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Schön bleibt schön
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2005, 3
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Schön bleibt schön

Zeitschrift Umělec 2005/3

01.03.2005

Jiří Ptáček | geschichte | en cs de es

„Das unabhängige kreative Kollektiv“ AM 180 widmet sich der Musikproduktion und organisiert Kunstausstellungen. Es gelten allerdings für jeden dieser Bereiche andere Grundsätze. Die Gruppe lädt Musiker ein, denen der Do-it-Yourself-Gedanke nicht fremd ist und die mit niedrigeren Gagen, als sie allgemein üblich sind, einverstanden sind. In ihrer Galerie „Club Utopia“ wird ausschließlich die tschechische und slowakische Kunstszene ausgestellt. Trotz des großen Enthusiasmus und des Einsatzes der Mitglieder ist dem Kollektiv klar, dass alles aus eigenen Mitteln finanziert werden muss. Es besteht nämlich keine Hoffnung auf den Rückfluss der aufgewendeten Gelder. Und natürlich würden teurere Ausstellungen das Budget sehr schnell erschöpfen.
Unter diesen Umständen ist es überraschend, was für ein hochwertiges Programm das AM 180 Kollektiv auf die Beine stellt. Kurz hintereinander wurden Marek Meduna, Matěj Smetana, Jiří Kovanda und Ivan Vosecký in die Galerie eingeladen. Alle vier Künstler haben sich dafür mit durchdachten und außergewöhnlichen Projekten bedankt. Einheimische Künstler freuen sich einfach, in der Galerie von a.m.180 ausstellen zu können. Sie schätzen die Unterstützung und gehen davon aus, dass die Diskussion innerhalb der Künstlergemeinschaft wichtiger als eine ausführliche Medienberichterstattung ist. Die Vernissagen werden von immer mehr Leuten besucht, und die Veranstaltungen sprechen sich durch Mund-zu-Mund-Propaganda herum.
Die letzte Einladung des AM 180 Kollektivs erhielt der Künstler und Pädagoge Vladimír Skrepl. Auch er kam gern – mit etwas gänzlich neuem.


In den letzten zwei, drei Jahren habe ich über Vladimír Skrepl einige Male gehört, dass er nicht mehr so erfolgreich ist wie früher. Das ist kein Wunder. Da es eines seiner künstlerischen Eigenschaften ist, dass er sich von Zeit zu Zeit gerne selbst widerlegt, war ich mir nicht ganz sicher, welche Implikationen dieser Unterschied zwischen „früher“ und „jetzt“ mit sich trägt. Ich habe mit Spannung verfolgt, wie überrascht das Publikum von Skrepls Interesse an der Malerei war. Während ein Teil des Publikums damit seine Einschätzung stützte, dass es eine Renaissance der Malerei in Böhmen gibt (ohne dass Skrepls Malerei anderen Vertretern der neuen Malerei nahe steht), beschuldigten andere Skrepl des Formalismus und der Nachahmung ausländischer Trends.
Diese Diskussionen fanden allerdings nur in intellektuellen Hinterzimmern statt, und der Diskurs über Skrepls Werk bleibt nach wie vor halbherzig. Die Mehrheit der Theoretiker befürchtet, dass sie Skrepl nicht adäquat verstehen. Eine Rolle spielt dabei gewiss Skrepls Ruf, ein ausgezeichneter Kenner und Beobachter der kunsttheoretischen Debatten zu sein, so dass Kritiker Angst davor haben, in einem Disput mit ihm eine schlechte Figur zu machen. Meiner Meinung nach sind für Skrepl diese Vorbehalte nicht relevant. Als ein Semiotiker des Bildes bemüht er sich vielmehr darum, dass eine Kommunikation über Kunst zustande kommt.

Es ist gut, das Gemälde zu verschmieren
Zweifellos bewegte sich Skrepl in den 90er Jahren freier zwischen den künstlerischen Medien als heute. Er malte, zeichnete, machte Installationen und Objekte aus Textil oder Kunststoff. Nach seinen bedeutenden Ausstellungen 2001 (in der Galerie Václava Špály und der Galerie Jelení) konzentrierte er sich auf das Malen. Bald darauf schweifte er allerdings schon wieder von dem Stil ab, der ihm zu seinem Platz an der Sonne verholfen hatte. Während einiger Besuche in seinem Atelier in den Jahren 2003 und 2004 stellte ich fest, dass die vorher für ihn charakteristischen freien assoziativen Verbindungen von Zeichen verschwunden sind. Als ob er von der Malerei nicht besiegt werden wollte, begann er, den Aufbau seiner Bilder akribisch zu analysieren. Er simulierte einerseits expressive Gesten, die wir gerne als Anzeichen von kreativer Kraft ansehen, andererseits kombinierte er unpassende Farben miteinander. Auf den Leinwänden tauchte immer wieder Sprühfarbe auf, das inspirierende Medium der ersten Generation popkultur- und konsumorientierter Maler, zu der auch Skrepl gehörte. Nun dominiert die Sprühdose aber nicht mehr, sondern ihre Farbe ertrinkt eher im Matsch von Pasten unterschiedlicher Art und Ursprungs. Als ob Skrepl mitteilen will, dass wenn es schon nicht möglich ist, sich von dem historischen Vermächtnis der Gesten und Farben zu lösen, man diese wenigstens ordentlich beschmutzen kann. Die Themen der Bilder sind der Kunstgeschichte entlehnt: Es entstehen unter anderem Stillleben und Portraits. Falls man diesen Prozess mit Crossover-Musik vergleichen würde, könnte man sagen: Auf eine Sitar-Improvisation folgt nicht Balalaikageklimper, sondern jeder Ton wird von einem anderen Instrument gespielt. Dabei würde Skrepl nicht zögern, mit der Balalaika eine elektrische Gitarre nachzuahmen und sie unmittelbar darauf wie eine Trompete zu blasen. Die einzige Verbindung zur Tradition besteht durch das einfache zugrunde liegende Genre: mal ein Walzer, mal eine Polka.
Solche Bilder können grotesk wirken. Solange wir denken, dass das Ziel der Ton der Sitar ist oder sogar ein Sitar-Walzer, wird uns solch eine Nachahmung sehr beschränkt vorkommen. Wir begreifen sie erst dann, wenn wir dieses Ausharren an der Grenze zwischen gegenläufigen oder noch nicht ausformulierten Absichten gleichzeitig als das Ziel begreifen. Vielleicht kann man darin auch den Grund für die Auffassung sehen, dass Skrepls Malerei nicht mehr das ist, was sie einmal war. Und vielleicht sogar den Grund für die Unterstellung, seine Bilder seien formalistisch und er sei besessen von dem Gedanken, als Schöpfer nicht die Autorität über seine Arbeiten zu verlieren. Aber, wie ich am Beispiel der Ausstellung in der Galerie AM 180 beweisen möchte, besteht gerade darin Skrepls grundsätzliche Rolle bei der Erneuerung der tschechischen Haltung zur Malerei.

Der Kampf der Strukturen und der Moment der Übersättigung
Ähnlich wie in den meisten anderen europäischen Ländern hat die Rolle der Malerei den Verlauf der tschechischen Kunstgeschichte entscheidend bestimmt. Allerdings müssen die Gründe dafür in den verschiedenen Ländern nicht die gleichen sein. Die kulturellen und politischen Ereignisse der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts haben dazu geführt, dass je nach Region die Entwicklung unterschiedlicher Kunstformen unterdrückt wurde. Wenn man sich die Bemühungen um eine Abkehr von den zentralen Kulturideologien ansieht, wie sie in den letzten Jahren verstärkt stattfanden, fällt auf, dass diese oft mit einer Ablehnung der Malerei als der bestbefestigten Bastion der Vergangenheit einhergehen. Ein Ergebnis davon ist paradoxerweise eine unerfreuliche Reaktion vonseiten der Maler: Entweder isolieren sie sich durch ihre sture Behauptung, sie seien die einzigen, die über den Moden und Trends stehen würden, oder sie zielen sie auf eine Erneuerung der spektakulären Eigenschaften des Bildes, mit der falschen Vorstellungen, dass sich die Malerei weiterentwickeln lässt, ohne den Kontext, in dem ihre Anwendung heute steht, zu hinterfragen.
Über Skrepls Bilder in der Galerie AM180 könnte man sagen, dass sie spontan und unkontrolliert aussehen. Die Farben sind aus einer „Pollockschen Distanz“ auf die Leinwand gespritzt, und viele der Bilder sind mit einer dicken Schicht von Farbpaste überdeckt. Als würde Skrepl erst in dem Moment aufhören, seinen Pinsel auf dem Bild kreisen zu lassen, wenn sich die ursprünglichen Farben zu einem einheitlichen graubraunen Ton vermischt haben. Ähnlich wie wir in unserer Kindheit alle Farben von Knetgummi miteinander verknetet haben, bis nur noch eine Farbe übrig blieb. Der Dilettantismus und die einfachen Effekte haben jedoch ihre Konsequenzen. Schon seit Jahren malt Skrepl auch gegen die handwerklich-traditionelle Malkunst an; inzwischen ist sein Thema dabei mehr und mehr der soziale Stellenwert von Malerei, Bild und Kunstgeschichte.
Dripping, eine Tendenz zur monochromen „Farblosigkeit“ und „Struktur“ sind wichtige Strömungen in der späten Moderne mit ihren vorherrschenden Vorstellungen zur Autonomie der Malerei. In Böhmen gipfelten diese in den 60er Jahren in einem starken Interesse an struktureller Abstraktion. Heute erfreuen sich Namen wie Piesen oder Medek weiterhin großer Beliebtheit sowohl bei Kuratoren von Galerieausstellungen als auch beim Kunstpublikum und bei Sonntagsmalern. Ihre Werke werden als die Grundsteine der einheimischen Malereitradition angesehen. Die Frage, inwieweit dies das Ergebnis einer kulturpolitisch initiierten Mythologisierung ist, wird nur vereinzelt gestellt (von Jiří und Jana Ševčíkovi, Milan Knížák) und fällt bisher nicht auf fruchtbaren Boden.
Es ist kein Wunder, dass die strukturelle Abstraktion den heutigen Künstlern wie ein schwer verdaulicher Stein im Magen liegt. Die Ablehnung der ästhetischen Prämissen dieser Strömung ist eine verbreitete Einstellung. Nicht so bei Skrepl. Für das AM 180 Kollektiv hat er einige Bilder gemalt, die die strukturelle Malerei durch die Verwendung „heutiger“ Materialien (Glitter) und auch popkultureller Zeichen (ätzende Smiley-Faces auf monochronem Untergrund) „erneuern“. Es ist doch gerade der „informelle Formalismus“, der die ausgestellten Bilder unterscheidet und die Relation zwischen Kunstgeschichte und Aktualität des Geschmacks verschiebt. Ähnlich wie bei den Bildern, die schon seit zwei Jahren sein Atelier füllen.
Skrepl greift dort ein, wo er die Abwesenheit einer einstigen Übersättigung fühlt. Wahrscheinlich befürchtet er kaum, dass die Relevanz einer solchen Geste mit der Zeit nachlassen könnte. Die Übersättigung an bestimmten Arten von Bildern in bestimmten Perioden verschwindet und verlagert sich in andere Gebiete. Und Skrepl bewegt sich entlang dieser Verschiebungen.

Ein einsamer Läufer, dem ein Gegner verweigert wurde
In der tschechischen Kunstszene findet man in dieser Richtung kaum einen gleichwertigen Partner. Zuweilen nähern sich ihm zwar Petr Písařík, David Adamec, Josef Bolf und in glücklicheren Phasen auch Jakub Špaňhel. Der Unterschied liegt darin, dass die Annäherung nur kurzfristig zu sein pflegt. Bei Skrepl geht es um das systematische Aufsuchen von Orten, wo gerade die öffentliche ästhetische Zensur die Oberhand hat. Der abgeschlossene Zyklus in der Galerie AM180 scheint darauf zu Verweisen, dass der Anlass zur Malerei nicht so sehr eine Verschiebung des malerischen Blickpunktes sein muss, sondern ein Sondieren, was gerade jetzt gesellschaftlich unerwünscht und somit subversiv ist.
Was weiter zu untersuchen bleibt, wäre zum Beispiel die Möglichkeit, Skrepls Bilder mit den Arbeiten von Jiří Georg Dokoupil zu vergleichen. Obwohl Dokoupil nicht aus der tschechischen malerischen Doktrin Nutzen zieht, könnte man mindestens in seinen älteren Bildern ein adäquates Pendant zu Skrepl finden. Nur müsste die fachkundige Gemeinde das berühmte Landeskind und den Emigranten Dokoupil aktiver in die lokalen Aktivitäten einbeziehen. Und das geschieht aus unverständlichen Gründen nicht. Wenn es also irgendwann passiert, dann kommt vielleicht ans Tageslicht, dass wir in Skrepl nicht einen einsamen Marathonläufer, dem es schlechter ergeht als früher, sondern einen passablen Läufer auf dem Feld der Reflexion der Malerei in ihren augenblicklichen ästhetischen Limits haben. Die Lösung bietet sich also an. Die Frage bleibt, ob wir deswegen bereitwillig unsere eigenen Angewohnheiten ändern.




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