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MANIFEST für eine Gesellschaft  des Unwohlseins
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2010, 1
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MANIFEST für eine Gesellschaft des Unwohlseins

Zeitschrift Umělec 2010/1

01.01.2010

Václav Bělohradský | en cs de

MECHANISMEN

Es gibt keine Fakten, vor denen wir so verstummen müssten, wie vor der Tatsache, die von allein sichtbar wird. Also „gibt es schon nichts mehr zu sagen“. Die Gründer universeller Reiche fordern, dass das Abkommen zwischen ihnen zur Übereinstimmung mit der Wirklichkeit selbst erklärt wird. Gelingt ihnen das, konstituiert sich eine Weltmacht, ein universelles Reich, das neben sich lediglich „willige Handlanger“ duldet.

Der größte Widerspruch der Industriegesellschaft ist der rationale Charakter ihrer Irrationalität, ihre rational foolishness. Die immer größer werdende Produktivität des Systems bringt die immer schnellere Zerstörung aller hi-
storischen Welten mit sich. Die souveräne politische Macht gründet sich auf der Androhung des nuklearen Holocaust. Unser aller Denken und Fühlen sind den Machtstrategien großer Konzerne untergeordnet, die Machtlosigkeit der Mehrheit wächst proportional zu der gewaltigen und nie zuvor gesehenen Macht einer privilegierten Minderheit. Die Gesellschaft derartiger Widersprüche überlebt allein Dank der gewaltigen Wirksamkeit ihrer Kontrollmechanismen, die uns der Fähigkeit berauben, die Ziele des Systems und unsere Rolle darin als Skandal der Vernunft und des Gefühls zu empfinden. Der Mechanismus an sich, mit dem das Individuum an seine Gesellschaft gebunden ist, hat sich verändert. Die soziale Kontrolle ist in neuen Bedürfnissen verankert, die sie selbst geschaffen hat. Wir werden Chefredakteure von Zeitungen, haben ein hohes Einkommen. Doch jemand mit hohem Einkommen muss in einem Haus außerhalb von Prag wohnen, also verschulden wir uns auf unser hohes Einkommen, …

Demokratie als öffentlicher Zwist darüber, was in unterschiedlichen Situationen relevant ist, ist heute bloße Illusion die Definition jeder Situation ist im Voraus gegeben, wie das Gelächter aus der Konserve in amerikanischen Serien.

Die Demokratie ist in der Phase des Niedergangs begriffen und verendet langsam. An ihrer Statt taucht die von Crouch beschriebene „Postdemokratie“ auf, deren Hauptmerkmal das allmähliche Ersetzen des Rechtstaates und der parlamentarischen Demokratie durch ein Netz von mächtigen Lobbygruppen ist. Diese wiederum haben sich zum Ziel gesetzt, die Spielregeln, die für die mächtigste ökonomische Gruppe am vorteilhaftesten sind, im utilitaristisch orientierten Verhandeln durchzusetzen.

Das Wachstum der Wirksamkeit technischer Mittel ist so schnell, dass der Unterschied selbst zwischen der Sphäre der Mittel und der Sphäre der Ziele archaisiert: Sind diese Ziele selbst nicht nur Mittel, die dem weiteren Wachstum der Technik dienen?

Die Demokratie ist eine solche Gesellschaftsorganisation, in der die Fragen des Hintergrunds dauerhaft offen bleiben; die Menschen interessieren sich für sie. Der öffentliche Raum hat seine eigene Spannung, seine Efferveszenz, weil gegenteilige große Wahrheiten ständig aufeinander stoßen und sich widerlegen. Streitereien über große Wahrheiten sind nützlich: Sie machen uns besser, offener, unsere Entscheidungen legitimer und richtiger. Grundpfeiler der Demokratie sind gerade die allgemeine Zugänglichkeit der Fragen nach dem Hintergrund und das allgemeine Interesse an ihnen.

UNWOHLSEIN

Das Gefühl des Unwohlseins hat in der Gesellschaft der späteren Zeit viele Quellen. Es ist vor allem die Vermehrung von Zeichen, Bildern, Formeln und Ansprachen, die zur Folge hatte, dass es schlagartig zu einem Wirklichkeitsschwund gekommen ist. Viele Zeichen, wenig Bezeichnetes, viele Bedeutungen, wenig Bedeutendes, viele Teile, wenig Ganzes, viele Fakten, wenig Kontext, viele Kopien, wenige Originale, viele Bilder, wenig Abgebildetes, viele Ansprachen, wenige Absprachen, viele Ziele, wenig Sinn, viele Repräsentanten, wenig Repräsentiertes, viele Antworten, wenige Fragen.

Das Gefühl des Unwohlseins ist allgegenwärtig, hartnäckig, auch wenn es nicht gerade sehr ausgeprägt ist. Nein, es geht uns nicht schlecht, es gibt nur von allem zuviel: Informationen, Essen, Müll, Leute, Verpackungen, Bücher, Zeichen, politische Programme, Orte, wohin man in den Urlaub fahren könnte, Kreditangebote und heiße Tage im Jahr. Es muss irgendeine Grenze geben, abseits derer man die Dinge dieser Welt nicht mehr gebrauchen oder konsumieren kann, sondern nur noch ehren. Wo diese Grenze liegt, wissen wir nicht. Es ist uns eben nur ein bisschen unwohl.

Die Verkäuferinnen in Hongkong hatten während der Vogelgrippeepidemie einen sterilen Mundschutz, auf den ein Lächeln gemalt war. Kritik ist in der Spätzeit nur ein vorwurfsvoller Ausdruck im Gesicht, auf einen unsichtbaren Mundschutz aufgemalt, mit dem die Protagonisten gesponserter cultural events an die Öffentlichkeit treten. Wie kann man die Grundtugenden der liberalen Gesellschaft erneuern die Ungleichgültigkeit ihrem eigenen kritischen Bild gegenüber? Ich weiß nicht, aber mir ist unwohl dabei, dass ich darauf keine Antwort habe. Wozu ist ein Intellektueller eigentlich da, wenn er das nicht beantworten kann?


DER WESTEN


Wer Europäer bleiben will, darf sich niemals von der Energie beherrschen lassen, die alles verstrahlt, was wir vorbehaltlos als natürlich annehmen. Verstehen wir das richtig: Humanistisch gebildete Europäer wollen ihre eigenen Vorurteile nicht leugnen. Sie wollen sie lediglich in ihrer Verbundenheit mit Ort und Zeit verstehen, mit dem Problem, dessen Lösung die Vorurteile zu gegebener Zeit darstellen. Verständnis befreit uns von der Macht, die der Standpunkt des Ganzen über uns hat, in dem die Erfahrung der historischen Bedingtheit eines jeden Ideengebildes erloschen ist.
...
Die sich vertiefende ökologische Krise, die skandalöse politische Machtlosigkeit der demokratischen Industriestaaten gegenüber extremen Ereignissen, seien sie eine Folge des anthropogenen Klimawandels oder natürlicher Klimaentwicklung, der grauenhafte Zustand der Dritten Welt, der heuchlerische newspeak, in dem Aggression Präventivkrieg genannt wird, die Besetzung fremder Länder Befreiung vom Tyrannen, die Beeinträchtigung bürgerlicher Freiheiten „ Akt der Vaterlandsliebe“, dazu eine immer festere Allianz von Showleuten und Politikern, die die Massen für den Gebrauch von Unbrauchbarem mobilisiert, der Aufbau des Mehrheitskonsensus durch strategische Kontrolle der Medien das alles sind Anzeichen dafür, dass die Kriegsmobilisierung die ureigenste Tendenz des Systems ist.
Das westliche politische und ökonomische System ist in seiner Normalität extremistisch. Der Krieg gegen die Natur und andere Lebensformen ist Hauptinhalt der „Friedenstage“ der Bewohner des Westens.
...
Die NATO-Erweiterung ist nichts anderes als ein Versuch, mit dem Säbelgerassel die Krise unserer Zivilisation zu tarnen.

Was sind das für merkwürdige Sieger, wenn sie keines der Probleme gelöst haben, deren effektivere Lösung Gegenstand des Streites zwischen West und Ost war: Die Ungleichheit zwischen den Menschen ist ein immer größer werdender moralischer Skandal für den christlichen Westen. Die Demokratie wird immer stärker aus der strategischen Entscheidungsfindung heraus gedrängt, Kaderfragebögen umfassen 100 Seiten, die Kontrolle des öffentlichen Raumes durch das Kapital erfolgt immer totaler, die Atombombe und die technologisch gemanagte Gewalt bilden dauernd die Grundlage jeglicher politischen Hoheit, die NATO wird erweitert, das Schengener Abkommen spaltete Europa in Europäer erster Klasse, zweiter Klasse und Gesindel aus dem Balkan und der Ukraine. Überall um uns herum entstehen neue unsichtbare Mauern, die Dritte Welt wird immer schmutziger und hungriger, genau wie die Peripherie unserer reichen Städte. Der Verteidigungshaushalt wächst, der des Schulministeriums schrumpft.

Ist nicht der Hass gegenüber dem „weißen Wir“ in dieser historischen Welt die natürliche Antwort auf die Art, in der es in sie eingebrochen ist? Zerrüttete historische Welten, die nach der Regierung des „weißen Wir“ zurückblieben, zusammengefasst „Dritte Welt“ genannt – die Mehrheit der Länder Afrikas, viele Länder Asiens und etwa auch Lateinamerikas sind nichts anderes als die unterworfene und ausgebeutete Peripherie des Reiches des globalen ökonomischen Wachstums, dessen erschüttertes und schnell schwächer werdendes Zentrum das „weiße Wir“ ist.
...
Der Süden unseres Planeten ist nicht nur die Dritte Welt. Im Süden findet sich jeder wieder, der sich weigert, zur Überzivilisation zu konvertieren und so dem Imperium des Wachstums Widerstand leistet.

Konsumismus ist ein demokratisch unkontrollierbarer Eigenantrieb, der an ein dämonisches Element in der westlichen Zivilisation anknüpft: Er ist eine Art Verzüc-
kung, ein verlockendes Dunkel, in das sich der Mensch stürzt, um der widersprüchlichen Welt, die ihm seine Vernunft zeigt, zu entfliehen.
Was ist Vernunft? fragen wir uns, wenn wir uns die lange unbewegliche Autokolonne auf blockierten Autobahnen ansehen, wenn in unseren Städten Smogalarm ausgerufen wird, wenn nicht-erneuerbare Rohstoffe zur Herstellung von Überflüssigem vernichtet werden, wenn wir über den Klimawandel als Folge des Treibhauseffekts diskutieren, wenn alle tschechischen Tageszeitungen in den Schlagzeilen auf der ersten Seite verkünden, dass Tschechien sucht den Superstar läuft, wenn wir im Fernsehen lange Schlangen vor Wechselstuben in Südkorea, Argentinien oder Moskau während der Finanzkrise sehen können, wenn wir Reportagen aus malaysischen Stä-
dten verfolgen, wo enttäuschte Wohlstandskandidaten Geschäfte plündern, oder Reportagen aus dem Gerichtssaal, wo das Sexgate von Präsident Clinton verhandelt wird und der Sonderermittler Starr die legale Definition von Sex sucht.
Die Wertetyrannei der Industriegesellschaft bringt zwangsläufig Kolonialismus mit sich, Konzentrationslager, Genmanipulation bei allem Lebenden, Verwandlung der Natur in bloße natürliche Quellen, in ein Labor mit Versuchstieren wie die oncomouse TM, die genetisch so manipuliert ist, dass sie schon krebskrank geboren wird, damit sie sich besser in Versuchen einsetzen lässt. Die Ziele müssen größer und immer größer werden, damit die Sphäre der Mittel zu ihrem Erreichen technowissenschaftliche Macht weiter wachsen kann.
Die Kritik eines falschen Bewusstseins ist die ernsthafteste Kritik. Das wichtigste Kennzeichen der modernen Industriegesellschaft ist die Entfremdung in dem Sinn, dass der Mensch die Gesetze der Welt, die er geschaffen hat, nicht kennt, und sich so von seinen eigenen Erzeugnissen versklaven lässt. So wie der vormoderne Mensch in den Göttern nicht seine Vorstellungen erkennt, erkennt der moderne Mensch in der Welt der Güter nicht seine wesensimmanente Kraft, die sich in Gegenstände transformierte, und die Welt, die ihn versklavt. (Marx)

TEXT

Ist Lesen die Kunst, aus dem Text das heraus zu lesen, was der Schreiber hinein gelegt hat? Oder bringen die Leser, die sich darum bemühen, untereinander eine Art Abkommen über sinnvolles Lesen von Texten abzuschließen, den Sinn in den Text?
In einer Epoche solch niederdrückender Überproduktion von Texten sollte man tatsächlich eher creative reading als creative writing unterrichten. Der Sinn verschwindet schlagartig, Texte sprudeln hervor. Wenn wir sie nicht auf kreative Weise lesen lernen, werden sie um uns herum wie ein undurchsichtiger Vorhang aus aufgewirbeltem Staub kreisen.
...
Die These vom Modellleser ist allgemeingültig. Jeder Mensch ist ein Text, der seinen Modellleser sucht. Jeder hofft, dass ihn jemand so liest, wie er sich schrieb, wie er die Handlungen und Ideen meinte, die er in sein Leben verschlüsselte. Es stimmt, oft gelingt dies nicht und die Städte sind voller Besoffener, die vor sich hin lallen: „ Peter, du kannst jeden nach mir fragen, ich war nie ein Feigling. Der Micha verleumdet mich nur!“

Heute können miteinander verbundene Computer alle möglichen Zeichen- und Buchstabenkombinationen innerhalb weniger Sekunden in unsere Welt hinauswerfen. Ich glaube, dass sich auch solche Texte nach ihrem Modellleser sehnen. Wie aber wird man dazu? Schließen wir ein neues Abkommen über das Lesen von Texten in der Epoche der Globalisierung ab! Ja, aber mit wem, wo und worüber?
Menschen sind aus Aussagen gemacht, sind von ihnen umzingelt. Was sie sagen und hören, schwirrt um sie in einer umgerührten Mischung herum, aus der sich Wahrheiten über sie und ihren eigenen Wahrheiten zusammensetzen. Jede Aussage gehört in eine Aussagenlandschaft und ergibt nur dann einen Sinn, wenn sie zu etwas darin passt. Aussagen, die in die Landschaft passen, heißen Wahrheiten, die, die dort hinderlich sind, Irrtümer oder Lügen. Manche Aussagen dienen in der Landschaft als Brücken, andere als Hebel, Abkürzungen, künstliche Seen oder Verstecke. In den Aussagenlandschaften gibt es auch viele eingestürzte Wahrheiten, bei manchen dauerte der Verfall ganze Zeitalter, andere stürzten unvermutet ein und die Menschen flohen in Panik aus ihren Trümmern. Es gibt in ihnen auch viele Wahrheiten, in denen sich die Menschen wie in Spinnennetzen verfingen, während die Spinne geduldig wartet: Manche Fallen sind seit jeher gestellt, zum Beispiel der Glaube an die Höllenqual. Manche sind neu, am Computer zusammengestellt, wie etwa das Wirtschaftswachstum, die Atomenergie, die Finanzströme.
Über die mit Unkraut bewachsenen Ecken unserer Aussagenlandschaften lernen wir in der Schule unter der Aufsicht der Lehrer. Es kommen dort nämlich verfemte Dichter und verwirrte Denker vor, zornige junge Männer, unrasierte Rocker und verrückte Gelehrte, die dieses Unkraut und Gesträuch pflegen, damit Zweifel und ketzerische Aussagen nicht aussterben. Manchmal treibt uns die Stimme unseres Gewissens in diese Ecken. Es gefällt uns dort und wir bleiben da.

Im letzten Jahrtausend haben wir beispielsweise eine biblische Wüstenaussagenlandschaft voller Hirten, Bauern und Sämännern mit den ausschweifenden Aussagen der Protagonisten berühmter griechischer Saufgelage unter Homosexuellen verbunden – so entstand die christliche Philosophie, unter dem Kennwort Renaissance haben wir wiederum in die christliche Landschaft die griechische Schönheitsauffassung eingeschmuggelt, haben aus Aussagen Brüc-
ken zwischen den Behauptungen des gekreuzigten Propheten aus Palästina und des Engländers Darwin gebaut, oder zwischen dem Börsenmaklervokabular und den Gesängen des tschechischen Dichters Otokar Březina. Es sind baufällige Brücken, aber man kann sie überschreiten. Ohne Interpretation würden die Aussagenlandschaften des Westens nicht zusammenhalten, sie wären widersprüchlich und voller Müll, ihre Grenzen wären unsicher, wir verstünden die Zusammenhänge nicht.
Pilatus berühmte Frage (der einzige Satz im Evangelium, der Sinn hat, schrieb Nietzsche) hat schon längst den Adressaten gewechselt. Was ist Wahrheit? fragen wir heute den Wissenschaftler, der Tiermehl aus toten Kühen dem Futtermittel für lebende Kühe beigibt, und wollen damit sagen: Kennst du die Grenzen der Landschaft, in die deine Aussagen gehören?

WACHSTUM

Industrieller Wachstum ist Krieg.
Endet irgendwann das Jahrhundert der Extreme?
Der amerikanische Schriftsteller Don DeLillo schrieb:
„Als ich im Fernsehen den ersten Tag des Angriffs auf den Irak sah, intelligente Bomben, die im Zentrum von Bagdad explodierten, hatte ich das Gefühl, dass die Technologie selbst uns zum Krieg zwingt, in sich das Bedürfnis hat, alles durchzuführen, was möglich ist. Unser Fortschritt wollte sich einfach in diesem Angriff entladen, der so präzise war wie noch nie zuvor.“
Der Drang zum Krieg ist in die Erzeugnisse verschlüsselt eingegeben, die die Form unseres Alltags bestimmen. In allem, was wir in die Hand nehmen, steckt der Bedarf, sich zu entladen. Nach dem Jahr 1989 kam eine kurze Zeit der Hoffnung, dass der Drang zum Krieg, der in das wirtschaftliche und technologische Wachstum eingeschrieben ist, überwältigt werden könnte.
Wir haben uns aber getäuscht.
...
Die Zivilisation des ökonomischen Wachstums reduziert jeden Sinn auf ein bloßes großes Ziel. Je größer das Ziel, desto mehr Kapital, akkumulierte Energie, Arbeit, Quellen und effektive Methoden, sie zu nutzen, ist notwendig. Der Sinn verschwimmt heute hoffnungslos mit den großen Zielen der euroamerikanischen technischen Zivilisation, wie die ökonomische Globalisierung, Star Wars, kosmische Reisen, ein Leben ohne Krankheiten bis ins Alter von hundert Jahren.
Alles muss zum Wachstum des Kapitals beitragen, auch Proteste gegen seinen Unsinn. Du protestierst? Das ist dein gutes Recht, aber du musst dir bei uns die Mittel für deinen Protest kaufen! Wie soll man dem Kapital Widerstand leisten, ohne dass wir seinem Wachstum dienen? Wie soll man den Unterschied zwischen Sinn und bloßem Ziel aussprechen und durchsetzen?
Was ist uns Freiheit, Vernunft, Bildung, wenn wir alle gleich vom unerbittlichen Eigenantrieb des ökonomischen Wachstums des Wachstums mitgeschleppt werden, dem niemand einen menschlichen Sinn geben kann.
Ergibt es einen Sinn, wenn der Planet nichtendend verwüstet, die Welt in eine Müllkippe verwandelt wird und in der dritten Welt Gewaltherrschaften errichten werden, die nur die Kontrolle von Rohstoffquellen verfolgen? Wachstum ist nicht das universale Wohl, wie es das Globalisierungskonzil behauptet, das in Brüssel oder Washington zusammenkommt.

KOMMUNISMUS UND KAPITALISMUS

Ist die kapitalistische Globalisierung eine neue große Geschichte, die wir uns am Ende der Epoche der Nationalstaaten erzählen, deren Expansion allen großen Geschichten der letzten zwei Jahrhunderte dienten? Ist sie eine neue „erkannte Notwendigkeit“, der nur die zum Tode verurteilten Klassen und verantwortungslose Extremisten Widerstand leisten können?
Das auf Privateigentum basierende System hat sein großes schmutziges Geheimnis; die Kapitalisten zahlen nie die ganze Rechnung für ihr „privates Unternehmertum“. Den Großteil der Kosten bringen die Menschen auf, die irgendwie davon betroffen sind, wie der Kapitalist mit seinem Besitz umgeht, aber keine legale Möglichkeit haben, sein Tun zu beeinflussen. Der Unternehmer nutzt das Wasser des Flusses, aber in die Herstellungskosten rechnet er nicht die Ausgaben ein, die dadurch entstanden sind, dass sich andere Menschen den Folgen seines Unternehmertums anpassen mussten etwa der Veränderung der Wasserqualität. Das ist der Teufelskreis demokratischer Politik: Die Oligarchie, die die Hegemonie in der Gesellschaft erreicht hat, unterstützt die Regierungen, die es ihnen als Tausch gegen diese Unterstützung hilfsbereit ermöglichen, die privaten Kosten der Unternehmer auf die gesamte Gesellschaft zu übertragen. Durch den Gebrauch der Staats- und Polizeimacht entziehen die Regierungen vorsorglich den Bürgern das Recht, legal gegen die unbezahlten Rechnungen der Kapitalisten zu protestieren.
Ich habe mein erstes Reflexionsbuch aus den neunziger Jahren Kapitalismus und bürgerliche Tugenden genannt. Dieses „und“ zwischen Kapitalismus bzw. Markt und Tugenden ist ein sehr zerbrechliches Band. Es besteht ständig die Gefahr, dass es zerreißt. In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre begannen sehr scharfzähnige Monster, es unter dem Schlachtruf „Globalisierung, Globalisierung“ durchzunagen. Es ist ihnen geglückt die globale Finanzkrise ist auf der Bildfläche erschienen.
Der Kommunismus wurde nicht vom Kapitalismus besiegt. Er brach zusammen, weil er das Band zwischen politischen und bürgerlichen Tugenden zerriss. In der Verteidigung von Sokrates lesen wir: „... Tugend wird nicht aus Reichtum geboren, sondern Reichtum aus Tugend, und all die Dinge, die für die Menschen gut sind, sei es für den Einzelnen oder für Staaten (...).“ Die Erneuerung des Bandes zwischen Tugenden und Reichtum ist zwar langwierig, aber die einzig mögliche Lösung der gegenwärtigen globalen Krise. Und auch der zukünftigen.
Und nun dasselbe noch einmal, nur gelehrter. Mit dem Wort Externalitäten bezeichnen wir nun verschiedene Methoden der Kostenübertragung auf andere, mit dem Wort Internalitäten im Gegensatz dazu verschiedene Korrekturmethoden solcher Formen von Ungleichheiten. Mit der Formel legitimes Maß an Rücksichtslosigkeit benennen wir nun, dass die Menschen nicht das legale Recht haben, Unternehmertum zu verhindern, deren Externalitäten ihnen schaden.
Der Kampf um das größtmögliche Maß an legitimer Rücksichtslosigkeit ist demnach der eigentliche Inhalt der Ideologie und Politik der Rechten. Rechtsgerichtete Parteien bemühen sich mit Hilfe ihrer ideologischen Apparate um einen mehrheitlichen Konsensus für Regierungen, die es den Oligarchien, in deren Interesse sie regieren, ermöglichen, den größtmöglichen Teil ihrer Kosten auf die gesamte Gesellschaft zu übertragen.
Das Wort Freiheit bedeutet im Diskurs der Rechten das Recht der Privateigentümer, über ihr Eigentum mit dem größtmöglichen Maß an Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen zu verfügen.
Wenn Sie das Recht der privaten Eigentümer einschränken, einen Teil ihrer Kosten auf die ganze Gesellschaft zu übertragen, ist die Freiheit aller bedroht, denn die unternehmerische Freiheit ist die wichtigste Form der Freiheit in der Gesellschaft! ruft die Rechte. Und die Linke antwortet: Erweitern wir ständig das Recht der Bürger, gegen die unbezahlten Rechnungen der Privateigentümer zu protestieren. Auch ihr werdet einmal von den Folgen der unternehmerischen Tätigkeiten irgendeines Kapitalisten betroffen sein. Und nicht das wehrlose Opfer zu sein, ist die wichtigste Form der Freiheit in der Gesellschaft.
Hyperbourgeoisie
Dieses von dem französischen Soziologen Duclos ausgeliehene Wort bezeichnet eine außernationale Elite, die die Abschaffung des demokratischen Sozialstaates anstrebt und nachfolgend alle Einschränkungen, mit denen die Nationalstaaten über die letzten zwei Jahrhunderte die ökonomische Rationalität gefesselt haben. Hyperbourgeoisie ist „antikulturell“. Sie delegitimiert Traditionen, das Gedächtnis von Völkern und geteilte Lebensstile, zensiert alles, was in der Lage ist, dem wirbelnden Finanzkapital zu widerstehen, das wiederum in seinem Interesse die den historischen Traditionen von Dingen, Wörtern, Landschaften und Beziehungen zwischen den Menschen zugeschriebenen Vorzeichen Plus und Minus verändert.
Die Bourgeoisie war ein Bestandteil der Nation, in deren geschichtlichem Vorgang sie auftrat, moralisch und historisch war sie durch die Solidarität gebunden, die die Gemeinschaft einer Nationalsprache verbindet. Im Gegensatz dazu überfällt die Hyperbourgeoisie sämtliche historischen Gemeinschaften von außen. Ihre globale Macht gründet sich im blitzartigen Einfallen, Plündern und Entkommen; Verpflichtungen, die sich von der gemeinsamen Sprache oder nationalen Solidarität ableiten, würden sie nur einschränken. Von der globalen Nomenklatur gesteuerte Investitionen verändern schnell und unerbittlich den Stellenwert, den die menschliche Gesellschaft den Landschaften, Dingen, Symbolen und Beziehungen zwischen den Menschen zugeschrieben hatte nichts und niemand darf sie begrenzen mit dem Verweis auf die Solidarität zwischen den Menschen oder Erdenbewohnern im weitesten Sinn des Wortes. Hyperbourgeoisie und die von ihr bezahlte Hypernomenklatur (die Angestellten der Apparate von EU, NATO, WTO, Weltbank und Internationalem Währungsfond, PR-Hyperkooperationen oder einiger Forschungszentren) sind eine außernationale Klasse; sie erkennen keine Verpflichtungen gegenüber Völkern, deren Sprache sie gerade benutzen und auf deren Territorium sie gerade eigene strategische Interessen durchsetzen.
Die Formel der irrationalen Gesellschaft rationaler Einzelner betrifft die Tatsache, dass in der späten Industriegesellschaft rational handelnde oder den eigenen Vorteil maximierende Individuen zusammen eine wahnsinnige Gesellschaft bilden. Rationale Individuen maximieren ihren Gewinn und formen so eine wahnsinnige Gesellschaft, zum Beispiel eine der globalen Erwärmung.
Anders gesagt: Je rationaler die Menschen als Individuen sind, desto wahnsinniger ist die Gesellschaft. Überzeugendes Beispiel für die kollektive Dummheit ist der private Automobilverkehr: Für jeden Einzelnen ist es vorteilhaft, im eigenen Auto zur Arbeit zu fahren. Staus und Unfälle auf der Autobahn sind die irrationale Schlussfolgerung individueller Rationalität.

TOTALER MARKT

Ich definiere so die Expansion der Marktrationalität über alle nationalen, ethischen und sozialen Grenzen hinweg. Die technologische Umwelt senkt die Kosten für den Transfer von allem Möglichen Informationen, Kenntnissen, Materialen, kompletter Unternehmen und auch ihrer Produktionsprogramme. Es existieren Tausende, die fähig sind, meine Arbeit besser und für einen wesentlich niedrigeren Lohn zu verrichten, und in der technologischen Umwelt ist es billig, ihnen meine Arbeit zu schicken.
Der totale Markt erzwingt, dass alles, was technisch möglich ist, so schnell wie möglich in den Verkauf kommt, weil er kein anderes rationales Ziel für den Menschen zulässt als den maximalen Verbrauch von allem Verkäuflichem. Der totale Markt verhüllt erstens den tatsächlichen Preis der konsumierten Waren tausend Kilometer weit entfernt erzeugtes und in Hypermärkte geliefertes Mineralwasser oder Obst haben unhaltbar höhere ökologische Kosten als Wasser oder Obst, das an dem Ort erzeugt wurde, an dem wir wohnen. Zweitens erzwingt er eine gigantische Zensur der Fragen nach der biologischen, moralischen und sozialen Haltbarkeit technisch realisierter (realisierbarer) menschlicher Wahl.
Unser Jahrhundert der Extreme bezeichnete am tiefsten der blutige Streit zwischen totem Kapital und lebender menschlicher Arbeit, zwischen dem Sinn der Arbeit und ihrem Wert. Dieser Streit wurde nicht gelöst, die Unterhaltungsindustrie hat ihn lediglich in unabsehbare Ferne verschoben.
Der neue Marx wird im globalen Zeitalter den Eröffnungssatz seiner Kritik der politischen Ökonomie etwas umschreiben müssen: Auf den ersten Blick äußert sich der globale Reichtum als riesige Ansammlung eigener Welten, jeder kann wählen, in welcher und von wem er sich einschläfern lässt.
Ich glaube, dass die historische Katastrophe des Kommunismus gerade vom Mangel an Gewissenhaftigkeit gegenüber der Wirklichkeit, gegenüber den Strukturen menschlicher Existenz herrührte, von der schrecklichen Überschätzung der revolutionären Tat, die den Menschen eine Existenzform aufzwang, die sie nur in einer künstlichen Welt vortäuschen können, in der sie nicht ohne einen riesigen Zwangsapparat leben können.
Der Kommunismus war nicht das gleiche wie der Nazismus, wie die für das kapitalistische System kämpfenden Dogmatiker behaupten. Er war ein großes Projekt der Modernität, deren Verheißungen in sich zusammenstürzten, weil die historische Welt, in der sich diese Ideen verwirklichen sollten, Widerstand leistete. Doch die Kommunisten hatten keine Geduld. Sie erklärten die Träger dieses Widerstands zu Feinden der Menschheit und liquidierten sie. Sie fanden sich so in einem schrecklichen Widerspruch zu den Ideen, aus denen sie ihre historische Legitimierung schöpften.
In dem Maße, wie der Widerspruch zwischen demokratischer Theorie und oligarchischer Wirklichkeit zunimmt, ähnelt der gegenwärtige globale Kapitalismus immer mehr dem Kommunismus.

GLOBALISIERUNG

Die Erde ist von technischen Wundern übersät, in denen sie langsam untertaucht.
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Die weltweite Expansion der industriellen Modernität wird heute mit dem bereits ziemlich devalvierten Wort „Globalisierung“ beschrieben. Dass, was darin als eine Bedrohung erkannt wird – so radikal wie nie zuvor – ist gerade die Abspaltung des technisch-wissenschaftlich-ökonomischen Wachstums vom Recht des Bürgers zu fragen: „Worin besteht der Sinn der Sache?“ Die Frage nach dem Sinn steht der automatischen, kumulativen Steigerung des Wissens und der Macht im Weg, und wird deshalb des öffentlichen Raums als illegitim, extremistisch oder prototerroristisch verwiesen.
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Der Kapitalismus macht seit Anfang der neunziger Jahre eine gefährliche Mutation durch – er globalisiert sich, er wird zum „Superkapitalismus“, schrieb Karel Kosík. Die Demokratie ist zu sehr an die Werte gebunden, auf denen die Nationalstaaten basieren. Der Superkapitalismus höhlt sie dermaßen aus, wie er auch deren Souveränität aushöhlt: Der freie öffentliche Raum, die Unabhängigkeit des Bürgers, die gemeinsame natürliche Sprache, die antikonforme und transversale Kommunikation beginnen, dem Wachstum der globalen Uniformität im Weg zu stehen, das keine Einschränkungen, keine Grenzen duldet. Ralf Dahrendorf spricht vom „Singapur-Syndrom“: von der Gefahr der Entstehung eines autoritären Kapitalismus, der durch eine „Globalisierungsnomenklatur“ gesteuert wird, zu der die größten Finanzanstalten, die Waffenindustrie, die Eurobürokratie, die multinationalen Konzerne und die Manager der medialen Macht gehören.
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Gibt es eine globale Kultur, die der Globalisierung ein menschlich greifbares Ziel geben könnte? Die Globalisierung zeichnet sich durch drei wesentliche Symbole aus – die Atombombe, die ökologische Krise und das weltweite mediale Netz. In diesem Dreieck schlagen sich alle nationalen Kulturen herum, während ihnen die Spinne der Technokratie das Blut aussaugt. Die philosophische Frage unserer Zeit lautet: „Gibt es irgendeine Zivilisationskompetenz?“ Ich meine damit die Fähigkeit, auf die gravierende Relativierung jeglicher nationaler Kulturmodelle damit zu reagieren, in ihnen etwas zu erkennen, das ich eine gemeinsame „Grammatik“ nenne.
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Die postbipolare Welt wird von Strukturen beherrscht, die sich nicht an der reinen Machtausübung, sondern am Anwachsen der Macht orientieren.
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In der Gesellschaft des globalen Wachstums wächst auch die Anzahl von Menschen, die sich durch das „geteilte Gefühl der Sinnlosigkeit“ einander verbunden fühlen.

AUS DER GESCHICHTE DER MODERNITÄT

Ein Individuum zu sein, ist nichts Natürliches. Es ist vielmehr das Ergebnis einer langen Erziehung, die in Griechenland begonnen hat, als der Mensch sich aus der Selbstverständlichkeit der Welt des Mythos herauslöste. Er wurde durch die pastorale Macht des Christentums bestärkt, die jeden einzelnen lehrte, sich selbst zu betrachten, ein Gewissen zu haben, mit dem eigenen Körper zu ringen und sich als ein einzigartiges, unwiederholbares Individuum zu begreifen. Das strenge cogito ergo sum hat dem Menschen befohlen, immer von seinem (Selbst)Bewusstsein auszugehen, das ihn nicht nur über die anderen Lebewesen stellt, sondern auch über die Unendlichkeit des Kosmos. Dann begann die Erde, sich zu drehen, und der Mensch geriet von der Mitte des Universums weg hin an den Rand der Milchstraße, doch sein Selbstbewusstsein wuchs. Es kam das Zeitalter des Fortschritts und der Aufklärung. Diese lehrte den Menschen, der eigenen Erfahrung zu trauen und sich nicht von der heiligen Autorität oder der Macht der Mehrheit verwirren zu lassen.
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Das Wort „Globalisierung“ weist auf das Wort „Postmoderne“ hin, mit dem wir die Zeit zwischen der ersten und der zweiten Modernität bezeichnen. Die erste Modernität war eine große Mystifikation, die durch eine enorme diskursive Maschinerie betrieben wurde, die wiederum von den Funktionären der modernen pastoralen Macht gesteuert wurde – Erzieher, Lehrer, Dichter, Psychiater, Sachverständige im Bereich der Menschenkunde, engagierte Intellektuelle, Ideologen. Diese sorgten dafür, dass die Formel „Wirtschaftswachstum“ und alle davon abgeleiteten Subformeln einen höheren, inneren, übertragenen Sinn hatten, und nicht nur den wörtlichen, materiellen, niedrigeren, äußerlichen – die Entwicklung von Produktionsmitteln und die Kumulation von Produkten in Form von Ware. Dank ihrer Arbeit lebte die Metapher immer fort, mit schwingenden Versen und Zierschrift in dieses Wort eingeschrieben, und der übertragene Sinn des Wortes „Wachstum“ herrschte über dessen wörtlichen Sinn (das Höhere über das Niedrigere, das Geistige über das Materielle).
Durch die Entstehung einer Gesellschaft des beinahen Kommunikationsüberflusses, in der eine immer größere Anzahl an Subkulturen zu Wort kommt, wurde die allgegenwärtige Verstellung dieser Mystifikation offenbar. Die mächtigen Vertreter der „Forderungen des Geistes im Gegensatz zu den Forderungen der materiellen Basis“ wurden zu einer grotesken Predigermafia reduziert. Die erste Modernität nahm ihr Ende.
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Die Zeit der Postmoderne zwischen der ersten und der zweiten Modernität wird durch eine zerstreute Unaufmerksamkeit gegenüber dem Erlöschen der Metaphern, die früher jeglichem Geschehen einen höheren Sinn zu geben pflegten, charakterisiert. Wir trauen uns nicht, in der eingetretenen Finsternis unsere neue „große Erzählung“ zu sehen. Das unlängst deklarierte „Ende der großen Erzählungen“ gilt noch.
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In der Zeit zwischen der ersten und der zweiten Modernität gibt es überall Deponien für den Abfall der ersten Modernität. Dieser Abfall hat einen gewissen Reiz. Im zufälligen Spiel der Formen, Geräusche und Bilder schimmert oft der alte „übertragene Sinn“ durch, entstellt, unangebracht, vergeblich. Ja, die Unbeständigkeit der Vorgänge, die von den großen Metaphern verlassen wurden, bildet die Ästhetik der Postmoderne. Die Installation des erloschenen Sinns entblößt nicht nur die unerbittliche Nüchternheit der globalen Verhältnisse, sondern auch die massenhafte Nostalgie nach dem metaphorischen Licht, das einst im Wort „Aufklärung“ leuchtete. In Zelenkas Film Geschichten des alltäglichen Wahnsinns installiert die Bildhauerin einen Mann im Museum, der zu der Zeit der Normalisierung die Wochenschau kommentiert hatte – das Publikum ist von der Rede fasziniert, die getrennt von den Bildern zurückbleibt; bewegt wiederholt es seine Worte. Dies ist eine Allegorie unserer Beziehung zu dem erloschenen Sinn zwischen der ersten und der zweiten Modernität.
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Die Kultur der zweiten Modernität bildet sich in dem Raum heraus, der durch das Losungswort „Es gibt keine Kultur“ abgesteckt ist. Die neue große Erzählung bildet sich in dem Raum heraus, der vom Losungswort „Es gibt keine große Erzählung“ eingerahmt ist. Die zweite Modernität wird dann beginnen, wenn das Erlöschen der Metaphern, die plötzliche Verdunkelung der großen Losungswörter, die Proliferation der unabsehbaren Peripherien, die überraschenden Schwankungen und das Mischen von Codes, Orten und Gegenständen zu unserer neuen großen Erzählung werden.
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Die bipolare Welt des Kalten Krieges war einfach: Für Frieden und Demokratie ist noch keine Zeit, wir müssen zuerst deren Feinde schlagen. Zwischen den Systemen gab es keine wesentlichen Unterschiede. Beide waren die größten Protagonisten in der Verwandlung der Welt, umgeben von einem „Haufen“ von Angeboten, der einem zur Verfügung stand, auch wenn der „kapitalistische Haufen“ vielfältiger war und die Verbraucher mehr Freiheit besaßen, darin zu wühlen.
Der Kalte Krieg ging zu Ende, aber das Bedürfnis nach Frieden, Demokratie sowie die Frage nach dem Sinn der stets wachsenden Menge der uns zur Verfügung stehenden Erscheinungen und Dinge blieb bestehen. Die Fragen nach der wachsenden Sinnlosigkeit einer Zivilisation der Steigerung dec-
ken sich nicht mit den Strategien der globalen Akteure. Diese brauchen eine neue Auflage eines mehr oder weniger kalten Krieges, damit sie die Fragen nach der Gesamtauffassung der Welt, in der wir eingekerkert sind, wieder auf irgendein zeitlich entferntes Nachher aufschieben können. Nun gelten die Prioritäten des Kriegszustands, die Leute müssen a priori verdächtigt, überprüft, abgehört werden – der Feind lauert überall.
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Wir leben am Rande von riesigen Deponien aus verbrauchten Informationen und Bildern, entladenen Kontexten und abgenutzten Klischees, semiotischen Ruinen und überholten sprachlichen Traditionen.

VON DER AKTUALITÄT ZUM ENDE

Der Unterschied zwischen der Modernität und der Tradition war ein großes Thema während der letzten drei Jahrhunderte: Die Historiker schildern die Weltgeschichte als eine Abfolge von Geschichten darüber, wann, wo und warum das Ende der alten Welt kam. Die „Modernisierung“, das taking off, begann, und mit ihr die Herrschaft der Vernunft, der Wissenschaftler und Manager. Irgendwo kam dieses Ende früher, anderswo später, manchmal widersetzten sich ihm die Menschen, oft wurde gemordet. Alle diese Erzählungen belügen uns, was das Wesentliche betrifft. Die Modernität an sich ist nämlich nichts Neues. Es ist nur eine neue Bezeichnung für die alte Religion des Westens, die als „Bekennertum der Aktualität“ bezeichnet werden soll – das Christentum und die Modernität sind ihre zwei Variationen.
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Das Ende der alten Zeiten kommt immer schneller. Immer mehr Menschen befreien sich von den Schatten der Vergangenheit, sagen die Chronisten der modernen Zeit. Und Siemens, Ford, General Motors, Boeing, IBM, NASA mit (allen) ihren Medien schließen sich ihnen an. Der Bekenner der Aktualität ist ein Beschwörer verschiedener Enden der Welt. Er deutet auf dies oder jenes in unserer Welt – z.B. auf die wissenschaftliche Erkenntnis, und ruft: „Hiermit endet nun für immer die alte Welt.“
Das Dogma des Bekenners der Aktualität ist bekannt: Die Gegenwart unterscheidet sich von der Vergangenheit, denn die Zeit ist nicht zyklisch wie bei Tieren und Pflanzen. Sie rollt vorwärts, ihrem Ende zu, hinter dem eine neue Welt steht. Das, was sich wiederholt, hat keinen Sinn. Sinnlos sind die Sterne, die ihren unbeugsamen Gesetzen folgend über unseren Köpfen kreisen; sinnlos sind die Jahreszeiten. Das Cogito-Subjekt irrt in der eigenen Geschichte umher, aber es ist ein erhabenes Irren mit einem ruhmvollen Ende – der Tod (Not, Ungebildetheit, Krankheit) wird geschlagen. Das Wort „Aktualität“ bezeichnet die Kluft zwischen der Vergangenheit und dem berauschenden JETZT, wo alles neu ist, selbst der Mensch. Die Christen gehören zu den gefährlichsten Bekennern der Aktualität. Das beschleunigte Kommen des Endes der Welt ist ihre Erbkrankheit, ihre irrgläubige Euphorie, ihre efferveszens, die es ihnen nicht erlaubt, ruhig das Ende der Welt abzuwarten.
Aktualität ist nichts anderes als eine weitere Bezeichnung für Pauls „Der Tod wurde besiegt“.
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Jan Patočka schrieb, der katholische Glaube sei der Sinn, der nicht von dem Menschen gesucht und gefunden, sondern „vom Jenseits diktiert“ wurde. Diese Auffassung des Sinns als etwas aus dem „Jenseits” vorgegebenen, als einer offenbarten Wahrheit, die über die „diesseitigen Welt der Schatten, der Sterblichkeit und der Ungewissheit“ triumphiert, vereinigt alle Bekenner der Aktualität in einem großen Stamm. Auch die hochwürdige westliche Wissenschaft verherrlicht in ihren Tempeln – den Labors, Universitäten, multinationalen Konzernen – ihre Grundsätze als „objektiv“, also durch die Wirklichkeit vorgegeben. Deshalb stellt auch diese nur eine der Möglichkeiten dar, die Religion der Aktualität zu pflegen. Als aktuell wird nur das angesehen, was aus einer anderen Welt kommt als der, die wir mit unseren eigenen Augen betrachten, in der wir sterben und in der wir uns deswegen fortwährend täuschen und fürchten: Objektiv ist nur das, was als Botschaft aus dem Jenseits bestätigt werden kann, was fest im Jenseits verankert ist und das nur den Wissenschaftlern in ihren weißen Kitteln zugänglich ist. Durch das Diktat des wissenschaftlichen Beweises ersetzen die modernen Bekenner der Aktualität die frohe Botschaft des Allmächtigen Vaters.
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Das Bekennertum der Aktualität wurzelt in der griechischen Philosophie. Es ist das Erbe der Fabel von der „wahren Welt“, die einst der verwirrte Plato seinem Volk erzählte. […] Für Plato verbargen sich die „reinen Geister“ in allen Dingen. Die Stammesältesten der Griechen konnten es ihm nicht ausreden. Mehr noch, sie erlagen seiner Lehre. Und so siegte ein Verrückter und gründete die furchtbare Religion der Aktualität, deren Bekenner nicht die sichtbaren und vergänglichen Dinge und Wesen um uns als etwas Reales bejubelten, sondern die unsichtbaren Ideen hinter ihnen, die nicht unser Auge, sondern unser Verstand erkennt. Der Verstand ist für den Verrückten Plato so etwas wie ein Auge, mit dem wir die wahre Welt hinter den Schatten der diesseitigen Welt sehen.
Aus verschiedenen Zeugnissen geht hervor, dass es genug Menschen gab, die sich bemühten, Plato seine Verwirrung auszureden. Sie hielten ihm entgegen, dass er doch Tische, Bäume und Menschen sähe, aber keine Idee des Tisches oder des Menschen. Plato aber antwortete ihnen scharf und arrogant: „Ihr habt Augen, mit denen ihr den Tisch seht, aber keinen Verstand, mit dem ihr die Idee des Tisches erkennen würdet.“ Den Streit hätte Plato wohl verloren, wenn der Stamm der Griechen nicht Rom und die Römer dem Christentum unterlegen wären. Doch dieses kleidete Platos verworrene Welt in die Fabel vom guten Vater, der aus Liebe zum Menschen seinen eigenen Sohn opfert, der sodann seinen Sieg über den Tod im Jenseits feiert. Dies ist die „frohe Botschaft“ (das Evangelium), die uns der allmächtige Vater durch seinen zu einem Sterblichen gewordenen Sohn übermittelt.
Nietzsches Satz, das „Christentum ist Platonismus fürs Volk oder für die Armen“, macht uns auf den Grund aufmerksam, warum die Fabel von der „wahren Welt“ triumphierte – die meisten Menschen waren arm, sie hatten Hunger, waren ungeduldig und hatten Angst vor dem Tod. […] Der Stamm der weißen Männer glaubte an Platos Jenseits und begann, die diesseitige Welt zu zerstören. Es fand sich keiner unter den Griechen, der ihm freundlich, die Hand auf seine Schulter legend, nahegelegt hätte: „Es ist eigens dein Delirium, das dich hinter allen Dingen die unvergänglichen Ideen sehen lässt.“ Und so ist bereits seit zweitausend Jahren jenes Delirium der Normalzustand des weißen Mannes. Er beschwört das Ende der Welt. Seiner Welt.
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Die Bekenner der Aktualität erklären das Zeitalter der Verzweiflung. Die Erde verfällt, alles um uns wird zur Falle, unser hochwürdiger Verstand baut Hühnerfarmen im großen Stil. Wir sind unseren Platos erlegen und haben den Sinn des Lebens mit dem Ende der Welt verbunden. Und das Ende kommt. Unsere Städte riechen unangenehm, die französischen Küsten – Cézanne, Gogh, Utrillo, Picasso! – sind von einer schwarzen Masse bedeckt, die Meeresvögel sterben immer öfter in einer Erdölgruft, ein Temelín zeichnet sich auf jedem Horizont ab. Die sektiererischen Bekenner der Aktualität schließen die Augen angesichts dieser Enden.
Was für eine sonderbare Geschichte! Plato kam aus der Höhle und die ganze Akademie folgte ihm. Der heilige Paulus ermahnte die ungeduldigen Thessaloniker zuerst im Guten. Später aber loderten überall Feuer, es roch nach verbranntem Menschenfleisch. Galileo brachte dann die Erde unter unseren Füßen zum Drehen. Newton rechnete aus, wie und wohin sich was bewegt und wodurch die Bewegung von etwas anderem gehemmt wird. Einstein befahl allen Parallelen, sich zu schneiden. Jetzt begrüßt uns der Cyborg mit seiner virtuellen Hand. Herzen werden aus den Körpern des einen in den Körper des anderen transplantiert. Die Globalisatoren haben uns mit unsichtbaren Bändern gefesselt. Ein Schlag der Schmetterlingsflügel in unserem Tal löst Orkane hinter den sieben Bergen aus. Die Ozonschicht hat ein Loch, durch das uns die Sonne verbrennt wie den Reichen im unvergesslichen Märchen von Jiří Wolker.
Das ewige Eis scheint zu brechen. Es kommt das Unhappy End.
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FRAU UND MANN

Die Philosophen stritten sich über Jahrtausende hinweg wegen des Geschlechts der Engel. Wie aber steht es um das Geschlecht des Verstands? Für mehr als zweitausend Jahre war der Verstand das Hauptgeschlechtsmerkmal des Mannes, nun wird er aber für ein Neutrum gehalten. Gott ist sowohl Vater als auch Mutter, sagte einst Papst Johannes Paul II. Der Verstand hat sowohl eine männliche als auch eine weibliche Seite, sagen versöhnend die Philosophen. Die französische Flagge ist aber kein Neutrum. Auch der General, Manager, Erbauer vom Temelín oder der Richter sind es nicht. Es sind männliche Rollen. Ähnlich wie der Afrikaner in Sartres Beispiel muss auch die Frau die eigene Stimme erheben und annähernd Folgendes sagen: Die männliche Zivilisation ist eine Katastrophe. Es fehlt ihr ein großer Teil an Realität. Sie ist narzisstisch und rast auf den Abgrund zu.
In Mitteleuropa pflegten die Frauen nicht mit einer eigenen Stimme zu sprechen. Hier war es zu blutig und bedrückend. Angst herrschte. Viele Männer lehrten uns aber, die Stimme der Frauen im Rummel der männlichen Welt zu erkennen. Karl Kraus sah z.B. in der Frau ein antiplatonisches Wesen, das unaufhaltsam gegen die männliche Welt der reinen Ideen revoltiert, die die reale Welt unersättlichen Abstraktionen, wie Gesetz und Ordnung, unterordnen. Er untersuchte Prozesse gegen Frauen, die gegen die Familie revoltierten, und sah in der „Sündhaftigkeit“, die das Gericht der ehrenhaften Männer diesen Frauen anlastete, eine befreiende Urkraft, die sich gegen die Spätzeit der allgemeinen Manipulation und Prostitution sträubt. 1929 schrieb er: „Wissen Sie, dass ich mein ganzes Leben lang die geistigen Prostituierten verfolgte, nie aber die Prostitution des weiblichen Körpers? Am Ende der Zeit, die mir zur Erkenntnis der Dinge dieser Welt bemessen wurde, behaupte ich, dass der Sex wohl die einzige Tätigkeit ist, die in dieser Welt nicht prostituiert wird, und dass wir das Stigma der Prostitution den Frauen anmaßten, um von der männlichen Prostitution in allen Berufen abzulenken.“ An der Spitze der Pyramide der männlichen Prostitution steht die Presse, die uns unserer Vorstellungskraft beraubt und unsere Herzen aushöhlt. Karl Kraus glaubte, dass die Frauen gegen die Aushöhlung der Herzen durch die Presse mit ihren Körpern, mit allen ihren Instinkten und ihrer eigenen Stimme ankämpfen.
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Ich stelle mir vor, dass uns die eigene Stimme der Frauen helfen wird, den Fallen des Verstandes auszuweichen. Die erste Falle ist der Verstand in der Einzahl, der als einziger die ewigen und für jeden geltenden Wahrheiten entdeckt, und deswegen vom Staat gesetzlich reguliert und von allen Bürgern anerkannt werden muss. Die Wahrheiten des Verstandes in der Einzahl erheben den Menschen über alle anderen Wesen, mit denen wir diesen Planeten teilen. Ich glaube, dass die Frauen uns mit ihren Berührungen von Kindheit an lehren (auch wenn ihre Belehrungen einer Zensur unterliegen), dass der Verstand nur einer der menschlichen Sinne ist, nicht ihrer aller Herr. Der Verstand ist ein Teil unseres Körpers. Wenn wir die von giftigen Ausdünstungen geplagte Landschaft betrachten, macht der Verstand einen Aufstand. […] „Es sind nichts als Frauenweisheiten“, pflegte man einst zu sagen. Ja, Frauenweisheiten! Es gibt so viele „Verstände“, wie es Gründe zur Aufruhr der lebendigen Körper aller Arten gegen das Gesetz, die Ordnung, die Strukturen gibt.
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AUSGANGSPUNKTE

Sämtliche Definitionen des Philosophierens würde ich heute folgendermaßen zusammenfassen: Hinter allen historischen Formen, einschließlich dem pubertären Bedürfnis, sich die Frage nach dem Sinn des Lebens zu stellen, und auch einschließlich dem Radikalismus der die Welt kritisierenden Kaffeehausgespräche, verbirgt sich der Versuch, diese einzige Frage zu beantworten: In welchem Sinn ist es legitim zu behaupten, dass wir in einer gemeinsamen Welt leben? Welche Rechte, Bedrohungen, Hoffnungen ergeben sich daraus?
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Die Demokratie ist das Aufeinandertreffen von Erzählungen, die sich nicht gegenseitig vernichten, sondern durchdringen und deren Sujets einander berühren.
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Die Möglichkeiten eines sozialen Staates sind erschöpft. Es ist notwendig, eine soziale Gesellschaft zu organisieren, in der die Kinder lernen werden, wie Prag von einem Rollstuhlfahrer, einem diskriminierten Roma, einem alten Menschen, einem Arbeitslosen erlebt wird.
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Das industrielle Wachstum ist vor allem die Vermehrung von Abfall. Die Ware im Regal ist nur die augenblickliche Verkleidung, die bald Risse bekommt. Der glänzende Artikel verwandelt sich in stinkigen, giftigen Müll. Haben wir einen rationalen Grund, diesen zu produzieren? Alle kämpfen gegen den Abfall an. Doch müssen sie lernen, gegen den Müll zu kämpfen, solange er noch Ware ist.
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Der Mensch wird durch den Dienst am Leben zum Sklaven. Versunken in die alltäglichen Besorgungen entfremdet er sich selbst – das Dämonische ist ein „Herausreißen aus diesem Dienst“ am Alltag, bedeutet aber keine Freiheit. Diese beginnt erst da, wo sich das sacrum mit dem verum verbindet. Erst dann, wenn der Mensch Abstand vom Alltag wahren kann, ohne der „wie auch immer verlockenden Finsternis“ zu verfallen, erschließt sich uns das „Gebiet der Theorie“, bekommen wir einen gesunden Abstand zu unseren Plänen.
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Nennen wir die Strömung, die die politische Macht trägt, „Hegemonie“. Das Wort bezeichnet die Tatsache, dass die Mehrheit der Bürger die Werte und Ideen der herrschenden Minderheit als normale, wahre, natürliche, allgemeingültige wahrnimmt. Die Hegemonie kann nur dadurch durchbrochen werden, dass sie begriffen wird. Das bedeutet, dass wir uns des historisch beschränkten Inhalts der Worte bewusst werden, die wir als unpolitisch empfinden. Und auch, dass die größte politische Macht sich in den Händen desjenigen konzentriert, der darüber entscheidet, was „angemessen ist“, für nicht politisch gehalten zu werden – wie z.B. der freie Markt, eine geistige Krankheit oder die vage Grenze zwischen dem Normalen und dem Unnormalen, dem Objektiven und dem Subjektiven.
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Die Epoche der Insider ist angebrochen, die sich durch das Äußere bedroht fühlen und nicht einsehen, irgendwelchen Outsidern ihre Entscheidungen zu begründen.
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Das Bedürfnis des Äußeren bedeutet, dass wir uns nicht nur mit bereitwilligen Helfern unserer eigenen Selbstinterpretation und unseres Kampfes für unsere Ziele umgeben wollen. Wir wollen, dass unsere Freunde uns in dem widersprechen, was wir tun und was wir sein wollen. Wir wollen, dass dieser Widerstand nicht nur freundschaftlich, sondern auch bereit ist, Opfer zu bringen: Von Außen kann man ohne Energieeinsatz keine Botschaft senden, und es ist unmöglich, eine Botschaft ohne Erbeben und Erschütterung anzunehmen.

DER REBELL

Wie soll man leben, wenn unser Gewissen im totalen Widerspruch zu dem Staat steht, dessen Bürger wir sind?
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Ist es möglich, einen Staat zu konstituieren, der den Menschen vor der Reduktion auf ein untergeordnetes Glied des Systems schützt?
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Allan Schnaiberg erfasste mit der Bezeichnung Treadmill of Production die nüchternen Bedingungen, den Teufelskreis der Produktion und des Verbrauchs, der keinen anderen Sinn anerkennt als die Selbstreproduktion. Big Biz (große Unternehmen) rufen: „Come on you guys! We‘ve got to speed it up to keep everyone happy“, und Big Labor (die Gewerkschaften) rufen: „Keep my wages high, so I can keep up with inflation“, die Big Gov’t (große Regierung) wiederum will mehr Macht und Wichtigkeit in der Welt. Niemand kann die Bedingungen verändern. „Alle normal denkenden Menschen“ passen sich ihnen an, keine Metapher kann ihnen einen übertragenen Sinn geben und sie damit dem „höheren Prinzip“ unterordnen. Die Epoche der Prosa ist hereingebrochen, in der die Taten, Gedanken und der Wille des Einzelnen nichts vermögen. Die Bemühungen der mutigen Einzelgänger gleichen denen eines Don Quijotes. Sie wirken komisch, grotesk, wunderlich, rührend, großartig – die Zustände werden sie jedoch nicht ändern. „Das sind ja Zustände, Herr Kohn“ heißt es in vielen jüdischen Anekdoten.
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Die Ungehorsamkeit ist seit den Nürnberger Prozessen zu einer absoluten moralischen Pflicht jedes Einzelnen geworden und nicht mehr nur sein menschliches Recht. Die Pflicht, gegen unmoralische Gesetze, Befehle und Institutionen zu rebellieren, geht übrigens auch aus der tschechischen Verfassung hervor. Sie verankert das Recht, gegen ein verbrecherisches politisches System zu kämpfen. Ein solches lässt sich anhand von drei Merkmalen erkennen: Es bildet erstens einen Widerspruch zu der moralischen Tradition des Landes, zweitens ist es unmöglich, auf legale Art und Weise die Gesetze zu ändern und drittens besteht die Tatsache, dass das Monopol der Macht in den Händen der Regierung liegt, die den Gesetzen (sogar den eigenen) nicht unterliegt.
Wenn die multinationalen Korporationen, die die Industriestaaten beherrscht haben, das Leben auf dem Planeten Erde vernichten, haben wir Erdenbürger dann die Pflicht, gegen sie zu revoltieren? Welche legitimen Formen kann diese Revolte annehmen? Kann z.B. das Desertieren aus einer kolonialen Armee als vorbildliches Beispiel für eine moralische Entscheidung stehen?
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Den Mut, die Unstimmigkeiten unseres Lebens wahrnehmen zu können, kann man erst dann aufbringen, wenn man Abstand zu sich selbst hat, einen befreienden Abstand von seinen eigenen Zielen, eine theoretische Einstellung dem gegenüber, worum es in unserem Leben geht – die Relativierung unserer Ansichten im Austausch mit anderen Menschen im freien öffentlichen Raum.
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Vertrauen wir nicht den Revolutionären, sondern den Meuterern! Vertrauen wir nicht den Revolutionen, sondern den ständigen Rebellionen, Aufständen von Gruppen, Einzelnen, manchmal sogar ganzen Nationen, die plötzlich und unvorhersehbar, die nicht durch die Kenntnis der Gesetzmäßigkeiten der Geschichte inspiriert sind, sondern durch Beleidigung, Erniedrigung und Verrat am Gedächtnis! Oder durch die Verteidigung der natürlichen Sprache gegen die diversen Fachsprachen der Mächtigen. Die ununterdrückbare menschliche Widerspenstigkeit, die unvorhergesehen „hier und dort“ ausbricht, verwandelt die Welt in einen Ort, in dem man leben kann.
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Es gibt nämlich keine Nation, die ihre höhere Kultur liebt, „ihre Eliten“, ihre „unverantwortlichen narzisstischen Intellektuellen“, ihre „Radikalen aus den Kaffeehäusern“, ihre „Philosophen, die schlau über das Nichts zu reden wissen“. Im Gegenteil, sie fürchten sich vor ihnen, weil sie ihre Mythen untergraben, ihre Investitionen bedrohen, unverantwortlich in ihr ruhiges Leben eingreifen und ihre Erfolge relativieren. Die Nazis hassten an den Juden ihre eigene höhere Kultur, die ihnen feindlich zu sein schien, weil sie durch sie gezwungen waren, die Widersprüche der eigenen historischen Welt anzuerkennen – und damit die Verantwortung für diese zu übernehmen.
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Wir dürfen uns nicht vorgespiegelte Probleme aufdrängen lassen.
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Der Widerstand der Bevölkerung ist ein terroristischer Akt. Wer dem Willen des Okkupanten widerspricht, ist ein Rebell.
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Der Okkupant definiert die eigene Gewalt immer als legitim!
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Oft birgt auch das Kritischsein, das alle „kitschige Gerührtheit des Herzens“ im eiskalten Wasser des Realismus ertränkt, die beständige Unbiegsamkeit des Einzelnen, etwas Dämonisches in sich, etwas Verheerendes, und kann so zur Besessenheit werden.
Aus dem Tschechischen von Michael Kniehl.







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