Stoff, der zumeist aus Körperöffnungen weiblicher Medien austritt, die in Kontakt mit der Geisterwelt stehen. Interessant und großartig war diese Verknüpfung zeitgenössischer Kunst und frühem manipulativen Einsatz von Fotografie besonders vor dem allgemeineren Hintergrund der Fähigkeit von Kunst, über das Alltägliche hinauszugehen – ein alternativer Raum entsteht, in dem Kunst agieren und funktionieren kann. Eine „telepathische“ Wende? Für Lars Bang Larsen ist die „Occult Art“ einem Veränderungsprozess unterworfen, seit die Technik der Manipulation von Fotos und Malerei zwecks Darstellung der Geisterwelt eingesetzt wurde: Viele zeitgenössische Künstler wenden sich dem Unsichtbaren zu, um das Gefühl historischen Raums hervorzurufen. […] Ihre neuen Ausdrucksformen machen die sichtbare Welt anhand von Dingen fest, die wir fühlen und intuitiv erkennen und weniger anhand dessen, was wir sehen und interpretieren. Und selbst, wenn ihre Position bezüglich der Wahrhaftigkeit übersinnlicher Phänomene häufig schwer fassbar ist, so weist der Einsatz des Okkulten bei den meisten zeitgenössischen Künstlern keineswegs ironische oder no- stalgische Züge auf. Sie entscheiden sich vielmehr für dieses Mittel, um neue Wege zu finden, zu kommunizieren und Dinge geschehen zu lassen. […] Es scheint so, als ob Kunst durch das Okkulte eine Position am Rande der Gesellschaft einnehmen und doch gleichzeitig auf breiter Basis kommunizieren kann, mit Möglichkeiten, die über die Handlungsspielräume künstlerischer Codes hinausgehen.1 Aber was löst nun diese besondere Anziehungskraft des Okkulten bei Künstlern aus? Liegt der Grund dafür in einer weitverbreiteten düsteren Sicht der heutigen Gegenwart? Widerwille und Resignation gegenüber der Epoche, in der man selbst lebt sowie den damit verbundenen Herausforderungen sind sicherlich ein Teil der Antwort. Doch genauso leicht könnte man vielleicht ein Bedürfnis der Künstler danach feststellen, individuelle schattenhafte „Lücken“ zu kreieren, die herausgerissen sind aus der logischen Zeitleiste. Auf authentische Art und Weise werden Referenzen zur barocken Vanitas-Kunst oder zur viktorianischen Vorliebe für Spiritismus hergestellt, wodurch ein von Offenheit und Utopie geprägter Diskurs entsteht, der nicht an strikte Ursache-Wirkung-Beziehungen gebunden ist. Und den man als eher realitätsfern empfinden kann. Obwohl das Interesse an Esoterik wächst, Magie und das Okkulte nicht länger als obskure Untergrundphänomene abgetan werden können, wird diese Entwicklung nichtsdestotrotz kaum diskutiert oder theoretisiert. Der Grund dafür mag wohl in der Natur der Sache liegen: „Es war die Rede von einem ‚linguistic turn‘ und auch von einem ‚social turn‘, aber welcher Theoretiker würde schon von einem ‚telepathic turn‘, einer ‚telepathischen Wende‘ in der zeitgenössischen Kunst sprechen?“2 Allergische Reaktionen auf verschleierte Spiritualität sind unter Künstlern weit verbreitet und tief verankert. Suzi Gablik fordert in The Reenchantment of Art (1991) eine Rückkehr von Geist und Seele in die Kunst, die sich ihrer Meinung nach in einem traurigen Zustand befindet nach dem – durch den Modernismus hervorgebrachten – so genannten kalten, autonomen Formalismus und post-modernen Dekonstruktivismus. Für Gablik liegt die Lösung zum einen in der Möglichkeit der Kunst, als Ausdruck eines lebensgebenden Prinzips zu wirken, zum anderen in der Rückbesinnung der Kunst auf Rituale, um mystische Sphären wiederzuentdecken, die infolge von Empirismus, Materialismus, Rationalismus und Wissenschaft – alles Werte aus der Aufklärung und intellektuelles Gepäck, das wir mit uns herumschleppen – aus unserem Blickfeld verschwanden. Will man die hier thematisierte neue und dunklere Kunst analysieren, so muss man wohl auch einen Blick auf die politisierte Kunstszene und die Anhänger der relationalen Ästhetik werfen, deren Paradigma sich auf Esthétique relationnelle von Nicolas Bourriaud aus dem Jahr 1981 begründet, einem Text, der eine ganze Generation von Künstlern beeinflusst hat. Die Möglichkeit einer relationalen Kunst (einer Kunst, die ihren theoretischen Horizont eher im Bereich menschlicher Interaktionen und ihres sozialen Umfelds findet als in der Behauptung eines unabhängigen und privaten symbolischen Raums) ist Zeugnis eines radikalen Umbruchs in den – durch die moderne Kunst entstandenen – ästhetischen, kulturellen und politischen Zielen.3 In diesem Sinne stehen eine subjektive Sichtweise und eine von mehr Zurückhaltung geprägte Handlungsweise in deutlichem Gegensatz zum relationalen Kunstdiskurs. Kunst als Form von Aktivismus und Vermittlungsmedium demokratischer Ideale hat vielleicht mehr versprochen, als sie zu halten vermag. Der Theoretiker Stephen Wright stellt fest, dass der tatsächliche Einfluss der Kunst auf öffentliche Angelegenheiten zwar ständig schwindet und ihre aktuelle Rolle im sozialen Geschehen immer unbedeutender wird, die Welt jedoch weiterhin Forderungen an die politischen Möglichkeiten der Kunst stellt, so, als ob die künstlerische Praxis an sich schon politisch wäre. Laut Wright hätte sich diese potentielle Kraft bis zum heutigen Tag schon längst zeigen müssen, sollte sie tatsächlich existieren.4 Weiter bekräftigt er wiederum auf dystopische Art, dass Kunst entweder vollständig in eine Mainstream-Produktion von Symbolen verpflanzt oder komplett von derselben abgedrängt wurde. Sollte Wrights Standpunkt weitere Zustimmung finden, scheint eine Entwicklung hin zu einer Ausdrucksform ziemlich plausibel, die gekennzeichnet ist von mehr Zurückhaltung, Zurückgezogenheit und der Sehnsucht nach fiktiven parallelen Wirklichkeiten. Norwegische Mystik Auch in Norwegen können Irrationalität, Mystik und das Okkulte als „aufstrebende Sterne“ oder Interessensschwerpunkte einer Vielzahl von Künstlern bezeichnet werden, insbesondere, was die jüngere Garde bzw. die frisch ausgebildeten Kunstschaffenden betrifft. Dies lässt sich des Weiteren an den Ausstellungsprogrammen bestimmter Galerien beobachten. Diese sind meistens junge, noch nicht etablierte Non-Profit-Galerien, wie z. B. die nicht mehr bestehende Galerie Galzuin, die später unter dem Namen TAFKAG (The Artspace Formerly Known As Galuzin) bekannt wurde oder andere Projekte wie 0047, Rakett und UKS (Unge Kunstneres Samfund – Young Artists Society). Neben diesen Galerieräumen sind außerdem einige kuratorische Konzepte von Interesse, hier nur einige der zahlreichen Beispiele: Die Galerie TAFKAG widmete sich in mehreren Ausstellungen und Performances einer Ästhetik, die sich anlehnt an schwarze Massen, visionäre romantische Mystifizierung und heidnische Rituale. Die Ausstellung Vodou in den Räumlichkeiten von 0047 wiederum (kuratiert von Lina Selander und Marianne Zamecznik, eröffnet Ende 2007) dreht sich um Geistergeschichten, die ihre Wurzeln in nordischen Märchen haben. Früher hatten diese Geschichten eine eher moralisierende, aber unterhaltende Funktion inne und beschrieben Grauen, Leiden und Tod. Heute hingegen spielt das Interesse an transpersonalen und übernatürlichen Mythen und Geschichten – im Gegensatz zu den personenbezogenen Geschichten über Identität – wieder die wichtigste Rolle. Diese wieder auflebende erzählerische Darstellungsform bringt uns Geschichten epischer Ausmaße wieder, nach denen es augenscheinlich auch einen gewissen Bedarf gibt. Die hier behandelte Art von Kunst kann als neoromantisch, von Magie und dem Okkulten inspiriert beschrieben werden und beinhaltet ein weites Spektrum an Möglichkeiten. Besonders zur Geltung kommen dabei das figurative und narrative Zeichnen – eine Rückkehr zu Kunstwerken also, die durch praktische Handarbeit entstehen. Im Folgenden möchte ich eine Handvoll repräsentativer Ausstellungen vorstellen, die in den letzten Jahren in Norwegen produziert wurden. Mein Schwerpunkt liegt auf norwegischen Künstlern, die sich der Zeichenkunst verschrieben haben. Dass gerade Zeichnungen gut in diese anhaltende Strömung der Neo-Mystik passen, ist keine Überraschung, kommen doch atmosphärische Akzente häufig in Arbeiten mit gezeichneten Linien zum Ausdruck. Die Zeichenkunst per se geht unterdessen auf den Schamanismus und Primitivismus zurück und gilt sozusagen als eine mystische Spur der Kreativität. Nach der Dominanz von Video- und Fotokunst in den Ausstellungen und Biennalen der 1990er-Jahre – sowohl auf internationaler Ebene als auch in Norwegen – nehmen Zeichnungen nun wieder eine prominentere Position ein. Teilweise ist dies der Verdienst von Künstlern wie Marcel Dzama und Ryoko Aoki. Zeichnen als Medium bietet ihnen eine ganz besondere Freiheit, eine Anti-Monumentalität und Leichtigkeit über und unter den schwereren theoretischen Diskursen zu Themen wie der Komplexität von Repräsentationen etc. So ist eine Art emotionale Ästhetik entstanden, reich an Assoziationen und irrationalen Untertönen – und dennoch bleibt diese bis heute im kunsttheoretischen Rahmen weitgehend unerforscht und undiskutiert, weil Zeichnungen historisch gesehen als Vorstufe zum tatsächlichen künstlerischen Werk betrachtet wurden. Die Verwendung von Bleistift oder Tinte auf Papier wird leicht mit Literatur und dem Erzählen von Geschichten in Verbindung gebracht, nicht zuletzt auch wegen der Tradition gezeichneter Illustrationen (z. B. Theodor Kittelsen und Louis Moe) sowie Comic-Serien. Während der Romantik, des späten 18. Jahrhunderts und auch das ganze 19. Jahrhundert hindurch war die Zeichenkunst das Darstellungsmittel der Spontanität und Intimität und wurde gerne eingesetzt, um Aufruhr, Angst und visionäre Ideale von Freiheit auszudrücken. Ihre zunehmende Bedeutung heute lässt sich als eine post-romantische Version des mehr oder weniger gleichen Gefühls interpretieren sowie als Ausdruck einer Sehnsucht danach, Träume, Automatismen, Mythen und Legenden zu erforschen.5 Kristalle und Rhythmus Als Teil des Rahmenprogramms des Festivals Momentum – Nordic Festival of Contemporary Art, das im Sommer 2006 stattfand, haben Ida Kierulf und Helga-Marie Nordby die Ausstellung Imagine the Universe Burst into Song kuratiert, in der sieben junge norwegische Künstler und Künstlerinnen ihre durch Irrationalität und Spiritualität charakterisierten Arbeiten präsentierten. Der Titel der Ausstellung – eine Anspielung auf den spätromantischen Komponisten Gustav Mahler und das Streben der Chormusik nach immer neuen Höhepunkten – ist eine der möglichen Betrachtungsweisen der Arbeiten, die man ihrerseits als Auswüchse einer unmittelbaren und greifbaren Welt bezeichnen könnte. Für Imagine the Universe Burst into Song hat Sofie Berntsen beispielsweise eine großflächige Wand gestaltet, mit Farbstift-Zeichnungen, Collagen und abstrakten Detaildarstellungen, die ohne andere Unterlage direkt auf der Wand produziert wurden. Verschiedene Elemente spiegeln die Inhalte der jeweils anderen wider, so ist das Werk eine Weiterentwicklung und Vervollkommnung des früheren Schaffens der Künstlerin – ein sich der verwendeten Codes bewusstes und persönliches „visuelles Jonglieren“ mit Mythen und Begehren. Die Stile der verschiedenen Bestandteile sind breit gefächert: von intimer Zerbrechlichkeit bis hin zu einer wiederum alles umhüllenden Monumentalität. Ziel der Arbeit ist das Gesamterlebnis, das nur erreicht wird durch sukzessive, allmähliche Bewegung und Veränderung im Laufe der Zeit. Aus dem kunstgeschichtlichen Kontext heraus gesehen stellt diese stark persönlich geprägte und romantische Darstellung einen Boden für unterschiedliche Resonanzen dar. Ihre Intensität wirkt gleichzeitig stimulierend und verstörend. Indessen greift Berntsen bei ihrer Arbeit auf kühles Fachwissen zurück: Schwallende Wellen im fein abgestimmten Farbspektrum bersten gegen blitzartig scharfe Linien. Weitere Elemente in Berntsens Motiven sind Energieströme und die visuelle Anziehungskraft von Kristallen. Der Prismeneffekt – die Aufspaltung von Licht in optische Felder – ist ein häufig vorkommendes Thema in der neueren zeitgenössischen Kunst, beispielsweise in Werken von Josefine Lyche, Ane Graff, Mikkel Wettre und Ann Lislegaard. Die Bedeutung der Mineralien in der alternativen New-Age-Bewegung steht außer Frage. Dieser Tatsache bediente sich auch Benjamin Alexander Huseby in seiner Ausstellung bei Fotogalleriet im Winter 2006. So präsentierte er dort unter anderem eine Serie lichtfilternder Skulpturen, inspiriert von Rudolf Steiner und der Art und Weise, wie sich Kristalle in der Natur formieren. Das Interesse der deutschen Künstler der Romantik galt historisch gesehen dem „Gestaltungswillen“ der Kristalle, über den diese trotz ihres unbelebten Materials verfügen; in diesem Sinne war das Mineralreich eigentlich nicht tot, sondern entwickelte sich in Richtung vollkommener Reinheit. Zumindest behauptete man das. Das Phänomen der Kristalle wurde von der Literatur der Romantik einerseits als Entwicklungsprozess hin zu einem gänzlich perfekten Geist interpretiert, andererseits aber auch als kulturelle Stagnation. So zum Beispiel vom dystopischen Paul Klee, der sagte, dass Abstraktion eine grundlegende Entfremdung, eine inhumane Form beinhaltet. Martin Skauens Kunstproduktion wiederum ist dunkleren Sphären zugeneigt. Er arbeitet mit großformatigen Bleistiftzeichnungen, die eine aus dem Gleichgewicht geratene Welt darstellen. Die Arbeiten sind ungeheuerlich grotesk und schrill – nicht jedoch ohne Humor – und bestechen durch den detailreichen Zeichenstil des Künstlers. Die Darstellungen wahnsinniger Dekadenz erinnern uns an Hieronymus Boschs Garten der Lüste (1505-10), einer verworrenen Vorstellung der Hölle mit Menschenkörpern, die Qualen erdulden und als Sklaven der Lust gefangen sind. Skauen verwendet dabei eine ungewöhnliche Technik: Er filmt die Zeichnungen mit einer bewegten Handkamera. Diese verweilt auf bestimmten Bereichen und schafft so die Illusion von Bewegung und eines unendlichen, jedoch klaustrophobischen Raums. Skauen verleiht absurden, im Unterbewusstsein verankerten Welten eine Stimme. Seine Arbeiten vermitteln ein verzauberndes Zusammenspiel von prähistorischen Kräften, Schamanismus, Gewalt und Sexualität – vier Elemente, die den frühesten Bewohnern der Erde eigen war, aber ebenso dem „modernen“ Menschen zugerechnet werden kann. Spekulativer Sadismus und eine Neigung zu rituellem Gruppenverhalten verfolgt die Zivilisation wie ein dunkler Schatten. The Polar Bear Split (2006), Skauens Werk für die Ausstellung Imagine the Universe Burst into Song, hat Themen wie Verehrung und Fanatismus in der Religion, Sexualität und Jugendkultur zum Inhalt. Die Kamera schwenkt auf mechanische und hybride Wesen, die vertieft sind in das sich abspielende Drama, das wiederum seiner eigenen internen Logik folgt. Ein elektrisch flimmernder Kreis scheint gewaltsame und ekstatische Szenen zu überladen. Eine Szene religiöser Anbetung, dargestellt durch in die Luft ragende Arme, wird begleitet von Hallelujas und Händeklatschen. Im April 2007 stellte Martin Skauen sein Video Felix Culpa – A Handmade Massacre im Rahmen der Ausstellung Future Primitive bei UKS vor. In der Schau ging es darum, Verbindungen zwischen Wissenschaft, Mystik und der Faszination für esoterische und aus anderen Welten stammenden Phänomenen darzustellen. Ausgangspunkt der Arbeiten waren zeitgenössische Mythen sowie die Tradition der Esoterik – einer Unterströmung in der spirituellen Landschaft Europas mit Wurzeln in der Antike. Mehrere Arbeiten in Future Primitive erforschten rituelle Mechanismen von Sekten und geschlossenen Bruderschaften. Skauens Video wurde im Eingangsbereich der Ausstellung gezeigt und überschattete mit seiner pechschwarzen Stimmung und seiner Überladenheit an primitiven und destruktiven Kräften, Gewaltszenen und Obszönitäten alle anderen Werke. Mysteriöse Botanik Im Februar/März 2007 waren in der Galerie Haaken Zeichnungen von Sverre Malling zu sehen, dessen Kunst schon bei der Abschlussausstellung der Kunststudenten der Osloer National Academy of the Art 2004 große Aufmerksamkeit fand. Damals zeigte er von Dunkelheit und gotischer Todesromantik durchdrungene Werke, dunkle nächtliche Wälder voller okkulter Szenen mit Reptilien, Teufelsgestalten und verfolgten jungen Mädchen. Diese perfekt konstruierte Phantasiewelt führte er in seiner Einzelausstellung im Jahr 2007 noch weiter: Beim Anblick der Arbeiten ergriff einen das Gefühl, sich seinen (Flucht-)Weg durch dichte, verworrene Wildnis schlagen zu müssen. Auf Mallings Motiven wimmelt es nur so voller Details über Tod, Morast und Botanik. Ihr zuckersüßer Charakter illustrierter Kinderbücher und wunderschön gestalteter Zeichnungen von Pflanzen ganz im Geiste Carl von Linnés bietet eine „nette“ Kulisse für scheinbar harmlose Handlungen, die dennoch ziemlich explizit entartete Szenen andeuten. In mehreren Bildern machen wir seltsame, winzige Blumenkinder mit versteckten Gesichtern aus. Sie sind nackt, aber undefinierbaren Geschlechts, krabbeln auf den Stielen und Blättern der Pflanzen und tragen verbrannte Streichhölzer herum. Sie klettern aufwärts und strecken sich nach etwas Unsichtbarem, das außer Sichtweite liegt, in einer Art verkehrt göttlicher Sehnsucht. Der thematische Schwerpunkt des kindlichen Potentials unergründlicher Grausamkeit spiegelt sich in aufgespießten Fliegen, Wespen und Marienkäfern, die an den Pflanzen festgesteckt sind, wider. Die Stimmung der Arbeiten weckt Erinnerungen an Horrorfilme, an den kindlichen Geist, der vom mentalen Motor des Bösen angetrieben wird (ein Phänomen, das von der Künstlerin Susan Hiller erfolgreich untersucht wurde). Dann bricht die Idylle auf, in dunkle Untertöne mit visuellen Referenzen, die in der Schwarzen Magie und der Hippie-Kultur zu suchen sind. Die Natur und die Überreste einer zerstörten Kultur verschmelzen in beinahe barock anmutenden Bildern mit Insekten, Amphibien und rauzungigen Kröten, allesamt Anspielungen auf die Vergänglichkeit des Lebens. Besonders zum Ausdruck kommt die Zerstörung der Natur in einer Zeichnung, die einen finsteren, halbtoten Cappelenesken Nadelwald zeigt, der eine Art Amputation durch einen gewaltigen schwarzen Kreis erfahren hat. Malling bedient sich in seinen Arbeiten einer breiten Palette an Referenzen: So behandelt er beispielsweise den Gebrauch halluzinogener Substanzen und die Überschreitung von Zeitzonen, eine Art Auflösung historischer Chronologie, die erreicht wird durch die Gegenüberstellung von verlorener Zeit und der Gegenwart. Am Rande des Horrors Im November 2007 wurde in der Tegnerforbundet (Drawing Association of Norway) Vanna Bowles’ Einzelausstellung Prudent, Vain and Devoted eröffnet. Neben Zeichnungen standen dabei auch einzelne mechanische Papierskulpturen auf dem Programm. Bowles’ Arbeiten sind von einer materiellen Zerbrechlichkeit gekennzeichnet. Die Motive gehen dabei in Richtung burlesker Szenen, Varieté und Film noir, in denen Mord und schemenhafte Sexualität Schlüsselrollen spielen. Magritte-ähnliche Psychoten, Requisiten im Stil des 19. Jahrhunderts und Patina wie aus der Zwischenkriegszeit sind Anspielungen auf dramatische Filmbilder – das Messer ist am Hals angesetzt, mit der Harmlosigkeit ist es vorbei. Die wohl auffälligsten Stücke der Ausstellung waren jedoch die durch ihre technische Umsetzung beeindruckenden Zeichnungen in Kombination mit dreidimensionalen Reliefs, deren Pappmaché-Figuren gerade von einem flachen, fiktionalen Raum herunter zu fallen schienen. Eine männliche Gestalt im Nadelstreifenanzug klammert sich eng an einer Frau fest, die ihrerseits in einem schmalen, klaustrophobischen gezeichneten Raum eingezwängt ist. Bowles beherrscht die dramatische und formale Spannung zwischen fiktiver Tiefer, realer Tiefe und Flachheit. Der klassische, aus dem Theater stammende Guckkasten-Illusionismus ist ein wichtiger Vorläufer dessen, genauso wie Unterhaltungseffekte und die technischen Behelfe beweglicher Bilder, die aus der Zeit vor dem Film stammen. Kunsthistorische Tromp-l’œil-Malereien gehen einem beim Anblick dieser Bilder durch den Kopf, die eingefasst sind in gemalte Rahmen mit überwältigenden Blumenverzierungen und Referenzen an die viktorianische und historistische Bildsprache. Durch ihre Täuschungen macht Bowles die Geschichte zum Wegbereiter für Fiktion. Diesen gezielt eingesetzten Retro-Stil findet man in den Werken mehrerer junger zeitgenössischer Künstler wieder. Bowles’ Beherrschung der Bleistiftspitze und ihre historische populärkulturelle Verankerung zeigen möglicherweise vor allem eines: den starken, andauernden Einfluss der Romantik auf die Kunstszene und folglich die Tatsache, dass die Zeichenkunst als Medium sowohl als karikiertes Begehren als auch nostalgische Sehnsucht funktioniert. Parallel zu Bowles’ Ausstellung in der Tegnerforbundet fand in der Oslo Kunstforening (Oslo Fine Art Society) eine Einzelaustellung von Liv Tandrevold Eriksens statt, in der ihre mit Tinte und Akrylfarben angefertigten Werke gezeigt wurden. Thematisch gesehen war der Ausgangspunkt der Arbeiten die Idee, Zustände zwischen Traum und Realität filmisch zu dokumentieren, oder auch die Verwandlung junger Mädchen zu einer erwachsenen Frau, angesiedelt in einem furchteinflößend fiktiven Universum. Auch hier spielen populärkulturelle Referenzen eine tiefergehende Rolle. Während das amerikanische Kult-Musical The Wizard of Oz an einem Ende des Spektrums steht, bilden Horrorfilme wie Poltergeist, Der Exorzist und Ringu das andere Extrem. So, wie Zeichnungen als das authentischste und persönlichste künstlerische Ausdrucksmittel gesehen werden – man kann auf ihnen direkt von den Händen darauf zurückgelassene Spuren feststellen – geben sie auch eine Stellungnahme in puncto kommerzielle Massenmedien ab. Tandrevold Eriksen z. Β. bildet das typische Flimmern des Fernsehgeräts nach, mit der charakteristischen groben Bildkörnung und den aus der Nähe sichtbaren Streifen des Bildschirms. Die Horrorfilme nehmen Bezug auf all die betroffenen jungen Mädchen, Opfer hautnaher Begegnungen mit übernatürlichen Kräften. Charakteristische Portraits der Hauptfiguren, wie z.B. Carol-Anne und Regan Teresa, erinnern an Filmbilder, die wie verdrehte Harmlosigkeit wirken. Am stärksten macht sich das Unbehagen jedoch bei den beiden Arbeiten Ringu breit. Durch seine fast dreidimensionale schwarze Gestaltung wird das ikonenhafte lange, schwarze Haar zu einem grauenerregenden imaginären Zeichen für verborgenen Horror – der Rahmen bildet dabei den Behälter für die dämonisierte Bildlichkeit. Ein dünner Streifen schwarzer Farbe rinnt an der Innenseite des Glases herunter. Die Handlung in Ringu dreht sich um die Annahme, dass Sehen mehr ist als eine passive, harmlose Handlung. Sehen verursacht eine Art Tod – bereits durch das bloßen Ansehen eines Videos unterzeichnet der Zuseher quasi sein Todesurteil. Die durch Blicke provozierten Todesfälle machen die Augen zu den mächtigsten und unheimlichsten Filmelementen, wie wir schon in Poltergeist miterleben durften. Lebenden Bildern werden – allein aufgrund ihrer ihnen eigenen Charakteristik – böse Kräfte zugeschrieben. Der Bildschirm hingegen, den Tandrevold Eriksen zeigt, ist lediglich eine dünne Membran zwischen unserer Welt und der anderen Seite, eine Grenze, die jederzeit aufbrechen kann. 1 Lars Bang Larsen: The Other Side. In: Frieze, Nr. 106, April 2007. 2 Ibid. 3 Zitiert aus: Bishop, Claire (ed.): Participation. Cambridge MA: Whitechapel / The MIT Press, 2006, S. 160. 4 Wright, Stephen: Tid uten egenskaper, kunst utenfor radaren. In: TXT (KORO), Nr. 1, 2007, S. 27-28. 5 Zur Verbindung zur Romantik: Dexter, Emma (ed.), Vitamin D – New Perspectives in Drawing. London: Phaidon Press, 2005. Aus dem Englischen von Elisabeth Dobbler.
01.01.2010
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