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SLÁVA SOBOTOVIČOVÁ - Ruhig kurz
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2007, 4
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SLÁVA SOBOTOVIČOVÁ - Ruhig kurz

Zeitschrift Umělec 2007/4

01.04.2007

Edith Jeřábková | profil | en cs de es

Der ideale Artikel über Slávka Sobotovičová sollte Ähnlichkeit besitzen mit einem zen‑buddhistisch verkürzten Dostoevskij, aber das kommt erst demnächst.

E.J.: Wie soll ich dich im Artikel nennen? Sláva Sobotovičová, Sláva S., S. S. oder nur S.?
S.S.:
Ruhig kurz. Ich habe einen langen Namen.

S. knüpft an keine festere Kunstform oder künstlerische Tradition an. Ihr Werk geht über eine modernistische oder postmodernistische Fortsetzung hinaus. Sie verwendet keine aktuellen ästhetischen oder geistigen Stereotypen. Anscheinend sucht sie seltsame, analoge Formen zum Leben als Prozess. Aus der kulturellen Tradition verwendet sie nur Reaktionen auf deren volkstümliche Gestalten, Rituale und Symbole. Es handelt sich nicht um eine systematische, rustikale Abweichung. S. nimmt unvoreingenommen das, was sich ihr zum jeweilig aktuellen Thema auf der Basis ihres eigenen, unbewussten Kontextes anbietet. Sie interessiert sich für die organischen Prozesse des Gärens, des Aufgehens (von Teig) und für die entsprechenden, gesellschaftlichen Prozesse der Verbindung von Menschen durch ein bestimmtes Ritual, für das Überleben der Folklore in der alltäglichen und der offiziellen Welt.
Es sind nicht dokumentarische Gründe, die ihre Motivation bilden; sie kartiert nicht die Vergangenheit. Sie interessiert sich für jene Elemente, die alle drei Zeitzonen verbinden und sich im Überdauern berühren. Als Vorlage dienen ihr die alltägliche Umwelt und andere mit dem Kreislauf des Lebens und dem Menschen, der diesen durchläuft, verbundene Dinge – wie Brot in seiner noch lebendigen Form als Teig sowie Wein, also die allgegenwärtigen Gärungspilze (eine christliche Symbolik? Sie ist gegenwärtig, aber keinesfalls auf stupide Art, S. belässt sie natürlich und füllt sie nicht mit neuem Inhalt). Sie kann nicht anders, sie arbeitet mit Symbolen; ernsthafte Probleme in einem Lied und Variationen der Gärung beschäftigen sie, ohne dabei traumatisch zu werden. Sie befasst sich mit den Dingen, die einfach da sind. S. möchte nicht bedachtsam handeln. Mit einer guten Portion Selbstverständlichkeit tut sie das, was sie tun muss. Sie gerät so zwangsläufig in Kontakt mit kitzligen Problemen wie Nationalismus, christlichem und Volksritual sowie Feminismus. Sie arbeitet nicht konzeptuell mit ihnen, weicht ihnen aber zugleich auch nicht aus.

E.J.: Oder ist es nicht so? Du hast selbst gesagt, dass dir diese Bedeutungen da meist sekundär sind?
S.S.:
Ja, ich weiß nicht, ob sekundär… eher wie ein Kurzschluss. Kurzschluss beugt dem Juckreiz vor, nicht die Analyse.

NACHRICHTENVIDEOS
Die gesellschaftlich-politische Arbeit von S. ergibt sich nicht aus einer prompten Reaktion auf die aktuelle Situation. Die Serie von Nachrichtenvideos, die 2003 in der Galerie Jelení gezeigt wurden, beschäftigt sich explizit mit dem Problem der Manipulation des Zuschauers und mit der Dokumentation selbst als Material. In Reportage (2003) liefert S. Nachrichten aus aller Welt: Als Reporterin Petra Flanderková vor dem Weißen Haus spielt sie mit einem einfachen und repetitiven Liedchen auf den Irakkonflikt an: „Ein Hund lief in die Küche und stahl dem Koch ein Ei, da nahm der Koch den Löffel und schlug den Hund zu Brei… da kamen alle Hunde und gruben ihm ein Grab und setzten einen Grabstein, auf dem geschrieben stand:…“ Und immer wieder geht es zum Anfang zurück. Auf chirurgische Art und Weise äußert sie sich hier zu den Klippen der amerikanischen Irakpolitik und der „Massage“ durch die Medien.

E.J.: Machst du unmittelbar politische Kunst? Musstest du den Irak aktuell kommentieren?
S.S.:
Das passierte eher von selbst. Das war ein Kurzschluss mit Petra Flanderková, von der wir alle Tag und Nacht „massiert“ wurden.
Es existieren noch mindestens zwei weitere deutlich politisch gefärbte Arbeiten, Panslovanská hymna (Panslawische Hymne), von der weiter unten die Rede sein wird, und Pan Meerovich (Herr Meerovich) – ein polizeiliches Dreierportrait eines Konsuls, das seinen „Gefängnis“-Charakter erst durch die künstlerische Re-Definition eines menschlichen Schicksals erhielt (er wurde wegen der Annahme von Schmiergeld inhaftiert). Eigentlich verschaffte sich Frau Meerowichová das Dreierporträt als Referenz für die Stunden bei Sláva Sobotovičová, um den Kopf ihres Ehemannes zu modellieren. Die private Zielrichtung der Sache, die für die Kunst mittels der Einordnung in andere künstlerische Strukturen bestimmt war, bekam einen politischen Charakter. Diese charakterlichen Bocksprünge und vor allem die Wesensveränderungen der Dinge vom Privaten ins Öffentliche sind, wie ich im Weiteren zeigen werde, konstante Themen bei S.
Aber wenden wir uns einem weiteren „Fernsehvideo“ zu. Dieses verwendet für normale menschliche Leistungen die Spezialeffekte heroisierender Fernsehübertragungen und Nachrichten. In der Videoserie Sport (2003) durchsetzt S. eine Aufzeichnung Fußball spielender Jungen und eines Tennismatches in der Freizeit mit sportlichen Attributen von Fernsehübertragungen, wie Zoom, Zeitlupe, Detailaufnahmen und Grafiken. Sie zeigt, was die Manipulation des Fernsehens mit dem alltäglichen Leben macht, und demonstriert das Ausmaß an Aufmerksamkeit, das ein manipuliertes Bild gegenüber der Realität auf sich zieht.
Das dritte Nachrichtenvideo ist Koza (Ziege, 2003) – eine lakonische, aus der Distanz und ohne Kommentar gedrehte Aufnahme einer Ziege, die hedonistisch an einem Apfel knabbert. Es handelt sich um die Sorte Nachrichten „ohne Worte“, die sich im erfolgreichen Privatsender „Nova“ durchgesetzt haben; Nachrichten, die nicht mit einem Kommentar versehen sind, sondern die ursprüngliche Tonspur beibehalten. Ihre Authentizität soll den Zuschauer packen. Im Gegensatz zu Aufnahmen aus dem Zoo oder der bildlichen Präsentation aus der Zeit der Überschwemmung ist die Kamera stoisch allein auf die Ziege und ihre libertinistischen Genüsse gerichtet. Es erinnert an einen Ausschnitt aus einem Tierfilm und ist gleichzeitig ein ironisches Pendant zu den Politiknachrichten.
E.J.: Ist das eine Reaktion auf eine konkrete Situation oder auf einen bestimmten Anlass? Du hast wohl so einen dokumentarischen Sammelreflex, oder? Zum Beispiel mit dieser Ziege, das muss ein Zufall gewesen sein, den du dann für deine Absicht eingespannt hast, oder mit der Katze Anděla und der Meise… oder mit Schostakowitsch (dem wir uns weiter unten nähern)?
S.S.: Mit der Ziege habe ich natürlich Glück gehabt. Ich hatte die Kamera dabei, und der Sammelreflex war bei mir immer sehr stark. Es gab da nichts hinzuzufügen. Dass hinter der Katze Anděla der Engel des Todes stand, das geschah unwillkürlich. Ich habe bloß dazu eine Ballade über einen Engel gesungen, dessen Kuss nicht leise genug war und der eine Tragödie verursachte. Das passte schon zu gut – die Ballade ist voll von elementaren Symbolen, die sich nur scheinbar einfach mit wirklichen Situationen kombinieren lassen. Schostakowitsch: Ich spitzelte aus dem Haus. Ich beobachtete, wann die Musiker probten und wartete auf sie mit der Kamera.
E.J.: Und hinterher wurde ein echter Inhalt hinzukomponiert? Vielleicht bringt gerade das diese angenehme Zeitlosigkeit zwischen Ausgesprochenem und Nichtausgesprochenem hervor, dass du eigentlich zwei Dinge miteinander verbindest und ihnen ein wenig ihrer Ursprünglichkeit lässt. Das bringt wohl diese Ungezwungenheit hinein?
S.S.:
Ich habe keine vollständige Kontrolle. Du hast Recht, dass da oft zwei fertige Dinge miteinander verbunden sind, aber die Auswahl der Lieder war immer klar, wenn auch zweitrangig.

Bei dem Video Hudobnici (Musiker, 2003) aus demselben Jahr hat sich der Inhalt erheblich verändert, weil die Aufnahme nicht deutlich manipuliert wurde. Die Einspielung eines Konzertes von Dmitri Schostakowitsch schafft die Klangkulisse für eine voyeuristische Aufnahme mit obligatorischem Zoom. Dieser fängt die häusliche Probe eines Streichquartetts ein, das sich aus zwei älteren Männern und zwei jungen Mädchen zusammensetzt. Das Video kulminiert in dem Augenblick, als die angezoomte Kapelle nach vorangegangenen Anzeichen der Nervosität mit einem Mal in die Kamera schaut. Nach einem kurzzeitigen Frozen Frame setzt der Ton ohne Bild wieder ein, womit angedeutet wird, dass das Thema der Enthüllung nicht öffentlich sein soll. Darin nimmt dieses detektivische und lyrische kleine Werk Bezug auf die Nachrichtenserie. Zugleich ist es jedoch sowohl die hybride Aufnahme eines intimen Konzerts als auch der ironisch-ethische Kommentar der kameratechnischen oder direkt künstlerischen Praktiken.

E.J.: Nimmst du dort auch dieses Verhältnis der ungleichen Paarung wahr? Kann das der implantierte Ärger sein, oder sollte es deine Entlarvung als Voyeur werden?
S.S.:
Meine Entlarvung ist die Pointe. Dass ich zusätzlich die Paarung alter Männer mit jungen Mädchen heimlich beobachtet habe, war ein Bonus.

S. versucht, ein alltägliches Ereignis zu rekonstruieren im Bemühen, etwas zu erfassen, das unterbewusst abläuft, automatisch, dessen wir uns im Vorgang des Ereignisses nicht bewusst sind (ein Samstag mit der Familie, ein Ausflug).
Sie geht von dem aus, was sie gut kennt, was wir mit Abweichungen alle gut kennen. Überdies gelingt es ihr, Formen auch für heute schwer erträgliche Inhalte zu finden, mit denen man sich leicht in die Nesseln setzen kann, zum Beispiel Heimat, Familie, Stolz, Botschaft, Tradition. Sie schafft es sogar, diese mit Stimmungen und Emotionen zu versehen. Die Struktur ihrer Arbeiten findet eine Analogie im Volkslied: alles wird in lapidarer und metaphorischer Weise ausgedrückt. Die Wiederholung besitzt eine mantrische Funktion und erklärt die Welt aus einer zyklischen Perspektive; durch eine alltägliche Situation kann sie sich auch den leichten Formen des Überbewussten nähern.
Eine wichtige Rolle spielen ebenfalls der Kontrast schaffende Transfer einer bestimmten Erscheinung aus dem öffentlichen in das private Umfeld oder umgekehrt sowie das Betrachten der Auswirkungen in beiden Welten. Bei Schostakowitsch ist dies beispielsweise die intime Aufnahme des Konzerts durch ein Fenster und eine offizielle Aufzeichnung des Konzerts als akustische Begleitung. Bei Hymna nenaplněné lásky (Hymne der unerfüllten Liebe) ist es der Kontrast von institutionalisiertem Lied und Volkslied; bei 3 Popelky (3 Aschenputtel der Kontrast von öffentlicher, abendfüllender Märchenaufführung und Beisammensein im Familienkreis der Sobotovičs; bei Zelený veltlín (Grüner Veltliner) wurde der industriell hergestellte Wein der Vernissage durch einen Wein aus Privatanbau ersetzt; und im Falle des Happenings mit dem Teig geht es um das Hinaustragen des Teigs als Symbol der familiären Behaglichkeit aus der Küche auf die Straße, wo der Teig zum von der Zivilisation bedrohten Leben wird.

TEIG
S. hat eine Vorliebe für Experimente mit Teig. Auf der Ausstellung Hrubý domácí produkt (Bruttoinlandsprodukt) in der Galerie der Hauptstadt Prag verschlang ein Teig durch sein Aufgehen einen Büroabfalleimer. Ein anderes Mal lässt S. kleine Laibe aus Teig von einem Auto überfahren, wohl in der Hoffnung, dass Hefepilze Organismen der Zukunft sind und alles überleben, aber noch eher als physische Analogie zwischen dem warmen, aufgehenden Teig und dem lebenden und wachsenden Körper. Den größten Teig – er hatte einen Durchmesser von einem Meter – testete sie auf dem Parkplatz einer Autobahngaststätte. Große Schöpfung, großes Leben, großer Tod. Wohl deshalb überfuhr ihn lieber niemand – oder man wollte sein Auto nicht vom Teig einwecken lassen. Es ist gewissermaßen ein Laboratorium, in dem die Hefepilze, die offensichtlich keine Schmerzen haben, die weißen Mäuse sind und die Sensibilität des Fahrers untersuchen. Der überfahrene Teig implantiert in das Reifenprofil Motive der Rache. Eine bildhafte Demonstration, die Kinderspielen ähnelt, bei denen „dieses“ durch „jenes“ vertreten wird. Aber nicht so sehr um die Gestalt geht es, eher um die Handlung. Der Teig als neues, wehrloses Lebewesen wird aus der Küche auf die Straße oder ins Büro getragen; wie Vulkangestein der familiären Intimität, das in das Umfeld von Öffentlichkeit und Arbeit überführt wird. Der Teig selbst kann sich im kulturellen Kontext als Symbol gefährlicher Üppigkeit oder als Symbol organischen Wohlstandes geben, der ein Mal beobachtet, ein anderes Mal demonstrativ liquidiert wird. Das Experiment als solches ist sehr wichtig für das Schaffen von S., denn es stellt die Frage nach Missbrauch und Manipulation.
E.J.: Im Grunde genommen wächst der Teig und gibt der Aktion oder der Aufnahme eine Dimension der Entwicklung, der Lebensbeschreibung – reales Leben und realen Tod. Ist es so, dass die Gärung dir eigentlich ermöglicht, den Prozess zu beobachten und gleichzeitig dem sichtbaren Ergebnis (dem Existenzbeweis) am Ende zu begegnen?
S.S.:
Gärungsprozesse faszinieren mich. Das ist primitiv und lebensnah. Mein Vater ist Winzer und von Mama habe ich das Teigkneten gelernt. Und da sind wir schon wieder bei heiligen Symbolen: Wein und Brot. Das waren für mich von klein auf alltägliche Dinge. Du musst zugeben, dass ich nichts dafür kann, dass ich pathetisch bin.
E.J.: Nein, aber das denke ich auch gar nicht. Wirkliche starre Vorstellungen, dazu noch derartig vernachlässigte, interessieren mich dagegen. Können wir das Geheimnis eines noch unfertigen Teiges lüften – eines Krapfens auf der Wanderschaft durch Prag?
S.S.:
Der Laib säuerte auf der Fahrt eine Stunde lang auf dem Autodach. Zwei an das Auto festgeklebte Kameras nahmen ihn auf (von vorne und von der Seite). Die Fahrt beginnt vor den Karlín Ateliers, führt aus Prag hinaus, Tunnel, Ufer, durch Podbaba, Suchdol, Felder ringsum, Rückkehr nach Prag, und endet vor dem Café Slavia. Es war ein sonniger Sommertag, der Laib war nach der Stunde Fahrt auf das doppelte angewachsen. Wichtig ist, dass ich erzähle, dass dieses Auto ein legendärer blauer VW LT war (das habe ich Krištof Kinter versprochen).

Der Teig kann einerseits jenes Grundmaterial des Lebens bedeuten, aber genauso gut ein unkontrolliertes Wuchern. Diesen selbstständigen Gärungsvorgang finden wir auch in anderen Werken von S., so im gegärten Urin für das Gießen der Blumen, im Schießen mit Champagner, in der Dokumentation über Wein usw. Das verbindet den Teig mit anderen Interessensgebieten von S. – mit den Liedvideos und ihr folkloristisches Schaffen, für die Wachstum, Brot und Wein wichtige Symbole des Lebens sind. Aber während Teig und einige Attribute der städtischen Kultur in den Videos auf die physische Welt verweisen, beinhalten die Lieder eine schamanistische Dimension. Ein Verbindungsglied zwischen diesen Welten könnte die Ausstellung Zelený veltlín (2003, ausgestellt 2004 im Preproduction Space in Berlin und in der Galerie Display). In einem Video lief eine Dokumentation darüber, wie Herr Sobotovičov Wein herstellt. Während der Vernissage wurde statt des üblichen Weingemengsels echter Grüner Veltliner des Herrn Sobotovičov gereicht. Am Ende der Dokumentation sprach Herr Sobotovičov einen Trinkspruch auf die Vernissage aus, was die Dokumentation in die Gegenwart versetzte und sie konkretisierte – ein prosaisches Mysterium der Verwandlung von Kunst in Wein.

LIEDVIDEOS
Verhältnismäßig überraschend ist das Vorhaben, sich als Grundlage für künstlerische Sprache ein Lied zu wählen und es dann kurzerhand in die aktuelle Situation zu implantieren.
E.J.: Wann und wie und warum entstand dein erstes Liedvideo oder die Idee dazu?
S.S.:
Kurz gesagt: Ich habe mein altes Gedichtchen auf die Musik der slowakischen Hymne draufgeschraubt, das gefiel mir, also habe ich meine Schwestern gezwungen, das Lied einzuüben, wir haben uns in den Nationalfarben angezogen und das Lied in der Weinstube meines Vaters gesungen. Ich will nicht den Eindruck machen, dass ich für die Symbole und das Pathos nicht verantwortlich bin, aber noch mal: Das war alles griffbereit, ich musste nichts konstruieren. Die holden Maiden sind meine Schwestern, die Weinstube ist hinter dem Haus, wir singen ganz gewöhnlich.
Hymne der unerfüllten Liebe (1999) bezieht sich sowohl auf die Geschichte des Liedes (die daran erinnert, dass sich eine Menge offizieller Kompositionen aus dem Volksgut rekrutieren) als auch auf die politische Situation der Republikteilung. S. gab der slowakischen Hymne in der Darbietung des Gesangstrios der Schwestern Sobotovič den Charakter eines Liebesliedes zurück. Die Hymne ist im Grunde genommen ein Mantra, und nach der Institutionalisierung lebt ihre volkstümliche Herkunft in ihr fort. Die bildliche Form zeigt – nach dem Muster von Clips zu Blasmusik – die Sängerinnen mit einem Weinberg im Hintergrund und „voll von Weintrauben“ in ihren geöffneten Händen als Attribute gesitteter Liebe.

E.J.: Verwendest du diese nette Kitschigkeit als Element einer ironisierenden Vergegenwärtigung?
S.S.:
Das war kein Ergebnis von rationalem Kalkül. Zu Kitsch habe ich ein intimes Verhältnis, und Ironie ist für mich die einzige erträgliche Position.

Im folgenden Jahr erschien das Liedvideo 3 Aschenputtel, das irgendwann einfach entstehen musste. Es geht von einer Ikone der tschechischen Märchenfilme aus und vielleicht auch von der 80er-Jahre Sendereihe „Es singt die ganze Familie“). Dem Vorbild der „Drei Schwestern“ Sobotovič lässt sich nicht ewig Widerstand leisten. Auch hier wird das transformierende Prinzip der Durchlässigkeit zweier Sphären verwendet – des Märchens und Traums sowie der Realität in lebendiger Darbietung. Der Film benötigt für sein Leben die lebende Wohnkultur, und die Wohnstätte muss von Träumen über erfüllte Wünsche erfüllt sein. So sehr diese bildliche und klangliche Collage kritisch sein kann, so sehr muss sie auch menschlich nostalgisch sein. Am Ende zieht sich nur noch der Gesang von Sláva bis zur letzten Einstellung des Märchens, und ganz am Schluss treten beide Tonspuren symbolisch wieder in die Wohnstätte der Sobotovičs ein.
Balada o Anděle a ptákovi (Ballade über den Engel und den Vogel, 2002), deren Motiv der Tod für die Leidenschaft (der Jagd und der Liebe) ist, bietet eine weitere Applikation eines Volksliedes zu einer konkreten Begebenheit. Das Video spielt sich in drei Akten ab. Die Katze Anděla verfolgt eine Meise. In der folgenden Einstellung ist der Vogel tot. Es folgt das Begräbnis. Die offen eingestandene Kamera mit dem schaukelnden Tragegurt macht die Ballade zu etwas Häuslichem. Das zynische Abschlussbild mit einem Tisch, auf dem Hühner für den Backofen vorbereitet werden, ist angeblich eine ungewollte Pointe. „Gib mir ein Küsschen, mein Engelchen, ein solches, das die Nachtigall nicht hört…“
E.J.: Du gehst auf Konzerte, hörst gute Musik, sammelst verschiedene Interpretationen derselben Lieder. Hörst du auch Volksmusik, oder kennst du das alles „von klein auf“?
S.S.:
Ich höre keine Volksmusik. Was ich verwendet habe, kenne ich noch aus der Kindheit, von den Eltern, meine Mama hat zu Hause ständig gesungen. In der Pubertät und anderen kürzeren Zeitabschnitten habe ich mich etwas stärker mit Folklore beschäftigt, aber niemals als Programm.
E.J.: Möchtest du über Pastýři (Hirten, 2007) sprechen oder nicht, da das eigentlich ja noch nicht gezeigt wurde?
S.S.:
Wurde es schon, bei einer Ausstellung im NoD im Januar 2007, die Eva Koťátková konzipiert hat. Das wurde Na názvu jsme se nedohodli (Auf einen Namen haben wir uns nicht geeinigt) genannt und das Thema war Text.
E.J.: Die alltägliche Situation (die Sobotovičs fahren mit dem Auto irgendwohin und singen dabei ein Weihnachtslied) lässt sich ein wenig wie das Mysterium der Botschaft auffassen, welche die Weihnachtssänger irgendwohin führt, um sie zu verkünden. Das hat auch eine durchaus kosmische Dimension, so eine sündig Dänikensche Dimension in dem Moment der missionarischen Verbindung. Es ist fast eins, ob es um Science Fiction, Comics oder Christentum geht, nicht wahr?
S.S.:
Ja, das ist eins. Die Situation entstand unwillkürlich – wir stritten uns darum, wie man das Lied richtig singen muss. Die Szene hat mich gepackt, also habe ich sie mit der Kamera wiederholt.
E.J.: Kommen wir zu Děn poté (Der Tag danach, 2005). Hatte das nicht eigentlich Sobota (Samstag) geheißen? Warum ist das nicht mehr Samstag?
S.S.:
„Der Tag danach“ soll unterstreichen, dass danach nichts mehr rückgängig zu machen ist. Dieser Samstag spielt auf die Hochzeit an, gleichzeitig ist es der Titel des Lieds, das da meine Schwestern singen. Es ist das Weinen eines Mannes darüber, dass Türken seine Liebste fortgeschleppt haben, weil sie so schön war. Das Erschrecken über die Unumkehrbarkeit ist ein extrem häufiges Motiv in den Liedern. Das passte gut zu meinem Gedicht über die Heirat meiner Schwester. Wichtig ist aber, dass sie eine herzzerreißende Ballade singen und dabei ruhig die alltägliche Arbeit im Haushalt erledigen.
E.J.: Und ist das die Rekonstruktion des Tages nach der Hochzeit? Und wessen Hochzeit?
S.S.:
Das ist keine Rekonstruktion, das ist tatsächlich der Tag nach der Hochzeit meiner jüngeren Schwester. Meine Schwestern sind noch eingesungen vom Tag davor, sie packen Essen von der Hochzeit ein. Eine von ihnen begutachtet die durchgetanzten Schuhe. Manipuliert habe ich es genau dadurch, dass sie wussten, dass ich drehe, und dass ich absichtlich dieses Lied eingeführt habe.
Das Video verwendet einen Split Screen, in dem die eine Kamera statisch ist und die andere den Schwestern Sobotovič in die Küche folgt. Die gedrehte Küchenarbeit wirkt auch auf uns irgendwie verschoben dank der Atmosphäre des mantrischen Gesangs. Später kommen auch Männer dazu, die Stimmung ändert sich etwas, irgend-etwas wird entschieden, das Lied reißt ab. Dahinter steckt aber keine feministische Absicht. Eher zwingt es zum Nachdenken darüber, wie ein übermäßiges Bemühen um Interpretation und Werk heute scheitert. Die Kunst ist keine Amöbe, in die sich was auch immer hineinstopfen lässt.
Eine ähnliche Situation tritt auch bei der Videoaufzeichnung der Aktion Šampaňské (Champagner, 2005) ein, wo Patricie Fexová an einem Rand des Bildausschnitts eine Ladung Stöpsel auf Vasil Artamonov am gegenüberliegenden Rand des Filmausschnitts schießt. Es ist wahr, dass die Flasche in den Händen der Frau phallisch wirken kann. Dennoch ist die Wahrnehmung ihrer wechselseitigen Handlungen aus einem militant feministischen Blickwinkel fragwürdig, gerade wegen der Ergebenheit und Nichtemotionalität, mit der beide Geschlechter die Aktionen durchführen. Viel näher sind wir hier den Arbeiten des Paars Abramovičová/Ulay.
E.J.: Außer den Tonvideos machst du auch oft reine Audioprojekte. Stark ist die Panslovanská hymna (Panslawische Hymne), die du gemeinsam mit Laibach singst. Du artikuliert da so schön energisch „Donner und Hölle“. Wurde das irgendwann mal gezeigt?
S.S.:
Auch auf der Ausstellung Auf einen Namen haben wir uns nicht geeinigt im NoD. Ich bin ein ziemlich passiver Aussteller, in dem Sinne „Ich überlege mir kein Konzept, eher stelle ich nur die Sachen zur Verfügung“. Aber in diesem Fall war ich dabei, mir ein Konzept zu überlegen, und an der Ausstellung hatte ich und habe ich bis jetzt Freude.
E.J.: Dann hast du sie noch einmal gesungen bei irgendeiner Aktion im NoD, du auf Slowakisch und Lenka Vítková auf Tschechisch? Und mit Petra Herotová (auf Kroatisch) in diesem Jahr in der Galerie Eskort?
S.S.:
Ja, mit Lenka habe ich auf der Vernissage dieser Ausstellung im NoD gesungen, und mit Petra habe ich das vor kurzem auf der Vernissage ihrer Ausstellung im Eskort gemacht. Petra bearbeitet Themen wie Heimat, Stolz, Boden, Abhängigkeit, durch ihre familiären Verbindungen mit der tschechischen Diaspora in Kroatien (woanders als unter diesen konservierten Bedingungen sind solche Fragen schon tot). Mit Petra habe ich irgendwann ein Gespräch geführt. Es hat mich interessiert, ob sie auch so ähnlich verzwickte Ausgangspunkte hat wie ich. Petra hat meine Panslawische Hymne gut für ihr Thema eingesetzt, sie hat sie auf Kroatisch gesungen, und ich auf Tschechisch. Ich empfinde dieses Lied in der Slowakei noch als Gefahr. Überall, wo ich das spürte, habe ich es als etwas Geheimes, Provokatives gesungen, in Situationen, die den Geruch von Widerstand, von Nationalismus oder sogar von Nostalgie nach dem Klerikalfaschismus hatten.
E.J.: Stellst du auch in der Slowakei viel aus? Ist das proportional gleich?
S.S.:
Ich stelle fast überhaupt nicht in der Slowakei aus. Außer um die Familie zu besuchen, fahre ich nicht in die Slowakei. Ich reise nicht, und zum Kommunizieren über eine Distanz bin ich nicht fähig.

S. wurde am 9. März 1973 in Nitra geboren. Von 1991 bis 1995 studierte sie an der VŠVU (Akademie für Kunst und Design) in Bratislava. Ihr Studium schloss sie 1998 an der AVU (Akademie der Bildenden Künste) in Prag ab (bei den Professoren Miloš Šejn und Milan Knížák). Sie lebt in Prag. Für das Archiv der Wissenschaftlichen Forschungsstelle der AVU schneidet sie Dokumentarvideos. Bis 2007 wirkte sie an der tschechisch-slowakischen Version der Zeitschrift Flash Art mit und arbeitete für die Stiftung Prague Biennale. Privat unterrichtet sie Zeichnen und Malen für Erwachsene. Sláva Sobotovičová teilt sich ein Atelier mit Patricie Fexová (mit der sie irgendwann ein schöpferisches Duo bilden wird) in den Karlín Studios. Patricie Fexová hat von Sláva Sobotovičová in ihrer Wohnung eine schöne großformatige Fotografie eines Klaviers.

E.J.: Hast du mal Klavier gespielt?
S.S.:
Ich wurde dafür angemeldet, aber ich habe die Geige für mich durchgesetzt. Das habe ich aber dann sofort wieder gelassen. Auf diesem Klavier hat meine Schwester gespielt.






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