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Jahrgang 2005, 3
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Zeitschrift Umělec 2005/3

01.03.2005

Jiří Ptáček | info | en cs de es

V. Biennale der jungen Kunst, Haus zur steinernen Glocke, Prag, 14.4.-5.6.2005

Die Prager Biennale der Jungen Kunst im „Haus zur steinernen Glocke“ (Dum U kameneho zvonu) hat in Tschechien ihren ganz besonderen Platz, eine etablierte Nische mit sehr spezifischen Aktionsradius. Im Klartext: Sie hat in neun Jahren nun bereits zum fünften Mal in den prestigeträchtigen Ausstellungsräumen mitten in der Prager Innenstadt stattgefunden. Jedes Mal demonstrierte der jeweilige Kurator seine Sicht der aktuellen Kunst, bestehend aus ausgewählten Vertretern der jungen tschechischen Künstlergeneration. In diesem Jahr war das nicht anders, für Überraschungen blieb nicht viel Platz. Trotzdem gelang es dem Kurator der fünften Biennale, Karel Císař, dem Kreisel eine neue Richtung zu geben, in mindestens einer Hinsicht.

Kurator Karel Císař wehrt sich, wenn man als einen „Menschen der Kunst“ bezeichnet. Ob es ihm ernst damit ist oder ob er einfach nur Distanz zum Fachpublikum halten will, sei dahingestellt. Auf jeden Fall beschäftigt er sich mit der Kunst und der Kunstgeschichte, sowohl als Autor von zahlreichen Artikeln als auch als Herausgeber von Anthologien. In seiner Vita steht, dass er auf zahlreichen Konferenzen über Kunst Vorträge hält. Im vergangenen Jahr kuratierte er eine erfolgreiche Ausstellung in der Berliner K&S Galerie und auch ihre Fortsetzung in der ehemaligen Prager Galerie Home. In diesem Jahr zählte er zu den Veranstaltern einer der Austellungen der Prager Biennale 2. In Tschechien gehört er zu den aktivsten „Menschen der Kunst“. Mehr noch, im Grunde ist er der ideale Prototyp einer neuen Generation von Persönlichkeiten im Bereich der Kultur; ein Philosoph, der in der Kunst nur „nebenbei“ mitmischt. Er kennt sich auch jenseits der Landesgrenzen aus, den heimatlichen Zänkereien gegenüber bleibt er cool; er ist jung, kommunikativ und ein Organisationstalent. Und da es in Tschechien nur wenige Ausnahmeerscheinungen wie ihn gibt, stieß der Ruf der renommierten Prager Galerie auf allgemein positive Reaktionen.

Bereits in der Vorbereitungsphase jedoch sorgte die Intensität, mit der Císař seine Visonen vertrat, für erste Unruhe. Ein Thema stand nicht zur Debatte, auch sonst keine Erklärung seines Vorhabens. Alles, worüber Císař sprechen wollte, war die Empfindsamkeit, die für die Arbeit mit der zitgenössischen Kunst notwendig sei, und die immer noch unabgeschlossene Suche nach „Konfiguration“. Die Fragen stellten sich wie von selbst: Wollte er mit etwas Neuem überraschen und seine Vision nur schützen? Oder versuchte er zu verbergen, dass er sich in seinem Vorhaben nicht allzu sicher war? Erst am Abend der Vernissage wurde das Geheimnis gelüftet, und es ist eindeutig die erste Frage, die man mit Ja beantworten kann.

Zwei Botschaften

Zwei Botschaften erwarteten die Öffentlichkeit. Die erste richtete sich an die Kunstszene, die andere an das Publikum, das mit den aktuellen Erschütterungen und Entwicklungen der tschechischen visuellen Kultur nur wenig (oder gar nicht) vertraut ist.
Widmen wir uns zunächst der ersten Botschaft, also der für die Kunstszene: Hier zeigte sich deutlich, dass sich Erwartungen hinsichtlich neuer Namen oder einer neuen Positionierung innerhalb der Szene nicht erfüllt hatten. Die ausstellenden Künstler zeigten Gewohntes in gewohnter Qualität. Diejenigen, die sich bereits seit längerer Zeit in der Szene bewegen, konnten feststellen, dass Císař ausnahmslos mit bereits bekannten Künstlern arbeitete, allesamt Entdeckungen mutiger Kulturprojekte wie etwa die der Organisation Tranzit, der Prager Galerien Display, A.M. 180 oder der Galerie Eskort in Brno. Möglicherweise hätte man Císař sogar beschuldigen können, sich die Arbeit sehr leicht gemacht zu haben, indem er nur aus bereits vorgefertigter Ware auswählte.
Derart scharfe Vorwürfe hat seine Vorgehensweise jedoch tatsächlich nicht verdient. Die Suche nach Neuentdeckungen in der kleinen tschechischen Szene hätte beispielsweise ein Herabsetzen der Qualität bedeuten können. Wer auch immer den Eklektizismus bei der Künstlerauswahl moniert, den sollte eines überzeugen: Císař’s mutiger Schritt, die direkte Kommunikation mit einer Laienöffentlichkeit zu wagen. Es ist ihm nämlich gelungen, neue Wege vorzuschlagen, mit denen die junge Künstlereneration vielleicht endlich auch in das allgemeine öffentliche Bewusstsein vordringen könnte. Und das obwohl er damit dem Fachpublikum empfindlich auf die Zehen tritt und es seiner allgemeinen Handlungsfreiheit beraubt.

Der Umgang mit der Kunst

Die erste wichtige Maßnahme Karel Císařs bestand in einer sorglosen Verwendung des Begriffs „Besteller“. Das Haus zur steinernen Glocke ist berühmt ür seine Ausstellungen moderner und zeitgenössischer tschechischer wie auch internationaler Kunst. Die städtische Galerie befindet sich an einem touristisch gut erschlossenen Standort mitten im Zentrum der Stadt. Zu den Besuchern gehört ein Fachpublikum wie auch die breite Öffentlichkeit, sei es das Urlauberehepaar aus Italien oder eine tschechische Schulklasse auf Klassenfahrt. Die Platzierung 20 junger Künstler aus der Peripherie heraus in ein Zentrum öffentlichen Interesses ist dabei nicht das Novum, eher schon jährliche Routine der Glocke. Der Verdienst Císařs bestand darin, dass er die Kunst „seiner“ Künstler so behandelte, dass sie den unerfahrenen Besuchern entgegenkam, einerseits durch die Auswahl der Kunst und Künstler, vor allem aber durch die Anordnung in den Räumen der Galerie.

Císař griff nicht nach Themen, die traditionell provozieren. Sex, Gewalt, psychische Traumata, soziale Dissonanz oder politische Aktionen suchte man bei der Ausstellung vergeblich. Als einzige Ausnahme wären eventuell die berüchtigten Happenings der Künstlergruppe Rafani oder die Bombenattrappen von Zdeněk Porcal und Lukáš Hájek zu nennen, allerdings wählte Císař eine eher ungewöhnliche Präsentation der Projekte, nämlich in Form einfacher Fotokopien aus der Tagespresse. Mit der Wirkung, als würde diese Kunst die Medienwelt nur kurz berühren – in Wirklichkeit ging es eine Lawine von Reaktionen: Einen Monat lang beherrschte Rafani die überregionale Presse, war in Web-Foren und sogar im offiziellen Magazin der Tschechischen Bahn präsent. Císař aber ging es in der Glocke um eine neue Gewichtung. Indem er die klassisch provokanten Themen ausließ, machte er Platz für die eher leisen, intimen und gleichwohl kritischen Stimmen.

Drei Gruppen

Vereinfacht lässt sich die Ausstellung in drei Gruppen einteilen. Die Künstler der ersten Gruppe bemühen sich um eine aktivere Beziehung zwischen den Menschen und ihrer Umwelt. Die Künstler der zweiten Gruppe versuchen, die Beziehung zur Kunst und ihrer Tradition wiederzubeleben. Die der dritten untersuchen die Rolle des Künstlers als Erzähler.
Kateřina Šedá ging mit zwei Videokameras spazieren und nahm eine Perspektive auf die Umwelt auf, die sich unter normalen Umständen naturgemäß außerhalb unseres Blickfeldes befindet. Jesper Alvaer fragte die Einwohner der Vororte, was sie von ihren Gärten halten; Evžen Šimera bot Skateboardern seine geometrischen Objekte als Streetstyle-Hürden an.
Matěj Smetana äußerte sich beeindruckend zum Thema Institution und Tradition, indem er Kratzer auf dem sonst perfekten Design der Werke von Donald Judd, Sol LeWitto und John McCracken fotografierte. Jiří Skála arbeitete an einer Übertragung des Standard-Fonts Helvetica in ein Punktsystem, welches sich vom Flächeninhalt der Buchstaben ableitet. Das Ergebnis war ein schwarzweißes „minimalistisches“ Plakat, das die Besucher mit nach Hause nehmen konnten.

Natürlich, einige der Künstler waren nicht ganz so klar einzuordnen. Jan Šerých malte das Dekor des Teppichs aus Stanley Kubricks „The Shining“ an die Wand; die gelben, minimalistischen Räder von Patricie Fexová entpuppten sich auf zweiten Blick als Großaufnahmen der Sonne. Zur dritten Gruppe der „Geschichtenerzähler“ gehörte der „Brno Zirkel“, vertreten von Petr Strouhal, Matěj Smetana, Magdalena Hrubá und dem Duo Filip Cenek – Jiří Havlíček. Ihr Video sowie ihre Animationen wurden nebeneinander in einem der Säle präsentiert und wirkten wie aus der Hand desselben Schöpfers. Ein Stück weiter schloss sich ihnen der Künstler Josef Bolf an: Seine delirisch-komischen Bildern wurden von einer Audio-Aufnahme begleitet, auf welcher der Künstler mit ungeschulter Stimme eigene surreale Erzählungen vorliest. All diese Künstler vereint ihr Interesse für fiktive Welten, die Übereinanderschichtung von Autoreferenzen und poetischen Hyperbeln sowie ihre Interventionen in traditionelle narrative Schemen.

Ein weiterer Charakterzug der Císař ´schen „Konfiguration“ war die Art und Weise, wie sich die auf Umwelt oder auf Stereotypen bezogenen Teile mit denjenigen Bereichen mischten, deren Triebkraft die Verschiebung von eingefahrenen formellen Schemen beinhaltete – so beispielsweise der installierte Raum von Eva Koťátková oder die Malereien von Jakub Hošek. Durch die Sequenzierung der Installation ist es Císař gelungen, die Unterschiede zwischen den einzelnen künstlerischen Ansätzen zu verringern und so einen Raum für die gegenseitige Beeinflussung der Künstler zu schaffeen. Der Fokus lag nicht auf dem Einzelnen. Dies hat Císař voll genutzt. Er verringerte die Bedeutung der Individualität, und er präsentierte uns die Kunst als ein buntes Paket von in sich verflochtenen und nicht miteinander in Konflikt stehenden Informationen. Eher, als würde er den Besucher einladen, über Kunst an sich nachzudenken, über Kunst, die nicht anklagt und die nicht beständig versucht, das Gefühl freundlicher Affinität mit dem gelebten Alltag zu widerlegen. Dabei verteidigte er unter anderem mutig den dekorativen Wert der Kunst und vermittelte die Qualitäten einer durchdachten, nicht konfliktbeladenen künstlerischen Produktion, mit dem Ergebnis visueller Standard-Artefakte. Freche, unnachgiebige, engagierte, komplizierte oder weniger spektakuläre Kunst musste stattdessen in den Ateliers bleiben. Als würde ein Saal nach dem anderen seine Besucher mit denselben Worten empfangen: „Wir sind genauso wie Sie, wir sagen es nur in einer anderen Form.“

Vielleicht ein Mißvertändnis, also reden wir nicht drüber

Befände sich das tschechische Kulturgeschehen in einem zufriendenstellenden Zustand, so wäre die diesjährige Ausstellung der Glocke vermutlich nicht mehr als die unmissverständliche kuratorische Botschaft: Es gibt eine aktive junge Kunst in Tschechien, und ihr Interesse gilt der Lebenswirklichkeit des Mittelstands. In einer Situation, in der junge Künstler nur schwer Argumente zur Verteidigung ihres Interesses am Experiment mit Problemen finden, mag dies durchaus hilfreich sein. Andererseits stellt sich die Frage, ob die Künstler sich überhaupt mit dieser Botschaft identifizieren und ob sie von der Konfiguration gewusst haben, die sie erwartete. Auch bleibt die Frage, ob in einer Situation, in der komplexe Ausstellungen junger Kunst in repräsentativen Kulturinstitutionen kaum noch stattfinden – wobei dieser Umstand völlig an der Öffentlichkeit vorbeizugehen scheint – die Glocke sich der neokapitalistischen und konsumorientierten tschechischen Gesellschaft gegenüber nicht doch etwas zu freundlich positioniert hat. Solche Fragen hat natürlich keiner gestellt: Den Tschechen genügt es in der Regel, dass es überhaupt gelingt, ein Projekt zu realisieren.

Die Ausstellung in der Glocke war dennoch ein nicht uninteressanter Schritt in Richtung einer neuen Kommunikation mit der Öffentlichkeit. Sie bot Material für leidenschaftliche Polemiken, beispielsweise darüber, was die Künstler von der Gesellschaft erwarten, was sie an ihr schätzen und was sie grundsätzlich ablehnen. Und auch, was sie von der organisierten Kultur erwarten. Leider gab es keine Reaktionen auf diese Denkanstöße. Die Fachwelt schien zu befürchten, die Büchse der Pandora zu öffnen. Es hätte sich nämlich durchaus zeigen können, dass sich nicht einmal die Künstler dieser einen Ausstellung über diese Frage einig sind und dass so manches an der Gruppenzusammengehörigkeit, derer wir uns ständig gegenseitig versichern, nur ein schwer aufrechtzuerhaltender Mythos ist.





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