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Tillman Kaiser: abstrakte popkulturZeitschrift Umělec 2011/101.01.2011 Milena Dimitrova | geometrie | en cs de |
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Dass der Mensch in Kategorien denkt, ist altbekannt. Doch werden diese aufgebrochen, beginnt das Zweifelhafte und Uneindeutige, interessant für ihn zu werden. Er fängt an nachzudenken, schaut genauer hin, und während das Auge zu sortieren versucht, wertet er neu. Deshalb müssen Kategorien hin und wieder diesen Einschnitt erfahren.
Die Arbeiten des Künstlers Tillman Kaiser sind von einer gewissen Uneindeutigkeit, Unzuordenbarkeit zu einer klaren kunsthistorischen Kategorie oder Strömung. Lokalisiert wird seine Malerei meist irgendwo in der Tradition von Kubismus und Expressionismus, Surrealismus und Dada. Auch Verweise auf den Retro-Futurismus und Anleihen aus Science-Fiction sind in seinen Arbeiten erkennbar. Immer aber wird er mit der Moderne und modernen Utopien in Verbindung gebracht. In einem Artikel über seine Arbeit wird die weite Palette an Assoziationen, die er uns bietet, und die Unzuordenbarkeit seiner Arbeit als ein Angebot weg von dem rationalistischen Moderne-Bild interpretiert, auf das heute vorrangig zurückgegriffen wird, hin zu einem, das das Okkulte, Esoterische, Abgründige, das Unbewusste, Irrationale und Gespenstische als wichtigen Teil der Moderne in den Vordergrund stellt. Kaiser selbst verortet sich in der Dependance des Surrealismus, eine Strömung, die schon an sich im Widerspruch zu jeglichem Rationalismus steht. Verweise auf den Surrealismus und das Unterbewusste sind etwa seine Insektenbilder, Fliegen oder Larven, die er als Siebdruck auf die Leinwand bannt. Darüber hinaus erkennt man in seinen Arbeiten das Interesse an modernistischen, gescheiterten Utopien und ihrer Aufarbeitung. Diese zwei Komponenten, Surrealismus und moderne Utopien, treffen sich auch über die Architektur in Kaisers Bildern: Zum einen nennt er die Architektur jenes Element in seiner Kunst, über das er die Aufarbeitung von Persönlichem und Unterbewusstem filtert und objektiviert. Zum anderen ist es die Architektur, die bei ihm die Rolle des utopischen Indikators einnimmt, nicht etwa Technologie, was durchaus die alternative Möglichkeit wäre. Denkt man an die Indikatoren für utopische Modelle der Science-Fiction, wäre Kaiser der Soft-Science-Fiction zuzuordnen, die sich über neue Modelle für Architektur und Gesellschaft, neue Lebensmodelle definiert, in Absetzung zur Hard-Science-Fiction, die viel technologielastiger, rationaler ist. Für die architektonischen Elemente in seinen Arbeiten greift er zielsicher auf dystopisch anmutende Beispiele zurück. Es sind Architekturen von irgendwo auf der Welt, die als Fragmente oder in neuer Kombination mitunter als Art Kriegsmaschinen in seinen Bildern wieder auftauchen können. So auch sein Paravent Dicke Luft von 2004, bei dem er die Abbildung eines modernistischen Gebäudes einer asiatischen Großstadt als Modell entnahm. Ort und Entstehungszeit des Gebäudes sind ihm dabei nicht wichtig, Kaiser möchte zu keiner Interpretation durch Kontextualisierung verleiten. Auch ist so die Assoziation, der Bezug zum Utopischen (bzw. Dystopischen), das kein realer Ort, sondern ein Nicht-Ort ist, stärker. Wenn menschliche Figuren in seinen Bildern auftauchen, dann nur als Embleme mit einer Funktion oder Position, als Soldaten, Polizisten, in einer Gruppe, die er Dienerschaft nennt, oder als Menschenmasse bei einem politischen Ereignis. Also meist als zu einem utopischen Lebensmodell im Gegensatz stehende Beispiele. In seinen Ausstellungen installiert Kaiser die Malereien häufig kombiniert mit Tapeten, die wiederum Muster oder Szenarien aus gefundenen Büchern abbilden oder Postkarten entnommen sind. Sie scheinen Kulisse oder Bühnenbild zu sein. Das Design der 70er Jahre spielt eine Rolle – Kaisers Skulpturen lassen an futuristische Möbelstücke denken. Für seine Kataloge entlehnt er das Umschlagdesign eines Katalogs für Werkzeuge oder Lehrmaterialien aus den 50ern und 60ern – weitere Objekte, die er gefunden hat. Die ineinander geschichtete, ausstrahlende, metallene, immer wieder in den Bildern auftauchende Viereckform lässt massenproduziertes Geschirr aus den 50ern erahnen. Die Gegenstände in den Bildern sind nicht das, was sie vorgeben zu sein. Fragmentiert und neu zusammengesetzt, bekommen sie eine neue inhaltliche Aufladung. So auch die Aufschrift „turtox“ auf einem waschmittelboxartigen Gebilde in der Arbeit Das Psycholyselabor von 2005. Gibt man bei Google „turtox“ ein, bekommt man den Eindruck, dass dies einmal ein Verlag für Materialien zur Biologie war, wahrscheinlich Kaisers Quelle für seine Insektenbilder und Mikroskopaufnahmen, die sich immer wiederkehrend als Bausteine durch sein gesamtes Werk ziehen. Aber eigentlich weiß niemand mehr, was dieses „turtox“ war und wann es existiert hat, wenn es existiert hat. Ist das die dunkle Seite der Popart – sich die Konsumkultur als archäologisches Fundstück vorzustellen? So wie die Waschmaschine, Titel einer seiner Skulpturen, die bekanntlich als eine Errungenschaft der Nachkriegszeit gilt und Symbol für Fortschritt und Prosperität war. Dies alles scheint eine kommentarlose Bestandsaufnahme von Formen zu sein, die ihre Bedeutung, ihr Ausmaß der Bedeutung, ihre Gültigkeit oder Funktion bereits verloren haben und sich als Siebdruck auf Papier oder Leinwand mit Eitempera-Malerei zu dekorativen, ästhetisch ansprechenden Formen vereinen. Das formale Spiel, die Präzision in Farb- und Formkomposition, das ästhetische Ergebnis ist am Ende das, was greifbar bleibt. Auf der Rückseite seines Katalogs von 2005 ist aber doch eine Art Statement zu finden, wenn dort „March down Babylon“ in Spiegelschrift zu lesen ist. Eine Botschaft Kaisers (der Jazz aus den 60ern hört) an all jene, die nicht bereit sind, Utopien als gescheitert zu akzeptieren? Eine Botschaft auch an all jene, die den in der afroamerikanischen Musik verankerten Begriff „Babylon-System“ nicht erkennen, die unaufdringliche Aufforderung, etwa Dub oder Reggae zu hören, der politischen Alternativ-Bildung wegen? Jedenfalls ein weiteres Versatzstück, eine weitere intertextuelle Bezugnahme auf die Popkultur. Die neueren Arbeiten ab 2006 schlagen eine dekorativere Linie ein, aus der fast alles Gegenständliche verbannt ist, bis auf die mikroskopischen Bilder, Insekten und einige andere der gefundenen Muster. Neben neuen entdeckt man bereits bekannte, wie das rechteckige Metallgeschirr. Nun ist die Dreiecksform ein Ausgangspunkt seiner Bilder. Sie ist das Element, das modulartig den Aufbau des Bildes bestimmt. Das Dreieck ist jenes kleinste Element, aus dem sich der Bildaufbau entwickelt, aus dem heraus er organisch wächst. Vor allem auch in den Skulpturen kommt dieses System zum Tragen. Es lenkt sich der Raum heißt eine Arbeit von 2006. Ein weiteres häufiges Merkmal ist die Teilung in der Mittel- und Querachse, die Vier- oder Zweiteilung des Bildes durch Ansetzen des Dreieckmusters an diesen Achsen etwa. Der Eindruck von Symmetrie ist meist irreführend, in kleinen Brüchen weichen die zwei respektive vier Teile der Bilder voneinander ab. Auch wenn sie abstrakt und dekorativ sind, haben sie eine Hänge- und Leserichtung. Stilisierte Gesichter oder Figuren lassen sich herauslesen. So wird der Bezug zu Anthropomorphem, Kreatürlichem hergestellt. Kaisers Universum scheint anthropozentrisch zu sein, auch wenn hier keine Menschen oder Architektur mehr zu sehen sind. Doch trotz der sanften, hellen Farbpalette bleibt der Eindruck erhalten, dass es um die irrationalen und verborgenen Kräfte geht. Jene Kräfte des Surrealismus und der dunklen Seite der Moderne. Dieses Gefühl vermitteln seine neuen Bilder viel subtiler als die dystopisch anmutenden älteren Werke. Als Leser von H.C. Lovecraft, der Science-Fiction, Horror und soziale Utopie mischte (also Genregrenzen dehnte und, von Poe und Albträumen inspiriert, in die unheimliche und irrationale Sparte der Moderne passt), scheint Kaiser Themen und Ängste widerzuspiegeln, die den Schriftsteller tief bewegten: die moderne Weltsicht, die den Menschen aus dem Zentrum der Schöpfung reißt und zu einem Staubkorn im All reduziert.
01.01.2011
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