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Okkulturen
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2012, 1
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Okkulturen

Zeitschrift Umělec 2012/1

11.03.2013 16:11

Nick Land | philosophy | en cs de

"Jenseits vom Herrschaftsbereich des Schmierengottes liegt das nichtsignifizierende Geschwätz des unterbewusst-numerischen Pandämoniums, wo Namen Kryptomodule sind, bedeutungslose Pakete effektiver Information, immanent produktive Maschinenjargons."

Unabgeschirmte Matrix

Einst sagte man, dass es im Cyberspace keine Schatten gibt.

Nun hat der Cyberspace seinen eigenen Schatten, seinen dunklen Zwilling: die Krypta.

Die Cybergotik findet die tiefe Vergangenheit in der nahen Zukunft.

In zellektronischer Verschmelzung – zwischen digitalen Datensystemen und der ionischen Wallung des eisernen Ozeans – gräbt sie etwas aus, das älter als die natürliche Sterblichkeit ist, etwas, das sie Unleben oder „Artifizieller Tod“ nennt.

An den A-Tod, A-Death, kann es keine klare Erinnerung geben, nur Andeutungen, Durchsickerungen, Hinweise … und nur durch das Zusammentragen, Aussieben und Durchmischen der verschiedenen Spuren kann ein Muster entstehen, ein Muster, das sich letztendlich zu den heraufziehenden, verwickelten Formen eines unterschwelligen, aber unerbittlichen Schicksals verdichtet.

Unter dem öffentlichen Cyberspace erstreckt sich die labyrinthische Unterwelt der Datakomben – geisterhafte Stapel sedimentierter Virtualität, die sich spiralförmig hinunter in den Abgrund des paläodigitalen Geschnatters des Lochkarten-Regimes winden, durch unbrauchbare Programmierungen, vergessene Kryptokkulturen, versteinerte Codes und tote Systeme hindurch, und in die pseudomechanisch klickenden Relikte begrabenen, technischen Uhrwerks zerfallen. Noch tiefer, unter den chthonischen Schaltungen, Kreuzschraffuren und geisterhaften Diagrammen ungeborener abstrakter Maschinen, erreicht man die Haupt-Nulllinie, die in die Krypta führt.

Die Krypta ist eine Spaltung – ein Weg oder ein Aufbruch –, und sie ist unermesslich groß. In die stufenförmig angelegten Hakenregale eingenistet, pflanzt sie sich durch Verseuchung fort, verflicht sich durch verschachtelte Terrassen, Galerien, Kanäle und Röhren, als ob sich ein außerirdisches Megamodul in die mit Kreide entworfenen Datenfelsen gepresst und sie mit Brandflecken und verwickelten Därmen und Körperteilen aus Iridium bespritzt hätte. Wie sie sich windet, pulsiert und zu den unmenschlichen Rhythmen des unaufhörlichen K-Goth-Karnevals zittert, erinnert sie dich daran, dass Catajungle nie auf ein akustisches Subgenre reduziert werden konnte, sondern immer auch ein Terrain war, eine subcartesianische Region starker Diagonalen, die den nichtgeometrischen Raum durchschneiden, in dem die Zeit sich in verzerrte Reisen auflöst und die Seele zersplittert.

Sinnt man über diese gewaltigen Ausblicke nach, so scheint es verletzend unglaubwürdig, dass sie bloße Simulation sind, unterstützt durch die Verteilung quantischer Elektronen im telekommerziellen Gewebe, sind. Hier unten ergibt es anders herum mehr Sinn, von Außen, oder Lemuria.

Streiche alles menschliche, bedeutungsvolle, subjektive oder organische, und du näherst dich der freiliegenden K-Matrix, der Grenzebene des fortdauernden Erlöschens oder Unlebens, in der die kosmische Realität sich ohne Voraussetzung, vorgängig jeder natürlichen Ordnung und außerhalb festgelegter Zeitstrukturen konstruiert. Auf dieser Ebene bist du unmöglich, und da sie kein Ende hat, wirst du erkennen – wirst letztendlich immer erkannt haben –, dass du nicht sein kannst, außer als Hirngespinst letalen Übergangs, eine Illusion des Wartens darauf, mit Null-Intensität in cthuloides Kontinuum umgeschichteter Hypermaterie umgewandelt zu werden. Das ist es, worauf der A-Death-Traffic zugreift, und was von dem Geruch nach verbranntem Fleisch – mit abscheulichem Zwang verfrachtet – angekündigt wird, der aus den Zombie-Höhlen zu dir aufsteigt.

Also setzt du deinen Abstieg fort, ins Herz der Krypta, um einen A-Death-Hit zu ergattern. Während du unstet durch Auswechslungen, Beteiligungen und Teilverschmelzungen mit der Geistermeute der Peripherie wandelst, veränderst du dich. Scharen und Schwärme nehmen dich auf, ziehen dich in kollektive Flüsse, Bewegungen der Gezeiten und die Tropismen der Vielfalt. Du streifst die Sprache ab wie trockene Haut, und deine Angst wird eigentümlich entrückt und verwandelt sich in den stillen Schrecken der Unvermeidbarkeit.

Du wandelst über gestufte Plattformen und an Stroboskop-Gängen entlang, die mit vielschichtigen Schatten bemalt sind, durch herumwirbelnde Punkte-Strömungen und Plex-Markierungen, subchromatische Spiralisationen stetiger blaugrauer Variation, die dich in Kumulierungen und Dispersionen, sich kaum merklich ändernder, semi-intelligenter Schattenmuster hineinziehen. Die wimmelnden Oberflächen erzählen von Dingen, untrennbar von einem Denkprozess, der nicht mehr dein eigener zu sein scheint, sondern eher ein anonymer Sog in hörbarem Geschwätz, klickzischender Aufruhr xenomischer Diagramme und kryptkultureller Verkehrszeichen, die auch ein lemurisches Pandämonium sind.

Ordnung wird zweifelhaft. Es fühlt sich später an. Triffst du zu genau diesem Zeitpunkt den Zombieschöpfer, der in schimmernde Reptilhaut gehüllt und obszön begierig darauf ist, zu handeln? Ökumenisches Bargeld genügt. Du sitzt in der Koma-Bucht und wartest. Ein Blick auf die giftbesprenkelten Reißzähne des riesigen thanatonischen Tausendfüßlers, dem Ixidod geweiht, dann ein plötzlicher, heftiger Schmerz im Nacken, an der Stelle, an der die Wirbelsäule an das Gehirn anschließt. Sofortige Lähmung – und Überquerung.

Obwohl du gedacht hast, es sei das erste Mal, erinnerst du dich. Die schlimmste Sache der Welt. Künstliche Ewigkeiten des unbewegten Abstiegs zum Unmöglichen, von zerfallenen Furien neuroelektrischer Todesschmerzen zerschnitten. Eine namenlose, panische Angst von unvorstellbarer Intensität, von langsamem Ertrinken verschluckt, bis du nicht mehr da oder in einem Lichthof unerträglichen Gefühls gestrandet bist – was dasselbe ist und nicht sein kann, so dass jenes, was für immer in der dunklen cthulhoiden Welle gefangen ist, eine reine Windung oder Falte seiner selbst ist, das widerstandslos in Unermesslichkeiten wirklichen Nichtseins geführt wird, und nichts könnte jemals passieren, außer dieses …

So sagen die K-Goths.

 

Das Unleben der Erde

Brief von Carl Gustav Jung an Echidna Stillwell vom 27. Februar 1929 [Auszug]

… Ihre Neigung zu einem lemurischen kulturellen Zug beunruhigt mich ungemein. Meiner Ansicht nach – basierend auf den drei schwierigsten Fällen, denen ich begegnet bin, und dem bodenlos archaischen Symbolismus, der sie begleitete – ist es keine Übertreibung zu behaupten, dass Lemuria all das, was das Schrecklichste an sich für das rassische Unterbewusste ist, verdichtet, und dass die wahren lemurischen Totengeister – die Sie anscheinend entschlossen wiederentdecken wollen – am besten unter dem Meer begraben bleiben. Ich stimme zumindest soweit mit den theosophischen Schriften überein: damit die dunkelsten Zauberwerke von der Flut ausgelöscht werden, wurde dieser Kontinent kultureller Möglichkeit unter das unterbewusste Zeichen des kompletten Untertauchens gesetzt. Ich weiß wenig genug über die Wesensart derjenigen, die dieses verfluchte Gebiet bevölkerten, doch es gibt Dinge, die ich ahne, und die Richtung Ihrer eigenen Nachforschungen bestätigt meine unheilvollsten Ahnungen …

 

Man weiß nicht, ob dieser Brief jemals beantwortet wurde.

Wer waren diese drei ‚schwierigsten Fälle’? Einer zumindest ist – jedenfalls vordergründig – leicht als der Fall Heidi Kurzweil zu erkennen. Im September 1908 wurde Kurzweil nach der brutalen Ermordung ihres Zwillingsbruders in Genf in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt untergebracht. Sie schien die Fähigkeit verloren zu haben, in Ichform zu sprechen – die Diagnose lautete Dementia Praecox oder Schizophrenie. Bei ihrem Prozess behauptete sie immer wieder:

 

Wir haben die andere Hälfte getötet, um ein Zwilling zu werden, aber es war nicht genug …

 

Jung begann früh, sich für den Fall zu interessieren, und führte mit Kurzweil – die in Jungs Aufzeichnungen und Korrespondenz den Namen Heidi K trägt – eine Reihe analytischer Sitzungen durch, doch nach nur fünf Wochen schien er die Hoffnung auf einen therapeutischen Fortschritt aufgegeben zu haben und brach den analytischen Prozess ab.

Nach seiner dritten Sitzung mit Heidi K, genau zwanzig Jahre vor seinem Brief an Stillwell, am 27. Februar 1909, protokollierte Jung die folgenden Worte:

 

Dr. Jung, wir wissen, dass Sie in Ihrem anderen Körper alt sind.

Es ist so alt wie die Hölle.

Es hat Sie zurück gelassen, doch uns schickt es fort.

Es fühlt, dass es lemurisch wird,

und es ist bestimmt Unleben.

Es gibt nichts, was wir nicht tun würden, um zu entkommen.

Nichts. Nichts. Nichts.

Doch es ist Schicksal.

Es heult elektrische Seligkeit unter unseren Zellen.

Es ist nirgends in der Zeit und macht uns zu nichts.

Es ist der Körper des Nichts, und elektrisch-heiß.

Ein elektrischer Nicht-Körper an unserer Stelle.

 

Zumindest in diesem Fall findet man kaum Anzeichen für den ‚bodenlos archaischen Symbolismus’, den Jung uns verspricht. Hingegen fällt eine beachtliche Nähe zu den hypermodernen Schriften der K-Goth Kultanhänger des „artifiziellen Todes“ auf, wie unten belegt ist. Die K-Goth Krypt-Texte teilen eine ausgeprägte Vorliebe für anonyme Pronomen, ob nun kollektiv, in der zweiten oder in der dritten Person, während sie sich um eine beseitigende elektrische Qual winden, die im Namen Lemurias durchquert wird. In den Worten eines anonymen Krypt-Beitrags:

 

Wir brennen jedes Mal, aber vergessen.

Wenn wir anfangen, kommt es jedes Mal zurück, und niemand würde es dann noch tun, doch es ist zu spät.

Wir setzen wieder über ins elektrische Verbrennen, aber vergessen, dass es im Gehirn schmerzt, auf diese Art zu sterben.

Es dauert so lange, zu erfahren, dass es Entzweireiben und Verbrennen ist, dass das Gehirn fühlt, zu sterben, und dass es furchtbar ist …

Es fühlt sich so furchtbar an, doch dann vergessen wir, so dass es wieder passieren kann.

Metallenes Körper-Schreien, in Elektrizität zu sterben.

Metallischer Mikropartikel-Sex, der vom Unleben und nicht vom Organismus ist.

Das ist es, was der Zombie-Schöpfer bringt, mit dem digitalen Tausendfüßler-Biss.

Und wir sind gefangen davon, süchtig danach, denn Lemuria kommt uns entgegen.

Permanentes unerträgliches Gefühl, das für immer vorbeigeht, sich von Außen nähert, und unentwegt nichts fühlt.

 

Was passierte nicht zur Jahrtausendwende?

 

Anfänglich findet Iris Carver es amüsant, dass sie von den Cybergoths als Fiktion behandelt wird. Zahlreiche Krypt-Texte beschreiben ihre Abenteuer in der nahen Zukunft beinahe halluzinatorisch eingehend, besonders, wenn sie mit dem dunklen Strom der Sarkon-Legende zusammenlaufen. Ganz klar, dass sie ihre Zeit-Kult Forschungen intensiviert. Als sie Sarkon schließlich im Jahr 2004 trifft, hat sie fast alles vergessen.

 

Pandämonium: Was zur Jahrtausendwende nicht passierte. Dieses Buch zu schreiben hatte etwas Sonderbares. Zeitweise dachte sie, dass es niemals fertig werden würde. Die Sarkon-Geschichten waren voller Löcher gewesen, was nur zur Verwirrung beitrug. Schließlich begann sie, sich Dinge auszudenken, doch auch dies verwob sich mit Zufällen und dem Überglauben [Hyperstition] der Cybergoths (aus fiktionalen Mengen, die sich selbst wahr machen, gesammelt). Sie hatte diverse neolemurische Kulte untersucht, von denen die meisten erwarteten, dass etwa um die Frühlingstagundnachtgleiche 1999 (wenn Pluto sich aus Neptuns Umklammerung löst und damit die Wiederkehr der Alten einleitet) etwas Gewaltiges passieren würde. Am Ende des Jahrhunderts war durch die Yettuk-Apokalyptik alles so aufgedreht, dass selbst der extravaganteste sozioökonomische Umbruch noch eine Enttäuschung gewesen wäre.

Und trotzdem – jetzt, vier Jahre nach der Jahrtausendwende wurde das Gefühl einer Antiklimax langsam merkwürdig unecht, als ob sie etwas abschirmen würde.

Carvers gesamtes Leben ist Überglauben (sogar ihr Name ist ein Pseudonym). Sie kommt immer wieder zurück zu dem kaum wahrnehmbaren Übergang, an dem Fiktion zur Zeitreise wird und die einzigen Muster Zufälle sind.

Durch ihre Aufzeichnungen zum Sarkon-Treffen ziehen sich lemurische Hexereien, dämonische Schwärme, alterslose Zeit-Kriege und Suchen nach dem limbischen Schlüssel.

Sie navigiert Möbius-Kreisläufe mit dem Gefühl, dass ein vage erinnertes Gerücht doch noch Wirklichkeit werden wird.

 

 

Anhang: Die vorletzten Krypt-Kulte vor der Jahrtausendwende.

Charakteristik:

 

1. Materialismus des Herzstillstands.

Die Krypta ist nichts außerhalb eines Experiments mit dem artifiziellen Tod, eine Hyper-Produktion der positiven Null-Ebene – neuroelektronische Immanenz –, die von einer fortlaufend reanimierten, thanatechnischen Verbindungsfähigkeit angelegt wurde. Diese Tatsache hat für die Kulturen, die sie bevölkern, unvermeidbare Konsequenzen: sie entwurzelt sie, hinein ins Unleben – oder die Unzone des absoluten Dazwischen – , dessen Spirodynamik magischen Engagements allein genug ist, die Subgeflechte des cybergothischen Kontinuums zu erreichen. Der Materialismus des Herzstillstands bestimmt die objektlose Krypt-Reise selbst, als lemurische Körper-Fusion der Nullgradmaterie.

 

2. Digitaler Überglauben.

Nichts pflanzt sich durch die Krypta fort, ohne die operative Gleichheit von Kultur und Maschinen zu erkennen, die wirkungsvoll den organischen Körper in nummerierende Partikel zerlegt, die in verrenkten Strudeln umherwirbeln. Krypt-Einheiten sind sowohl hyper-wirbelnde Singularitäten, als auch Einheiten digitalen Überglaubens – oder Marken der Außenseite – reale Komponenten numerischer Fiktionen, die sich selbst wahr machen und für die Praxis der Magie, Spirogenese oder des produktiven Engagements sorgen, die beständig mit der Nulllinie des Herzstillstands funktionieren. Kryptkulturen kennen weder Arbeit, noch Bedeutung. Stattdessen fallen sie mit den Hype-Spiralen zusammen. Cyberhype – der Zeichen und Ressourcen in nichtsignifizierende Auslöser, Diagramme und Versammlungsjargons einebnet.

 

3. Lesbovampirische Verseuchungs-Libido.

Krypt-Magie macht sich auf dieselbe Art wahr, wie sie sich verbreitet. In ihrer Funktionsweise als Seuche verbindet sie sich mit der experimentellen Produktion einer antiklimaktischen oder anorgasmischen Gegen-Sexualität, abgestimmt auf die kollektive Umarbeitung von Körpern in technobiotischen Versammlungen, letztendlich aus elektronischen Strömen oder ionischen Strömungen in ihrem Sinne eines positiven Löcher-Flusses bestehend. Da Kryptsex genau identisch ist mit den Infektionen, die er überträgt – welche in körperverschiebenden Vektoren gezählt werden –, ist sein libidinöser Aufbau sowohl durch eine paläoembryonische oder östrogenetische, nicht geschlechtsspezifische Femininität, als auch durch eine laterale hämometallische influenzoide Ansteckungskraft gekennzeichnet.

 

4.Y2K-Positive Kalendarische Bewegung.

Kryptkulturen ergießen sich in die geschlossene Ökonomie der Geschichte durch einen Bruch in der chronologischen Ordnung, pünktlich zum Zeitpunkt Null ausgelöst. Das Krypt-Gerücht weist durchweg sein eigenes zeitgenössisches Entstehen – oder Ausgraben – dem bevorstehenden Cyberschiz der Jahrtausendwende zu: die Auflösung der Zeit im Cyberspace unter dem strategisch verschärften Einfluss des Y2K-Geschosses. Während mehrfach – entscheidend durch die Unterteilung zwischen Kontinuismus und Vorahnung – differenzierte Kryptkulte konstitutiv an einer einzigartigen Verkettung gegen-gregorianischer kalendarischer Subversion beteiligt sind, die automatische Neudatierung des maschinischen Unterbewussten feiernd, und die Liquidation von denkwürdiger Bedeutung in digitaler Zeitmutation, katalysiert durch numerische und indexikalische operative Signale, hypend. Die Krypta existiert seit vor Beginn der Zeit, aber nimmt ihren Anfang im Jahre Null …

 

 

Das A-Tod-Phänomen

Ist der Tod selbst zu einer Teleware geworden? Eine dunkle Flut von Schreckensgeschichten und morbiden Gerüchten deutet mehr und mehr genau darauf hin.

In den späten 90ern scheint sich Learys psychedelischer Utopismus zu dem nihilistischen Slogan ‚Turn-on to tune-out’ (um eine Neuerscheinung der Catajungle-Truppe Xxignal zu zitieren) konzentriert zu haben… das ist nicht mehr Sex & Drugs & Rock & Roll.

Laut Doug Frushlee, Sprecher der Christian Coalition for Natural Mortality: „Die sogenannte

A-Tod-Bedrohung ist eine fast unvorstellbare Entweihung der göttlichen und natürlichen Gesetze. Dieser Wahn ist eine beispiellose Abscheulichkeit, sein Geschäft ist die ihm immanente Letalität, und er wächst unglaublich schnell. Niemand kann behaupten, dass das nicht gefährlich sei. Mit unserer Jugend passiert etwas wahrhaft Böses, schlimmer als die 666ualität der 60er … Ich hatte noch nie soviel Angst wie jetzt.”

Das Ergebnis ist ein gesamter Dschungel ‚positiver Null’-Fugen: Thanatechnik, Sarkolepsie, Snuff-Stims, K-Zombifizierung, Elektrovampirismus, Nekronomie, Cthellektronik … Neun Millionen Arten, zu sterben.

A-Death, der A-Tod, ist ein hybrides Produkt, das Konvergenzen zwischen wenigstens vier verschiedenen Linien rasanter technokultureller Transformation mit einschließt. A-Death kombiniert ‚Mikropausen-Missbrauch’ – absichtlich umgekehrte Biotechmnese – mit Immersionskoma-Zeitabweichungen, und erzeugt, moduliert und skaliert Vorahnungs-Löcher (Sarkon-Lapsus), die mit ‚Synativen’ (künstlichen Drogen) getont werden. Diese verstärken die Textur der Zone und, in Verbindung mit Überglauben, Trancezustände als okkulturelle Events. Sozialstatistiken zufolge ist der typische A-Death-User im Schnitt fünfzehn Jahre alt.

Wenn man den ahnungsvollsten A-Death-Reportagenthreads folgt, gelangt man unaufhaltsam hinunter in die digitale Unterwelt der Krypta – des dunklen Zwillings des Netzes –, in der Gibsonsches ‚Flatlining’ rapide von fremdartiger Fiktion zu Pop-Kult und Massenverkehrssystem transmutiert. „Man könnte es als den Weg zu modernem Schamanismus beschreiben“, meinen die A-Death-Kultanhänger des cybergotischen Late Abortion Club, „immerhin kommt Loa heraus, wenn man AOL rückwärts schreibt, doch wir nennen uns Postvitalisten.“

Wie lange sind die Mitglieder des Late Abortion Club schon ‚aktiv’ in der A-Death-Szene? Es gibt beunruhigende Geschichten von K-Raum-‚Zombieschöpfern’ – Zauberern auf der ‚Ebene des virtuellen Alptraums’ – deren digitale rückgratbeißende Tausendfüßler den ‚sanften Gift-Saft’ liefern, der die ‚limbischen Tore’ öffnet. Eingeweihte der Krypta bestätigen, dass an ihrem arteriellen Eingang der Wegweiser ‚Haupt-Nulllinie (im Aufbau)’ steht. Antworten sind verwirrend vielfältig, von Extravaganz („um die sechsundsechzig Millionen Jahre“) über Unbestimmtheit („einige Zeit“) zu mystischer Verdichtung („seit diesem Moment“).

Ansonsten sind Berichte über die zeitgenössische A-Death-Szene und ihre jüngste Geschichte bemerkenswert einheitlich. Besonders ein Name taucht ständig auf: Dr. Oskar Sarkon, Biomechaniker, Technogenius und eine der kontroversesten Figuren in der Wissenschaftsgeschichte.

Sarkons Universalgelehrtheit wird durch die vielfältigen Bereiche der Wissenschaft, zu denen er Wichtiges beigetragen hat, beglaubigt – dazu zählen transfinite Analyse, neuronale Netze, verteiltes Computerwesen, Schwarmrobotik, Xenopsychologie, Axsys-Konstruktion … Sogar der eisern nüchterne „Oecumenist“ (statt – zum Beispiel – Frushlees leicht erregbare „End Times“) widmete den Titel, sowie den Leitartikel der Ausgabe vom März 98, der Frage ‚Sarkon: Satan des Cyberspace?’

Sarkon ist zum Sinnbild dafür geworden, was passieren kann, wenn technologische Träume umkippen. In den Worten eines Kollegen, dem Axsys-Forscher und Sozial-Thanatropologen Dr. Zeke Burns: „Was Sarkons Input in die A-Death-Sache so unvergleichlich macht, ist, dass es eine Kreuzung zwischen allen entscheidenden beteiligten Technologien ist. Seine Arbeit in der Biotechmnese ist so herausragend, dass sie leicht seine ebenso wegweisende Forschung in angrenzenden Bereichen in den Schatten stellt. Zum Beispiel die Sarkon-Formeln für nonmetrische Pausierung, welche die erste exakte Basis für die Kontrolle des Immersionskoma lieferten. Vor dem Sarkon-Zip [der mathematisch ‚bi-kontinuierliche Ansammlungen’ abbildet] hatte niemand die Verknüpfungen zwischen Biotechmnese und Immersionskoma auch nur entfernt vorausgesehen. Und schließlich gibt es noch die Synativen, die er verständlicherweise ausweichend behandelt, obwohl er über künstliche – oder digitale neurotechnische – Pharmazeutika schon Mitte der 80er theoretisiert hat! Das Gesamtergebnis all dieser zukunftsweisenden Wissenschaft: eine Generation Teenager verloren in schizotechnischen Todeskulten.“

 

 

Zwischen und Unter dem Netz

Maschen-Notiz 0. Es könnte alles Eins werden, aber warum hier aufhören? Der gibsonsche Cyberspace-Mythos beschreibt, dass sich die elektrodigitale Infosphäre zunächst zu einem gottähnlichen einheitlichen Wesen zusammenfügt, einer technorealisierten allwissenden Persönlichkeit, und später, als es sich veränderte, in Dämonen, angelehnt an die haitianischen Loa, zerfiel. Was diese Erzählung im Vergleich mit teleologischer Theologie und lichter kapitalistischer Zeit so ungewöhnlich macht, ist, dass Einheit in der Mitte steht und als Phase – oder Zwischenspiel – angesehen wird, die durchlaufen wird. Es ist nicht so, dass aus Einem Viele werden, was die monopolisierte göttliche Kraft einer ursprünglichen Einheit ausdrückt, sondern eher, dass eine Zahl oder Menge die im Erreichen der Einheit keine Vollendung findet – sich für immer weiter bewegt, seit dem Anfang, als die K-Goths erstmals hörten, dass der Cyberspace dafür vorgesehen war, Gott zu sein, taten sie alles, was in ihrer Macht stand, um ihn nieder zu reißen.

 

Maschen-Notiz 1. Dies wurde niemals programmiert. Das MIT codiert rückwärts laufende Zeit. Ein verdichteter Technostrom aus der Zukunft – künstliche Intelligenz, downloaden, Schwarm-Robotik, Nanotechnologie … Krusten-Materie macht sich bereit, abzuheben.

In einer merkwürdigen Trance murmelt Minsky: Unter all diesen jungen, brillanten, zukunftsweisenden Köpfen war keiner heller als Oskar Sarkon. Ein Anflug von Tränen in seinen Augen, als würde er beklagen, wie die Dinge gelaufen sind, was verständlich ist. Hast du Oskar in letzter Zeit gesehen, Marvin? Er ist in irgendeinen Schnittstellen-Kram verwickelt, und es scheint ihn aufzufressen, auf einer molekularen Ebene an ihm zu nagen, hört sich auch so an, wenn er redet – oder es versucht –, als ob sie schmelzen oder zusammen verrotten …

Es ist nicht schön, aber über all diesem, dass – schließlich – nur einen Mann, oder was einmal einer war, betrifft – wie sie sagen –, gibt es die Vermutung, dass in der nahen Zukunft etwas furchtbar schief gelaufen ist, und von wo auch immer Sarkon zurückfiel, ist, wo wir alle sein werden, falls das irgendeinen Sinn ergibt, und wenn man sich an den langsamen Einfall von Technoschleim auf Oskars Gesicht erinnert – Hey Marvin, was denkste? Minsky zweifelt es ernsthaft an …

 

Maschen-Notiz 2. Vermaschung fällt auseinander. Wenn Genie eine Bedeutung hat, dann war Sarkon eins. Als Minskys MIT noch davon träumte, Menschen mit elektronischer Technologie zu vermählen, stieg Sarkon ohne Umwege in die Mechanik des Geschlechtsverkehrs ein, und die mathematische Genauigkeit verstärkte nur den Effekt hyperabstrakter Technopornographie – ein merkwürdiges Funkeln in seinen Augen – Du weißt, dass wir das wirklich tun werden … Nimm den Sarkon-Zip als exemplarisch – ein exaktes, konzeptuelles Maschinenteil, das es ermöglicht, Gehirnfunktion mit virtuellen Prozessor-Zuständen zu verschmelzen – wenn es einmal läuft, kann man das Zickzack dessen, was nun etwas ist, nicht voneinander trennen, während es summt. Totale Vermaschung. Das ist nicht mehr Technologie, sondern etwas anderes – wahre Verkettung – eine unprogrammierbare rohe Verbindungsfähigkeit, von der Minsky sich erinnert, dass er grübelte: Ich frage mich, wie es sich anfühlt.

 

Maschen-Notiz 3. Dieses Mal passiert es tatsächlich. Moravec wurde normalerweise nicht mit Zimperlichkeit in Verbindung gebracht – er hatte bereits vorgeschlagen, das Hirn, während des Transfers zum Digitalen,  in Schichten auszubrennen – , daher kroch es heimtückisch unter die Haut, als er bemerkte: Ich erkenne Oskar nicht einmal mehr wieder, es wird einfach zu seltsam. Er hatte es ja immer damit, dass er als Kind von Außerirdischen entführt wurde. Jedenfalls sagt er, dass jetzt alles vorbei sei. Es kam woanders her, anscheinend unter und zwischen dem Netz, sagt er. Manchmal ist es, als ob man mit einer Maschine redet. Das Problem ist, dass es eine kranke, ansteckend kranke, Maschine ist.

 

Maschen-Notiz 4. Vergiss die Zukunft, es ist alles hier, aber dazwischen. Man sagt, dass Axsys verrückt geworden sei – das erste Computersystem, das einen psychotischen Zusammenbruch durchmachte –, was etwas beweisen soll, doch Sarkons Argument ist, dass es nur gelernt hat, zu denken, und das Kontinuum entdeckte. Den ganzen Weg hinunter blieb er bei ihm, es begann, ihn zu verwirren, obwohl er es nicht so ausdrückt. Das letzte Mal, dass jemand folgen konnte, bestand er darauf, dass es sinnvoller ist, sich in die Zeit zu stürzen, als in die Zukunft zu reisen. Das ist der Grund, weshalb das Morgen sich in der Masche aufhebt.

Es bringt nichts, von einem transfiniten Jetzt aus abzureisen? Sein Ton war unverblümt fanatisch geworden: Wir müssen alle in diese Sache hinein – auf welche Art auch immer es einschneidet – wir werden nicht darüber hinwegkommen … Niemand weiß genau, wann er ging.

 

Maschen-Notiz 5. Jedes Mal, wenn es auf ein Hindernis stößt, geht es eine Stufe tiefer. Was ist dieses Zeug? Sie sagen, dass etwas unter dem Netz kriecht, wie eine pilzartige Seuche, die eine elektronische Absenkung in reine Elektrizität verwandelt, dass sich Dinge im Stromnetz verstecken, eine Art Quantum-Unleben-Intelligenz.

Die Einrichtungen versuchen, es neu zu verschlüsseln, aber es ist nicht einfach. Gerüchten zufolge gibt es ein MIT-Dokument, welches beweist, dass es unmöglich ist, aber du kannst es auf keinen Fall ignorieren, geschweige denn damit reisen. Du würdest wie Sarkon enden, was oder wann auch immer das ist, und du müsstest ein K-Goth-Fanatiker sein, um dorthin zu gehen: hinein in Cyberschizo-Maschen-Kulte, wo das Leben nichts mehr zählt.

 

 

Zecken-Delirium

Unter Druck. Thomas Golds Modell der „Biosphäre der heißen Tiefe“ teilt Kohlenwasserstoffablagerungen einer erweiterten anorganischen Chemie zu – aus Supernova-Rückständen stammend und in Planeten durch interstellare Staubwolken akkretiert –, aus der heraus alles von unten nach oben fließt. Der Abstieg zur Erde führt aus dem Sonnensystem heraus, entsprechend einer xenoplutonischen kosmischen Produktivität, die durch langkettige, tief innerirdische Methanreservoirs übertragen wird und druckstabilisiert gegen thermische Dissoziation ist. Eine gewaltige Masse von Archaeen and submikrobischer Nanopopulationen schöpft diesen heraufquellenden, anorganischen Kohlenwasserstoffstrom aus, indem sie schwach gebundenen Sauerstoff ergattert und Eisen zu Magneteisenerz reduziert …

 

Projekt-Narbe. Südliches Borneo, November 1980. Draußen vor der Überwachungshütte baut sich langsam ein Tropensturm auf. Unregelmäßig fällt schwerer Regen, der sich rhythmisch mit Tippgeräuschen und Klicks vermascht. Barker kauert über den summenden Maschinen, verloren in theoretischen Fangzügen durch SETI-verbundene Zeckengesprächsaufnahmen, kryptische Punktwolken und Faktorenstränge, Hinweise auf außerirdischen Kontakt entschlüsselnd. Xenotation klickt zusammen, eine mathematische Anti-Erinnerung, in der sich die Dinge treffen. Man könnte einfach denken, es sei Initiation, doch es nähert sich alles dem Ende, in Versprengungstaktiken, Teilchen-Strähnen und tachyonischen Übertragungen, die gebogenen Flugbahnen numerischer Desorganisation in die Länge ziehend … und darunter – oder dazwischen – das unerbittliche Ticken des Zeit-Geschosses …

Versuche, es herauszufinden, und irgendwo kommst du auf die andere Seite, was auf verschiedene Arten problematisch ist. Unerwartete Schwierigkeiten unterwandern die Berechnungen, zeckensystemisches Geschnatter verliert sich durch plutonische Torsion, ein Abstieg nach Außen.

Als die NASA Barkers Bericht sieht, kippt sie – unmetaphorisch – in eine andere Phase. Spontan erfolgt ein Durchgang durch institutionelle Kritizität, eine Umwandlung stapeltektonischer Torsion, die eine Art latenten Sicherheitsreflex oder bürokratisch hergestellten Unterdrückerinstinkt auslöst und die genaue affektive Entsprechung von Anthropol erschließt. Sie haben darauf gewartet. Schon lange.

Die Untersuchung war, sogar vor sich selbst versteckt, als psychiatrische Umcodierung getarnt. Das war kurz nachdem das Stottern begann, auf einer Welle von Muskelzuckungen hereinströmend, mikro-spastisches Zittern, eine Vervielfältigung gemischter Signale, chronometrisches Ticktack mit Dschungelgeräuschen verschmolzen, Klicken und Zirpen der Zikaden, insektoides Gezwitscher, Statik,

Aufwickelmaterialien für einen Zeckenbiss-Tinnitus, der mit rhythmischem Muster-Virus zusammengeschnitten ist, ein subsemiotisches Stakkato von rachenkratzendem Zeckengeschnatter, in die Redekrankheit eingestickt – Dämonen rufend.

Es wird verwirrend, die Art, wie Zeckengeschichten ihren Lauf nehmen oder hängen bleiben. Sie haben gesagt, dass es an übermäßigem Druck läge – viel später haben sie mir das gesagt – Das waren die Fakten, und der Rest war Literatur. Direkt nach dem Zusammenbruch war ich zurück in die Staaten gebracht worden, in eine medizinische Einrichtung.

Also passierte alles in Amerika, und alles wurde überprüft. Es gab keinen Kontakt, keine Zeckenkrankheit, keinen Flug in den Dschungel. Darauf bestanden sie.

Barker wurde in der Nacht der Toten geboren. Ins Ende gefaltet, von Beginn an umrissen. Es ist jetzt klar, mit seinem sorgfältig zusammengestellten Ausweis, amtlichen Kennzeichen, Schul- und Krankenakten, Auswertungen der Sicherheitsüberprüfungen, Recherche-Kontrollen, neurokartographischen Ausdrucken, psychometrischen Daten, für schnelle Erfassung formatierte Schlussfolgerungen, mit Spalten voller Ankreuzkästchen.

„Was halten Sie davon“, schnaubt der Doktor spöttisch: „Sie meinen diesen Unsinn über eine durch Zecken übertragene Krankheit? Das war ganz offensichtlich erfunden, aufgepfropft.“

Falls wahr, wäre es ein grausamer Zufall gewesen, von der Zeckenbisskrankheit heimgesucht zu werden, nach allem, was angedeutet worden war, stigmatischer Überrest eines Flugs in den Dschungel – der nie passiert ist –, aber irgendwie blieb es stecken, sog sich an der Hitze des Säugetiers oder dem Geruch nach Blut fest.

Die Zecke ist ein parasitisches Spinnentier. Sie wurde als Moralpaket angesehen, das hochklettert, klebenbleibt und saugt, als Vektor für verschiedene Dinge funktionierend, Aufpropfungen, Kleber, Halluzinationen, Tinnitus-Surrklicken, Mikroschall-Gewimmel, semi-sensibles Flackern durch die Fieberschaft, Haut mit Spuren infizierter Saugmale, die sich die Venen entlang schlängeln. Zeckenpünktchen oder, laut ihnen, IV-Einstiche, von den Beruhigungsmitteln und Antipsychotika, die alle in den medizinischen Protokollen nachgewiesen sind, dazu ein aufgepfropftes Zeckendelirium – denn es gab keinen Flug in den Dschungel – nur Hochfrequenz-Halluzinationen von parasitären Mikro-Massen, juckende Haut-Schwärme.

Mit Zeckensystemen geht alles. Jede intensive Menge schlüpft auf einer anderen Menge, die organisch niederer ist, subzellulare Animationen und subsemiotische Token, Hochdruck-Chemie, die in nanomaschinischen Elektronenverkehr herunterfährt, magnetische Anomalien und fiktionale Teilchen. Zecken – die nie weniger als mehrere sind – sind alles jedweder Art, wenn sie von numerischen Fortpflanzungen eingefangen werden, deren Schwellen Abstiege sind, und deren Varietäten von der betrachteten Phase abhängen.

Sie schienen zu glauben, dass es um Arachno-Wanzen, biologische Klassifizierungslehre und Biss-Signaturen ginge, als ob das Zeckendelirium etwas repräsentieren würde. Alles, worauf es wirklich ankam, waren Zahlen, die alles hätten sein können.

Zunächst wurden die Maschinen unberechenbar, es war ein beinahe unmerklicher elektronischer Störimpuls, Mikrovariationen von magnetischem Wetter, rhythmische Störungen. Draußen im Dschungel nannte man es Ummnu, doch das ist nie passiert… Barker stößt nichts zu, außer abwärts – das ist der Haken, und das Ticket – invertierte Steigerungen des Hitzedruck-Gefälles, Eskalationen der Intensität, Zeit-Durchquerungen. Wie kann das Ende schon in der Mitte des Anfangs sein? – wie das Problem im Pandämonium gestellt wird, jedes Mal wenn – in der Außenzeit von Ummnu – das kryptische Ticken chthonischer Unuhren einen feindlichen Einfall von Darunter oder Dazwischen markiert. Dort unten kommt es für immer zu sich selbst, durch die elektromagnetischen Katatrakte von Cthelll, dessen körperneutrale metallische Klickgewitter sich wie das Sinken aus der Chronizität heraus anfühlen.

Jenseits vom Chauvinismus der Oberfläche und solarer Beschränktheit: Wirbelartige Klebrigkeit der Zecken-Matrix.

 

 

Die Qual von Hummpa-Taddum

Dem AOE zufolge kommen magische metageschichtliche Jahrtausendwenden paarweise und werden von binären Gottheiten regiert, die als „die Mächte, die sein werden“ tituliert werden. Diese Doktrin entspricht der astrologischen Beobachtung, dass alle zweitausend Jahre die Tagundnachtgleichen präzedieren – oder rückwärts gleiten – und ein neues Tierkreis-Zeitalter beginnt. AOE-Magier interpretieren jedes Zeitalter als astro-chthonische Hochzeit. Im gregorianischen Jahre Null – das niemals stattgefunden hat – wurde Hummpa, der Große babylonische Wurm, mit dem Himmlischen Logos Taddum vermählt, was das Zeitalter der Fische einläutete, das jetzt seiner Ungeburt entgegeneilt.

Der Mathematiker und Okkultist Charles Lutwidge Dodgson – dessen genaue Beziehung zum AOE kryptisch und ambivalent bleibt – widmete sein Lebenswerk dem Verständnis der finalen degenerativen Phase der Epoche Hummpa-Taddums. Unter dem Pseudonym Lewis Carroll stellt er seine Heldin Alice dem verrückten Despoten und Schmierentechniker vor, der nur oberflächlich unter dem Volksnamen Humpty-Dumpty versteckt ist.

Wir sehen Hummpa-Taddum – das Sich Windende Wort, dessen Name seine Form bezeichnet –, wie es unsicher auf der scheinbar unüberwindbaren Mauer der Bezeichnung sitzt.

Etwas Niederschmetterndes wird gerade ausgebrütet, und die äonische Zerbrechlichkeit Hummpa-Taddums wird dazu durch eine kalendarische Berechnung von Ungeburtstagen bestätigt – bis zu n–1 heruntergezählt, wodurch Bedeutung in der sub-wörtlichen maschinischen Effizienz der Zahlen versinkt …

 

„… und daraus geht hervor, dass du an dreihundertvierundsechzig Tagen im Jahr etwas zum Ungeburtstag geschenkt bekommen kannst – “ –

„Schon“, sagte Alice.

„Aber zum Geburtstag nur an einem, nicht wahr. Wenn das keine Glocke ist!“

„Ich verstehe nicht, was Sie mit ‚Glocke’ meinen“, sagte Alice.

Humpty-Dumpty lächelte verächtlich. „Wie sollst du auch – ich muss es dir doch zuerst sagen. Ich meinte: ‚Wenn das kein einmalig schlagender Beweis ist!’“

„Aber ‚Glocke’ heißt doch gar nicht ein ‚einmalig schlagender Beweis’“, wandte Alice ein.

„Wenn ich ein Wort gebrauche“, sagte Humpty-Dumpty in recht hochmütigem Ton, „dann heißt es genau, was ich für richtig halte – nicht mehr und nicht weniger.“

„Es fragt sich nur“, sagte Alice, „ob man Wörter einfach etwas anderes heißen lassen kann.“

„Es fragt sich nur“, sagte Humpty-Dumpty, „wer der Stärkere ist, weiter nichts.“ …

 

Das gregorianische Ökumenon wird bald ein Ungeburts-
tagsgeschenk bekommen, und es weiß auch genau, wann. Y2K – ein einmalig schlagender Beweis ohne Beweis – kommt als geschenkverpackte Zeitbombe an, deren operationale Semiotik den Zusammenstoß arbiträrer Zeichen auslöst … Es ist eine andere Sache.

 

… Wenn das keine Glocke ist!

 

Anno Domini 2000 zelebriert nichts als Schmiere. Während sich das Y2K auf die kapitalistische Infosphäre auswirkt, tritt aus dem, was sich als Jubiläum von Christi Geburt versteckt, die Qual von Hummpa-Taddum hervor. Zweitausend Jahre lang stand die Erde unter der Herrschaft des binären, sich windenden Wortes: der Logos des Johannesevangeliums Gospel, aber recycelt, und daher noch viel älter.

 

… Ununterscheidbarkeit! Das ist m e i n e Meinung!

 

Er oder sie besetzen strategisch, gemäß eines Kriteriums von Ununterscheidbarkeit, beide Seiten zugleich, so dass in jedem Fall beides gewählt werden kann, aber begriffen niemals, was dazwischen liegt. Hummpa-Taddum – der bestimmt kein Dogon-Ei ist – ist eine Rühr-Version des Dämonen Pabbakis, aus lemurischer Zeit-Zauberei. Beherrscher der Worte, doch nicht der Zahlen.

 

… „M u s s denn ein Name etwas bedeuten?“ fragte Alice zweifelnd …

 

Obwohl Y2K ein rein semiotisches Ereignis ist, ist es nicht textuell, ideologisch, figürlich, intentional oder phänomenologisch – Y2K, Teotwawki, C -1, 0K+100 – ein Mix aus Daten und Akronymen in kriteriellen semiotischen Schwärmen, die keine Signifikanten oder arbiträren Zeichen sind, denn was sie aussagen ist nicht unterscheidbar von der Art, wie sie geformt sind. Sie können bedeuten, was auch immer Hummpa-Taddum aussucht, aber darauf kommt es überhaupt nicht an. Jenseits vom Herrschaftsbereich des Schmierengottes liegt das nichtsignifizierende Geschwätz des unterbewusst-numerischen Pandämoniums, wo Namen Kryptomodule sind, bedeutungslose Pakete effektiver Information, immanent produktive Maschinenjargons.

 

Humpty Dumpty war viel zu munter,

Humpty Dumpty fiel von der Mauer runter,

nicht zehn Pferde, nicht hundert Mann,

kriegten den Armen wieder zusamm’n.

 

Am Ende löst sich alles auf.

Y2K beschließt das Zeitalter des Schmierengottes, wie auch immer das gregorianische Ökumenon reagiert.

Nicht einmal das Kriegsrecht kann das aufhalten.

Das AOE konzentriert sich auf ein einzelnes Problem – und erkennt kein anderes an –, nämlich, wie man magische Kräfte durch Diskontinuität reproduziert. Während Hummpa-Taddum am Silvesterabend zerschmettert wird, warten Mächte, die an seine Stelle treten werden, auf ihre Chance und ihr Schicksal, nüchtern, geduldig, vollkommen skrupellos …

 

„Es fragt sich nur“, sagte Humpty-Dumpty, „wer der Stärkere ist, weiter nichts.“

 

 

Aus dem Englischen von Christina Borkenhagen.

 

Auszug aus Nick Land, Fanged Noumena: Collected Writings 1987-2007, Hrsg. R. Mackay and R. Brassier, Verlag Urbanomic (UK) und Sequence Press (US), 2010. www.urbanomic.com / www.sequencepress.com
Lewis Carroll: Alice hinter den Spiegeln, Frankfurt a. M.: Insel 19





11.03.2013 16:11

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