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IMPORT EXPORT Ulrich Seidl
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2009, 2
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IMPORT EXPORT Ulrich Seidl

Zeitschrift Umělec 2009/2

01.02.2009

Magdaléna Bažantová | art market | en cs de

In der Ukraine, da gibt es schon mal kein fließend Wasser und die Farbanstriche sind, so es denn je welche gab, verblichen. Die Menschen nehmen nicht einmal zu Hause ihre Kopfbedeckungen ab, die Nase läuft ihnen ununterbrochen und sie grüßen sich nicht.
In Österreich dagegen ist alles bedenklich eng mit Sauberkeit verbunden. Ob das irgendwie im Verhältnis zur Anzahl der Toten steht? Ausgestopfte Tote, tote Beziehungen, eine alternde Population. Man hat hier eher eine innige Beziehung zu den Reinigungsgeräten, als zu den Hausfrauen, die diese in absurder Weise hin und her schleppen müssen. In diesem Land kann man nicht bestehen, solange man das Einbalsamieren nicht todernst nimmt.
Etwas weiter gen Osten ist die Stimmung auch nicht fröhlicher. Bildung und Persönlichkeit nützen einem hier nicht viel, denn sie werden nicht bezahlt. Nur als Frau unter dreißig mit wasserstoffblonden Haaren und einer annehmbaren Figur kann man auf Entlohnung hoffen. Sollten allerdings auch diese Eigenschaften versagen, hilft nur sich von Familie, Kindern, Heimat und Muttersprache loszusagen und gen Westen zu ziehen. Dort angekommen ist es nicht etwa so, dass dies irgendjemand zu würdigen wüsste. Ganz im Gegenteil, die Menschen fühlen sich durch die ihnen gänzlich unbekannte Energie des Ankömmlings bedroht und seine Bereitschaft, ein „Niemand“ zu sein, ist ihnen verdächtig und unbegreiflich: „Wie erstrebenswert es wohl sein muss, bei uns in Österreich zu sein?“
Wie kann man in einer solchen zivilisatorischen Sterilität als Mann bestehen? Sich in der Ausbildung zum Bodyguard anbrüllen lassen, selbst andere anbrüllen, um nach der Ausbildung nichts als verschlossene Türen zu kontrollieren und dann in Formulare einzutragen, dass wieder nichts geschah. Sich tätowieren lassen, viel trinken, über Frauen reden und wenn man dann doch mal dazu kommt, in ihrer Nähe zu sein, wieder nicht imstande sein, mehr zu tun, als sie seine durch nichts legitimierte Macht spüren zu lassen.
Kein Wunder, dass sich die österreichischen Frauen an jemandem rächen müssen. Sie rächen sich an Menschen von noch niedrigerem gesellschaftlichen Stand: „Ich kann dich einstellen und ich kann dich rauswerfen, so läuft das nun Mal bei uns“. Ihrer inneren Leere, ihrem Abscheu gegenüber allem, was nicht steril ist, sowohl in physischer wie in energetischer Hinsicht, kann die Hausfrau wieder nur mit Gesten der Macht und Überlegenheit begegnen. Die Krankenschwester behandelt die pflegebedürftigen Senioren wie Infantile, nicht ohne sie dabei mit Kleinigkeiten zu quälen. Weitgehend funktioniert das gesamte Gesundheitssystem ähnlich. Die Menschen werden ihrer Eigenverantwortung entbunden und für ihr Gehorsam mit Spielen und Supervision belohnt.
Seidl schlägt sich in seiner Filmerzählung dann doch eher auf die Seite einer Tragik generierenden ukrainischen Gesellschaft denn auf die Seite Österreichs, wo alles nur in einer sinnlosen Peinlichkeit ertrinkt. Peinlich sind die langjährigen partnerschaftlichen Beziehungen, die Arbeitsverhältnisse, das Gesundheitssystem, die Träume von muskulösen Körpern und Wohlstand, peinlich ist die krampfhafte Vergnügungssucht. Während einer gruseligen Tanzveranstaltung im Hospiz erklingt ein Lied mit den Worten „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist.“ Das Leitmotiv der Ukraine dagegen beginnt mit „Mein Herz...“ Wie gut mir übrigens die Verwendung von rein diegetischer Musik in Seidls Film gefällt. In einem kurzen Augenblick des Films wird aus dem morbiden Faseln der alten Leute ein passender Sound zur Krankenhausumgebung. Auch die Kamera kommt ohne überflüssige Effekte aus. Nur hin und wieder wird sie sich der Ästhetik ihrer Einstellungen bewusst, so zum Beispiel als sich die Putzkolonne im Halbkreis formiert hat oder als Vater und Sohn in Frontalaufnahme im typisierten Wohnzimmer sitzen.
Die Besetzung der Rollen mit Laien geht gut auf, der authentisch unverständliche Blick der Mädchen im ukrainischen Hotel, das überzeugend senile Verhalten der Patienten, der Kampf der Zigeunerkinder um Kaugummis...
Die Episode mit den slowakischen Zigeunern scheint mir dabei ein wenig aus dem Rahmen zu fallen. Dieses Milieu ist sicher ein interessantes Feld für Dokumentaristen und formuliert auf derbe Weise wie für Geld einfach alles zu bekommen ist. Nur ist diese Umgebung selbst für so jemanden wie Paul, dem Hauptdarsteller mit Securityausbildung, unkontrollierbar. Hier ist man auch mit Geld nicht Herr der Lage. Ganz im Gegenteil. So lange man noch etwas hat, wird es einem genommen. Zum wiederholten Mal fühlt sich Paul wehrlos und ergreift die Flucht. Für einen Loser gibt es oft keine andere Wahl als immer wieder zu verlieren. Eines der Symptome eines Losers ist nämlich seine Unfähigkeit, Situationen richtig einzuschätzen. Seine Flucht vor dem fratzenhaften Stiefvater hingegen ist in einem gewissen Sinne ein Sieg.
Wer aber zählt hier zu den Gewinnern? Aus der Sicht derer, die „Glücklich ist, wer vergisst...“ singen, zählen Pauls Eltern und die Oberschwester dazu. Aber so stellt man sich gemeinhin keine Helden vor. Vielleicht einer der Gründe, warum sich die Filmkritik nicht mit dem Film anfreunden konnte. Mit solchen Siegern mag man sich nicht identifizieren. Die Kritiker operierten mit Vorwürfen wie Grausamkeit, Missbrauch und Pornografie, aber ich sehe darin eher ihren Wunsch, im Film eine moralisch integre Figur entdecken zu können. Eine Gestalt, die den Überblick behält und nicht über die längste Zeit hilflos dem Geschehen ausgesetzt bleibt. Ein Wunschbild des eigenen Ichs sozusagen. Seidl vermittelt aber durchaus ein latentes Mitgefühl mit seinen Protagonisten und vielleicht können wir uns daher eingestehen, dass in jedem von uns ein Stück von Olga und Paul steckt. Dass wir auch die eifersüchtige Krankenschwester, der dumpfe Stiefvater, die Mutter mit den Katalogklamotten sein könnten... und das wir bestenfalls eines Tages in Windeln brabbelnd auf dem Krankenhausbett sitzen werden. Zu behaupten, Seidl sei ein Voyeur und es sei unanständig, die heutige Gesellschaft in dieser Art zu präsentieren, ist lächerlich. Die, die sich da auf Empfängen einschlägiger Filmfestivals empören, möchte ich aufrufen, sich zumindest für die Zeit von 135 Minuten auf die Straße zu stellen. Ob dass, was sie dort beobachten können, wohl ihrer zauberhaften Ordnung gehorcht, ob sie lauter Menschen erfüllt von Humanismus treffen werden?
Am Ende des Films konnte ich aufatmen, Paul und Olga mussten sich in dieser Erzählung nicht begegnen.
Gern wäre ich mit beißender Kritik an den Film herangegangen, um nicht wie eine naiv verblendete Bewunderin des Regisseurs zu wirken. Auch liest sich Kritisches besser. Aber im Falle von IMPORT/EXPORT muss ich es wohl dabei belassen.




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