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Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen (Über das Schwarze)
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2007, 1
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Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen (Über das Schwarze)

Zeitschrift Umělec 2007/1

01.01.2007

Alena Boika | kommentar | en cs de

Am 21.10.2006 verwüsteten zehn Schläger die Ausstellung von Alexander Dschikia und die Büros der Galerie von Marat Gelman. Sie stellten die Mitarbeiter an die Wand und nahmen ihnen die Handys ab. Die Eindringlinge waren in Leder gekleidet; Masken trugen sie nicht. Sie gingen organisiert und schweigend zu Werke. Der Überfall war nach zehn Minuten beendet. Gelman ist überzeugt, dass es sich dabei um eine Einschüchterungsaktion handelte. Nichts wurde gestohlen, doch der Galerist wurde brutal zusammengeschlagen. Computer und Büroeinrichtung wurden zertrümmert, und 20 Arbeiten des Künstlers Alexander Dschikia, dessen Ausstellung zwei Tage vor dem Überfall eröffnet worden war, wurden beschädigt oder zerstört. Der bekannte Kunstkritiker Alexander Panov, der sich als Augenzeuge bereit erklärt hat, für Gelman auszusagen, wurde seit dem Überfall schon zweimal angegriffen.


Es ist nicht der erste Überfall auf die Galerie. Im Februar 2003 drangen bereits zwei aggressiv auftretende Männer in die Galerieräume ein, in denen sich zu dieser Zeit die Ausstellung „Nicht-Normative Malerei“ Avdey Ter-Oganyans befand.
Marat Gelman hält sich mit Mutmaßungen darüber, wer hinter dem Überfall stecken könnte, zurück. In der Moskauer Szene machen verschiedene Versionen die Runde:

Version: „Das hat er selbst inszeniert“
Es ist kein Geheimnis, dass sich Marat Gelman oft und gerne in provokanten Formen künstlerischer Tätigkeit ergeht – dies zeigten die Ausstellung „Russland 2“, oder seine Performance mit der Verbreitung seiner Liste der „100 Faschisten“ in der Öffentlichen Kammer als Antwort auf die in den Niederungen des „patriotischen Lagers“ zusammengestellte Liste der „Feinde Russlands“, und ähnliches. Die Umstände der Verwüstung seiner früheren Galerie in Kiew – ein Vorfall, der mit den Jahren fast schon in Vergessenheit geraten ist – sind nach wie vor nebulös.
Diese Version hat durchaus ein Existenzrecht, entspricht aber im jetzigen Fall wohl nicht der Wahrheit. Es ist schwer zu glauben, dass ein bekannter und anerkannter Galerist die Zerstörung seiner eigenen Galerie, noch dazu einer der erfolgreichsten, die Werbung solcher Art ganz und gar nicht mehr benötigt, inszenieren konnte. Es ist noch weniger wahrscheinlich, dass in diesen komplizierten Inszenierungsprozess die Klinik, in die Marat mit seinen Verletzungen (unter anderem einer gebrochenen Nase) eingeliefert wurde, einbezogen werden konnte. Und auch wenn so mancher Zweifler versuchte, die Schwere von Marats Verletzungen in Frage zu stellen, so rief ihr Anblick doch ehrliches Mitleid hervor.

Version „Beleidigung der Obrigkeiten“
Dem Vorfall ging eine schrille Geschichte voraus. Am Zoll des Flughafens Scheremetjewo wurde der Londoner Galerist Matthew Bown festgehalten. Er war dabei, Bilder aus der Serie „Masken-Show“ von Künstlern der Gruppe „Blaue Nasen“, die er bei Gelman gekauft hatte, nach England auszuführen. Auf ihnen waren Karikaturen von Wladimir Putin, George Bush und Usama bin Laden zu sehen. Nach Meinung der Zollbeamten konnten diese Werke auf Grundlage des Artikels 130 des russischen Strafgesetzbuches als „Beleidigung von Offiziellen“ eingestuft werden. Es ist schon komisch, dass man erst jetzt begann, sich aus diesem Blickwinkel für die Arbeit der „Blauen Nasen“ zu interessieren; immerhin sind sie schon seit mehr als fünf Jahren bei ihrer „kriminellen“ Arbeit, die vielfach ausgestellt und veröffentlicht wurde, unter anderem, wie Marat Gelman behauptet, „auch auf staatlich organisierten Expositionen“. Aber die Tatsache bleibt bestehen. Matthew Bown flog ohne Bilder, die nun auf das Ergebnis irgendwelcher Untersuchungen in Moskau warten mussten, zurück nach Hause. Weniger als zwei Tage später jedoch kam es zu dem gut organisierten Überfall auf die Galerie. Hierher stammt die unsausweichliche Version, dass es sich um die Rache der Obrigkeiten handelte. Die Version lässt sich kaum beweisen, aber leider auch nicht widerlegen, zumindest nicht ohne die Hilfe staatlicher Organe.

Die anti-georgische Version
Diese Variante mutet auch ein wenig zweifelhaft an, ungeachtet der wieder aufgekommenen Hysterie des letzten Herbstes in der russischen Gesellschaft. Die Spannungen zwischen dem Kreml und dem georgischen Präsidenten Mikhail Saakaschwili führten dazu, dass im Oktober Angriffe auf Georgier in Russland stark zunahmen. Die Regierung beschuldigte einige Firmen unter georgischer Leitung, gegen sanitäre oder andere Normen verstoßen zu haben, und deportierte Hunderte von Georgiern, die sich nach Darstellung der Beamten illegal in Russland aufhielten.
Der Künstler Alexander Dschikia wurde 1963 in Tiflis geboren. Und in der eskalierenden anti-georgischen Atmosphäre im Land konnte jemand seine Zeichnungen und Bilder wohl mit Borjomi-Wasser und Khvantschkara-Wein gleichsetzen, was zwar unwahrscheinlich, aber möglich ist. Dschikia machte sich 1997 auf nach New York; jetzt unterrichtet er Design in Ankara. Zuvor hatte Dschikia noch eine Ausstellung im Moskauer ARTPLAY Zentrum für Design veranstaltet, die dort von niemandem angegriffen wurde. Die Arbeiten von Alexander Dschikia gehören zum harmlosesten, was Marat Gelman in den letzten Jahren ausgestellt hat. Hier gibt es keine Spur von Anspielungen auf die Tagespolitik; der Humor der pseudonaiven Leinwände und Blätter Dschikias folgt den Traditionen russischer Populär-Drucke sowie dem gesamten Spektrum europäischer Kunstrichtungen.

Extremismus in Russland
Die Mitarbeiter der Galerie schließen nicht aus, dass die Angreifer einer rechtsextremen Gruppierung angehören, und dass der Überfall mit der politischen Tätigkeit des Besitzers zu tun hat. Man will gar nicht glauben, dass Übergriffe solcher Art erneut zu den typischen Mitteln der Einschüchterung in Russland werden. Aber es reicht schon, sich an die verwüstete Ausstellung „Vorsicht, Religion!“ im Sacharow-Zentrum oder die direkt aufeinander folgenden Feuer in den als liberal bekannten, intellektuellen Buchgeschäften „Falanster“ und „Bilingua“ zu erinnern, und es wird klar, dass die Kräfte, die den stark geschwächten Liberalen gegenüberstehen, an Stärke gewinnen.
Man weiß nicht, ob die Beschlagnahmung der Arbeiten und der Überfall auf die Galerie zufällig zusammenfielen, oder ob die durch Radio und Internet vermittelte Nachricht von der Konfiszierung am Flughafen der Auslöser des Überfalls war. In diesem Jahr hat sich Gelman durch seine öffentliche Kritik an den Neonazis und Nationalisten nicht gerade wenig Feinde gemacht. Mittlerweile steht sein Name auf der Liste der „Feinde Russlands“, die die russischen Neonazis im Internet verbreiten.
Die Journalistin Anna Politkowskaja, die am 7. Oktober vor ihrem Haus erschossen wurde, war zusammen mit vielen Menschenrechtlern ebenso auf der Liste. Politkowskaja war durch ihre harsche Kritik am Kreml und seiner Tschetschenienpolitik bekannt geworden.
Gelman hatte auch die orthodoxen Fundamentalisten durch seine Kritik an ihrem politischen Einfluss und durch die Ausstellung von Arbeiten, die sie als anti-religiös betrachten, gegen sich aufgebracht. Obwohl er seit langem Kontakte mit dem Kreml pflegt, fällt er immer häufiger durch seine Kritik an Putin auf.

Kurze Hintergrundinformation
Marat Gelman gründete im Jahr 1990 eine der ersten, privaten Künstlergalerien in Moskau (heute: „Gelmans Galerie“), die anfing mit jungen, noch unbekannten Künstlern zu arbeiten. Letztere dominieren heute die Moskauer Kunstszene und vertreten Russland auf den größten, internationalen Foren für moderne Kunst: Waleriy Koschljakow, Dmitriy Gutow, Alexander Winogradow, Wladimir Dubosarskiy, Oleg Kulik, Anatoliy Osmolowskiy, die Gruppe AES, und andere.
Viele Projekte des Galeristen waren jedoch politischer Natur – zum Beispiel, die Ausstellung „Kompromat [kompromittierendes Material]“ aus dem Jahr 1996 oder das Projekt „Russland 2“ von 2005, das Künstler dazu aufrief, dem Land ein „paralleles“, positives Image zu schaffen. Anfang 1997 gehörte Gelman zu den Organisatoren der Kampagne gegen die Errichtung des von Surab Zepeteli konzipierten Denkmals für Peter den Großen. 1995 kandidierte er auf der Liste des Wahlblocks „Generation Grenze“ für die Duma. Zusammen mit Gleb Pawlowskiy gehörte ihm der Fonds für Effektive Politik; zudem fungierte er als Image-Berater für Politiker wie Alexander Lebed. Im Zuge der Parlamentswahlen von 1999 führte er das Wahlkampfteam der liberalen Partei „Bündnis rechter Kräfte“. Von Juni 2002 bis Dezember 2003 war er stellvertretender Generaldirektor des Fernsehkanals ORT, wo er den analytischen Bereich und die Öffentlichkeitsarbeit leitete. Parallel dazu arbeitete er am Aufbau einer neuen linken Partei.
Nach Meinung von Gleb Pawlowskiy, Präsident des Fonds für Effektive Politik, gibt es zwei Hauptversionen für den Überfall auf Marat Gelmans Galerie. „Die erste ist die Strategie zur Steigerung der Spannungen im Land, die sich auch in den Attentaten der letzten Zeit sowie in den anti-semitischen und anti-muslimischen Übergriffen dokumentiert“, so Pawlowskiy. „Dafür könnten diejenigen verantwortlich sein, die das Klima in Russland anheizen und die Situation außer Kontrolle bringen wollen „.
Die zweite Version gewinnt nach Meinung Pawlowskiys Nahrung durch die häufigen Verbalattacken „von Seiten diverser Fundamentalisten und Extremisten“ gegen Gelman, seine Ausstellungen und Aktionen. „Es ist schwierig zu sagen, ob die Übeltäter hier auf eigene Initiative agieren oder von irgendjemandem beauftragt werden. Aber Marat wurde auch vielfach rassistisch beleidigt. Also könnte dieser Überfall auch aus dem in Moskau existierenden rassistischen Untergrund kommen“, meinte Pawlowskiy weiter.
Von den Vertretern der nationalistischen Organisationen übernahm niemand die Verantwortung für den Angriff. So sagte, zum Beispiel, Dmitriy Demushkin, der Vorsitzende der „Slawischen Union“, der Zeitung Nowaja Iswestija: „Von unseren Leuten war leider keiner dabei“. Aus der Führungsriege der „Bewegung gegen illegale Einwanderung“ hieß es: „Das sind nicht unsere Methoden.“

Am 31. Oktober nahm die Galerie erneut ihren Betrieb auf. Die Ausstellung Alexander Dschikias wurde instand gesetzt und neu eröffnet.

(Material u.a. von gif.ru, guelman.ru)





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