Zeitschrift Umělec 2012/1 >> Don’t Tell Us Who We Are. Delaine Le Bas' Installation Witch Hunt Übersicht aller Ausgaben
[b]Don’t Tell Us Who We Are. Delaine Le Bas' Installation [i]Witch Hunt[/i][/b]
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2012, 1
6,50 EUR
7 USD
Die Printausgabe schicken an:
Abo bestellen

Don’t Tell Us Who We Are. Delaine Le Bas' Installation Witch Hunt

Zeitschrift Umělec 2012/1

16.01.2013 15:13

Matthias Reichelt | profil | en cs de

Zwischen der Demonisierung und der Romantisierung der Roma-Kultur sucht Delaine Le Bas nach der subtilen Wirklichkeit, die unter einigen Klichés, Stereotypen und Vereinfachungen verborgen ist. Die farbenfrohe Harmlosigkeit ihrer knallbunten Installation wird mit der Lektüre von nicht weniger bunten Zeitungsartikeln ergänzt.

Ihren Hang zu bunter Kleidung scheint Delaine Le Bas auf ihre ebenso farbenprächtige wie raumgreifende Installation Witch Hunt zu übertragen. Aus einem scheinbar unerschöpflichen Fundus verschiedenster Materialien kombiniert sie die ausladende Inszenierung, welche die Besucher empfängt. In der Mitte der Kapelle und in der Apsis des ehemaligen Krankenhauses und des heutigen Kunstquartiers Bethanien konnte Le Bas Anfang November 2011, die bislang größte Version ihrer Arbeit für die Ausstellung Reconsidering Roma – Aspects of Roma and Sinti Life in Contemporary Art,1 realisieren. Le Bas präsentiert diese Installation seit 2009 auf ihren Stationen in Europa als work in progress.

In Berlin arrangierte Le Bas unzählige Elemente zu einem bühnenhaften und begehbaren Parcours. Die opulente Farbigkeit, die Mischung aus Puppen, Kinderspielzeug, Kitschelementen, Stickerei, Malerei, Schrift, Wandzeitung und Masken, im scheinbar spielerischen Arrangement eines Kinderzimmers dargeboten, vermittelt an der Oberfläche ein Bild der buntscheckigen Harmlosigkeit.

Das Motiv der vorwiegend frühneuzeitlichen Hexenjagd, bei der Häretikerinnen und auffällige Frauen, darunter auch Zigeunerinnen, wegen Zauberei, Gotteslästerung und als vom Teufel Besessene auf dem Scheiterhaufen verbrannt oder an Galgen aufgeknüpft wurden, führt Delaine Le Bas bis in die Gegenwart und stellt es in Beziehung mit den aktuellen antiziganistischen und rassistischen Verfolgungen in Europa im Allgemeinen und in Großbritannien im Besonderen, in Beziehung.

Im Zentrum des Kirchenschiffs befindet sich ein Zelt, das sich über einen überwiegend roten Teppich mit zwei Figuren spannt. In diesem Motiv wird der Mythos vom Nomadentum angesprochen, der sich hartnäckig als integraler Bestandteil der Kultur von Roma und Sinti hält - auch wenn die große Mehrheit ein bürgerliches Leben mit allen denkbaren Berufskarrieren führt. Das Klischee lässt außer Acht, dass die Gründe für die einst hohe Mobilität in der Desintegration und Vertreibung aus den Mehrheitsgesellschaften lagen. Ausgrenzung, Übergriffe und Pogrome zwangen die Roma zum Fortgehen und Weiterziehen. Im Laufe von Generationen verinnerlichten einige, der unter dem Heteronym Roma und Sinti nur unzureichend gefassten Völker, dieses Weiterziehen, das darüber zum Bestandteil ihrer Kultur wurde.

Im Zelt liegt eine schlafende Figur, während eine andere in der Größe eines Kindes wie ein Wächter positioniert ist. Die Zeltwände sind mit figurativer Malerei und Textilapplikationen ausgeschmückt und zeigen zwei Kinder mit Zöpfen, die Fangen spielen.

Das Schmücken, die ornamentalen Wandbehänge und Teppiche, sind Elemente einer Gypsy Culture, die Le Bas hier aufgreift, um sie mit anderen Verweisen zu verweben. Der Sensenmann als Botschafter des Todes ist auch hier inmitten von Mickymäusen, Schmetterlingen und Pferden zu finden. Der Kopf einer Puppe auf dem Schaukelpferd steckt in einer Guillotine. Die grausame Märchenwelt der Gebrüder Grimm wird motivisch angeklungen. Süßes und Helles prallt auf Edgar-Allan-Poe-hafte
Schwärze, Verspieltes auf Horror, Himmel auf Hölle, In der Apsis thront eine schwarze Madonna mit einem weißen Kind und vor ihr, auf den Stufen der Apsis hinunter ins Kirchenschiff, eine kleine Kindermadonna. Dieser zu Füßen hat Le Bas das aus den 1960er Jahren stammende Buch The Costs of Economic Growth des Ökonomen E. J. Mishan platziert. Darin kritisiert Mishan das auf ständiges Wachstum orientierte kapitalistische System und einen systemimmanenten Konsumismus, der künstlich Bedürfnisse schafft und damit neue Probleme kreiert.

Im Gespräch erwähnt Le Bas die vielen aus traditioneller Armut geborenen Berufe der Gypsies, speziell das Sammeln von Metall und Schrott, um daraus Wertstoffe zur Wiederverwendung zu filtern.

Le Bas, die einen ganzheitlichen und kommunitären politischen Ansatz verfolgt und einen ökologisch bewussten Umgang mit der Natur fordert, weiß aber auch, wie schnell in Krisenzeiten ganze Volksgruppen stigmatisiert und zum Ziel kollektiver Aggression werden können. Das Bild des Zigeuners war, aus der Perspektive der Gesellschaft, schon immer zweigeteilt. Einerseits ist da die romantische Idealisierung des fahrenden Volkes, das Musik im Blut hat, sich ständig vergnügt und das Umherziehen genießt. Beispielhaft hierfür stehen die Filmkomödien Emir Kustoricas. Andererseits werden Zigeuner dämonisiert und mit Bildern des Bösen behaftet. Wenn sie von Journalisten in Großbritannien interviewt wird, kann es ihr schon passieren, dass ihre Zugehörigkeit zu den British Travellers, wie sich die Gypsies in England selbst bezeichnen, in Frage gestellt wird, denn sie habe ja schließlich studiert. Die Stigmatisierung der Roma als ungebildete Personen, die allein schon aus der vermeintlichen Mobilität resultiert, ist ein Vorurteil, das sich hartnäckig hält. Dabei treten gerade in den letzten Jahren in vielen Wissenschaftsdisziplinen verstärkt Akademiker als Roma-Aktivisten auf, um dieses Bild zu korrigieren. Die andere Seite der Medaille heißt aber auch, dass viele ihre ethnische Zugehörigkeit verschweigen, aus Angst vor beruflicher Bunachteiligung. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma weiß davon ein Lied zu singen.

Die Nachrichten aus der Welt des Rassismus und der Diskriminierung, die in der Rauminstallation verarbeitet sind, belegen eine Ausgrenzungspolitik, die in vielen europäischen Staaten noch immer gegenüber der größten Minderheit Europas, den geschätzten 12 Millionen Roma und Sinti, praktiziert wird. Definieren, eine Andersartigkeit behaupten, ausgrenzen: Das ist die Strategie der Mehrheitsgesellschaft, die bis heute greift. Und, unter der Regie des deutschen Faschismus, zum Mord an einer halben Million Roma und Sinti in Europa führte.

 Über der Apsis schwebt die europäische Flagge und als Zitat „Safe European Home“, der Titel eines Songs der britischen Punk-Rock-Band The Clash. Delaine Le Bas hat dahinter ein Fragezeichen gesetzt. Aus der Perspektive von Roma und Migranten aus außereuropäischen Staaten wird sich diese Frage nur verneinen lassen, was Le Bas in einer Performance während der Ausstellungseröffnung demonstrierte.2 Dort ließ sie zwölf Ausstellungsbesucher aktuelle britische Pressemeldungen über die brutale polizeiliche Räumung der Dale-Farm, einer Siedlung von 86 Traveller-Familien in Sussex, verlesen.

 

 

1 Konzipiert von Lith Bahlmann und mitorganisiert von Autor dieses Textes, 12. 11.–11. 12. 2011, Kunstquartier Kreuzberg. Das gleichnamige Buch in dt. und engl. Sprache ist beim Wallstein Verlag in Göttingen erschienen. Siehe: www.reconsidering-roma.de. Parallel war Le Bas’ Arbeit auch in einer Gruppenausstellung der ausschließlich der Kunst von Roma und Sinti verschriebenen Galerie Kai Dikhas („Ort des Sehens“) in Berlin zu sehen.

2 Bei der Eröffnung von Reconsidering Roma am 11. 11. 2011 im Kunstquartier Bethanien, Berlin.





16.01.2013 15:13

Kommentar

Der Artikel ist bisher nicht kommentiert worden

Neuen Kommentar einfügen

Empfohlene Artikel

MIKROB MIKROB
There’s 130 kilos of fat, muscles, brain & raw power on the Serbian contemporary art scene, all molded together into a 175-cm tall, 44-year-old body. It’s owner is known by a countless number of different names, including Bamboo, Mexican, Groom, Big Pain in the Ass, but most of all he’s known as MICROBE!… Hero of the losers, fighter for the rights of the dispossessed, folk artist, entertainer…
Missglückte Koproduktion Missglückte Koproduktion
Wenn man sich gut orientiert, findet man heraus, dass man jeden Monat und vielleicht jede Woche die Chance hat, Geld für sein Kulturprojekt zu bekommen. Erfolgreiche Antragsteller haben genug Geld, durchschnittlich so viel, dass sie Ruhe geben, und die Erfolglosen werden von der Chance in Schach gehalten. Ganz natürlich sind also Agenturen nur mit dem Ziel entstanden, diese Fonds zu beantragen…
Terminator vs Avatar: Anmerkungen zum Akzelerationismus Terminator vs Avatar: Anmerkungen zum Akzelerationismus
Warum beugt ihr, die politischen Intellektuellen, euch zum Proletariat herab? Aus Mitleid womit? Ich verstehe, dass man euch hasst, wenn man Proletarier ist. Es gibt keinen Grund, euch zu hassen, weil ihr Bürger, Privilegierte mit zarten Händen seid, sondern weil ihr das einzig Wichtige nicht zu sagen wagt: Man kann auch Lust empfinden, wenn man die Ausdünstungen des Kapitals, die Urstoffe des…
Meine Karriere in der Poesie oder:  Wie ich gelernt habe, mir keine Sorgen  zu machen und die Institution zu lieben Meine Karriere in der Poesie oder: Wie ich gelernt habe, mir keine Sorgen zu machen und die Institution zu lieben
Der Amerikanische Dichter wurde ins Weiße Haus eingeladet, um seine kontroverse, ausstehlerische Poesie vorzulesen. Geschniegelt und bereit, für sich selber zu handeln, gelangt er zu einer skandalösen Feststellung: dass sich keiner mehr wegen Poesie aufregt, und dass es viel besser ist, eigene Wände oder wenigstens kleinere Mauern zu bauen, statt gegen allgemeine Wänden zu stoßen.
04.02.2020 10:17
Wohin weiter?
offside - vielseitig
S.d.Ch, Einzelgängertum und Randkultur  (Die Generation der 1970 Geborenen)
S.d.Ch, Einzelgängertum und Randkultur (Die Generation der 1970 Geborenen)
Josef Jindrák
Wer ist S.d.Ch? Eine Person mit vielen Interessen, aktiv in diversen Gebieten: In der Literatur, auf der Bühne, in der Musik und mit seinen Comics und Kollagen auch in der bildenden Kunst. In erster Linie aber Dichter und Dramatiker. Sein Charakter und seine Entschlossenheit machen ihn zum Einzelgänger. Sein Werk überschneidet sich nicht mit aktuellen Trends. Immer stellt er seine persönliche…
Weiterlesen …
offside - hanfverse
Die THC-Revue – Verschmähte Vergangenheit
Die THC-Revue – Verschmähte Vergangenheit
Ivan Mečl
Wir sind der fünfte Erdteil! Pítr Dragota und Viki Shock, Genialitätsfragmente (Fragmenty geniality), Mai/Juni 1997 Viki kam eigentlich vorbei, um mir Zeichnungen und Collagen zu zeigen. Nur so zur Ergänzung ließ er mich die im Samizdat (Selbstverlag) entstandene THC-Revue von Ende der Neunzigerjahre durchblättern. Als die mich begeisterte, erschrak er und sagte, dieses Schaffen sei ein…
Weiterlesen …
prize
To hen kai pán (Jindřich Chalupecký Prize Laureate 1998 Jiří Černický)
To hen kai pán (Jindřich Chalupecký Prize Laureate 1998 Jiří Černický)
Weiterlesen …
mütter
Wer hat Angst vorm Muttersein?
Wer hat Angst vorm Muttersein?
Zuzana Štefková
Die Vermehrung von Definitionen des Begriffes „Mutter“ stellt zugleich einen Ort wachsender Unterdrückung wie auch der potenziellen Befreiung dar.1 Carol Stabile Man schrieb das Jahr 2003, im dichten Gesträuch des Waldes bei Kladno (Mittelböhmen) stand am Wegesrand eine Frau im fortgeschrittenen Stadium der Schwangerschaft. Passanten konnten ein Aufblitzen ihres sich wölbenden Bauchs erblicken,…
Weiterlesen …
Bücher und Medien, die Sie interessieren könnten Zum e-shop
Back to Roots Issue
Mehr Informationen ...
6,50 EUR
7 USD
Again and again, art is being redefined. Artists, philosophers, critics – everyone has their own definition. Instead of...
Mehr Informationen ...
4 EUR
4 USD
American Issue
Mehr Informationen ...
6,50 EUR
7 USD

Studio

Divus and its services

Studio Divus designs and develops your ideas for projects, presentations or entire PR packages using all sorts of visual means and media. We offer our clients complete solutions as well as all the individual steps along the way. In our work we bring together the most up-to-date and classic technologies, enabling us to produce a wide range of products. But we do more than just prints and digital projects, ad materials, posters, catalogues, books, the production of screen and space presentations in interiors or exteriors, digital work and image publication on the internet; we also produce digital films—including the editing, sound and 3-D effects—and we use this technology for web pages and for company presentations. We specialize in ...
 

Zitat des Tages Der Herausgeber haftet nicht für psychische und physische Zustände, die nach Lesen des Zitats auftreten können.

Die Begierde hält niemals ihre Versprechen.
KONTAKTE UND INFORMATIONEN FÜR DIE BESUCHER Kontakte Redaktion

DIVUS
NOVÁ PERLA
Kyjov 36-37, 407 47 Krásná Lípa
Čzech Republic


 

GALLERY
perla@divus.cz, +420 222 264 830, +420 606 606 425
open from Wednesday to Sunday between 10am to 6pm
and on appointment.

 

CAFÉ & BOOKSHOP
shop@divus.cz, +420 222 264 830, +420 606 606 425
open from Wednesday to Sunday between 10am to 10pm
and on appointment.

 

STUDO & PRINTING
studio@divus.cz, +420 222 264 830, +420 602 269 888
open from Monday to Friday between 10am to 6pm

 

DIVUS PUBLISHING
Ivan Mečl, ivan@divus.cz, +420 602 269 888

 

UMĚLEC MAGAZINE
Palo Fabuš, umelec@divus.cz

DIVUS LONDON
Arch 8, Resolution Way, Deptford
London SE8 4NT, United Kingdom

news@divus.org.uk, +44 (0) 7526 902 082

 

Open Wednesday to Saturday 12 – 6 pm.

 

DIVUS BERLIN
Potsdamer Str. 161, 10783 Berlin, Deutschland
berlin@divus.cz, +49 (0)151 2908 8150

 

Open Wednesday to Sunday between 1 pm and 7 pm

 

DIVUS WIEN
wien@divus.cz

DIVUS MEXICO CITY
mexico@divus.cz

DIVUS BARCELONA
barcelona@divus.cz
DIVUS MOSCOW & MINSK
alena@divus.cz

 

DIVUS NEWSPAPER IN DIE E-MAIL
Divus We Are Rising National Gallery For You! Go to Kyjov by Krásná Lípa no.37.